Samstag, 19. Oktober 2019

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Im Haus schräg gegenüber war eine neue Mieterin eingezogen. Sie war Balkonraucherin und Schmidt konnte sie von seinem Küchenfenster aus beim Rauchen beobachten. Sie sah gut aus, soweit er das aus der Entfernung erkennen konnte. Groß, schlank, blond, mit einem hübschen, mädchenhaften Gesicht. Ihm gefiel die Art, wie sie rauchte. Sie ließ sich Zeit und lehnte dabei entspannt mit überkreuzten Beinen neben der Balkontür. Sie schaute verträumt in den Himmel und genoss die Zigarette. Ab und an kam ein Kleinkind dazu, aber davon ließ sie sich nicht beirren, sie rauchte entspannt weiter.
Ein Mann wohnte nicht bei ihr.
Schmidt fragte sich, ob sie als alleinerziehende Mutter leicht zu erobern sei. Bisweilen malte er sich aus, wie er so zu einer Familie käme, ohne ein eigenes Kind zeugen zu müssen. Das wäre von Vorteil, man könnte sich dann wieder leicht aus der Verantwortung stehlen. Einmal war er kurz davor, ihr vom Fenster aus zuzuwinken. Aber er beließ es dabei, sie nur zu beobachten.
Heute, beim Wochenendeinkauf begegnete er ihr im Discounter. Aus der Nähe sah sie bei weitem nicht mehr so gut aus. Sie war erheblich älter, als Schmidt gedacht hatte. Ihre blondierten Haare waren am Ansatz  ergraut, die Augen matt. Sie wirkte ungepflegt und mürrisch. Aschfahle, großporige Haut, kein Make-Up. Die Fingerkuppen waren gelb und die Nägel abgekaut. Ihr Kind, ein kleiner Junge, wie Schmidt jetzt erkennen konnte, quengelte wegen irgendetwas und fing an zu heulen. Schon nach kurzer Zeit zeigte sie Nerven und wurde ihrerseits laut. "Halt endlich deine Scheißfresse", sagte sie zu ihm. Schmidt war entsetzt und angewidert.
Wieder zuhause googelte Schmidt nach künstlichen Vaginas. Inzwischen wurden die schon bei Amazon angeboten. Das Modell "Fleshlight Pink Lady" in der Rubrik "Drogerie und Körperpflege" schaute er sich genauer an.
"Diese Lady verspricht viele Stunden Spaß und hat nie Migräne", versprach der Hersteller und "Fleshlight will immer, wenn Sie wollen. Seine innovative Reel Feel Superskin™ Innenstruktur ist ultraweich, elastisch und unglaublich gefühlsecht. Vor allem das Fleshlight Original Pink Lady ist ein ideales Einsteigermodell, denn der glatte, große Kanal sorgt dafür, dass Sie nicht zu schnell kommen."
Bekennende Käufer hatten sogar "Rezensionen" abgegeben. "Ocir" schrieb zum Beispiel: "An eine richtige Vagina kommt es zwar nicht ran, aber es ist schon sehr ähnlich. Warm, feucht und eng. :)"
"Boogeyman" schrieb: "Es fühlt sich lange nicht so an, wie das menschliche Original. Aber wenn die Frau o. der Mann mal auf Geschäftsreise ist, ganz ok."
„Anton Ginther“ schrieb: "Stress mit der Freundin? Keine Ausweichmuschi in Sicht - macht nicht's, es gibt ja die Muschi To Go von Fleshlight. Leicht zu reinigen und allzeit bereit, ohne Zickenkrieg, was will man(n) mehr??"
"Jannie" behauptete sogar: "Habe mir das Fleshlight zusammen mit meiner Frau ausgesucht. Wir haben es bestellt, da ich öfter Lust habe als sie, und immer hat man(n) nicht Lust auf "Handarbeit"."
Für diese Rezensenten war das "Fleshlight Pink Lady" nur eine Erweiterung ihres Sexlebens oder ein kurzfristiger Ersatz für das "Echte". Keiner gab zu, dass er nicht beurteilen kann, ob es sich wie eine echte Vagina anfühlt, da er das letzte Mal bei seiner Geburt Kontakt mit einer hatte. Keiner gab zu, ein verzweifelter Wichser zu sein, der 32,99 Euro für ein Stück Silikon in einer Plastikummantelung gezahlt hat und sich jetzt fragt, wo genau eigentlich seine Würde auf der Strecke geblieben ist.
Schmidt befand sich in einer merkwürdigen Verfassung – eine Mischung aus Wut und einer manischen Lust an diesem völlig absurd lächerlichen Leben - , so dass er kurz davor war, den Bestellbutton klicken. Dann hatte er aber noch rechtzeitig das Einsehen, dass sich die Anschaffung nicht lohnt. Der Reiz von diesen Dingern liegt ausschließlich darin, dass es einem das Herz vor Erregung höher schlagen lässt, wenn man das erste mal eindringt. Weiß man dann, wie es sich anfühlt, ist der Reiz auch schon verflogen und das Ding landet schnell in einer Schublade wie so viele andere Haushaltsgeräte auch. Zum Beispiel diese mechanischen Schneidegeräte, die das Schneiden von Gemüse zwar erleichtern, aber aufwändig zu reinigen sind. Und wenn Schmidt sich vorstellte, wie er über dem Waschbecken gebeugt die "Pink Lady" nach Gebrauch auswusch, verging ihm auch der letzte Rest erotischer Neugier.