Sonntag, 26. August 2018

Als sie ihn fragte, ob sie ihm für die Arbeit morgen lieber das hell- oder das dunkelgraue Hemd rauslegen sollte, war er nicht in der Lage zu antworten, da er sich fragte, was nur aus ihm geworden ist. Sie entschied sich für das hellgraue, weil es freundlicher wirkt.
Beim ausgiebigen Biertrinken sitzt er am liebsten in der Küche.

Weil es ein funktionaler Raum ist?

Das weiß er nicht, er weiß nur, beim ausgiebigen Biertrinken sitzt er am liebsten in der Küche.
Seine Rolex, sein Beruf und seine Liebe waren in etwa so echt wie dieses Formfleisch-Schnitzel in diesem "Restaurant". Doch die vom Leben nicht gerade verwöhnte Kirsten-Su ließ es sich schmecken und fühlte sich gut unterhalten.
Im Stich gelassene Behördenmitarbeiter hatten Angst vor konfliktträchtigen Entscheidungen. Immer mehr wünschten sich insgeheim eine autoritäre Führungspersönlichkeit, die ihnen die Verantwortung abnahm. Geltungssüchtige Großmäuler witterten ihre Chance.
Trotz idealen Wetters und der vertraut wunderschönen Umgebung will sich bei Familie M. diesmal keine Ferienstimmung einstellen, da Herr M. genau weiß, dass die Gastronomiepreise im Vorjahresvergleich überall um 8 % gestiegen sind und Frau M. davon partout nichts hören will.
Herr S. beschwert sich für sein Leben gern, denn das verleiht seinem Leben mehr Gewicht.
Der Erfinder der äußerst beliebten Replik "Ey, mach dich locker!" konnte davon nie finanziell profitieren und lebt heute in äußerst angespannten Verhältnissen.
Der Langzeitsingle Michael L. nutzt den Fernseher immer noch gern, um sich beim Essen nicht so allein zu fühlen. Aber nur mit abgestelltem Ton, er will ja schließlich seine Ruhe haben.
Als junger Mann hielt er Frauen für die besseren Menschen, da sie der Schönheit und dem Schöpferischen, überhaupt dem ganzen Leben stärker zugewandt sind. Längst eines besseren belehrt hielt er diese Schwärmerei aufrecht, um bei den Frauen weiterhin gut anzukommen.
Beim Frühstück teilen sie sich schweigend die Zeitung. Er liest gern den Sport, sie „Vermischtes“. Seit 43 Jahren sind sie verheiratet und zufrieden. Ohne dass sie es je hätten ansprechen müssen, legen sie großen Wert auf gegenseitigen Respekt.
Angesichts dessen, was dabei herauskommt, ist eine Glorifizierung immer ein Arschloch.

Mittwoch, 15. August 2018

Der leidenschaftliche Bierdeckelsammler Erwin W. steckte all sein Erspartes in einen eigenen Bierdeckelladen. Als 4 Tage nach Eröffnung der erste Kunde den Laden betrat und einen extrem raren, hochpreisigen Bierdeckel schlechtredete, schmiss Erwin ihn hochkant raus.
Der seit 26 Jahren bei der gleichen Firma beschäftigte Sachbearbeiter Jens N. hat noch berufliche Ziele: Nachdem es ihm bei einem Kleiderbügel in der Garderobe genehmigt wurde, will er nun auch einen Stuhl in der Kantine mit seinem Namen versehen und für sich reservieren.
Volksfest am Sonntag: saftiges Schmatzen an schmierigen Buden, Fettdunst und Tamtam. Ein ausgehöhlter Greis mit einem grimassenhaft erstarrten Lächeln im Gesicht hat einen verängstigten jungen Hund an der Leine. Der Hund ist ein Geschöpf voller Würde und Schönheit.
Sollte er seine Ess- und Trinkgewohnheiten und noch ein paar andere Dinge nicht bald ändern, drohte sie ihm mit "Kuschelentzug". Sie ahnte nicht, dass er längst auf getrennte Schlafzimmer hinarbeitete, genau wie sie auch.
Da sich kein anderer Bewerber fand und er die meisten Dienstjahre aufwies und nie wegen irgendwas aufgefallen war, wurde er tatsächlich Amtsleiter. Am zweiten Tag in seiner neuen Funktion bastelte er sich ein Schild mit einem roten Ampelmännchen für seine Bürotür.
Die Langzeitstudentin Ute T. betrachtete Ehrgeiz als einen billigen Ersatz für mangelndes Talent und Disziplin als einen Ausdruck untertäniger Spießigkeit. Die Langzeitarbeitslose Ute T. hat jetzt ganz andere Sorgen.
Andere interessierten ihn einen Dreck, Menschen ließen ihn kalt. Bei niedlichen Tieren oder wenn es um ihn ging, wurde er schnell mal rührselig. Seine ihm ergebene Frau nannte das "seinen sensiblen Kern".
Allein schon wegen des Zeitgewinns gilt es, den ganz natürlichen und unausweichlich voranschreitenden Interessenschwund im Alter bewusst zu genießen.
Der Sprint macht den Helden, für das Leben entscheidend ist aber der Marathon, sagt der grundsätzlich gemächlich agierende Wolfram A. und erhält dafür bemerkenswert viel Zustimmung aus der Fraktion der Hektiker.
Von "Rocky IV - Der Kampf des Jahrhunderts" zutiefst beeindruckt verließ Olaf B. am 8. März 1986 extrem breitschultrig das örtliche Kreisstadtkino. Um ihn herum noch andere Kinobesucher mit dem gleichen Körperempfinden. Eiskalten Blickes ließen sie einander in Ruhe.
Abgestoßen von dieser neuen aggressiven Empörungskultur thematisiert Dr. Frank R. in seinen Gesprächen nur noch das Wetter, wohlschmeckendes Essen und schöne Erlebnisse mit seinen Liebsten. Sein neuerdings entspanntes Wesen macht ihn zu einem äußerst beliebten Gesprächspartner.
Seitdem die im direkten Kundenkontakt stehende Dienstleisterin Petra K. das freundlich lächelnde Weghören und "Tangiert mich nicht"-Denken in virtuoser Perfektion beherrscht, geht sie auch privat wie auf Federn durch den Alltag.
Der adipöse Autoraser Marcel R. bringt seinen Audi TT für ein umfangreiches Tuning-Upgrade in die Werkstatt. Ihm ist wichtig, dass sein Auto seine Persönlichkeit widerspiegelt und voll fett aussieht.
Mit dem Ideal der bedingungslosen Liebe seines Hundes Timmi im Kopf ging er als Junggeselle auf Brautschau. Bei Renteneintritt immer noch Junggeselle kaufte er sich einen neuen Hund und nannte ihn Timmi II.
Betty B. war modebewusst und genoss das Gefühl der Überlegenheit, wenn sie bei den neuesten Trends ihrem Bekanntenkreis immer einen Schritt voraus war. Ihre Karriere im Modebusiness endete in dem Nagelstudio "NagelNeu". Das Gefühl der Überlegenheit bewahrte sie sich.
Frau M. bezeichnet die Bevormundung ihres Mannes gern als Fürsorge. Herr M. bezeichnet seine Unselbständigkeit gern unverhohlen als Bequemlichkeit.
Dass Gerd K. sich jedes Mal aufregt, wenn andere sich über etwas aufregen, läge an seiner Harmoniesucht, behauptete seine Frau Annette. Das regte ihn auf.
Als der Narzisst Ben A. im Suff einem exhibitionistischen Impuls folgend den Partygästen inbrünstig seine eher unterdurchschnittlich großen Genitalien präsentierte, machte das im Nachhinein einen besseren Menschen aus ihm. Erst nach einem Vierteljahr war er wieder der Alte.
Hubert W. bestellte sich erstmals so einen neumodischen "Cappuccino". Das Herz auf dem Milchschaum machte ihn etwas verlegen, da die offenbar mit ihm flirtende Bedienung so gar nicht sein Typ war.
Weil es ihm nicht gelang, sein Umfeld von seiner moralischen Überlegenheit zu überzeugen, begnügte er sich fortan damit, sich darin zu sonnen.
Menschen ohne Sinn für das Absurde entgeht das Beste.
Die Kneipen sind ihm schon lange zu teuer, dann die Imbissbuden und dann auch noch die Tankstellen und Kioske. Inzwischen sitzt er mit den anderen beim Discounter. Er weiß nicht, wie's weiter geht, er weiß nur, der Alkohol findet einen Weg, immer.

Samstag, 4. August 2018

Das Wochenende steckt ihm noch in den Knochen, der Alkoholschweiß läuft an ihm runter, die Nerven liegen blank. Er rotzt in den Ausguss und zieht sich die OP-Handschuhe über. Er hofft nur, es bleibt heute bei den zwei Hüft-OPs.
Um zumindest für ein paar Stunden seine Ruhe zu haben, drehte er die Wodkaflasche auf.
Da er es beruflich gewohnt war, Zustimmung nicht bei inhaltlicher Übereinstimmung oder Sympathie zu bekunden, sondern bei egostischer, karrieredienlicher Motivlage, mutierte er langsam aber sicher auch privat zu einem charakterlosen Monster mit hohem Sozialstatus.
In hypnotischer Versunkenheit beobachtet Herr U. seine füllige und äußerst behäbig agierende Kollegin, wie sie mit leerem Blick, kreisendem Kiefer und suchender Zunge klebendes Karamell von ihren Zähnen lutscht. - Der Beginn einer leidenschaftlichen Büroromanze.
Der Finanzberater Kevin S. verflucht sein schmales Handgelenk, da an ihm die voluminösen Armbanduhren, in denen er seine Persönlichkeit repräsentiert sieht, nicht so wirken, wie sie wirken sollen.
Der Verwaltungsfachangestellte Jan P. gibt sich unbeholfen und naiv, um neuen Aufgaben langfristig aus dem Weg zu gehen. In dieser Rolle aufgehend wird er ganz nebenbei von dem Kollegium zusehends auch als sehr angenehmer und liebenswerter Mensch wahrgenommen.
Sein neues Erscheinungsbild mit Vollbart, martialischen Tätowierungen und robustem Schuhwerk half ihm auch nicht, seine männlichen Minderwertigkeitskomplexe zu überwinden. Seine berufliche Prägung als Hundefriseur war zu dominant.
Nach 41 Dienstjahren in einer Leihbücherei formulierte der Bibliothekar Winfried G. die Quintessenz seiner beruflichen Erfahrung wie folgt: "Verleihe niemals ein Buch! - Niemals!"
"Dahin gehen, wo es wehtut, ist mein persönlicher Leitspruch", ist der aktuelle Eröffnungswitz des Zahnarztes und Hobbykabarettisten Ludger L., dessen Erfolg auf der Kabarettbühne seit 12 Jahren auf sich warten lässt.
Als der Knight Rider-Fan Uwe B. im Sommer 1986 die Buchstaben KITT mit schwarzem Isolierband ans Heck seines VW Polo klebte, sorgte das im Dorf für allgemeines Gelächter. Doch er ließ sich nicht beirren, schnitt ein Bild von Michael Knight aus der HÖRZU und ging damit zum örtlichen Frisör.
Verzicht üben: Dieser Übung unterziehe ich mich immer wieder gern, denn in den allermeisten Fällen macht sie allein Sinn.
Das rasch fortschreitende Ergrauen seiner Haare beobachtete Herr W. mit Interesse, bisweilen sogar mit Wohlwollen. War es doch zumindest eine sichtbare Veränderung seines ansonsten völlig festgefahrenen, monotonen Lebens; gar eine sich im Farbschwund manifestierende Erlösung?
Als Frau R. erfuhr, dass ihr 35jähriger, privat und beruflich gescheiterter, psychisch labiler Sohn wieder zu ihnen in sein altes Kinderzimmer ziehen wird, war sie in großer Sorge und konnte kaum mehr schlafen, da sie partout nicht wusste, was sie den Nachbarn erzählen sollte.
Der beliebte Abteilungsleiter arbeitete nach dem Prinzip "Erfolg durch Unterlassen". Dass er es aber bei seinem Renteneintritt unterließ, das übliche Frühstück zu spendieren, beschädigte sein hohes Ansehen bei der Belegschaft zu guter Letzt doch noch erheblich.
Als die 72jährige Marga G. in der Fußgängerzone wieder mal von aufdringlichen Spendeneintreibern belästigt wurde, belegte sie kurzentschlossen einen EDV-Kurs und kaufte sich einen PC. Sie war begeistert von den Einkaufsmöglichkeiten und der Warenvielfalt im Internet.
Da der "Gangsta Rap"-Fan Lucas C. aus einem gutbürgerlichen Milieu stammt, kann er sich glücklich schätzen, dass sich seine Eltern seinen doch recht kostspieligen Kleidungsstil leisten können.
Um zu bekommen, was dir zusteht und sogar noch einiges mehr, musst du nur fordernd genug auftreten, war das Lebensmotto der reich geborenen und nie erwerbstätigen Clara Z. Sie kam damit hervorragend zurecht.
Als der stets schwarz gekleidete Emo-Gothic-Grufti Tim G. erfuhr, dass bereits in den 70er Jahren ausgerechnet ein Vertreter der von ihm verachteten Countrymusik sich als "Man In Black" inszenierte, interessierte ihn das nicht.
Der Krieg hatte ihn wortkarg gemacht und er hatte die Angewohnheit, gegen Dinge zu treten, um zu prüfen, ob sie in Ordnung sind. Als er eines Tages seine Frau leblos auf dem Küchenboden fand, fiel ihm in seiner Hilflosigkeit nichts anderes ein, als sie mit dem Fuß anzustupsen.
Ilse E. hätte nur zu gern gewusst, warum der zerlumpte junge Mann mit der unmöglichen Frisur einen Appell zum Geschlechtsverkehr mit Nazis auf der Jacke stehen hatte. Sie schämte sich allerdings zu fragen.
Pubertäre Kraftmeierei allerorten. Auch in der Sprache, mit der alles anfängt.
Was heutzutage noch von einem Menschenleben bleibt? - Na, bestellen wir erstmal 'nen Müllcontainer und dann schau'mer mal, was sich noch verkaufen lässt.
Der wieder mal zur Abstinenz entschlossene, da fürchterlich verkaterte Herr L. wollte gerade den restlichen Alkohol theatralisch in den Ausguss schütten. Doch angesichts dieses billigen Klischees entschied er sich, seine Abstinenz noch um ein paar Tage zu verschieben.