Freitag, 30. September 2022

 Betagt und in materieller Hinsicht bedürfnislos latschte er aus Langeweile durch ihre grellen Shoppingwelten. Viele Produkte verstand er nicht mehr, ganze Läden konnte er sich nicht erklären. Seine Irritation war Teil der Unterhaltung, die er suchte.


Er nahm grundsätzlich alles persönlich, sogar das Wetter nahm er persönlich. Und über das Wetter beschwerte er sich am liebsten, denn das verstanden die Leute immer sofort.


Manchmal behielt er Recht, manchmal nicht. So war das eben. Im Nachhinein zu betonen, dass er Recht gehabt habe, oder vorab darauf zu bestehen, dass er Recht habe, erschien ihm unangebracht.


Eine gehörige Portion Intoleranz war jetzt schon da, aber er sparte sie sich lieber fürs hohe Alter auf, dann konnte er sie sich vielleicht leisten.


Ich bleibe lieber zu Hause, habe gern meine Ruhe. Das verstehe ich persönlich unter "sozial schwach".

Dienstag, 27. September 2022

 Als junger Mann soff er jedes Wochenende, die Vorfreude darauf half ihm über die Arbeitswoche, half ihm, den ganzen Mist durchzustehen, so als hätte er die ganze Zeit ein Ass im Ärmel. Die Zeiten sind vorüber, längst hat er nur noch die Arbeitswoche und zwei Tage frei.


Kaum etwas machte ihn so misstrauisch wie das Empfinden von Euphorie. Bei einer Gewinnbenachrichtigung von einer Lotterie, an der er gar nicht teilgenommen hatte, klickte er ja auch nicht auf den Link.


Erscheinung hochglanzmetallic, durch und durch glattgebügelt wie ihre perfekt sitzenden Business-Kostüme, aufschlussreich ist nur das, was ihr mal versehentlich zwischen den Zeilen rausrutscht. Als Privatmensch nicht vorstellbar.


Er machte sich ein Bier auf und lehnte sich zurück. Ihm erschien das sinnvoll.


Eines Morgens nahm er dann in seinem Schlafzimmer plötzlich diesen penetrant säuerlichen Schlafgeruch wahr, der ihn sofort an seinen Vater erinnerte. Dass sein Vater ausgerechnet auf diese Art in ihm weiterleben musste, war mal wieder typisch.

Samstag, 24. September 2022

 Er sah immer zu, dass er am Tisch derer saß, die sich nicht wichtig nahmen, die sich feuchtfröhlich irgendwelche wilden Geschichten erzählten oder auch einfach mal den Rand hielten.


Ganz egal was sie ihm auf den Schreibtisch legten, es war ihm nur noch lästig. Seit 30 Jahren saß er jetzt in diesem Büro und alles war ihm nur noch lästig. Was blieb ihm schon übrig, er arbeitete es weg.


Ja, welche Art Reichtum hättens denn gern? Irgendwo entscheiden müssen Sie sich schon.


An Sonn- und Feiertagen schaue ich lieber Edelwestern als Italowestern. Auch in meiner Gefühlswelt gibt es durchaus die ein oder andere bemerkenswerte Schattierung.


Aber dann hat ihn doch die Realität eingeholt, in vielem sogar überholt, und er wurde kleinlaut und umgänglich. Womöglich hat ihn das gerettet.

Mittwoch, 21. September 2022

 Er soff sich immer gern einen an, im Suff lebte er seine Großmannsphantasien aus, wurde prahlerisch und laut. Dass er unbedeutend, dass er ein Niemand war, wusste er selbst, deshalb soff er sich ja immer gern einen an.


Schnell war ihnen klar, der neue Abteilungsleiter agierte mit der alten Masche Zuckerbrot und Peitsche. Sobald er ein Zuckerbrot auspackte, betrachteten sie es genauso kritisch wie die Peitsche. Sich wegen dieser Charaktersau schlecht zu fühlen, war unnötig.


Überall wird doch mit allem nur noch übertrieben, dieses ganze Brimborium überall, und da dann noch die ganze Aufregung drumherum, Menschenskinder, das macht einen nur noch müde und lustlos, wie bei so 'ner richtigen Krankheit ist das.


So ein Bier zaubert dir nicht zwangsläufig ein Lächeln ins Gesicht, ich trink's trotzdem.


All die Aufdringlichkeiten dort und die vielen vielen Menschen, die Enge, der Lärm, das ganze Tamtam um irgendeinen Plunder: Da müssen wir wieder irgendwie hinkommen, bewerben wir es mit "Erlebnis-Shopping" – oder auch gut: "Heimat shoppen"!

Sonntag, 18. September 2022

 Damals in seiner Jugend lief er rum mit den typischen Punk- und Weltschmerzattitüden. Jetzt ist er Lehrer und Familienvater, fährt im Elektroauto zur Arbeit und hat tatsächlich mit innerer Ablehnung und depressiven Verstimmungen zu kämpfen.


Er fühlte sich eingesperrt, das einzige, was er noch machte Tag für Tag, war essen, schlafen und seine Runden drehen in dem ihm zugewiesenen Bereich. Es war bequem und sicher und ein Ausbruch kam für ihn nicht wirklich in Frage. Und im Grunde wollte er es ja so immer haben.


Um in der Situation gefällig und verbindlich zu bleiben, musste er wieder mal ein beträchtliches Maß an Verlogenheit an den Tag legen. Das muss er in seinem Beruf oft – und auch sonst. So ist das – und nicht nur bei ihm.

Donnerstag, 15. September 2022

 Die Welt draußen war verrückt geworden, komplett verrückt. In seiner bis zur Decke vollgestopften Mietwohnung aber stand und lag alles noch am rechten Platz, da, wo es für ihn Sinn ergab.


Werbetexter will er werden, wie sein Onkel, und in Gedanken beschreibt er schon alles, was ihm so in den Sinn kommt; am liebsten die eigenen Fürze: "schleichend und von überwältigender Intensität", "krachend kernig und kein bisschen schüchtern", "saftstrotzend"


In aller Ruhe schlendert er durch seine neu eingerichtete Wohnung und lässt alles auf sich wirken. – Viel lieber würde er in einem Hotelzimmer leben, wo ihm nichts gehört.


Dem Rummel selbst blieb er fern, er fand ihn furchtbar, aber er schaute immer gern vorbei, wenn er aufgebaut wurde, oder am Morgen danach, wenn nur noch vereinzelte, verlassene Buden dastanden. Und so hielt er es mit jeder Art von Rummel.


Sonntagabend, Bier und irgendwas in der Glotze, zu mehr ist er ja doch nicht zu gebrauchen, der Sonntagabend.

Sonntag, 11. September 2022

 Und dann geht das Leben mit all dem Scheiß nur noch so dahin. Irgend so'n Scheiß halt, ist vermutlich bei jedem ein anderer Scheiß, aber irgendein verdammter Scheiß wird's schon sein und der frisst dir dann nach und nach die Tage weg.


Es war ihre Show, ihr großer Auftritt, und er ließ sie reden. Er wusste, wann er einfach nur die Klappe halten brauchte und es interessierte ihn sowieso nicht. Was hier im Büro ablief, interessierte ihn generell nicht und er ließ sie alle einfach machen und reden.


Von diesem so gefälligen wie verlogenen Geschwätz bekam er inzwischen Sodbrennen. Er war noch nicht so weit, hatte irgendwo immer noch Ideale und Hoffnungen.


Nach der Zeit des seichten Geredes und der schicken Floskeln kam dann auch für ihn die Zeit der harten Fakten. Das Erwerbsleben lehrte ihn recht schnell ein anderes Vokabular.


Es war und ist ja nun wirklich nicht alles schlecht: so manche Musik und so manche Geschichten, die Absurditäten und der Humor – und auch das Bier, das ist auch so eine Sache, das Bier.


Bier. – Auch wenn es nur mal eben den Durst löschen soll, berührt es deine Seele.


       ach Gott ja, die Menschheit

Donnerstag, 8. September 2022

 Auf seiner Fußmatte stand groß "Welcome!" und auch sonst war er in vielerlei Hinsicht sarkastisch.


Gestern hatte er seinen Penis doch tatsächlich Lustspritze genannt und er wusste beim besten Willen nicht, warum sie ihm auch immer wieder mit diesem "Dirty Talk" kam.


Lediglich um einen Smalltalk einzuleiten, hat ihn wieder mal jemand gefragt, wie es ihm denn so geht. Ach, hätten die Leute doch nur eine Ahnung, was diese Scheißfrage in ihm auslöst.


Hysterische, bittere Zeiten; Spaß und Freude hatten es schwer, es gab sie nur noch auf Kirmes-Niveau. Und nur noch wie aus Trotz.


Viele wollten vor ihrem Tod ja noch reinen Tisch machen, er aber wollte alles mit ins Grab nehmen: seine geheimen Schandtaten, all die Gemeinheiten, den ganzen Scheiß. Je älter er wurde, desto weniger fühlte er sich der Gesellschaft noch verpflichtet. Er mochte sein Schweigen.


Zäh und widerlich, ja, das waren die richtigen Wörter, zäh und widerlich war ihm zumute – als hätte er statt Blut Eiter in den Adern. Er holte sich noch ein Bier, das machte es erträglicher.