Sonntag, 28. Juli 2019

Und wieder mal schreitet Herr S. frohgemut zur Arbeit, fest entschlossen, ihr heute wieder mal mindestens eine absurd lachhafte Beobachtung abzugewinnen.


Ein gesundes (also kein theatralisches) Maß an Resignation war doch immer mal wieder recht hilfreich.


Die Sprache wurde dermaßen durch den Dreck gezogen, missbraucht, entstellt und hingerotzt, dass viele Wörter sich plötzlich weigerten, überhaupt noch irgendeine Bedeutung zu transportieren.


Mit 14 ging er in die Lehre, dann Wehrdienst und dann noch Arbeit bis zur Rente. Er war zufrieden und stolz. Sein Sohn belächelte ihn süffisant, für seinen Enkel aber, der in der Schule arg zu kämpfen hatte, wurde er zum Vorbild.


Als in der für ihn äußerst peinlichen Situation ausgerechnet einer seiner Lieblingssongs lief, war dieser für ihn für immer verloren. In anderen Situationen gewann er hingegen Songs, die ihm vorher nie aufgefallen waren.


Heinrich R. nahm das propagierte Menschenbild dieser naiven Sozialromantiker lachend zur Kenntnis, dachte sich seinen Teil und ließ sie machen. Nächste Woche wurde er 86 und er war nur noch müde.


Guido O. war ganz angetan von der praktischen Handhabung und dekorativen Kraft der Holzfurnierklebefolie. - Wünschte seine Frau sich nicht schon lange eine neue Küche?


Als der Frührentner Uwe U. plötzlich anfing, exzessiv Bierkrüge zu sammeln, vermutete Frieda U., es sei eine miese Retourkutsche für ihre die Wohnung bislang dominierenden Häkelfiguren. Der Krieg begann.


Wieder mal so ein Sonntag mit dieser penetrant sonnigen Sonntäglichkeit, brummelt der verkaterte Herr S. vor sich hin und zieht nach einem kurzen Blick die Vorhänge wieder zu.

Sonntag, 21. Juli 2019

Das irgendwie Dazugehören oder das irgendwas Darstellen interessierte ihn nicht. Er war am liebsten allein und goss sich dann einen ein.


Der stiernackige und typische "Ork vom Dorf" Michael 'Mike' B. machte sich am Samstagabend auf den Weg zu der 30 km entfernten Großstadt, um das dortige Stadtfest kräftig aufzumischen. Vor Ort begnügte er sich dann aber mit einer Curry-Wurst plus Fanta.


Mit zunehmenden Alter schimpfte Kai-Peter P. immer häufiger und derber über die "Salon-Sozialisten" und "Wohlstandsökos". Seine desillusionierende Sozialarbeitertätigkeit bei der Familienhilfe bot ihm lediglich einen Wohlstand auf Kleinbürgerniveau.


Die Unannehmlichkeiten dann tatsächlich durchzustehen, war weniger unangenehm, als sie vorher permanent im Kopf durchzuspielen. Mit den Annehmlichkeiten verhielt es sich aber leider ebenso.


Sein Studium hatte ihm in beruflicher Hinsicht rein gar nichts gebracht, eher im Gegenteil, dafür aber 5 Jahre lang ein Leben voller Freiheiten und Ausschweifungen und das in seinen besten Jahren. Mit dem Deal konnte er leben.


Als Kind und Jugendlicher war seine Aufmerksamkeitsspanne sehr gering. Jetzt, als Erwachsener, ist seine Begeisterungsspanne sogar noch viel geringer.


Obwohl er ihr schon mehrfach versichert hat, dass er das neue Glitzerdesign ihrer Fingernägel echt geil findet, wird Kirsty-Sue den Verdacht nicht los, dass er sich gar nicht wirklich dafür begeistert.


Die Mitglieder des Motorradclubs "MC Kirmes" organisieren seit 23 Jahren jedes Wochenende mindestens einen Ausflug zu einem Volksfest, um dort mit ihren hochglanzpolierten Bikes und ihrer Lederkluft für mächtig Aufsehen zu sorgen.

Mittwoch, 10. Juli 2019

Einigermaßen erträglich wurde es immer dann, wenn er es schaffte, seinen Job und überhaupt sein ganzes Leben als völlig absurden Witz zu begreifen.


In seinem Job war er vielen Demütigungen ausgesetzt, bis er endlich lernte, die Kröten, die sie ihm vorsetzten, nicht mehr zu schlucken, sondern mit kaltem, analytischem Interesse zu sezieren.


Aufdringliche Menschen sind in aller Regel nicht nur wegen ihrer Aufdringlichkeit äußerst unangenehm, so seine Erfahrung. Dass er selbst in Gesellschaft so gehemmt war, hatte er auch diesen Arschlöchern zu verdanken.


Für ein höheres Maß an Zufriedenheit in seinem Leben musste er noch hart an sich arbeiten. Besonders die Gleichgültigkeit gegenüber seinem Job, die ihm schon jetzt so viel gab, war in vielen Bereichen noch ausbaufähig.


Er müsse sich auch keine Sorgen um evtl. Verantwortlichkeiten machen, die allgemeine Nicht-Zuständigkeit war dort durch seine Vorgänger*innen bereits perfekt organisiert. Seinem Aufstieg ins nächst höhere Amt stand nichts im Wege.


Ihre Freundlichkeit gegenüber den Kunden beruhte irgendwann nur noch auf Unsicherheit und Furcht. Die Berufsausbildung hatte sie damals noch voller Enthusiasmus und Freude absolviert.


Verkatert und angewidert saß er auf seinem Designer-Sofa und schaute sich um. Arbeit, Freizeit, sein ganzes Leben: nur noch eine Jauchegrube zum langsam drin verrotten. Und das Schlimmste dabei: All die Scheiße hat er sich bereitwillig aufschwatzen lassen.

Mittwoch, 3. Juli 2019

Seit 18 Jahren ist er jetzt Kulturdezernent, bei Kolleg*innen beliebt und anerkannt, aber oft wäre er viel lieber so ein hartgesottener Typ mit entsprechender Hackfresse, der bei Volksfesten breitbeinig vor dem Toilettenwagen sitzt und abkassiert.


Beim Schneiden seiner Fußnägel völlig in sich versunken vergaß er ihre Anwesenheit und registrierte sie nicht: ihre Blicke voller Abscheu und Hass, die ihn noch hätten warnen können.


Sigrid S. riss sich zusammen und schwärmte bei der Arbeit von ihrem "herrlichen" Familienurlaub. Sie schaffte es sogar, dabei tapfer zu lächeln.


Hin und wieder ärgerte er sich im Nachhinein, Dinge entsorgt zu haben. Viel häufiger aber ärgerte er sich im Nachhinein, Dinge angeschafft zu haben. Seine stetig wachsende Genügsamkeit gab ihm Ruhe und Zufriedenheit.


Herr M. hat die Urlaubsreisen satt. Das einzige, was ihm noch gefällt, sind die warmen Würstchen, der Speck und das Rührei beim Frühstücksbuffet. Wohlweislich weigert sich Frau M., ihm das zu Hause zuzubereiten.


Am Kassenband vor ihm streitet sich ein offensichtlich zugedröhntes Junkie-Pärchen nölig und kleinkariert um Schulden in Höhe von 2,80 Euro und er fragt sich, wozu nehmen die eigentlich Drogen?


Neben seinem Job investiert er spekulativ, kauft und verkauft Immobilien, jongliert mit seinem Vermögen, überwacht es tagtäglich. Gestresst, angespannt und gereizt verliert er schon mal den Überblick und wird ungerecht und nein: Spaß macht das alles keinen.


In Überlegungen versunken, wie er den Absprung aus diesem furchtbaren Beschäftigungsverhältnis bewältigen könne, starrte er untätig auf den Bildschirm - unbewusst wissend, dass seine nachlassende "Performance" schon allein für den baldigen Absprung sorgen wird.


Er betrieb Autosuggestion, er sagte sich "Akzeptier's einfach!", immer wieder "Akzeptier's einfach!", es half ihm, mit der Beschissenheit seines Seins umzugehen, zumindest ein Stück weit, ein kleines Stück weit, also, er kam soweit klar, einigermaßen.