Samstag, 27. April 2024

 Er war froh gewesen, es war seine erste unbefristete Vollzeitstelle und um sie herum hat er sich dann in Lauf der Jahre seine Existenz aufgebaut und jetzt hasst er nur noch alles daran.


Über die Jahre hatte er sich eingerichtet in dieser Sackgasse, in diesem Trott seiner Unzufriedenheit. Bei anderen sah er das auch und das stimmte ihn dann wieder etwas milde.


Er kommt kaum mehr klar in der Firma, ist überfordert, sucht Sicherheit in alten Routinen. Als sei er ein Fluchttier in Angststarre, das gleich gefressen oder überfahren wird, so empfindet er es, so geht er jeden Morgen da hin.

Mittwoch, 24. April 2024

 Er wollte immer das, was er in den Filmen oder auf den Plattencovern sah, legte sich sogar die Frisuren und die Klamotten zu; bekommen hat er einen müden Scheiß.


Um diese Leute ertragen zu können, hörte er ihnen nicht mehr wirklich zu. Er tat nur so und grinste. So wie sie's auch machten.


Ich mag die alten Filme, wo der Bösewicht mürrisch, ungepflegt und hässlich und der Oberbösewicht lächelnd, wie aus dem Ei gepellt und durchaus gutaussehend daherkommt. Das waren noch Filme, die gaben einem noch Orientierung im Leben!


Und als er dann tatsächlich nach der Ausbildung direkt übernommen wurde, sogar in eine unbefristete Vollzeitstelle, da war alles nur noch schön und er lebte glücklich und zufrieden bis ans Ende seiner Tage.

Sonntag, 21. April 2024

 Er geht arbeiten, geht einkaufen und an den Sonntagen geht er spazieren, immer zum Friedhof und zurück.


Alkohol trinkt er – wenn überhaupt – nur noch, wenn er sich entspannt und gut fühlt und nicht mehr, um sich so zu fühlen. Er ist dankbar und glücklich, dass er diese Entscheidung nach all den Jahren für sich so noch treffen konnte.


Er lebte sein Leben nach seinen Möglichkeiten, machte kein Trara, war immer darauf bedacht, niemandem unnötig auf den Sack zu gehen. Er hatte das nicht von seinen Eltern mitbekommen oder in der Schule gelernt, da war er von selbst drauf gekommen.


Gerade in der Stille fand er keine Ruhe, er brauchte immer erst die Erschöpfung.


Jedes Wochenende hockte er in irgendeiner Kneipe, klopfte lauthals die immer gleichen Sprüche, riss die immer gleichen dreckigen Witze. Zuhause in seiner Wohnung wartete ja doch nichts und niemand auf ihn, da quälte ihn die Stille.


Wenn in einem amerikanischen Film Teenager ausgelassen feiern, am besten auf einem schicken Anwesen mit großem Pool, ist das jedes Mal so schlecht und affig und peinlich inszeniert, wie es wohl auch in der Wirklichkeit ist.


Er geht da nur hin, um überhaupt noch irgendwo hinzugehen, und wenn er dann da ist, will er nur wieder weg. Nächste Woche, wieder um die Zeit, wird er wieder da hin gehen.

Mittwoch, 17. April 2024

 Sonst hat er sich ja immer über das aufgeregt, was bei ihm hier im Ort so alles schief läuft. Leute, die ihren Garten nicht in Schuss halten, die Straße nicht kehren, nicht grüßen, sowas halt. Aber jetzt, wo er mit dem Internet umgehen kann, ist er an den ganz großen Sachen dran.


Er redete viel von sich und seiner Hilfsbereitschaft, war sichtlich gerührt von der eigenen Großzügigkeit, einmal kamen ihm fast die Tränen.


Könnte ich in der Zeit zurückreisen, um nochmal alles anders zu machen oder zumindest so manches anders zu machen, hätte ich in der Vergangenheit ja doch nur wieder mein altes Motivationsproblem überhaupt was zu machen.


Und um seine absolute Entschlossenheit zu demonstrieren, goss er dann eine halbvolle Flasche Schnaps in den Ausguss. Es war beeindruckend, überwältigend; seinen Followern lief ein Schauer über den Rücken.


Es war schwierig mit ihm. Er war nicht boshaft, kein schlechter Mensch, überhaupt nicht, aber komisch, so in sich gekehrt, schwierig eben. Am schlimmsten waren seine Geburtstage, für ihn wie für seine Angehörigen.

Samstag, 13. April 2024

 Sein Geltungsbedürfnis war größer als sein Talent, größer als seine Persönlichkeit und größer als jede Einsicht. Zeitlebens war er wütend, zum Ende hin zerfressen vor Wut.


Seit etwa 20 Jahren hat er jetzt die gleichen Poster in seiner Wohnung hängen: nackte Weiber und Rennwagen. Mit Rennwagen kennt er sich sogar etwas aus.


Er ertrug es nicht, dieses Geschwätz von der Liebe. Er lebte in Einsamkeit und er kam da nicht raus und jede Wette: Es gab da jede Menge anderer, denen es genauso erging, die dieses Geschwätz auch nicht hören oder lesen wollten, denen das genauso wehtat.


Er hat so diese Aura; selbst wenn er nicht da ist, ist er noch unangenehm. Wie so'n Drecksack von der dunklen Seite der Macht.


Ihre geübt geschliffene Artikulation beeindruckt, täuscht über jede inhaltliche Durchschnittlichkeit hinweg. So geht Karriere.


Wäre ich eingewandert, wären meine ersten deutschen Wörter vermutlich "scheise" und "egal" gewesen.


Die Sonne kommt hoch, die Leute stehen auf. Lärm, Gemache; immer der gleiche Mist.

Montag, 8. April 2024

 Sie stanken, kauten mit offenem Mund und lachten wüst. Es war erst die Frühstückspause, den ganzen Tag mit ihnen hatte er noch vor sich. Einen Monat! Zumindest einen Monat wollte er diesmal durchhalten, einen beschissenen vollen Monatslohn, zumindest das.


Die Menschen wurden immer misstrauischer und dünnhäutiger und so vermied er es, in Gesprächen originell oder gar witzig sein zu wollen. Er äußerte sich in Floskeln, stets wohlwollend und zustimmend. Zynische Zeiten waren das.


Nie wollte er so sein wie sein Vater, niemals dieses Leben führen. Er wehrte sich vehement, machte konsequent alles anders und wurde die Karikatur seines Vaters.


Er saß viel zu Hause rum, eigentlich immer. Und einen Plan oder überhaupt mal irgendeine Vorstellung von einem anderen, einem in irgendeiner Weise gelungenen Leben hatte er schon lange nicht mehr und im Fernsehen lief auch nur noch Mist.


Ständig hielt sie ihn an, was zu tun. Im Garten, am Haus: Irgendwas war da immer und da musste er dann ran, immer gleich und sofort. Einen fleißigen, vorzeigbaren Mann zu haben, darum ging es ihr, dafür das ganze Theater.

Mittwoch, 3. April 2024

 Damals dachte er in seiner Schwärmerei, Frauen sind die besseren Menschen, sind ausnahmslos liebenswert, Frauen können einfach keine Arschlöcher sein. Die Ebenbürtigkeit von Frau und Mann musste er erst noch lernen anzuerkennen.


Sich den ganzen Scheiß wieder und wieder selbst schön reden, das war ihr Rat. Natürlich eleganter und ausgiebiger formuliert, sie hat ja 'n Diplom vor ihrem Namen, aber im Grunde war das der Rat.


Für sein Image, für seine "Credibility" als Künstler und Punkrocker hat er damals ständig rumerzählt, er hätte mal 'ne ganze Zeit aus Geldnot Hundefutter gegessen. Keine Ahnung, was er heute so macht – wahrscheinlich irgendwo irgendwas arbeiten geh'n.


Nur wuchsen da jetzt Menschen heran mit einer äußerst verkümmerten Sprache und es war wirklich ein Leichtes, sie zu diesem oder eben jenem Unfug zu verführen.


Kunst? – Ja, was weiß denn ich. Kunst isses vielleicht dann, wenn's die anderen einem abkaufen.

Samstag, 30. März 2024

 Bierchen trinken, Sprüche klopfen und grölen vor Lachen, Holzhammerhumor in der Eckkneipe, das war so seine Welt. In seiner Todesanzeige ist eine Dartscheibe abgebildet.


Während seine Frau shoppt, sitzt er draußen auf einer Bank und schaut vor sich hin. Sein Vater hatte das auch immer gemacht, wenn Mutter shoppen war, auch so rumgesessen und geschaut. Vielleicht schaut er ja vom Himmel jetzt gerade auf ihn runter und findet das amüsant.


Es war mehr als nur ein Verbergen; die kleinbürgerliche Fassade war geradezu essentiell für seine verschrobene Gedankenwelt. Den bunten Vogel, den Künstler raushängen zu lassen, hätte alles umgehend ruiniert.


Die gleichen beruhigenden und zuversichtlichen Gedanken hatte er ja auch nüchtern. Nach ein, zwei Bier aber, da empfand er sie.


In ihren Schulheften damals musste sie immer penibel drauf achten, nicht über die Randlinien zu schreiben. Das hat sie voll und ganz verinnerlicht, nicht nur in formaler Hinsicht.


In seiner durchaus höflichen, aber ansonsten scheuen und freudlosen Art brachte er die Tage, Wochen und Jahre in der Firma hinter sich. Am liebsten wäre er für alle dort vollends unsichtbar gewesen.

Sonntag, 24. März 2024

 Nun ist er etabliert. – Und dünnhäutig und intolerant, sein zwanzigjähriges Ich würde ihn in null Komma nichts zur Weißglut treiben.


Ihm geht es hinsichtlich seines Erscheinungsbildes, überhaupt seines ganzen Auftretens, zuvorderst um Manierlichkeit. Etwas, das er bei seinen Mitmenschen zusehends vermisst.


Geduld, Zurückhaltung, Gefasstheit. – Ach ja, das waren noch Zeiten und Menschen.


Er ist laut und aufdringlich, reißt dumme Witze, 'n Klotz, der sich für unwiderstehlich hält. Und jeden Tag kommt er angeschissen, jeden Tag hängt er hier rum. Hat sonst nix. Klar isser 'ne arme Sau, aber eben auch 'n dummer Arsch.


Dass er so vieles immer schnell als lachhaft erachtete, hatte nichts mit Arroganz zu tun. Es war seine Sicht der Dinge, in erster Linie seine Sicht auf sich selbst.


Der neue, junge Kollege meinte neulich, ich sei irgendwie ein cooler Typ. Bei ihm ist alles entweder cool oder krass.


Er rülpste und furzte in ihrer Gegenwart, schmatzte, schlürfte, ächzte beim Essen. Und bei Besuch spielte er dann den feinen Herren. Aus ihrer Aversion wurde Hass und der Hass wuchs und wuchs und fraß sie nach und nach auf.

Dienstag, 19. März 2024

 Nicht mal in seinem Tagebuch wurde er ehrlich. Vielleicht rang er mit den Worten, aber nie mit der Wahrheit.


Sie redete viel, das war anstrengend. Tag für Tag schilderte sie ihm ihre Welt, auf die er sich einzustellen hatte.


"Ich schreie nicht!", brüllte sie.


Heutzutage geht es nun mal auch viel um die richtige Empörung. Will man dazugehören, sollte man schon mit einem gewissen Maß am Empörung unter die Leute gehen, sonst wird das nix.


Seit dem Tod ihres Mannes ist sie einsam und viel bei den Ärzten. Auch um unter Menschen zu sein. Um zu reden. Und für Ärzte hatte sie immer schon eine Schwäche.


Echt ständig nennen sie ihn einen HONK, aber für heut' Abend hat er'n Tisch reserviert, da wo's diese Goldsteaks gibt und genau so eins wird er sich servieren lassen und das dann posten und dann sollen sie mal sehen, wer hier ein HONK ist!


Vieles bekam er nicht mit oder wollte er nicht mitbekommen. Als Führungskraft zeigte er überhaupt erstaunlich wenig Einsatz. Der Betrieb lief auch so. Seine Nachfolge hingegen – engagiert, ehrgeizig, karrierefixiert – hinterließ nach nur einem Jahr einen Scherbenhaufen.

Donnerstag, 14. März 2024

 Er hat Geld in der Tasche und schlendert die Fußgängerzone rauf und runter. Oh ja, das ist das wahre Leben, genau so hat er sich das immer vorgestellt.


Damals musste und ging er zur Bundeswehr, Autos hießen Kadett, Kapitän, Admiral oder Diplomat und bekiffte Hippies saßen im Park auf der Wiese und verdammt nochmal nicht in der Regierung!


Er ist rumgekommen, hat viel gesehen, verdammt viel erlebt, Außendienst, Mode und Textil, er weiß, wovon er spricht.


Mach's genau so, wie die anderen es machen, guck einfach hin, wie die's machen, war stets der Rat seiner Mutter. Und damit kam er dann auch gut durch die Schule und durch die Ausbildung und im Beruf und privat lief's auch super. Mutter war die Beste!

Sonntag, 10. März 2024

 Früher ist auch er ins Theater gegangen oder zu Vernissagen, sogar zu Lesungen ist er hin und hat sich das angehört. Was man halt so tut, um bei den Frauen zu landen. So triebgesteuert ist er heute nicht mehr, so'ne Veranstaltungen sind jetzt nix mehr für ihn.


Die Tageszeitung las er grundsätzlich erst einen Tag später. Weil die ganzen schlechten Nachrichten so ihre Aufdringlichkeit einbüßten. Is' gut gegen Blutdruck, sagte er immer. Und weil er sparsam war, das natürlich auch, die Zeitung gab's umsonst vom Nachbarn.


Nie schmiss er mal 'ne Runde, nie ließ er auch nur mal 'ne Kleinigkeit springen. Weil er diese Form von Geselligkeit im Grunde verabscheute, dieses - wie man es schon so abstoßend beschrieb! - "feuchtfröhliche Beisammensein". Und weil er sparsam war, das natürlich auch.


Mit so 'nem sonnigen Gemüt, mit so 'ner Wärme und Helligkeit in einem drin, das muss schon irre sein. Wenn einem das gegeben ist, hat man's große Los gezogen, ganz klar. Und wenn's dann noch unerschütterlich ist, dann das ganz große.


Seit 16 Jahren sind sie jetzt verheiratet. Im Bett läuft kaum noch was. Und auch sonst. Man hat sich arrangiert, ist vernünftig. Aber heute Abend kommt was im Fernsehen, was sie sogar beide gern sehen und es ist okay, es ist gut. Beide wissen, was sie einander haben.


Er hat immer viel Musik gehört, konnte in ihr schwelgen, ist in sie geflüchtet, hat sich oft stundenlang in ihr aufgehalten. Jetzt mit den Jahren ist es die Ruhe, die er in gleicher Weise aufsucht.

Freitag, 8. März 2024

 Wirkliche Begeisterung war ihm fremd, erschien ihm bei anderen in aller Regel auch nur aufgesetzt; gespielt, um Sympathie oder Geld oder was auch immer einzusacken. Eine Masche eben.


Mit seiner Wohnung fing es an und dann wurde ihm mehr und mehr egal. Es fiel nicht auf, er machte einfach weiter, funktionierte, ohne dass es aber noch eine Bedeutung für ihn hatte.


Schon lange war er unzufrieden, sehnte sich nach Veränderung, hatte aber nicht einmal mehr eine Vorstellung, geschweige denn eine konkrete Idee von einem anderen, glücklicheren Leben. Und dann dämmerte ihm, dass er so was ja überhaupt noch nie gehabt hatte.


Was ihm seine Eltern vor allem mit auf den Weg gegeben haben? Zum einen, dass man immer darauf bedacht sein muss, was andere von einem denken. Und zum anderen, dass man ab einem gewissen Einkommen doch was Besseres ist, es nicht zeigt, aber zweifelsohne ist. Die alte Schule halt.


Seine jugendliche Arroganz war abstoßend; dieses spöttische Grinsen, diese schmierige Selbstgefälligkeit. Na ja, in der Regel kommen sie früher oder später selbst dahinter.


All diese Nachlässigkeiten des schon lange Alleinlebenden sorgten bei ihm für einige Unordnung, aber schließlich auch für diesen verschrobenen Humor und diese unbekümmerte Heiterkeit, die ihn so liebenswert, so besonders machten.


Sein ganzes Leben verbrachte er hier; hier wurde er geboren, hier wurde er begraben. ... – Nein nein, Sachzwänge waren es, jede Menge Sachzwänge.

Dienstag, 5. März 2024

 Mal wieder Zeit, den Müll raus zu bringen – und zwar in vielerlei Hinsicht, sagte er sich und fühlte sich bedeutsam.


Geht er raus, spazieren, lauern inzwischen an jeder zweiten Ecke peinliche Erinnerungen. Und ansonsten Tristesse, nur noch Tristesse. Ein Umzug oder ein richtiger Wegzug könnte vielleicht helfen. Wobei die Tristesse, die nimmt er ja doch überall hin mit.


Wann immer er von gescheiterten Existenzen sprach, so nahm er sich da selbst keinesfalls von aus. Sich selbst als eine nicht gescheiterte Existenz zu betrachten, erschien ihm von Grund auf vermessen.


Mit angelesenem Wortkitsch wollte er Schönheit und Liebe beschwören und machte alles nur noch schlimmer.


Bombenleger. Da hätt' er nun Lust zu. Schon das Wort gefiel ihm: Bombenleger. Jetzt kein richtiger, ne, eher so im übertragenen Sinne. Aber das wär's doch, auf den Zug würde er glatt aufspringen und nicht auf den drögen Mist, den sie ihm da immer vorschlugen.


Die ganze Scheiße da auf'er Arbeit ging ihm nur noch am Arsch vorbei und das ging in Ordnung, völlig in Ordnung, wie hätt' er's sonst ertragen soll'n. Alle da verstanden's, die waren genauso durch, warteten auf Rente oder bessere Zeiten oder sonst ein Hirngespinst.


Er stand immer früh auf, so um 3 oder 4 Uhr morgens. Die Morgenstunden waren ihm heilig, da hatte er noch seinen Verstand beisammen und ein wenig Ruhe und Klarheit, bevor dann die Zumutungen und Widerlichkeiten des Tages alles unter sich begruben.

Freitag, 1. März 2024

 Er ging ohne Ehrgeiz durchs Leben, ohne Biss. Allein so war es ihm möglich.


Es ist nie zu spät für ein Haus am Meer, nie zu spät glücklich zu sein, sagte sie. Wortwörtlich, völlig ohne Ironie, völlig ernst gemeint. Vor solchen Leuten nehm' ich mich in Acht, nicke dankbar und lächle freundlich.


Damals, seine wilden Jahre, bevor er dann häuslich wurde, so wild waren die auch nicht. Eigentlich war er da einfach nur besoffen, rotzbesoffen, und halt nachts unterwegs, am Freitag und Samstag, mehr war da nicht, das war's in etwa so gewesen, an Wildheit.


Nach bürgerlichen Maßstäben hat er's verkackt, nichts erreicht, sein Leben vertan. Und nach den eigenen auch. Tja, so kann's gehen.


Samstagseinkauf (Bier holen): vorm Penny die beiden schnorrenden Trinker und drinnen die Verrückte mit der Federboa und der übellaunige Filialleiter und an der Kasse dann die besonders stoische Kassiererin, alles vertraute Gesichter. Heimat.


NO FUTURE! hatten sie sich auf ihre Lederjacken geschrieben und hingen am Bahnhof mit älteren Obdachlosen ab, die nicht mal mehr eine Gegenwart hatten.


Als er seine mit NO FUTURE! bekritzelte Lederjacke schließlich an den Nagel hängte und ins Geschäft seines Vaters einstieg, war's dann tatsächlich soweit.

Montag, 26. Februar 2024

 Der Arbeiter arbeitet sich im Lauf der Jahre den Rücken kaputt, der Dienstleister die Psyche. Und viele von ihnen wünschen sich irgendwann, sie hätten den Job des anderen.


Trist und perspektivlos, so erlebt und beschreibt er es. Carsten W. ist lohnabhängig.


Und dann polterte sie wieder gereizt und verbittert mit dem Staubsauger durch die Wohnung, das war inzwischen ihre Antwort auf alles.


Nicht nur bei der Arbeit, auch sonst duckte er sich nicht weg; das wäre viel zu auffällig. Mit seiner freundlichen Unverbindlichkeit erreichte er mehr, blieb so viel eher für die anderen unsichtbar.


Er ließ sich lieber treiben, vertrödelte seine Zeit, im Grunde sein ganzes Leben. Die Welt ging davon auch nicht unter. Nur die seiner Eltern, die allerdings schon.


Nahezu jeden Morgen begegneten sie sich auf dem Weg zur Arbeit an dieser Kreuzung. Sie schnellen Schritts mit geradem Rücken und erhobenem Kopf, er genau das Gegenteil. Ohne sich zu kennen, dachten sie sich beide ihren Teil.


Die Art, wie seine Frau ihm jeden Abend irgendwelche Banalitäten von ihrem Tag erzählt, wie sie sich dabei in Nebensächlichkeiten verfängt, den Faden verliert und dann mit einem "Na ja, jedenfalls ..." wieder von vorn beginnt, lässt ihn dann endgültig erschöpft ins Bett gehen.

Donnerstag, 22. Februar 2024

 Nicht nur sein Auftreten, sein ganzes Wesen ist von marktschreierischer Penetranz. Er ist nur eine kleine Nummer, ein Möchtegern, aber ihm und seinesgleichen gehört die Welt, daran lässt er keinen Zweifel.


Weil draußen das Wetter mal wieder seit Tagen grau, stürmisch und verregnet ist, sagt Friedrich M. zu seiner Frau: "Die haben uns unser Klima schön kaputt gemacht." Er schaut viel fern, so Sendungen, weiß das immer alles.


Klar könnte ich mit der Sauferei aufhören, jederzeit. Aber was soll ich denn bitteschön den lieben langen Tag machen? Die Wohnung putzen? Mein Geld zählen? Gedichte schreiben? Ihr habt sie doch nich' alle!


Er sieht sich schon im Ruhestand, wo er sich dann mit irgendeinem Blödsinn beschäftigt; auf jeden Fall mit so was, wo er viel unter Leuten ist, denen er dann gehörig auf den Sack gehen kann. Er hat da schon die ein oder andere Idee.


Nein, reich wird man damit nicht, aber er arbeitet gern in seinem Second Hand-Plattenladen. Würden da nur nicht immer wieder diese Arschgeigen aufkreuzen, die sich selbst als "ernsthafte Sammler" bezeichnen und ihn mit ihrem Scheiß belehren.


Bei der Politik, da hält er sich raus, mag den Scheiß nicht hören. Wenn einer am Tresen damit anfängt, dann fokussiert er sich auf sein Bier, atmet, nimmt 'nen Schluck, atmet, steckt sich 'ne Kippe an, inhaliert, atmet ...  –  Wenn's drauf ankommt, macht er das den ganzen Abend.


Bis ins hohe Alter schwelgte er in kindischen Tagträumen. In ihnen war er very special, 'ne coole Sau, einer der ganz Großen, der, der es schließlich allen zeigt. Daraus wurde natürlich nichts, aber das Schwelgen war schon schön.


Als er dann begriff, dass es sinnlos war, dass es ja doch nicht besser wurde, schloss er endlich Freundschaft mit der Trostlosigkeit und Ohnmacht, trank ein Bier mit ihnen, oder auch mal zwei oder drei. So ging die Zeit dann letztlich auch gut rum.

Montag, 19. Februar 2024

 Um damit umzugehen, dass er von der Stütze lebte, spielte er dann irgendwann den Zwielichtigen, ließ sich tagtäglich blicken, immer auf'm Sprung, weil er gerade was Wichtiges am laufen hatte; so Sachen halt, Geschäfte. Und seine Bekannten im Kiez spielten mit.


Neuerdings schmückte auch er sich mit einer Moral, trug sie vor sich her, stolz und modebewusst.


Auf der Straßenfest-Bühne spielen sie Hardrock, covern Bon Jovi, Guns N' Roses, so was in der Richtung, machen dazu diese Bewegungen und nehmen sich ernst; Lehrer in Pension vielleicht.


In seiner Jugend damals waren die Jeanshosen auch schon mal so hauteng. Und wie er sich jetzt so daran erinnert und zurückblickt, da wird ihm bewusst, dass ihn dieser spezielle Aspekt seiner Jugend allerdings herzlich wenig interessiert.


Gemach und nach und nach – groß was anderes fiel ihm zu all dem Kokolores auf der Arbeit und im Privaten auch nicht ein.


Das Unvermögen, höflich zu sein beziehungsweise zu bleiben, beschäftigte ihn. Er verstand es nicht, beobachtete er es doch bei den tatsächlich unterschiedlichsten Menschen.


Er war dumm und sensibel. – Ja, das gibt's auch, nur sagt man dann empfindlich.


Dann im Alter stellte sich bei ihm eine große Unzufriedenheit ein, schließlich tiefe Verbitterung, und er wusste nicht, was er denn hätte anders machen sollen, sein Leben lang hatte er alles richtig gemacht.

Freitag, 16. Februar 2024

 Sein Vater war ein Aktenkoffer-Vater gewesen, nicht einer dieser lässigen Umhängetaschen-Väter. Aber er weiß gar nicht, ob er als Kind so eine Lässigkeit an seinem Vater überhaupt geschätzt hätte.


Sie machte Karriere, gab alles dafür, immerzu machte sie sich und andere verrückt. Selbst wenn sie lachte, klang es überdreht und gehetzt.


Alkohol mag er nicht, er hält sich lieber ans Essen, jeden Abend nach der Arbeit stopft er sich voll, frisst sich schlaff, kaut, schmatzt und schluckt, bis er nichts mehr fühlt; dann erst kann er ins Bett.


Seine Freund- und Bekanntschaften damals beruhten ausnahmslos auf einem gemeinsamen Drogen- und Musikgeschmack. Aber er wurde älter und vernünftig und seine Freund- und Bekanntschaften heutzutage beruhen nun auf gegenseitiger Verpflichtung und Nerverei.


Sichtlich aufgebracht telefoniert eine junge Frau, ca. Mitte/Ende 20, lautstark auf dem Bahnsteig. "Geh zur Hölle!", keift sie weit hörbar ins Telefon und dann sogar nochmal: "GEH. ZUR. HÖLLE!". Nun, die Sachlage ist klar, sie schaut eindeutig zu viel Film und Fernsehen.

Montag, 12. Februar 2024

 Eben beim Bäcker wollte ich eigentlich so ein Laugenbrötchen kaufen, aber die Produktbezeichnung "Laugen-Willi" kam mir nicht über die Lippen, da stand mir mein Stolz im Weg.


Die Gegenwart ist ihm eindeutig zu unerfreulich, viel zu hysterisch. Er lebt lieber in der Vergangenheit, hört die alte Musik, sieht die alten Filme, macht sich'n Bier dazu auf. Und wenn's das für ihn gewesen sein soll, dann war's das eben.


Ja, hätte er mal auch so einen Wohlstand, dann hätte er bestimmt auch dieses Muffensausen von wegen Wohlstandsverlust und so. Jetzt immerhin in der Richtung muss er sich ausnahmsweise mal so gar keinen Kopp machen.


Auch bei ihm wurde das Lesen immer häufiger ein Drüberhinweglesen. Als geübter Leser erkannte er die Passagen leeren Geschwafels recht schnell und zuverlässig. Und seinem Empfinden nach wurden die immer länger, wenn nicht sogar gänzlich tonangebend.


Montagmorgens quält er sich zur Arbeit, die Einsamkeit vom Wochenende wiegt noch schwer.

Mittwoch, 7. Februar 2024

 Im Büro über eine Arbeit gebeugt, die ihn noch nie interessiert hatte, wurde er langsam alt. Manchmal dachte er darüber nach, meistens aber nicht.


Immer mal wieder, zumeist in der Kantine, sprechen die Kolleginnen und Kollegen von einem "schönen Tag" oder einem "netten Abend" und je mehr sie dabei ins Detail gehen, desto weniger versteht er es.


Die Tage erlebte er als etwas in sich Geschlossenes, die Wochen auch noch wegen der Wochenenden, die Monate schon nicht mehr, vielleicht noch ein wenig wegen der Gehaltszahlungen, aber die Jahre waren tatsächlich nur noch die Abzählung seiner Lebenszeit.


Seit vielen Jahren schon schreibt und sagt er nur noch "zu Hause" und nicht mehr "daheim". Er macht sich nichts vor, "zu Hause" ist ein Ort, "daheim" ein Empfinden.

Samstag, 3. Februar 2024

 Geilheit und kitschige Gefühle, das war's, mehr war da nicht gewesen, deswegen hatte sich sein Vater damals auf seine Mutter eingelassen. Sichtlich alkoholisiert hat er es ihm mal anvertraut.


Als sie endlich all die organisatorischen Angelegenheiten um den Tod ihres Mannes, vor allem die behördlichen, soweit geregelt hatte, sagte sie: Ein Segen, dass ich mich nicht um meinen Tod kümmern muss, wenn ich tot bin.


Es machte ihn wütend, bisweilen cholerisch, wenn ihm nicht die Aufmerksamkeit zuteil wurde, die ihm seiner Meinung nach zustand. Seine innere Aufgeblasenheit ließ ihn sozusagen immer wieder hochgehen.


Wenn sie mal wieder jemanden gehörig vor den Kopf gestoßen hatte, sagte sie gern "ich sag' nur, wie's ist". Als ob ausgerechnet sie wusste, wie was ist.

Donnerstag, 1. Februar 2024

 Ihm reichte es im Grunde, wenn er seine Ruhe hatte, das war schon was. Und ab und an ein Bier, das auch. Und wenn es ihm dann noch vergönnt war, in Ruhe ein Bier zu trinken, das war dann das Größte, nicht zu überbieten war das – höchstens mit noch 'nem Bier.


Enttäuscht, nein gänzlich angewidert vom Kulturbetrieb eröffnete er einen schrulligen Groschenheftladen und sprach und diskutierte mit seiner Kundschaft endlich wieder mit Freude und Witz über literarische und erzähltechnische Qualitäten einzelner Publikationen.


Na gut, dachte er sich, dann setz' ich mir jetzt eben 'ne billige Perücke auf, geb' mir 'nen bescheuerten Namen wie Wendehals oder Hüftgold und sing' blödsinnige Texte zu den immer gleichen Liedern.
Aber auch das bekam er nicht hin.

Samstag, 20. Januar 2024

 Aber was die Welt da draußen betraf: Da interessierte ihn im Grunde nur noch das Wetter. Nur das entschied, ob er überhaupt noch raus ging oder nicht.


"Das war's dann also", hat mein Vater gesagt, als er die Diagnose erhielt. 2 Wochen später war er tot. In der Zwischenzeit hat er natürlich noch mehr gesagt, aber nur dieses nüchtern resignierte "Das war's dann also" war noch von Bedeutung und ist mir in Erinnerung geblieben.


Er will niemandem auf den Sack gehen, das ist ihm wichtig. Aber auf irgendeine Weise geht ja jeder irgendwem irgendwo auf den Sack, das bleibt nicht aus. Der Mensch ist wohl so, dass er sich gegenseitig auf den Sack gehen muss; das gehört dazu, zum Menschsein.


Noch als junger Mann mit Anfang 20 glaubte er an Abenteuer. Er hatte etliche Filme gesehen und jeden Tag schaute er neue Filme. Action, Liebe, Gewalt: Das wollte er auch, da sah er sich.


Wenn die Bevölkerung so weitermacht, ist sie aber so langsam bei der Regierung endgültig unten durch.


Er ist jetzt Mitte 50, bislang lief's immer irgendwie, er hat sich nie beklagt. Aber der noch anstehende Lebensabend macht ihm zu schaffen. Dass der in irgendeiner Weise angenehm wird, glaubt er nicht mehr. Das hat man ihm jetzt schon genommen.


Das aber war ihm wichtig, darauf achtete er: Den inzwischen allerorts vorherrschenden und verheerenden Groll nicht in sein Herz und schon gar nicht in seinen Magen zu lassen. Er wollte noch genießen können.

Samstag, 13. Januar 2024

 Was die Leute auch immer aufeinander rumhacken müssen, wie sie miteinander umgehen; wie aufgebrachte, missgünstige Kinder sind sie. Und dennoch hocken sie beieinander, bei jeder sich bietenden Gelegenheit hocken sie beieinander.


Wenn ich in Rente gehe, werde ich wohl aufs Land ziehen, wo die Welt noch überschaubar und in Ordnung ist, und da werde ich dann mit Humor und Spitzbübigkeit Kriminalfälle lösen.


Und wenn er nach der Maloche auf dem Sofa hockte mit seinem Bier vor sich, da war er dann immer zufrieden und reizbar zugleich. Wie ein Hund, der an einem Knochen nagt.

Samstag, 6. Januar 2024

 Meistens blieb er daheim in seiner Wohnung. Manchmal ging er raus, spazieren, immer die gleiche Runde und eigentlich nur, um wieder in seine Wohnung zurückzukehren, da hatte er soweit alles.


Dann kaufte er wirklich nur noch das wirklich Nötige und er fand sogar Gefallen an der Genügsamkeit. Dass das in gewisser Hinsicht ja sogar "subversiv" sei, interessierte ihn allerdings einen Scheißdreck.


Kunst erkannte er in etwa von da an, wo sie zur Dekoration verkam. Dann sprach sie zu ihm, dann war er ein ums andere Mal ergriffen und dann redete er Scheiße, die er irgendwo aufgeschnappt hatte.

Mittwoch, 3. Januar 2024

 Altgewordene Paare, die immer noch liebevoll und ruhig miteinander umgingen, waren die einzigen Menschen, die ihn noch rührten. Das, was sie hatten, war so ziemlich das Größte, was er sich vorstellen konnte.


Wohl ahnend, dass sein Unglück allein in ihm selbst lag, schraubte er aber weiterhin lieber an den äußeren Bedingungen. In seiner Umtriebigkeit fand er immerhin etwas Ablenkung.


Auf dem frühmorgendlichen Gang zur Arbeit fand er auf der Straße einen zerknüllten 20 Euro-Schein. Den hat bestimmt so'n rotzbesoffener Nichtsnutz verloren, dachte er sich und die Schadenfreude darüber erheiterte ihn mehr als die 20 Euro. Die brauchte er im Grunde gar nicht.


Am häufigsten und liebsten aber schimpfte er übers Wetter, die höhere Gewalt, an der sich nicht rütteln ließ und die sich im Übrigen generell nur wenig beeindruckt zeigte über den über sie geäußerten Unmut.


Schlagertexte und die Drehbücher der Vorabendserien waren die Quellen ihres Weltbildes und ihrer Lebenseinstellung; ihrer Philosophie wenn man so will. Und sie kam damit zurecht, alles gut – als sei die Welt für sie gemacht.


Er fühlte sich gut. Er machte sich noch ein Bier auf und er fühlte sich so gut, wie man sich nur gut fühlen konnte. Leute, was ging es ihm gut! Aber dann hörte er, wie sie die Wohnungstür aufschloss, wie sie den Schlüssel ins Schloss rammte.