Donnerstag, 31. August 2017

Mittwoch, 30. August 2017

Bigfoot hatte Probleme mit den Füßen. Irgendwie krankheitsbedingt, aber sie wussten nichts Genaues. Schmidti und die anderen waren zwischen 14 und 15 Jahre alt und da sprach man nicht über Krankheiten. Man machte sich über sie lustig und das war's dann auch. Jedenfalls konnte Bigfoot nur Sandalen tragen, mit so komischen Strümpfen, weil die Füße ständig angeschwollen waren. Auch im Winter lief er in Sandalen rum. Das sah vielleicht bescheuert aus.
Er war der schwächste in der Dorfclique. Von seinen Füßen abgesehen war er sehr schmächtig und sie konnten ihn verarschen, ohne dass er sich hätte wehren konnte. Hin und wieder manipulierten sie ihm sein Mofa, damit es nicht mehr anspring, steckten Papier in den Zündkerzenstecker und so. Oder aber sie zogen ihm die Sandalen aus und warfen sie einen Baum hoch in der Hoffnung, dass sie an einem Ast hängen blieben und sie dann was zum Lachen hatten, wenn er unbeholfen, wie er nun mal war, mit einem Ast nach seinen Sandalen stocherte.
Außer den Füßen war da noch sein Hals, der von seinem kleinen Bruder im Streit mit kochend heißem Teewasser verbrüht worden war. Er hatte eigentlich ins Gesicht gezielt, aber dann nur den Hals getroffen. Die Verbrennungen waren so stark, dass die Narben an einigen Stellen nie richtig verheilten. Sie brachen immer wieder auf und Bigfoots Hals war dann durchzogen von Grind und Eiterkrusten. Mann, das sah echt unappetitlich aus. Er konnte ja nichts dafür, aber trotzdem.
Auch war alles irgendwie schief an ihm. Sein Gang war schief wegen der Füße, die Schultern und sein ganzes Gesicht war schief: die Zähne waren schief, der Mund, die Nase, die Augen, seine Haare: alles schief, gerade so, als hätte der Schöpfer, als er Bigfoot nach seinem Ebenbild erschuf, mächtig einen in der Krone gehabt.
Aber die Jungs hatten ihren Spaß mit Bigfoot.
Er war der erste von ihnen, der arbeiten ging. Sein Vater hatte ihm bei der Baufirma, in der er selbst als Maurer angestellt war, eine Lehrstelle besorgt. An seinem ersten Arbeitstag sahen sie ihn zum ersten Mal mit richtigen Schuhen. Er kam mit seinem Mofa an die Bushalte angefahren, wo die Clique wie immer schon seit dem frühen Nachmittag abhing. Er hatte eine Fahne und noch jede Menge Bier in seinen braunen Kunstledersatteltaschen. Er ließ sich nicht lumpen und spendierte eine Runde. Sie tranken auf sein Wohl und seinen ersten Arbeitstag. Dann lachten sie ihn wegen seiner Schuhe aus. „Ey Bigfoot, was sind’n das für Kindersärge?“ Er selbst lachte auch und dann klärte er sie auf: „Sicherheitsschuhe. Spezialanfertigung. Sind Vorschrift bei der Arbeit.“
Sie tranken sein Bier und verarschten ihn diesmal nicht. Er erzählte von seinem ersten Arbeitstag und wie geil das sei und wie ausgeflippt und trinkfest seine Kollegen seien und lauter so’n angeberischen Scheiß.
In den nächsten Wochen wurde Bigfoot anders. Er ließ sich nicht mehr alles gefallen. Er beschwerte sich, wenn sich jemand ungefragt bei seinem Bier in den Satteltaschen bediente. Einmal trat er sogar nach Olk (Olaf + Alk = Olk), als der versuchte, ihm seine neuen Schuhe auszuziehen. Olk war einen Moment lang wegen dieser Ungeheuerlichkeit wie gelähmt vor Schock, bevor er Bigfoot in die Mangel nahm. Erst packte er ihn in’n Schwitzkasten, was für Bigfoot wegen seines Halses echt kein Vergnügen war, dann schleuderte er ihn auf den Boden wie einen schmierigen Müllsack und trat noch mal nach, allerdings nur in den Arsch. Bigfoot hatte Glück gehabt. Olk hatte absolut kein Problem damit, jemanden, der auf den Boden lag, ins Gesicht zu treten. Währenddessen ließ Schmidti die Luft aus Bigfoots Reifen, sodass er sein Mofa mal wieder nach Hause schieben durfte, was die Jungs immer wieder aufs Neue erheiterte, ein echter „running gag“.
Und dann hatte Schmidti eine echt geniale Idee. Es gab da dieses Mädchen: Babs. Sie waren alle scharf auf sie, alle Männer im schwanzfähigem Alter, die sie kannten, waren scharf auf sie und mit Sicherheit auch die eine oder andere Frau war scharf auf sie und auch Bigfoot nahm sich heraus, auf sie scharf zu sein.
Babs war eine Schönheit und mit ihren 14 Jahren war sie schon mächtig weit entwickelt. Sie hatte riesige Brüste. Angeblich wurde sie mit 12 von ihrem Cousin entjungfert. Keiner wusste was Genaues, aber Babs machte keine Anstalten, das Gerücht zu dementieren, also musste es wohl stimmen. Sie hing bei den 16/17-jährigen mit den 80ern ab. Die Jungs mit ihren Mofas, auch wenn sie sie mit dickerem Krümmer und anderem Ritzel frisiert hatten, konnten da natürlich nicht mithalten. Aber ab und zu kam Babs auch mal zu ihnen an die Bushalte und sie quatschten ein wenig. Sie war wirklich nett und diese Brüste waren unglaublich: prall und rund und fest. „Sie verhöhnen die Schwerkraft“, pflegte Krümel zu sagen, der sich was drauf einbildete, dass er aufs Gymnasium ging.
In diesem Sommer trug sie meistens diese weiten T-Shirts, die an den Seiten extrem tief ausgeschnitten waren und manchmal sogar nichts drunter. Es war zum Ausflippen, mit ein bisschen Glück gab’s da echt was zu sehen. Einmal, als sich Babs schnell drehte, weil eine Wespe um sie schwirrte, sah Schmidti kurz eine Brustwarze aufblitzen. Sie war im Gegensatz zu den wuchtigen Brüsten entzückend klein. Dieses Bild wurde für ihn zu einer jahrelangen Wichsvorlage.
Als Bigfoot das nächste Mal nach der Arbeit zu ihnen an die Bushalte kam, lenkte Schmidti das Gespräch so ganz nebenbei auf Babs. „Babs war vorhin hier“, sagte er zu Bigfoot, „und sie hat sich nach dir erkundigt.“
„Echt?“
„Ja und sie hat wieder dieses affengeile T-Shirt getragen. Aber sie hatte noch was drunter.“
„War trotzdem geil“, sagte Olk.
Schmdti sagte dann erstmal nichts mehr und wartete ab, ob Bigfoot anbiss. Man konnte förmlich sehen, wie es in ihm arbeitete und er es vor Neugier kaum noch aushielt. Nach einem kräftigen Schluck Bier fasste er endlich den Mut und fragte mit zitternder Stimme nach: „Und? Was hat sich Babs erkundigt?“
„Ach so, ja, sie wollte wissen, ob es stimmt, dass du arbeiten gehst. Wir haben ihr gesagt, dass es stimmt und da hat sie gesagt, dass sie das echt genial findet, dass du jetzt arbeiten gehst und dass wir dich von ihr grüßen sollen.“
„Echt?“
Bigfoot strahlte vor Aufregung und Stolz. Er wollte sich nichts anmerken lassen, aber er war eindeutig entzückt. So wie ein Schwuler, der ein Kompliment von einem anderen Schwulen erhalten hat.
„Ja“, sagte Schmidti, „sie hat auch mal gesagt, – aber das ist jetzt schon länger her – dass sie dich eigentlich ganz süß findet, weil du immer so schüchtern rüber kommst.“
Bigfoot musste vor Begeisterung kurz lachen, aber dann winkte er ab: „Du willst mich ja nur verarschen.“
„Ne, echt nicht. Olk war auch dabei, als sie das gesagt hat.“
„Stimmt genau.“, sagte Olk und nach einer kurzen rhetorischen Pause fügte er noch hinzu:  „Oder willst du uns etwa als Lügner bezeichnen?“
„Ey Bigfoot, bist ein echtes Glücksschwein“, steuerte Krümel noch bei.
Sie mussten gar nicht lange warten. Nach ein paar Tagen kam Babs zu ihnen an die Bushalte und war völlig aufgekratzt: „Ey, ihr glaubt es nicht. Bigfoot hat mich angemacht!“
„Wie, Bigfoot hat dich angemacht? – Bigfoot? Dich?“, fragte Schmidti entsetzt.
„Ja, er hat mich vor der Haustür abgepasst, stand plötzlich vor mir mit nem Scheißstrauß Blumen und grinst mich mit seiner hässlichen Visage an und fragt, ob er mich mal einladen darf.“
„Dich einladen? Bigfoot? Dich?“ Sie lachten los.
„Ja echt jetzt, ich hab gesagt, du hast sie wohl nicht alle, guck dich doch mal an! Ey und da hat er angefangen zu flennen! Ey, wie so’n  Scheißkleinkind flennt der los und ich nur, ey, lass mich bloß in Ruhe und da grabscht dieser Spasti mich auch noch an, will meine Hand halten! Ey, voll eklig, weiß man, ob der nicht ansteckend ist mit seinen Füßen und dem Hals.“
Olk hielt es vor Lachen nicht mehr auf der Bank. Er kniete auf dem Boden und hielt sich den Bauch. Die anderen lachten auch und Babs stimmte in ihr Gelächter ein. Als sich alle dann wieder halbwegs eingekriegt hatten, erzählte Babs weiter: „Ich also wieder rein ins Haus, erstmal Hände waschen. Und dann ist der einfach nicht mehr weg gegangen, ist einfach vor der Haustür geblieben! Ich hab gewartet, 10 Minuten, 20 Minuten, ich guck raus und da hängt der immer noch da rum. Ich also meinen Vater gerufen, der ist dann raus und hat ihm einen ordentlichen Arschtritt verpasst und da ist er dann endlich weg. Ey Bigfoot! Das müsst ihr euch mal vorstellen! Echt voll eklig!“
Ihr euphorisches Gelächter war im ganzen Dorf zu hören. Die Unbeschwertheit der Jugend – irgendwann ist sie unwiederbringlich verloren.
Die Clique löste sich irgendwie wie von selbst auf und alle gingen ihre eigenen Wege. Der einzige, von dem Schmidti noch was erfuhr, war Olk. Er war im Dorf geblieben, arbeitete als Kfz-Mechaniker, war verheiratet, hatte eine Tochter und starb mit Mitte 20, weil ihm jemand bei einer Prügelei vor der Dorfdisco ein Messer in den Bauch gerammt hat. Olk hatte sich immer gern geprügelt. Bevorzugt am Wochenende in der Disco und obligatorisch jedes Jahr bei der Kirmes. Nach ein paar Bier wurde er breitschultrig und dann suchte er sich jemanden, den er verprügeln konnte, bevorzugt Ortsfremde, die seiner Meinung nach in seinem Dorf nichts zu suchen hatten. Und so war es dann auch an dem Abend seines Todes gewesen.
Mehrere Zeugen sagten aus, dass der stark angetrunkene und ortsfremde Messerstecher auf Olaf urinierte, während der sich auf dem Bürgersteig in Embryonalhaltung wiegte und entsetzlich schrie.

Dienstag, 29. August 2017

Stolz ist die naheliegenste Lachnummer. Allein die Selbstironie macht den Menschen erträglich.

Mittwoch, 23. August 2017

Mein Verstand leuchtet mir meinen Lebensweg so dürftig aus, dass ich nach einigen üblen Stürzen nur noch auf bekannten Terrain herumkrieche.

Montag, 21. August 2017

Für einen gelungenen Alkoholrausch fehlt es mir inzwischen einfach an Perspektiven - genau wie beim Onanieren.

Samstag, 19. August 2017

Würde ich all den Dreck an mich ranlassen, wäre ich längst lebendig begraben.

Freitag, 18. August 2017

An der Anzahl und Dichte von Tätowierungen kann man inzwischen erkennen, wie gelangweilt jemand durchs Leben geht.
Früher haben wir uns mit Kugelschreibern und Edding-Stiften unsere Jeansjacken und -hosen bekritzelt, heutzutage tätowieren die sich diesen Scheiß.

Donnerstag, 17. August 2017

Einer meiner Nachbarn, ein vorbestrafter Hartz IV-Empfänger, dessen drei Kinder bei Pflegefamilien untergebracht sind, bezeichnet gern andere, die weniger Wert auf Körperpflege und Outfit legen als er, als asoziale Dreckspenner. Wenn er über sich redet, was meistens der Fall ist, streut er gern ein, dass er halt ein krasser Typ ist.

Donnerstag, 10. August 2017

Mein Job gibt mir jeden Tag ein gutes Gefühl - immer dann, wenn ich ihn für diesen Tag endlich hinter mich gebracht habe.

Montag, 7. August 2017

Die Gastgeberin der Gartenparty stellte sie ihm vor
wie vermutlich vorher geplant aber
er war nicht interessiert
und zwar nicht im geringsten
sie hatte bereits geworfen, das sah er ihr an und
das Aussehen der Frauen in seinem Alter deprimierte ihn sowieso
an die jungen hübschen war immer schwerer ranzukommen und wenn, dann
nervten ihn schnell ihre naiven Vorstellungen und Lebensfreude
sie war freundlich und offen, aber ohne ein Wort
wendete er sich ab
und fuhr nach Hause
er zog es vor, allein
mit ein paar Wodka
die Wand anzustarren

Samstag, 5. August 2017

Feindbild: der aggressive, um sich schlagende Sozialfall, dessen Stolz und Geltungssucht genausso gigantisch sind wie seine Unfähigkeit und Dummheit.

Donnerstag, 3. August 2017

Manche körperlichen Beeinträchtigungen im fortschreitenden Alter halten dich immerhin davon ab, noch mehr peinliche Dummheiten zu begehen. Ansonsten ist das Älterwerden aber einfach nur kacke und was gern als Altersweisheit gesehen wird, ist in den meisten Fällen nichts anderes als eine stille, resignative Haltung aufgrund mannigfaltiger negativer Erfahrungen.

Dienstag, 1. August 2017

Wenn Sprache und Empathie nicht ausreichen, sind Prügeln, Spucken und Treten nunmal legitime Ausdrucksmittel, wenn nicht sogar ein Hilferuf. Da muss man als aufgeklärter, privilegierter Bürger Verständnis und Toleranz aufbringen.