Sonntag, 22. Oktober 2023

 Nein, die Dinge wenden sich nicht wieder zum Guten, man gewöhnt sich einfach nur dran, das ist alles.


Früher hat er sich oft aufgeregt über die vorherrschende Verlogenheit und professionelle Schönrederei in seinem Betrieb und überhaupt in dem ganzen beruflichen Umfeld. Dann hat sich aber sein Sinn für Humor der Sache angenommen.


Am besten waren immer die Routinen bei der Arbeit, dann war er zumindest in Gedanken woanders.


Einem Kunden in einem Bekleidungswarenhaus beim Kaufentscheidungsprozess eines Kleidungsstücks, einer Hose etwa, beratend zur Seite stehen zu müssen, stellte er sich ungeheuerlich vor. Allein dieses Geschehen zu beobachten, ließ ihn innerlich erschaudern.


Die Möblierung seiner Wohnung weist, abgesehen von 2 im Flur verstauten Klappstühlen, keinerlei Geselligkeitsmöbel auf. Die Klappstühle hatte er sich mal angeschafft, da sie sage und schreibe mit 50% Preisnachlass verkauft wurden. Gebraucht hat er sie bislang nicht.

Sonntag, 15. Oktober 2023

 Er hörte sich selbst gern reden. Was er redete, war keineswegs originell oder denkwürdig, auch nicht amüsant, ganz im Gegenteil, aber er hörte sich nun mal selbst gern reden.


Andere lernten eine Frau kennen, zeugten ein Kind, bauten ein Haus und machten es sich irgendwann vor einem 70-Zoll-Fernseher in ihrem Wohnzimmer bequem. Sascha M. startete direkt mit dem 70-Zoll-Fernseher in seiner Einzimmerwohnung und dabei blieb es dann.


Sicherlich sind höfliche Menschen oft unehrlich, nicht verlogen, aber doch schon unehrlich. Im täglichen Miteinander, gerade hier in Deutschland, bekommt man allerdings schon oft genug verbal eine vor den Latz geknallt, da lobt man sich doch diese Unehrlichkeit.


Sehnsuchtsgeschwätz, schwelgen in Worten: Irgendwann ist auch mal gut, irgendwann muss der Mensch auch mal ran an den Speck und sich gehörig vollfressen; wird er doch ansonsten übellaunig und gehässig – so wie er nun mal beschaffen ist, der Mensch.


Auf das, was sie sagte, gab er schon längst nichts mehr, eher schon auf das, was ihr mal in einer Aufregung so versehentlich rausrutschte. Von Bedeutung war ohnehin nur, was sie tat.


Ich bin nur heilfroh, dass ich keinen Punk als Nachbarn hab'. Wissen Sie, ich war früher selber Punk.


Punk, Popper oder Proll: Mit der Einteilung mussten wir damals auskommen, das war's an Selbstbestimmung und Identität. Gut, den Normalo gab's auch noch, aber der zählte nicht.


Aber dann interessierte und reizte ihn das alles nicht mehr, und dann stand er nun da wie ein ratloses Kind, das mit einmal aus seinem Spielzeug herausgewachsen ist und melancholisch wird.

Freitag, 13. Oktober 2023

 Angetrunken verfiel sie dann immer in diese Illusionsduselei: Liebe, Erfolg, Schönheit, Glück und Drama, ein bedeutsames Leben – so Sachen halt, die sie vom Fernsehen her kannte.


Er lebte allein, litt unter Schlafstörungen, seit Jahren schon, und seine Einzimmerwohnung in dem Plattenbau war hellhörig und bei den Nachbarn wurde Tag und Nacht lauthals gevögelt. Tja, hätte er mal in der Schule besser aufgepasst und einen ordentlichen Beruf ergriffen!


Herr L. war ein penibel bedachter Brückentagsurlauber, ein Fuchs. Und auch sonst: Sein Leben war reich an Genugtuungen dieser Art.


Als die Chefetage nicht im Hause war, spielten sie sich plötzlich auf, überzogen die Mittagspause, machten dreckige Witze, vier von ihnen droschen Karten. Man musste sich dazugesellen, es war erbärmlich.


Als ihm dann in seinem Leben nach und nach alles wegbrach, machte ihm das die Sicht und den Weg frei. Aber da war groß nix, also für ihn war da nix.

Mittwoch, 11. Oktober 2023

 Alle aufdringlichen Menschen, die er kennengelernt hatte, waren doch recht erbärmliche Gestalten. Das einzig Gute an ihnen war, dass sie sich zumeist prompt in Luft auflösten, wenn sie bekommen hatten, was sie wollten.


Vielleicht war er wirklich geizig, vielleicht aber auch einfach nur genügsam. Das Leben, das er führte, war jedenfalls nicht der Rede wert und genau so wollte er es anscheinend.


Gönn' Dir doch einfach was, kauf Dir was Schönes, war der Ratschlag seiner Mutter, wenn er mal wieder Kummer, Ärger oder sonst was hatte. Dass er sich lieber einfach ein Bier aufmachte, ging ihr gegen den Strich.


Die Leute merkten schnell, dass er überdurchschnittlich intelligent war, fleißig und diszipliniert noch dazu, und das passte ihnen nicht. Wie damals in der Schule. Gehässige Kinder, sie waren immer noch gehässige Kinder.


"Ja, kann schon sein, kann aber auch nicht sein." Den Satz habe ich in jungen Jahren mal in einem Taschenbuchkrimi gelesen und nie vergessen. Ein guter Satz; taugt zum Lebensmotto.

Sonntag, 8. Oktober 2023

 Wenn, dann verstand er sich mit den stillen, mit den in sich gekehrten Trinkern. Die Schreihälse waren ihm fremd, die mochte er nicht, um die machte er einen Bogen. Aber meist saß er ja allein am Tisch.


Für einen Moment spürte er diese vollkommene Klarheit in sich, so dermaßen besoffen war er.


Selbst die angenehmen Kolleginnen und Kollegen erwiesen sich bei genauerem Hinsehen dann doch als verkorkst und lebensfern. Er ahnte es: Ein paar Jahre in dem Laden und er war einer von ihnen.


Äußerlich wie innerlich verknöchert machte sie sich und anderen das Leben bitter. Gewöhnlich ging es ihr um irgendwelche Geldangelegenheiten. Oder Krankheiten. Krankheiten waren ihr auch wichtig.


Seine Selbstgefälligkeit war wohl nur vorgeschoben, ein Selbstschutz. Das änderte aber nichts daran, dass sie abstoßend war. Dass er abstoßend war.


Eine Gruppe Jugendlicher boxt sich gegenseitig auf die Oberarme, offenbar nur aus Spaß, sie lachen und grölen. Einer von ihnen betrachtet dabei aber seine Spielkameraden zudem mit einem Ausdruck erregter Boshaftigkeit.

Dienstag, 3. Oktober 2023

 Schon am Frühstückstisch saßen sie in sprachloser Unzufriedenheit beieinander, das Küchenradio spielte derweil Lieder über die Schönheit der Liebe und des Lebens. Den Schlagersender hörten sie auch im Auto.


Als Kind wollte er das werden, wo man am meisten Geld mit verdient. Damals war das Zahnarzt. Auch seine Freunde wollten alle Zahnarzt werden. In seinem Umfeld hieß es, der Zahnarzt wäre der mit dem meisten Geld, also Zahnarzt.


Allein schon, damit ihm niemand reinredete – vor allem eine Bestätigung oder Bestärkung wollte er nicht hören –, behielt er vieles für sich. Wenn es keine Bedeutung mehr für ihn hatte, dann sprach er vielleicht mal drüber, dann ließ sich drüber reden.


Jetzt mit Mitte 50 gibt man ihm trotz all seines Engagements und seiner unterdurchschnittlichen Anzahl an Fehltagen langsam zu verstehen, dass man ihn ja eigentlich nur noch mit durchschleppt. Mit Mitte 30 hatte er genau so über die älteren Kollegen geurteilt.


Sein Selbsthass begann, als er chronisch krank wurde und er deswegen den eigenen arbeitsmoralischen Ansprüchen nicht mehr genügte.

Sonntag, 1. Oktober 2023

 Eben war er glücklich gewesen, durch und durch glücklich. Für vielleicht 5 oder 10 Sekunden. Seiner Erfahrung nach war's das jetzt erst mal wieder für die nächsten 6 bis 7 Tage.


Bei anderen hörte er ab und an, dass sich in ihrem Leben gerade einiges im Umbruch befände. Bei ihm, in seinem Leben, da war so was immer nur ein Wegbruch.


Seine Kollegin am Schreibtisch gegenüber kugelt ein extra großes Bonbon in ihrem Mund hin und her. Als sie dabei auch noch laut aufschmatzt, tut er so, als fände er das amüsant.


Bei allem, was er in seiner Freizeit noch unternahm, ging es ihm nur noch darum, endlich eine Frau kennenzulernen. Spaß hatte er keinen und mit einer Frau ergab sich auch nie was. Und seine Arbeit im Übrigen war auch scheiße.


Er spazierte immer mit so einer amüsierten Leichtfertigkeit durchs Leben; als hätte er irgendwie schon alles etliche Male erlebt. Man hatte Spaß mit ihm, er tat einem gut.


Auf ihr Fehlverhalten angesprochen antwortet sie im Ton pubertärer Anmaßung: Ich mach', was ich will! Sie ist 32 Jahre alt und Mutter zweier Kinder.


Wieder mal latscht er barfuß und in einer völlig ausgeleierten Unterhose durch die Gänge des Heims. Graue Schamhaare und auch etwas Hodensack. Er ist klar im Kopf, aber für ihn spielt das alles keine Rolle mehr.


Mit dem Tragen sogenannter Muscle-Shirts betont und demonstriert er seine muskulöse Ausstattung in der Öffentlichkeit. Keine Ahnung, was er sonst so macht.


Die zum Café ausgebauten Bäckereifilialen werden gut angenommen. Den Leuten gefällt es da, es ist günstig, sie bekommen Sonderwünsche erfüllt und es gibt bei dem Trubel immer was zu sehen. Das Personal wechselt oft, die wenigsten halten es da aus.


Damals in den 80ern, zuzeiten seiner Jugend, da gab es ja etliche, die auf Cowboy machten. So richtig mit Stiefeln und Hemden. Vom Indianer her kam ja nur dieser beliebte Autoaufkleber mit dem Spruch mit dem letzten Baum, der dann gerodet ist und so.