Sonntag, 28. April 2019

So wie früher sich am Samstagabend einfach mal betrinken und abwarten, was passiert, funktionierte auch nicht mehr, da rein gar nichts mehr passierte. Seine Antriebslosigkeit und der Alkohol verstanden sich ausgezeichnet und gingen Hand in Hand.


Als junger Mann verachtete und verspottete er das bürgerliche Leben, mit Eintritt ins Erwerbsleben lebte er es. Als sich dann, so ungefähr auf halber Strecke, Verachtung und Spott zurückmeldeten, kam er aus der Nummer nicht mehr raus.

Sonntag, 21. April 2019

Der törichte alte Mann ruderte wie wild mit den Armen und brüllte törichte Anweisungen. Als Chef war das sein gutes Recht, er hatte das alles hier mal aufgebaut.


Seine gutbürgerliche Existenz nötigte ihn, seinen Alkoholismus gut geplant und streng organisiert im Verborgenen auszuleben. Soff er sich einen an, war es eine Befreiung innerhalb der Zelle.


Erwartungsnervös wie ein Kind am Weihnachtsmorgen wachte und stand er morgens um fünf auf, ohne dass ihn irgendwas erwartet hätte. Der Restalkohol hatte ihn einfach nur verarscht.

Freitag, 19. April 2019

Sein Job war im Grunde ein schlechter Scherz, allenfalls eine triste Ablenkung von seiner Einsamkeit, genau wie das Fernsehen am Feierabend.


Viel zu lange schon klammerte sich Jens-Peter P. an die Glücksversprechen der Jugendkultur. Als er dann sah, dass C&A tatsächlich Band T-Shirts seiner Jugendidole zum Schleuderpreis anbot, kaufte er sich gleich drei.

Sonntag, 14. April 2019

Herr Kühn schimpfte liebend gern und viel. Am liebsten schimpfte er über Ausländer: "Fachkräfte! Deutschland braucht Fachkräfte! Ich kann es nicht mehr hören! Was bringen uns denn diese Fachkräfte? – Babylonisches Sprachgewirr und Knoblauchfahnen beim Schlangestehen im Aldi!"
Er war verbittert. Mit Ende 40 hatte er einen Schlaganfall erlitten. Die motorischen Defizite als Folge der Hemiparese beeinträchtigten ihn so sehr, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Ein Jahr nachdem er arbeitslos wurde, verließ ihn seine Frau. Er hatte weder finanzielle Rücklagen noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung und lebte fortan dank staatlicher Unterstützung am Existenzminimum. Mit Anfang 50 zog er in eine winzige Einzimmerwohnung in einem Plattenbau. Seine soziale Abstellkammer, mehr habe er im Leben wohl nicht mehr zu erwarten, sagte er. Seine Nachbarn sind rücksichtslos lärmende Asoziale, die ihn nachts um den Schlaf bringen.
Im Zuge einer ABM war er eingestellt worden. Er verrichtete einfachste Arbeiten: Ablagen sortieren, Briefe eintüten, den Reißwolf füttern. Finanziell brachte ihm das nichts, aber so gehe zumindest die Zeit schneller rum. In seiner Wohnung halte er es nicht aus.
Als er wieder mal in der Kantine seine Tiraden abließ, um seiner Verbitterung Luft zu machen, fielen angeblich die Wörter "Bimbos" und "Scheißkanaken", was eine Kollegin dazu veranlasste, sich über Herrn Kühn zu beschweren. Er wurde ins Büro von Frau Schultz-Kramer zitiert und erhielt eine Abmahnung. Am nächsten Tag war er für zwei Wochen krank geschrieben.
Alle fragten sich, ob er überhaupt wiederkomme.
Er kam wieder, war aber nicht mehr der Gleiche. Er war ungepflegt. Er roch nach altem Schweiß und Zwiebeln und seine Wangen waren eingefallen und unrasiert. Aber die größte Veränderung lag in seinem Gesichtsausdruck. Statt der Verbitterung sprang einem nun der blanke Hass entgegen.
Herr Kühn sprach auch nicht mehr. Nur wenn es sich nicht vermeiden ließ, krächzte er ein heiseres Ja oder Nein hervor. Seine ABM konnte aus betriebsorganisatorischen Gründen leider nicht verlängert werden. Nach zwei Tagen war er für niemanden mehr in der Firma ein Thema.
Herr S. war seit längerem mal wieder in der Stadtbibliothek: ausgedünnte Regale, Kinder an Spielkonsolen, Handygedudel, lärmende Jugendliche. Die Bibliothek sei ein „sozialer Treff“, erklärte ihm eine Angestellte. Er findet, die Bibliothek hat ihre Seele eingebüßt.


Freundlichkeit drückte er in Floskeln aus und auch sonst war nicht viel mit ihm los. Beruflich wie privat kam er prima zurecht. Er war mit sich höchst zufrieden.


Obwohl er es sich durchaus hätte leisten können, saß er aus Bescheidenheit immer auf den billigen Plätzen und war so zum Ruhigsein angehalten.

Sonntag, 7. April 2019

Seit der letzten Fortbildung hieß Robert Kirsch nur noch "Fräulein Kirsch" oder einfach nur "die Kirsche". Die Fortbildung hatte den Titel "Teamentwicklung und Kooperation – Schwerpunkt: Kommunikation und Konfliktlösung". Als sie morgens in den Seminarraum kamen, waren die Tische zur Seite geräumt und die Stühle im Kreis aufgestellt und somit war sofort klar, was sie erwartete: pseudopsychologisches Geschwätz, Rollenspiele, Diskussionen über Probleme und Gefühle und genauso war es dann auch. Diese Veranstaltungen, da waren sich so ziemlich alle einig, sind so nützlich wie ein Furunkel zwischen Arschloch und Hodensack.
Sie hatten sich gefragt, warum nur ihre Abteilung zu dieser "Fortbildung" musste. Aber schon in der Vorstellungsrunde wurde klar, wem sie es zu verdanken hatten. Jeder stellte sich kurz mit Namen und seinem Arbeitsbereich vor und sagte zu den Erwartungen an diese Veranstaltung mehr oder weniger nichts. Allein Robert Kirsch wurde ausführlicher. Ihn störe so mancher Umgangston, der in seiner Abteilung an den Tag gelegt werde. Manchmal fühle er sich regelrecht herablassend behandelt, zum Beispiel auch beim Mailverkehr, wo es Kollegen gebe, die es nicht mal für nötig erachten, eine Begrüßung oder Verabschiedung zu formulieren. Er selbst sei nun mal anders erzogen und leide unter dieser Verrohung der Kommunikation. Er erhoffe sich von der Fortbildung eine allgemeine Sensibilisierung für diese Problematik.
Die Dozentin nickte zustimmend und strahlte während seiner Ausführungen. Sie grinste von einem Ohr zum anderen, denn ihr wurde mal wieder bewusst, warum sie all das auf sich genommen hatte, warum sich all die Mühen gelohnt haben, warum sie nach ihrem abgebrochenen Studium des Sozialwesens, der Eheschließung und der langen Kinderpause doch noch den Mut und die Energie aufgebracht hat, die zwei von ihrem lieben Mann finanzierten Lehrgänge zu besuchen und sich damit auf das Abenteuer dieses beruflichen Quereinstiegs einzulassen: Sie wurde hier gebraucht. Wirklich gebraucht. Und sie konnte etwas bewirken. Sie wird diese Gruppe auf den richtigen Weg bringen und Herr Kirsch wird in seiner beruflichen Tätigkeit wieder Glück und Zufriedenheit erfahren.
Sie brachten die Fortbildung an zwei Tagen hinter sich, während die liegen gebliebene Arbeit auf ihren Schreibtischen auf sie wartete und lernten zum 20sten Mal das Vier-Seiten-Kommunikationsmodell von Schulz von Thun, was auch nach dem 20sten Mal keinerlei Nutzen im Alltag bringt.
Aber immerhin hatte Robert Kirsch jetzt einen lustigen Spitznamen und alle begannen jetzt ihre Mails an ihn mit "Sehr geehrter Herr Kirsch" und beendeten sie mit "Hochachtungsvoll".
Da er meinte, bei jeder Gelegenheit witzig sein zu müssen, sein Humor aber der schrulligen Art angehörte, waren die von ihm angerichteten Irritationen der eigentliche Witz. Sie konnten ihn nicht entlassen, seinem Vater gehörte der Betrieb.


Vorauseilend pessimistisch wälzte er Probleme, die in der Regel dann so gar nicht auftraten. Seine tatsächlichen Probleme kamen und gingen, ohne dass er sich groß damit beschäftigt hätte, schließlich hatte er ja ganz andere Probleme.


Schon als Kind waren ihm Ehrgeiz, Habsucht und Neid völlig fremd und wie zu erwarten, brachte er es zu nichts. Seine enttäuschten Eltern lernten erst im hohen Alter sein genügsames und gütiges Wesen zu schätzen.