Sonntag, 27. Januar 2019

Schmidt hatte sich bewusst zu Harry R. an den Tisch gesetzt, da dieser höchstwahrscheinlich mit seiner sehr direkten und vorlauten Art für genug Unterhaltung sorgte, so dass Schmidt selbst nicht gezwungen war, Konversation zu betreiben. Neben Harry R. saß noch Kalli-Kalle, der eine Flasche Doppelkorn dabei hatte. Die beiden machten sich einen kindischen Spaß daraus, die Flasche zu verbergen und sich heimlich unter dem Tisch Kurze ins Bier zu kippen.
Kalli-Kalle gab eine amüsante Story von seiner letzten Wochenendkneipentour zum Besten. Er war im „Runden Eck“ gewesen, wie immer am Freitagabend. Er wollte eigentlich nach Hause. Aber dann ist er auf dem Weg an dieser neuen Kneipe vorbeigekommen. Der Laden sah von außen völlig schäbig aus, aber drinnen schien noch eine Menge los zu sein. Eine Traube junger Leute stand davor und rauchte. Sie lachten, sie waren ja noch jung. Und ein paar echt hübsche Perlen in echt scharfer Aufmachung waren auch dabei. Also ist Kalli-Kalle einer spontanen Eingebung folgend einfach mal da rein marschiert.
Drinnen war es unglaublich laut. Die Musik übertönte alles und war aggressiv. Aber die Stimmung war irgendwie entspannt. Junge Leute, freundlich und friedlich. Einige tanzten zu der Musik und rempelten und schubsten sich dabei, aber nur aus Spaß. Kalli-Kalle ging an die Theke und bestellte sich per Handzeichen ein Bier. Und dann entdeckte er diese Frau: kurzer schwarzer Rock, Netzstrümpfe, hohe Lederstiefel, pechschwarzes, wild toupiertes Haar. Sie saß allein an einem Tisch. Er glotzte sie eine Zeit an. "Und Titten! Mann, ich sag euch, Riesendinger. Die waren einsame Spitze. Einsame Spitze waren die."
Als er sie eine ganze Weile beobachtet hatte und er jetzt sicher war, dass sie tatsächlich allein da saß, ist er zu ihr rüber und hat sie angesprochen. An den genauen Wortlaut könne er sich nicht mehr erinnern. Jedenfalls hat er sein sexuelles Interesse an ihr zum Ausdruck gebracht. Er weiß nur noch, dass er dabei den Begriff "Bunga Bunga" auf, wie er fand, lustige Weise eingestreut hatte. Aber dann lag er schon auf den Boden und schrie vor Schmerz. Solche Schmerzen hatte er noch nie gehabt und das trotz des vielen Alkohols, den er sich den Abend schon genehmigt hatte. Sein Gesicht stand in Flammen. Er war blind und konnte nicht mehr atmen. Mit den Händen auf dem Gesicht wälzte er sich panisch auf den Boden, als wolle er die Flammen um seinen Kopf ersticken.
Sie packten ihn unter den Armen, hievten ihn hoch und schleiften ihn durch den Hinterausgang raus aus dem Laden. Im Hinterhof ließen sie ihn dann einfach liegen. Erst nach etwa einer dreiviertel Stunde war er wieder in der Lage, etwas zu sehen und sich soweit zu orientieren, dass er den Weg nach Hause fand.
"Willste eins in die Fresse - kein Problem, kannste haben. Willste ein bisschen Liebe - kriegste auch eins in die Fresse", resümierte Kalli-Kalle sein Erlebnis. "Sag ma, in was für ner beschissen Zeit leben wir hier eigentlich?"
"Kann ich dir auch nicht sagen, Kalli-Kalle", antwortete Harry R.
„Neulich hab ich so einen wissenschaftlichen Artikel im Internet gelesen“, sagte Harry. „Da stand, dass die jungen Dinger ja heutzutage praktisch von Kind auf mit Pornos aufgewachsen sind. Pornos auf Smartphones, Pornos auf Tablets, Pornos auf PCs. Porno ist für die normal. Porno zeigt, wie es geht und so machen die's dann auch. Wie gesagt, ist normal für die. "Generation Porno" nennen das die Wissenschaftler.“
„Mann, was würde ich dafür geben, heutzutage noch mal jung zu sein“, meinte Kalli-Kalle. „Die jungen Kerle heutzutage wissen gar nicht, was sie für ein Glück haben mit diesen jungen Dingern.“
Er schüttelte den Kopf und ging kurz in sich. „Generation Porno, leck mich am Arsch“, sagte er dann und schraubte die Kornflasche auf, die inzwischen offen sichtbar auf dem Tisch stand.
Schmidt war dankbar für diese Unterhaltung. Seine Platzwahl hatte sich als richtig erwiesen. Von einem benachbarten Tisch ernteten sie von zwei älteren Kolleginnen schon seit längerem böse Blicke. Auch das fand Schmidt amüsant.
Er war jetzt von seinen drei Bier leicht benebelt und entspannt und schaute sich um. Die ersten Gäste waren dabei aufzubrechen. Natürlich, da sie die ersten waren, unter Angabe von stichhaltigen Gründen für ihr frühzeitiges Aufbrechen. Schnell schlossen sich die anderen, so auch Schmidt, dankbar diesem Aufbrechen an.
Seit 3 Wochen sind sie ein Paar und sie redet ihm zu viel. Aus Höflichkeit mimt er den Zuhörer. Und aus sexuellen Gründen. Vor allem aus sexuellen Gründen. Nun ja, im Grunde nur aus sexuellen Gründen.


Um der Sache wieder mehr Pep zu verleihen und so an den Übertragungsrechten noch mehr zu verdienen, werden einige ausgewählte Trainer und Spieler von Mediencoaches nun darauf getrimmt, obszöne, beleidigende und sexistische Äußerungen in die Kamera zu blöken.


Die heiße Dusche ist für ihn jedes Mal so ein sinnliches Erlebnis, dass er dabei immer wieder vergisst, ob er seine Haare bereits gewaschen hat oder noch nicht.


Sie scheut sich, ihm zu sagen, dass sie ihn nicht wirklich liebt und redet nervös drumherum. Dass sein Honigpfötchen in seiner Gegenwart immer noch so unsicher und aufgekratzt ist, findet er richtig süß und erfüllt ihn mit Stolz.

Sonntag, 20. Januar 2019

"Mein Leben ist so absurd, banal und lächerlich wie ein Furzkissen. Immerhin bin ich mir dessen bewusst", hatte Spatze Schmidt mal vor vielen Jahren im Suff anvertraut. Wegen des zynisch bitteren Vergleichs, erinnerte sich Schmidt Wort für Wort, obwohl er damals auch betrunken war.
Sie hatten ihn schnell gefunden, weil die Musik noch laut aufgedreht war und ein Nachbar die Polizei wegen Ruhestörung gerufen hatte. Ansonsten wäre Spatze sicherlich so ein klassischer Fall für das Auffinden aufgrund von Verwesungsgeruch geworden.
Seinen Spitznamen Spatze hatte er seinem winzigen Penis zu verdanken. Die Eichel lugte gerade mal so aus dem Schamhaar hervor. Und von den Hoden war auch so gut wie gar nichts zu sehen. Das erinnerte an ein frisch geschlüpftes Vögelchen in einem Schamhaarnest. Wenn er auf Partys zu viel getrunken hatte, übermannte ihn immer wieder ein exhibitionistischer Drang, ausgerechnet ihn! Er ließ dann die Hosen runter und lief mit geschwellter Brust umher, als hätte er weiß Gott was zwischen den Beinen hängen. Und noch schlimmer wurde es, wenn er auf seine linkische Art versuchte, bei den Frauen zu landen.
Er hatte studiert. Auf Magister. Soziologie und noch ein anderes Fach. Als er nach über 10 Jahren kurz vor der Zwangsexmatrikulation endlich doch noch seinen Abschluss schaffte - durch das Entgegenkommen der prüfenden Professoren - und sich dann beim Arbeitsamt meldete, haben sie ihn gleich zum Sozialamt geschickt. Seine Eltern wollten und konnten ihn nicht weiter finanziell unterstützen.
Er ließ sich gehen, wurde fett und mürrisch. Auf der Straße ging man ihm aus dem Weg. Er verbreitete schlechte Laune, mit einer Mischung aus Arroganz, Verbitterung und Wehleidigkeit ließ er sich über die Dummheit der Menschen aus. Das letzte, was Schmidt zu seinen Lebzeiten über ihn gehört hatte, war, dass er für eine Leiharbeitsfirma Recyclingmüll am Fließband sortieren musste.
Seine Leiche lag mit heruntergelassenen Hosen auf dem Sofa, der Fernseher lief mit abgestelltem Ton und aus den Boxen seiner HiFi-Anlage dröhnte Borodins "Polowetzer Tanze" in Endlosschleife. Er hatte schon immer einen Faible für klassische Musik gehabt, besonders, wenn er betrunken war. Auf Partys wollte er andere zu seiner Musik bekehren und legte Klassikscheiben auf. Er hatte nie Erfolg damit. Einmal hatte ein Partygast, ein äußerst intoleranter Anhänger der Heavy-Metal-Kultur, ihm dafür mit einer Bierflasche zwei Schneidezähne ausgeschlagen.
Spatze war sein Leben lang der belächelte Verlierer gewesen, ein Opfer seiner Unzulänglichkeiten, die er in seiner bedeutungslosen Mittelmäßigkeit mit nichts kompensieren konnte. Die Obduktion ergab einen durch Hirnblutung ausgelösten Schlaganfall.
Das Leben ist in erster Linie Glückssache. Aber jemand mit einem geisteswissenschaftlichen Studium und einem ausgeprägten Hang zur Trägheit muss das Glück schon arg strapazieren. Allerdings konnte sich Schmidt gut vorstellen, dass Spatzes Leben erfolgreicher verlaufen wäre, hätte er nur nicht so einen winzigen Penis gehabt.
Als Herr S. beim Durchblättern einiger Bücher die Textpassagen, die er als junger Mann angestrichen hatte, nochmal las und damit so gar nichts mehr anfangen konnte, beruhigte ihn das.


Mit seinem allein auf Eitelkeit beruhenden Ehrgeiz machte er bislang mehr kaputt, als er erreichte. Zunächst privat, dann auch beruflich. Seit neuestem zieht es ihn in die Politik.


Nichts an seinem im Grunde lachhaften Arbeitsplatz war es wert, dass er sich deswegen aufregen und schlecht fühlen müsste. Mit dieser herausfordernden Einsicht etablierte er nach und nach ein stoisches Gemüt.


Die Mehrheit ertrug er nicht und das irgendwie Besondere, wonach er sich ohne konkrete Vorstellung so sehr sehnte, fand er nicht.


Seine vulgäre Ausdrucksweise und sein aggressives Auftreten wiesen schon früh auf eine gut ausgeprägte Anpassungsfähigkeit hin. Sein Vater war stolz auf ihn und überzeugt von seiner Lebenstüchtigkeit.


Wild entschlossen, sein Leben zu ändern, legte er sich erst mal einen neuen Haarschnitt und eine neue Garderobe zu. Als die Reaktionen darauf nur äußerst verhalten ausfielen, wusste er auch nicht weiter.


Gefangen in seinem Selbsthass konnte er selbst als alter Mann sich die Peinlichkeiten seiner Adoleszenz nicht verzeihen. Und dafür hasste er sich erst recht.


Dann ließ seine körperliche Verfassung keinen Alkohol mehr zu und verdarb ihm den Rausch. Nach einer Phase des Trotzes und Aufruhrs gewöhnte sich sein Geist an den Verzicht, da er die Autorität und Klugheit des Körpers letztlich doch anerkannte.

Sonntag, 13. Januar 2019

Stets bedacht auf den eigenen Vorteil war er voll des euphorischen Lobes für alles und jeden. Beliebt war er, außerordentlich beliebt, selbst bei denen, die ihn durchschauten.


Zunehmend bekommt man es auch von "Erwachsenen" zu hören: DER HAT ABER ANGEFANGEN!


Als er nach einer äußerst ausschweifenden Jugend mit Anfang 30 gerade noch so die Kurve bekam, wurde aus ihm schnell ein erzkonservativer, belehrender, unerträglicher Philister. Sein Vater freute sich sehr, dass der Betrieb nun doch in der Familie blieb, die Angestellten weniger.


Sein stets zynischer Humor bescherte ihm fragwürdige Freunde.


Das gewitzte Fragezeichen amüsiert sich prächtig über das borniert stolze Ausrufezeichen, das wieder mal auf verlorenem Posten steht.


Als Ansprechpartner vor Ort muss er es ausbaden und wird dafür auch noch schlecht bezahlt. Seine eingeschüchterte Frau vermisst sein freundliches und sanftes Wesen von früher sehr.


Einige Jahre lang fiel auch sie auf diverse Matratzen-Wissenschafts-Philosophien hinein. Dann begriff sie, dass "bequem" die Lösung ist; es sei denn, man hat ganz andere Probleme.

Sonntag, 6. Januar 2019

Je seltener die Gelegenheiten zum Musikhören wurden, desto mehr investierte er in seine High-End-HiFi-Ausstattung. Voller Wehmut betrachtete er sie dann.


In seiner Erinnerung war das Schlafzimmer seiner Eltern stets frisch durchlüftet und eiskalt. Von Sinnlichkeit keine Spur.


Die vorgefertigt kaputte Jeanshose erzählt dem aufmerksamen Betrachter eine abenteuerliche Geschichte voller Action und Entbehrungen. Der harmlose Hosenträger wird zum Held.


Hanna H. tat so, als würde auch sie sich über die haarsträubende Inkompetenz ihres Abteilungsleiters aufregen. Dabei hatte sie längst erkannt, wie viele Freiheiten ihr diese Inkompetenz ermöglichte.


Selbst als junger Mann trank er nicht, um zu feiern. Bedeutung und Sinn des Feierns hatten sich ihm noch nie so recht erschlossen. Er trank, um sich besser zu fühlen.


In der Leichtfertigkeit und Kühnheit der Gedanken lag für ihn die Attraktivität des Alkohols. Aber meistens endete es einfach nur im Stumpfsinn.


Das an Sonn- und Feiertagen sentimental seichte Fernsehprogramm für die Alten und Alleingelassenen fand langsam auch bei ihm Anklang. Tja, das war's dann wohl, dachte er und drückte sich noch ein Toffifee aus der Verpackung.