Sonntag, 29. September 2019

Kunst interessierte ihn einen müden Furz. Die Vernissage besuchte er, um Frauen kennenzulernen. Dass er den Exponaten keinerlei Beachtung schenkte, Sekt trank und den Smalltalk mit jungen Studentinnen suchte, wies ihn als Kenner der Szene aus.


Auch weil sein rosiges Gesicht sein behütetes und geordnetes Leben verriet, aber nichts über seine Phantasien, legte er sich diese martialischen Tattoos zu.


Als er sich, schüchtern zu der Verkäuferin hingezogen fühlend, endlich ein Herz fasste und sie bei einem Hemd um Beratung bat, beriet sie ihn lächelnd, aber besserwisserisch und blasiert. Er kaufte das in vielerlei Hinsicht unpassende Hemd als Erinnerungsstück.


Was sind das für Menschen, die die kostbare Morgenruhe mit schrillem Radiogedudel vertreiben? Warum müssen die sich direkt nach dem Aufstehen mit aller Gewalt gleich wieder innerlich abtöten?


Kaum etwas verdirbt ihm die Lust auf Alkohol mehr als solche Lokalitäten mit Namen wie "DISCO-STADL", "HÜTTENGAUDI" oder "PARTY-STUB'N". - Ein Blinddarmdurchbruch vielleicht.

Sonntag, 22. September 2019

Herr S. mochte grundsätzlich keine Schreihalserei.


Ach ja, der Sonntag in all seiner Pracht und Herrlichkeit, seufzt Herr M. beim Durchblättern der TV-Movie, während Frau M. den in der Ferne studierenden Sohn antelefoniert, nachdem sie die Reste vom Sonntagsbraten für die Tiefkühltruhe portionsgerecht eingetuppert hat.


Langzeitstudent und Witzbold Uwe E. nennt es "Business-Walking": Mit Anzug, Krawatte und Rucksack läuft er hastig und rücksichtslos durch die Innenstadt. Dazu, für die Performance wichtig, gelegentlich ein demonstrativ ernster Blick auf die Uhr. Ein neuer urbaner Funsport?


Er hatte formal eine recht verantwortungsvolle Position inne, da aber der Betrieb, im Grunde die ganze Branche, an sich völlig unnötig, überflüssig und lachhaft war, betrachtete er das alles als Witz. Das nichts ahnende Kollegium schätzte seine entspannt humorvolle Art.


Als er irgendwann keine Lust mehr hatte und einfach damit aufhörte, Gespräche dominieren zu wollen, tat er den anderen einen großen Gefallen und sich selbst einen noch viel größeren.


Seitdem sie sich auf ihre Kolleg*innen gerade nur noch so weit einließ, wie es die Arbeit unbedingt erforderte, sah man sie immer öfter mit einem diebischen Schmunzeln durch die Büros laufen.


Breitbeinig und mit leeren Augen sitzt er da und kaut Kaugummi mit weit aufgerissenem Mund. Er ist überzeugt von seinen Zähnen, von seinem Lächeln, von seinem Charme, ja, von sich als geilem Gesamtpaket.

Sonntag, 15. September 2019

Die langen Haare dünn geworden, die Heavy-Metal-T-Shirts längst mehr als nur peinlich, einsam und ratlos in einer schmierig verdreckten Wohnung; ein Leben, das nach Zwiebelfurz roch. Dabei war er immer noch der liebenswerte Kumpel, den man einfach gern haben musste.


Herr S. ertappte sich dabei, dass er an Sonn- und Feiertagen am liebsten Filme aus seiner Kindheit und Jugend schaut. Sie bieten ihm ein Gefühl von Geborgenheit und Heimeligkeit.


Da er an immer weniger Dingen Freude empfand, ging er dazu über, Freude darüber zu empfinden, Dinge nicht zu benötigen oder sie nicht tun zu müssen oder ihnen nicht ausgeliefert zu sein.


Dass sein Testament als Anlage ein Kündigungsschreiben für ihr Zeitungsabo enthielt, das sie jetzt nur noch datieren, unterschreiben und abschicken sollte, löste bei der frischgebackenen Witwe Gerda W. einen hysterischen Lachanfall aus.


Seine dann plötzlich zum Vorschein gekommene, schamlose Selbstgefälligkeit war nicht der Anfang vom Ende, sondern definitiv das Ende.


Wäre die Entschlossenheit, nie wieder einen Tropfen Alkohol zu trinken, immer so groß gewesen wie im Zustand eines erbärmlichen Katers, hätte er einige seiner großartigsten und obskursten Nächte nie erlebt.


Jetzt zum Renteneintritt wollte er endlich all die Klassiker noch mal lesen, die ihm als Student soviel gegeben hatten. Schnell stellte er fest, dass der Zauber von damals sich nicht mehr einstellte. Spaziergänge und die Tageszeitung in seinem Stamm-Café gaben ihm mehr.

Sonntag, 8. September 2019

Bauwagen-Werner hatte Geld für Schnaps und jetzt ist er der King of Hauptbahnhof. Aber seine Untergebenen mögen ihn nicht und verjagen ihn mit ihren Mistgabeln.


15 Jahre nach ihrer Trennung verabredeten sie sich wieder. Die alte Sinnlichkeit war sofort wieder da, genau wie das alte Misstrauen und die alten Minenfelder. Es war ermüdend und sinnlos.


Der ehrgeizige Streetworker und Theaterpädagoge Enno E. ist davon überzeugt, dass der sich abzeichnende Niedergang des Stadtteils aufzuhalten sei, verstünden die bornierten Bewohner doch bloß seine Projekte.


Formulierte er seine Überzeugungen und Ziele zu konkret, kollidierten sie immer wieder mit seinen momentanen Befindlichkeiten. In der sprachlichen Vagheit fand er schließlich seine selbstgerechte Lässigkeit.


Er ahnte es bereits im Voraus: Eine Beziehung mit ihr enthielt ein Glücksversprechen gleich dem einer Chipstüte.


Keine brachte den Wohnwagen so ins Wanken wie Buttshake-Babsi und die Jungs von der Spätschicht standen Schlange, rauchten und rissen Witze.


Ruhestand: Je länger und öfter er sich das Wort durch den Kopf gehen ließ, desto schöner und verheißungsvoller wurde es. Wieder und wieder formulierte er es sich: R U H E S T A N D