Sonntag, 15. September 2019

Die langen Haare dünn geworden, die Heavy-Metal-T-Shirts längst mehr als nur peinlich, einsam und ratlos in einer schmierig verdreckten Wohnung; ein Leben, das nach Zwiebelfurz roch. Dabei war er immer noch der liebenswerte Kumpel, den man einfach gern haben musste.


Herr S. ertappte sich dabei, dass er an Sonn- und Feiertagen am liebsten Filme aus seiner Kindheit und Jugend schaut. Sie bieten ihm ein Gefühl von Geborgenheit und Heimeligkeit.


Da er an immer weniger Dingen Freude empfand, ging er dazu über, Freude darüber zu empfinden, Dinge nicht zu benötigen oder sie nicht tun zu müssen oder ihnen nicht ausgeliefert zu sein.


Dass sein Testament als Anlage ein Kündigungsschreiben für ihr Zeitungsabo enthielt, das sie jetzt nur noch datieren, unterschreiben und abschicken sollte, löste bei der frischgebackenen Witwe Gerda W. einen hysterischen Lachanfall aus.


Seine dann plötzlich zum Vorschein gekommene, schamlose Selbstgefälligkeit war nicht der Anfang vom Ende, sondern definitiv das Ende.


Wäre die Entschlossenheit, nie wieder einen Tropfen Alkohol zu trinken, immer so groß gewesen wie im Zustand eines erbärmlichen Katers, hätte er einige seiner großartigsten und obskursten Nächte nie erlebt.


Jetzt zum Renteneintritt wollte er endlich all die Klassiker noch mal lesen, die ihm als Student soviel gegeben hatten. Schnell stellte er fest, dass der Zauber von damals sich nicht mehr einstellte. Spaziergänge und die Tageszeitung in seinem Stamm-Café gaben ihm mehr.