Samstag, 19. Oktober 2019

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Sheela war weg. Sie hatte um einen Aufhebungsvertrag gebeten und ihren Resturlaub genommen. Von einen Tag auf den anderen war sie nicht mehr da. Obwohl ihr der Betrieb eine Festanstellung mit äußerst guten Konditionen in Aussicht gestellt hatte, beschloss sie, es doch nochmal mit einem Studium zu versuchen.
Die Frauen in der Abteilung regten sich auf.
„Andere wären froh, wenn sie hier arbeiten dürften.“
„Und dabei hat sie noch gar nichts anderes.“
„Angeblich will sie ja studieren … na ja.“
„Die hatte doch schon vorher erst studiert und hingeschmissen und hier schmeißt sie auch einfach so hin.“
„Die weiß nicht, was sie will.“
Worüber sie sich eigentlich aufregten, war Sheelas unausgesprochenes Statement, das sie mit ihrer Kündigung abgab: "Ich lehne das, womit ihr den Großteil eures Leben verbringt, ab und werde mit diesem Unfug keinesfalls mein Leben bestreiten."
Die Männer waren zurückhaltender und gaben keine gehässigen Kommentare ab. Sie vermissten sie. Ihr Anblick, ihr Lächeln, ihr Hintern, dieser prächtige sinnliche Hintern in den engen Businessröcken, ihr leicht breitbeiniger, fast schon provokanter Gang: das waren alles so Kleinigkeiten, die einen über den frustrierenden und langfristig kastrierenden Arbeitstag retten konnten.
Schmidt hatte gemischte Gefühle. Einerseits musste er jetzt keine Tantalusqualen mehr erdulden, andererseits vermisste er sie.
Er wusste, sie war hier unterfordert und hatte sich schon nach kurzer Zeit gelangweilt. Sie wird also wieder studieren. Sie wird dazu in eine für junge Leute attraktive Großstadt ziehen: Berlin, Hamburg oder Köln. Sie wird sich wieder für irgendwas Geisteswissenschaftliches einschreiben. In erster Linie wird sie aber ihre Jugend in vollen Zügen genießen. Sie wird feiern und ihren Kommilitonen und Dozenten feuchte Träume bescheren. Dann, mit spätestens Ende zwanzig, wird sie sich eine viel versprechende Partie aussuchen, einen gutaussehenden, freundlichen und zuverlässigen jungen Mann, ein Sprössling einer wohlhabenden Akademikerfamilie mit einer gesicherten Zukunft als Mediziner, Ingenieur oder Betriebswirt. Sie wird ihn heiraten und muss sich um ihre finanzielle Situation nie wieder Sorgen machen. Selbst wenn die Ehe zerbricht: Nie wieder muss sie einer geist- und nervtötenden und Arbeit nachgehen. Tja, als durchschnittlicher Angestellter steht man da nur neiderfüllt außen vor.
Schmidt hatte Hochachtung vor Sheela. Sie war der Beweis, dass es tatsächlich noch Frauen gibt, für die Intelligenz und Sinnlichkeit keine Widersprüche darstellen und die kein Problem mit ihrer Sexualität haben.
Die Kolleginnen waren insgeheim froh über ihre Kündigung. Sie war eine Konkurrentin, der sie nicht das Wasser reichen konnten, in keinerlei Beziehung. Und sie erinnerte sie an etwas, wovor sie sich in ihrer Verkorkstheit fürchteten: Wollust.