Samstag, 19. Oktober 2019

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Dass Schmidt Weihnachten allein verbringen musste, belastete ihn nicht. Es waren freie Tage, die er nicht in der Firma sein musste.
Er erinnerte sich gut an die letzten Weihnachten, die er und seine Schwester bei ihren Eltern verbracht hatten. Schon allein die Hin- und Rückfahrt auf den überfüllten Straßen waren eine Zumutung, für die er das gesamte Weihnachtsfest am liebsten hätte ausfallen lassen. Er erinnerte sich an die mit Weihnachtsdekoration - industriell hergestelltes Kunsthandwerk - ausstaffierte gute Stube seiner Eltern, an den immer gleich geschmückten Weihnachtsbaum, an den Mief der Wandschränke und der Polstergarnitur, an die immer gleichen alten Geschichten und immer gleichen Floskeln, an die Interessen-, Verständnis- und Sprachlosigkeit, an der nicht mal der sich irgendwann bemerkbar machende Alkohol etwas ausrichtete. Sie konnten so wenig miteinander anfangen, dass es nicht einmal zu harmlosen Streitereien kam. Ihre gegenseitigen Geschenke waren ein schlechter Scherz, ein peinlicher Beweis ihrer Beziehungslosigkeit.
Er lag die meiste Zeit auf dem Sofa. Er aß Süßigkeiten und und im Fernseher liefen die alten Filme aus seiner Kindheit und Jugend, die ihm ein Gefühl von Geborgenheit und Heimeligkeit gaben.
Auch an Silvester unternahm er nichts außergewöhnliches. Er legte sich mit Ohropax früh ins Bett und verschlief den Jahreswechsel.
Das neue Jahr war da und Schmidt stand ihm ratlos gegenüber. Der Neujahrstag fiel auf einen Freitag, so dass er ein langes Wochenende vor sich hatte. Fast wünschte er, dass er wieder zur Arbeit muss. Dort verging die Zeit zumindest schneller.