Er zeigte sich wenig begeistert, generell. – Selbst wenn ihm mal was gefiel, sah er darin keinen Grund, aus dem Häuschen zu geraten. Auch fand er, die Leute sollten sich mal mehr zusammenreißen, alle, in jeder Beziehung, die Welt wäre eine bessere.
Die eigene Verdorbenheit und niedere Gesinnung sah er nie, projizierte sie stets in andere. Sie hätten mal das Gesicht sehen sollen, das er sein Leben lang vor sich hertrug. Seinen Blick. Ich sage Ihnen, so was vergisst man nicht.
Bei ihnen war immer was los, immer Leben in der Bude. Langeweile? – kannten sie nicht, gab es nicht. In was für eine Hölle war er da nur geraten.
Sonntag, 31. August 2025
Mittwoch, 27. August 2025
Und dann sagte sie noch Verarsche, alles sei da voll die Verarsche. Vulgäre Frauen deprimierten ihn.
Einmal hatte er den Alkohol schon lange hinter sich gelassen, aber dann kam der irgendwie wieder um die Ecke geschossen und jetzt sind sie wieder gleichauf. Vielleicht trennen sich ihre Wege auch wieder, vielleicht nicht – nun, es ist wie's ist und's kommt wie's kommt.
Er holte den alten Plastikweihnachtsbaum vom Keller hoch und stellte ihn neben den Fernseher, wie jedes Jahr eine Woche vor Weihnachten. Es war ein Witz, seine Art von Humor. Die Aussicht auf's Bier und die alten Filme an den Feiertagen aber, die brachte ihn wirklich in Stimmung.
Sonntag, 24. August 2025
In der gemeinsamen Mittagspause unterhielten sich seine Kolleginnen und Kollegen oft über ihre Freizeit, was sie da machten, was sie interessierte, was sie aufregte. Er konnte damit nie was anfangen. Unterhielten sie sich über die Arbeit, war's das Gleiche.
Ja, aber er hatte sich diese Welt nun mal nicht ausgesucht. Bei manchen passt's eben und bei anderen eben nicht und viele stellen sich ihr Leben lang auf'n Kopf, damit's passt, verrenken sich, machen sich Gott weiß was vor. Nein, er sah da keinen Sinn drin, ließ es sein.
Ohne Erwartung ging er da rein und kam ohne Enttäuschung wieder raus. Das war so seine Masche.
Mittwoch, 20. August 2025
Nein, nicht ihre Streitlust, ihre Vorstellungen von Schönheit und Liebe waren es; diese Sentimentalitäten und Zuckergussromantik – diese Kuscheligkeit, damit vertrieb sie ihn.
Nie ein wirklich ehrliches Wort; vielleicht wenn man sich mal vergisst, im Streit oder Suff, und dann tut's einem auch schon leid, dann schämt man sich – für das, was da doch so alles in einem ist.
Diesmal musste er länger bei den Eltern bleiben, für zwei Wochen, in seinem alten Heimatdorf: idyllisch, ruhig, mit freundlichen, aufmerksamen Nachbarn. Müsste er dort wieder leben, wäre er nach zwei oder drei Monaten Alkoholiker, spätestens.
Freitag, 15. August 2025
Seinen Geiz nennt er selbst "preisbewusst", mit einem Augenzwinkern. Aber tatsächlich kennt er die Preise, studiert, verfolgt sie; seit seinem Ruhestand verbringt er einen Großteil seiner Zeit damit. Und mindestens zweimal am Tag schaut er in sein Bankkonto. Das gibt ihm was.
Sie hatte den Wandschrank gewollt, ihm war so was egal. Eine passgenaue Anfertigung, teuer. Es war ihm egal gewesen. Nur wie sie dann mal meinte, dass man für so was Schönes ja schließlich auch arbeiten gehe – von da an hasste er den Schrank.
Seit drei Jahren lebt er jetzt hier im Dorf. Mit seiner jüngeren Frau. Seit drei Jahren und noch immer schwatzt er bei jeder Gelegenheit seine Fremdwörter daher: "frequentieren", "obsolet", "bilingual" … – wie so'n Depp.
Dienstag, 12. August 2025
Beobachtete er ausnahmsweise mal seine Gedanken, erkannte er auch gleich den haarsträubenden Unfug darin, den ganzen unnützen Mist, mit dem sie ihn Tag für Tag überhäuften.
Er war es nur noch leid, wünschte sich ein anderes Leben. Aber wie ließ sich das erringen? Mittels seiner Arbeit sicherlich nicht, ganz im Gegenteil.
Nur immerhin musste er nicht in Anzug und Krawatte zu seiner Arbeit. Was darstellen. Was hermachen. Das hätte ihm noch gefehlt.
Aber gern tat er dann genau das Gegenteil vom dem, was er sich unbedingt vorgenommen hatte. Aus Trotz – ein herrliches Gefühl.
Freitag, 8. August 2025
Die Angst hielt ihn in Schach, bis zum Schluss. Er ging zur Arbeit, zur Vorsorge, zuverlässig, adrett, biss in viele saure Äpfel, weil das nun mal sein musste, duckte sich weg. Es war die Angst vorm Tod ebenso wie die vorm Leben, etwas wirklich eröffnet hatte sich ihm nie.
Er musste aufpassen, einmal war es ihm passiert. Die Kollegen nahmen den ganzen absurden Quark dort tatsächlich ernst, es war für sie von Bedeutung; machte er sich über die Arbeit lustig, machte er sich über sie lustig. Gewaltig zusammenreißen musste er sich, immer wieder.
Sie hielten sich grundsätzlich für gescheiter als ihr Gegenüber – auch insgesamt besser dastehend als der Durchschnitt, als ihre Nachbarn allemal. Ihre Gewöhnlichkeit sahen sie nicht, kam ihnen nie in den Sinn.
Sobald das Leben es gut mit ihm meinte und er sich glücklich schätzen konnte, nörgelte er auch schon. Er misstraute dem Glück, fand es noch am ehesten in der Nörgelei.
Mittwoch, 6. August 2025
Den Leuten zu gefallen, gab er sich keine Mühe mehr. Nicht dass er aufhörte, freundlich und höflich zu sein. Aber ob er den Leuten nun gefiel oder nicht, was spielte das für eine Rolle. Er ging auf die 60 zu, dieses Schmierentheater lag ein für alle Mal hinter ihm.
Die Wehwehchen wurden mehr, er war jetzt in dem Alter. Einschränken sollte er sich. Kürzer treten. Gut, er war im Grunde immer schon ein Freund von Genügsamkeit und Zurückhaltung – aber beim Essen und beim Trinken? Beim Trinken? Ja, was bleibt einem denn da noch!
Früher isser noch nachts raus. Jedes Wochenende. Und was er da erlebt hat, viel wars übrigens nicht, hat er dann kaum mehr mitgekriegt und auch gleich wieder vergessen – Alkohol und so, viel Alkohol. Und Zigaretten. So war das, sein Highlife, so lässt sichs zusammenfassen.
Sonntag, 3. August 2025
So banal und auch schmachvoll sein Leben für ihn war, er ahnte, nein er wusste, es war für ihn das einzig mögliche. Für ein anderes fehlte ihm der Schneid.
Dann legte er immer mal Pausen ein; mal zwei, mal drei Wochen, gar kein Problem. Das war er seinem nun doch alkoholmüden Körper schuldig. All die Jahre hatte der schließlich gut mitgehalten, ihm nie groß Kummer bereitet, nie rumgezickt. Scheiße ja, das war er ihm schuldig.
Bei ihnen war wirklich alles nur vom Feinsten. Auch das Klopapier: dick, weich, anschmiegsam, mit Blumenmusterprägung. Er fühlte sich unwohl bei ihnen und malte sich aus, dass sie das gute Klopapier ja nur aufhingen, wenn Gäste kamen. So wie er und seine Frau das auch machten.
Freitag, 1. August 2025
Da er kein richtiges Café fand, setzte er sich in so eine Bäckereifiliale mit Cafébetrieb. Er blickte auf die missmutig anstehenden Kunden, vernahm deren Sonderwünsche und bei so einigen den Befehlston. – Was war das nur für ein furchtbarer Ort, um einen Kaffee zu trinken.
Er war nicht gut im Schönreden und Zurechtlügen. Und sein Raushalten verziehen sie ihm schon gar nicht.
In seiner Mittelmäßigkeit musste er sich was einfallen lassen, um sich abzuheben. Um seiner Geltungssucht gerecht zu werden. Um seinen Narzissmus zu befriedigen. Das einzige, was ihm einfiel, war das, was den meisten anderen auch einfiel: egoistische Durchtriebenheit.
Er äußert sich stets gefällig und wohlklingend, ausgewogen, redet und schreibt wie Malen nach Zahlen. Grinst.