Sonntag, 20. Januar 2019

"Mein Leben ist so absurd, banal und lächerlich wie ein Furzkissen. Immerhin bin ich mir dessen bewusst", hatte Spatze Schmidt mal vor vielen Jahren im Suff anvertraut. Wegen des zynisch bitteren Vergleichs, erinnerte sich Schmidt Wort für Wort, obwohl er damals auch betrunken war.
Sie hatten ihn schnell gefunden, weil die Musik noch laut aufgedreht war und ein Nachbar die Polizei wegen Ruhestörung gerufen hatte. Ansonsten wäre Spatze sicherlich so ein klassischer Fall für das Auffinden aufgrund von Verwesungsgeruch geworden.
Seinen Spitznamen Spatze hatte er seinem winzigen Penis zu verdanken. Die Eichel lugte gerade mal so aus dem Schamhaar hervor. Und von den Hoden war auch so gut wie gar nichts zu sehen. Das erinnerte an ein frisch geschlüpftes Vögelchen in einem Schamhaarnest. Wenn er auf Partys zu viel getrunken hatte, übermannte ihn immer wieder ein exhibitionistischer Drang, ausgerechnet ihn! Er ließ dann die Hosen runter und lief mit geschwellter Brust umher, als hätte er weiß Gott was zwischen den Beinen hängen. Und noch schlimmer wurde es, wenn er auf seine linkische Art versuchte, bei den Frauen zu landen.
Er hatte studiert. Auf Magister. Soziologie und noch ein anderes Fach. Als er nach über 10 Jahren kurz vor der Zwangsexmatrikulation endlich doch noch seinen Abschluss schaffte - durch das Entgegenkommen der prüfenden Professoren - und sich dann beim Arbeitsamt meldete, haben sie ihn gleich zum Sozialamt geschickt. Seine Eltern wollten und konnten ihn nicht weiter finanziell unterstützen.
Er ließ sich gehen, wurde fett und mürrisch. Auf der Straße ging man ihm aus dem Weg. Er verbreitete schlechte Laune, mit einer Mischung aus Arroganz, Verbitterung und Wehleidigkeit ließ er sich über die Dummheit der Menschen aus. Das letzte, was Schmidt zu seinen Lebzeiten über ihn gehört hatte, war, dass er für eine Leiharbeitsfirma Recyclingmüll am Fließband sortieren musste.
Seine Leiche lag mit heruntergelassenen Hosen auf dem Sofa, der Fernseher lief mit abgestelltem Ton und aus den Boxen seiner HiFi-Anlage dröhnte Borodins "Polowetzer Tanze" in Endlosschleife. Er hatte schon immer einen Faible für klassische Musik gehabt, besonders, wenn er betrunken war. Auf Partys wollte er andere zu seiner Musik bekehren und legte Klassikscheiben auf. Er hatte nie Erfolg damit. Einmal hatte ein Partygast, ein äußerst intoleranter Anhänger der Heavy-Metal-Kultur, ihm dafür mit einer Bierflasche zwei Schneidezähne ausgeschlagen.
Spatze war sein Leben lang der belächelte Verlierer gewesen, ein Opfer seiner Unzulänglichkeiten, die er in seiner bedeutungslosen Mittelmäßigkeit mit nichts kompensieren konnte. Die Obduktion ergab einen durch Hirnblutung ausgelösten Schlaganfall.
Das Leben ist in erster Linie Glückssache. Aber jemand mit einem geisteswissenschaftlichen Studium und einem ausgeprägten Hang zur Trägheit muss das Glück schon arg strapazieren. Allerdings konnte sich Schmidt gut vorstellen, dass Spatzes Leben erfolgreicher verlaufen wäre, hätte er nur nicht so einen winzigen Penis gehabt.