Sonntag, 23. Dezember 2018

Sein sensibles Wesen hockte ängstlich hinter seinem einschüchternd grobschlächtigen Äußeren. Im Dorf galt er gemeinhin als der unberechenbare Irre und mit unverhohlener Aversion hielt man Abstand. Irgendwann erfüllte er dann ihre Erwartung.


Um bei der Arbeit beliebt und unangreifbar zu sein, meinte Hans-Jürgen H., bei jeder Gelegenheit besonders witzig und geistreich daherkommen zu müssen. Zuhause mit der Familie lief's für ihn gerade auch nicht besonders rund.


Als sie sich für seinen hervorgepulten Ohrenschmalzpfropf genauso interessiert und begeistert zeigte wie er selbst, kam ihm plötzlich der Verdacht, dass sie vielleicht doch nicht immer ganz ehrlich zu ihm ist. Der Termin beim Notar war in 2 Tagen.


Es wurde ihm einfach alles zu viel. Er wollte nur noch in aller Ruhe auf dem Sofa liegen, die Wand anstarren und mal gründlich über sein Leben nachdenken. Als er dann genau das tat, musste er feststellen, dass er sich irgendwie mehr davon versprochen hatte.


Sie glorifizierten die Abstinenz, sprachen von Erlösung. Da wollte auch er dem Alkohol nun völlig entsagen. Nach 5 Wochen war er dann reichlich ernüchtert von der Nüchternheit und goss sich zum Wochenende mal wieder einen ein.


Und so fragte er sich irgendwann, was seine Depression eigentlich so richtig befeuert: die Vergeblichkeit seines Tuns oder aber sein Nichtstun?


Herr S. beneidet alte Menschen um die soziale Akzeptanz ihrer Langsamkeit.