Donnerstag, 11. Dezember 2025

 Er machte sich nichts mehr vor, die wenigen noch verbliebenen Illusionen waren blass, zerschlissen, kraftlos und neue stellten sich schon lange nicht mehr ein. Er fühlte sich deswegen nicht unbedingt unglücklich, glücklich aber auch nicht; nun denn, ein Stück Freiheit war's.


Musste er sich anhören, wie andere wortreich von etwas schwärmten, einem Kinofilm etwa, einem Sonnenuntergang oder dem letzten Festtagsessen, so ließ er es eben über sich ergehen, wie eine Zahnbehandlung etwa, eine Magenspiegelung oder die letzte Familienfeier.


Das Aufstellen und engmaschige Überwachen ausgeklügelter Regeln gefiel ihm zusehends. In der kleingeistigen Gängelung anderer sah er seine Bestimmung, den Grund sich morgens aus dem Bett zu erheben, anders war das nicht mehr zu erklären.


Zu Geburtstagen oder Weihnachten verschenkte er Dinge, die ihm selbst gefielen, die er sich selbst auch schon zugelegt hatte. Und nicht nur beim Schenken, bei allem ging er von sich aus, von seiner Sicht, seinem Geschmack, seiner Überzeugung. Er war da recht unkompliziert.


Nun, in seinem ganzen Auftreten bündeln sich so einige charakterliche Defizite. Aber das sieht er nicht, selbstverständlich sieht er das nicht. Was er sieht, ist, dass er ungerecht und unangemessen behandelt wird; von allen, überall, wieder und wieder.

Sonntag, 7. Dezember 2025

 Eigentlich wollte er die Versöhnung, er war es müde, sich über die Menschen aufzuregen, sich ärgern zu lassen. Nicht, dass er gleich mit ihnen lachen oder ihnen auf die Schulter klopfen wollte. Er wünschte sich nur, seine Müdigkeit würde ihn endlich etwas nachsichtiger machen.


Sein Reden war geprägt von Häme und Süffisanz. Seine Selbstgefälligkeit wollte das so.


Sie unterhielten sich, aber eigentlich lud der eine wie der andere nur seinen Scheiß beim anderen ab. Sie ließen sich nicht ausreden, fielen sich immerzu ins Wort, aber das schien sie nicht im geringsten zu stören, es war wohl eine Übereinkunft zwischen ihnen, ein Verstehen.

Mittwoch, 3. Dezember 2025

 Auch hier reden sie wieder viel von Unternehmenskultur, Wertschätzung, Teambuilding und auch hier fallen sie hinterrücks übereinander her, zerreißen sich das Maul über Privates wie Berufliches. Die Arbeit selbst ist dröge, belanglos, vielleicht liegt's daran.


Als Teambildungsmaßnahme waren jetzt alle per Du, vom Auszubildenden bis zur Leitung. Die Illusion von Nähe und Vertraulichkeit machte einige leichtsinnig, was jedes Mal eine auffallend empfindliche und energische Reaktion nach sich zog. Viele wünschten sich das Sie zurück.


Am besten, man trägt für jede Gelegenheit und jedes Thema stets die richtige, zustimmende Floskel auf der Zunge. Authentizität ist seltener Luxus oder aber große Dummheit.


Schon früh hatten sie ihm eingetrichtert, dass Arbeit so viel mehr sei als Geld verdienen. Von zentraler Bedeutung sei sie, essentiell, und er hatte das geglaubt und gelebt und als sie ihn in der Firma mit Mitte 50 aufs Abstellgleis schoben, litt er wie ein Hund – war er am Ende.

Sonntag, 30. November 2025

 Auch im hohen Alter hing er noch am Leben. Obwohl es ihm schon längst nicht mehr gefiel, das Leben. Wahrscheinlich hing er aus Gewohnheit noch dran. Die Gewohnheit hatte immer schon über ihn bestimmt, ihn von vorn bis hinten durchs Leben bugsiert, ihm immer alles abgenommen.


Lange Zeit hatte er den Blick nach innen gerichtet, wollte was aus seiner Seele machen. Mit mäßigem Erfolg. Er schaute dann wieder nach außen, beobachtete, arbeitete an seiner Außenwirkung – und es funktionierte, es war der richtige Schlüssel, auch zu seiner Seele.


Und dann gefiel ihm die Idee, sich mehr und mehr zu verkleinern. Weniger machen, weniger haben – sich Stück für Stück aus einem Leben zu verdrücken, mit dem man nichts mehr zu schaffen hat, im Grunde noch nie was anzufangen wusste, das man nie geliebt hat.

Donnerstag, 27. November 2025

 Kleine, niedrige Zimmer in kleinen, eng aneinander gebauten Häusern im Ortskern. Gardinengeschützt. Jetzt wohnte er wieder hier, gescheitert, ratlos, am Arsch – bei seinen betagten Eltern, die ihn mit ihrem dumpfen Alltag in den Wahnsinn trieben.


Mal klopfte er lauthals irgendwelche Sprüche und dann wieder erzählte er in unangebrachter Vertraulichkeit schlüpfrige Witze und ansonsten hockte er mit mürrischer Miene da, nippte an seinem Bier und wartete darauf, dass ihm wieder was einfiel, was er raushauen konnte.


Man weiß ja nie, wofür's mal gut ist; deswegen hob er immer alles auf. Und hielt er dann nach Jahren das Zeug wieder in den Händen, wusste er tatsächlich nie, wofür's mal gut ist.

Mittwoch, 19. November 2025

Die sogenannten kleinen Leute deprimierten ihn. Mit ihrer Anständigkeit, ihren Berufen, ihren Hobbys, ihrer regulierten Freundlichkeit. Er stammte aus diesen Verhältnissen und war da nie wirklich rausgekommen, war nicht wirklich anders, verachtete sich dafür.


Er sah immer gleich das Drama, die Katastrophe. Und wenn sie dann ausblieb, die Katastrophe, dann fühlte er sich auch nicht besser.


Es war ihm zu voll da, er fühlte sich unwohl. Viele Leute hatten offenbar die gleiche Idee gehabt und er war nun einer von ihnen und das wurmte ihn tatsächlich am meisten.


Zu seinem Lebensende, schmerzhafte 4 Jahre, fragte er oft, womit er das bloß verdient hatte. Aber das war nur dahergesagt, er wusste um die Gleichgültigkeit, die Ungerechtigkeit. Leben, Sterben: Das ist in erster Linie Glückssache, das wusste er, wollte es jedoch nie hinnehmen.

Sonntag, 16. November 2025

 So viel unnütz Kram, den man auf Arbeit zu erledigen hat, um sich dann unnütz Kram kaufen zu können, sagte er neulich in der Pause in der Kantine. Meinte es aber nicht so, er kauft ganz gern irgendwelchen Kram. Seien wir doch mal ehrlich, was soll man sonst schon groß machen.


Er wusste immer einen guten Rat, für wirklich alle und alles hatte er einen auf Lager, ob nun gefragt oder ungefragt, jederzeit. Überaus belesen war er, gebildet und eben ein echter Blödmann.


Manchmal spürte er unliebsame Ahnungen oder gar Wahrheiten und war dann für einen Moment konsterniert. Selbst wenn er das, was er da spürte, schon einmal rational hergeleitet und in Worte gefasst hatte, war das Spüren dann doch nochmal eine andere Hausnummer.


Er konnte es nicht mehr hören, das Gerede der Leute. Verlogenheit, an allen Ecken und Enden Verlogenheit. Ob nun aus Feigheit, aus Höflichkeit oder aus Boshaftigkeit, das war ihm inzwischen gleich, das ehrliche Wort wünschte er sich, auch endlich mal von sich selbst.

Freitag, 14. November 2025

 In seinem Elternhaus damals hatten sie viel übers Furzen gelacht. Im Gegensatz zur Sexualität herrschte gegenüber dem Furzen immer eine gewisse Freizügigkeit und Offenheit. Man furzte, wie es einem gefiel, und lachte, was das Zeug hielt. Außer natürlich es war Besuch da.


Meine Eltern sagten damals – es muss so Mitte der 70er gewesen sein – "bumsen" fürs Furzen. Meine Mutter kam ins Zimmer rein und fragte völlig unverblümt: "Hast du etwa gebumst?"

Sonntag, 9. November 2025

 Als Kind hatte auch er Spaß an der Verkleidung, zum Karneval etwa. Als Erwachsener nicht mehr. Niemals mehr kam es ihm in den Sinn, kostümiert zu feiern. Kostümiert ging er ins Büro zur Arbeit, Tag für Tag.


Er hatte das Gefühl, vor einem bedeutsamen Wendepunkt in seinem Leben zu stehen, er ahnte, spürte es, fast wusste er es. Nun, er wird ihn verpassen, ihm aus dem Weg gehen, so wie's bisher bei allen anderen auch gewesen war.


Was für immer mehr Menschen offenbar ein ganz normaler Umgangston war, da ging er bereits in Deckung. Der Siegeszug der Rabauken, so bezeichnete er es und ab und an fragte er sich, ob da nicht sogar längst eine ganze Ära draus erwachsen war.

Donnerstag, 6. November 2025

 Er suchte keine "Inspiration" oder sonst einen Quark, er trank, um sich gut zu fühlen. Und genau das war es, was der Alkohol ihm gab, und das war im Übrigen mehr, als ihm sonst was oder sonst wer je gegeben hatte. Scheiße ja, so verhielt es sich.


Der Alkohol, so hat er es verstanden, versetzt ihn in einen Zustand, der ihn über den Alltag erhebt; eine Entwertung des Alltags, ein Akt der Verachtung. Wolle er nun vom Alkohol wegkommen, müsse er also lernen, den Alltag wertzuschätzen. – Aussichtslos, völlig aussichtslos.


Seit 8 Monaten wohnte er jetzt in dem Plattenbau. Die Miete schluckte 53% seines Einkommens und neben ihm wohnte ein Paar, beide in den frühen 40ern, er lachte wie ein Pferd wiehert und sie hatte rund um die Uhr Raucherhusten. So stellte es sich ihm dar, das Großstadtleben.


Vieles hatte er im Laufe seines Lebens probiert, sogar mit Kung Fu hatte er es mal versucht, damals in den 70ern. Aber letzten Endes lagen die Dinge ja nun doch nun mal so, wie sie nun mal lagen und darauf trank er jetzt ein Bier. Und dann sicherlich gleich noch eins.

Montag, 3. November 2025

 Die Mittagspause verbrachte er seit jeher mit zwei Graubrotschnitten; mit Käse oder Aufschnitt oder Streichwurst. Und natürlich seinem Firmenbecher mit einem Heißgetränk. In der Regel Pfefferminztee. Abends aß er dann was Warmes. So hielt er sich am Leben.


Es hinter sich bringen, abhaken, den morgigen Arztbesuch wie jedes Familientreffen oder derzeit seine zweite Ehe und auch jeden verfickten Arbeitstag, alles wollte er nur noch abhaken, das ganze Leben im Grunde nur noch abhaken.


Ungeduldig war er, hektisch. Alles, jeden Mist, jede Unwichtigkeit, tatsächlich alles musste er immer sofort erledigt haben; vordergründig für andere, im Grunde aber für sich. Was er davon hatte, wusste er selbst nicht.


Alle waren sie zufrieden mit ihm, sogar voll des Lobes waren sie, für seine absolute Zuverlässigkeit, seine Pünktlichkeit, seinen Fleiß, seine Anständigkeit. Er selbst hasste sich dafür. Er wäre gern ein anderer. Einer mit Mumm. Mit Eiern. Mit so einem Grinsen im Gesicht.


Kaum saß er daheim auf dem Sofa, war er im Kopf schon wieder im Büro bei der Arbeit. Er hatte sonst nichts, das war die traurige Wahrheit. Kleingekriegt, eingesackt, den Schneid abgekauft – er hatte es mit sich machen lassen, hatte nichts, was er je hätte erwidern können.

Donnerstag, 30. Oktober 2025

 "Dann sind wir auf der sicheren Seite", hörte man ihn sagen, wieder und wieder. Diese sichere Seite bedeutete ihm viel, wenn nicht alles. Sein gesamtes Leben, es umfasste 79 Jahre, 8 Monate und 16 Tage, verbrachte er auf der sicheren Seite.


Nach der überstandenen Krankheit war er froh, wieder laufen zu können, wieder essen zu können, frei zu atmen und keine Schmerzen zu haben. Wie schnell das alles dann wieder zur Selbstverständlichkeit wurde und die Freude somit verflog, machte ihn nachdenklich, aber nur kurz.


Noch bevor er überhaupt seinen Namen und sein Anliegen äußern konnte, spürte er schon diese entnervte Feindseligkeit am anderen Ende der Leitung. Die Menschen sind überlastet, enttäuscht, die Arbeit frisst sie auf, macht sie zänkisch, es ist fatal.

Samstag, 25. Oktober 2025

 Er war viel am Spazierengehen, wusste nicht, was er in dieser Stadt sonst tun könnte. Und das Rumlaufen tat ihm ganz gut; die Tristesse, das hässlich Herausgeputzte, überhaupt alles, alles um ihn herum ertrug er besser im Vorbeigehen.


Sie ging oft und gern zum Friedhof. Einige, die dort lagen, hatte sie gekannt. Die Namen auf den Grabsteinen nahm sie allerdings kaum zur Kenntnis, die Jahreszahlen interessierten sie. Blieb sie vor einem Grab stehen, rechnete sie nach, stellte Vergleiche an.


Er trinkt nur noch daheim. Es liegt nicht an der Gesellschaft in den Gaststätten oder gar am Geld. Gut, an der Gesellschaft dort liegt's schon auch, am meisten aber liegt's an den Toiletten. Da wiederholt drauf zu müssen, wie lässt sich da das Trinken noch gutheißen.


"Ich glaub, mein Schwein pfeift", sagten wir früher, oder "Nonsens statt Konsens" oder "Was Krupp in Essen, sind wir im Trinken". Sprüche halt, aber schon auch Ausdruck eines gewissen Sprachbewusstseins und eines Sinns fürs Absurde, ohne dass wir da je drüber nachgedacht hatten.