So viel unnütz Kram, den man auf Arbeit zu erledigen hat, um sich dann unnütz Kram kaufen zu können, sagte er neulich in der Pause in der Kantine. Meinte es aber nicht so, er kauft ganz gern irgendwelchen Kram. Seien wir doch mal ehrlich, was soll man sonst schon groß machen.
Er wusste immer einen guten Rat, für wirklich alle und alles hatte er einen auf Lager, ob nun gefragt oder ungefragt, jederzeit. Überaus belesen war er, gebildet und eben ein echter Blödmann.
Manchmal spürte er unliebsame Ahnungen oder gar Wahrheiten und war dann für einen Moment konsterniert. Selbst wenn er das, was er da spürte, schon einmal rational hergeleitet und in Worte gefasst hatte, war das Spüren dann doch nochmal eine andere Hausnummer.
Er konnte es nicht mehr hören, das Gerede der Leute. Verlogenheit, an allen Ecken und Enden Verlogenheit. Ob nun aus Feigheit, aus Höflichkeit oder aus Boshaftigkeit, das war ihm inzwischen gleich, das ehrliche Wort wünschte er sich, auch endlich mal von sich selbst.
Sonntag, 16. November 2025
Freitag, 14. November 2025
In seinem Elternhaus damals hatten sie viel übers Furzen gelacht. Im Gegensatz zur Sexualität herrschte gegenüber dem Furzen immer eine gewisse Freizügigkeit und Offenheit. Man furzte, wie es einem gefiel, und lachte, was das Zeug hielt. Außer natürlich es war Besuch da.
Meine Eltern sagten damals – es muss so Mitte der 70er gewesen sein – "bumsen" fürs Furzen. Meine Mutter kam ins Zimmer rein und fragte völlig unverblümt: "Hast du etwa gebumst?"
Sonntag, 9. November 2025
Als Kind hatte auch er Spaß an der Verkleidung, zum Karneval etwa. Als Erwachsener nicht mehr. Niemals mehr kam es ihm in den Sinn, kostümiert zu feiern. Kostümiert ging er ins Büro zur Arbeit, Tag für Tag.
Er hatte das Gefühl, vor einem bedeutsamen Wendepunkt in seinem Leben zu stehen, er ahnte, spürte es, fast wusste er es. Nun, er wird ihn verpassen, ihm aus dem Weg gehen, so wie's bisher bei allen anderen auch gewesen war.
Was für immer mehr Menschen offenbar ein ganz normaler Umgangston war, da ging er bereits in Deckung. Der Siegeszug der Rabauken, so bezeichnete er es und ab und an fragte er sich, ob da nicht sogar längst eine ganze Ära draus erwachsen war.
Donnerstag, 6. November 2025
Er suchte keine "Inspiration" oder sonst einen Quark, er trank, um sich gut zu fühlen. Und genau das war es, was der Alkohol ihm gab, und das war im Übrigen mehr, als ihm sonst was oder sonst wer je gegeben hatte. Scheiße ja, so verhielt es sich.
Der Alkohol, so hat er es verstanden, versetzt ihn in einen Zustand, der ihn über den Alltag erhebt; eine Entwertung des Alltags, ein Akt der Verachtung. Wolle er nun vom Alkohol wegkommen, müsse er also lernen, den Alltag wertzuschätzen. – Aussichtslos, völlig aussichtslos.
Seit 8 Monaten wohnte er jetzt in dem Plattenbau. Die Miete schluckte 53% seines Einkommens und neben ihm wohnte ein Paar, beide in den frühen 40ern, er lachte wie ein Pferd wiehert und sie hatte rund um die Uhr Raucherhusten. So stellte es sich ihm dar, das Großstadtleben.
Vieles hatte er im Laufe seines Lebens probiert, sogar mit Kung Fu hatte er es mal versucht, damals in den 70ern. Aber letzten Endes lagen die Dinge ja nun doch nun mal so, wie sie nun mal lagen und darauf trank er jetzt ein Bier. Und dann sicherlich gleich noch eins.
Montag, 3. November 2025
Die Mittagspause verbrachte er seit jeher mit zwei Graubrotschnitten; mit Käse oder Aufschnitt oder Streichwurst. Und natürlich seinem Firmenbecher mit einem Heißgetränk. In der Regel Pfefferminztee. Abends aß er dann was Warmes. So hielt er sich am Leben.
Es hinter sich bringen, abhaken, den morgigen Arztbesuch wie jedes Familientreffen oder derzeit seine zweite Ehe und auch jeden verfickten Arbeitstag, alles wollte er nur noch abhaken, das ganze Leben im Grunde nur noch abhaken.
Ungeduldig war er, hektisch. Alles, jeden Mist, jede Unwichtigkeit, tatsächlich alles musste er immer sofort erledigt haben; vordergründig für andere, im Grunde aber für sich. Was er davon hatte, wusste er selbst nicht.
Alle waren sie zufrieden mit ihm, sogar voll des Lobes waren sie, für seine absolute Zuverlässigkeit, seine Pünktlichkeit, seinen Fleiß, seine Anständigkeit. Er selbst hasste sich dafür. Er wäre gern ein anderer. Einer mit Mumm. Mit Eiern. Mit so einem Grinsen im Gesicht.
Kaum saß er daheim auf dem Sofa, war er im Kopf schon wieder im Büro bei der Arbeit. Er hatte sonst nichts, das war die traurige Wahrheit. Kleingekriegt, eingesackt, den Schneid abgekauft – er hatte es mit sich machen lassen, hatte nichts, was er je hätte erwidern können.
Donnerstag, 30. Oktober 2025
"Dann sind wir auf der sicheren Seite", hörte man ihn sagen, wieder und wieder. Diese sichere Seite bedeutete ihm viel, wenn nicht alles. Sein gesamtes Leben, es umfasste 79 Jahre, 8 Monate und 16 Tage, verbrachte er auf der sicheren Seite.
Nach der überstandenen Krankheit war er froh, wieder laufen zu können, wieder essen zu können, frei zu atmen und keine Schmerzen zu haben. Wie schnell das alles dann wieder zur Selbstverständlichkeit wurde und die Freude somit verflog, machte ihn nachdenklich, aber nur kurz.
Noch bevor er überhaupt seinen Namen und sein Anliegen äußern konnte, spürte er schon diese entnervte Feindseligkeit am anderen Ende der Leitung. Die Menschen sind überlastet, enttäuscht, die Arbeit frisst sie auf, macht sie zänkisch, es ist fatal.
Samstag, 25. Oktober 2025
Er war viel am Spazierengehen, wusste nicht, was er in dieser Stadt sonst tun könnte. Und das Rumlaufen tat ihm ganz gut; die Tristesse, das hässlich Herausgeputzte, überhaupt alles, alles um ihn herum ertrug er besser im Vorbeigehen.
Sie ging oft und gern zum Friedhof. Einige, die dort lagen, hatte sie gekannt. Die Namen auf den Grabsteinen nahm sie allerdings kaum zur Kenntnis, die Jahreszahlen interessierten sie. Blieb sie vor einem Grab stehen, rechnete sie nach, stellte Vergleiche an.
Er trinkt nur noch daheim. Es liegt nicht an der Gesellschaft in den Gaststätten oder gar am Geld. Gut, an der Gesellschaft dort liegt's schon auch, am meisten aber liegt's an den Toiletten. Da wiederholt drauf zu müssen, wie lässt sich da das Trinken noch gutheißen.
"Ich glaub, mein Schwein pfeift", sagten wir früher, oder "Nonsens statt Konsens" oder "Was Krupp in Essen, sind wir im Trinken". Sprüche halt, aber schon auch Ausdruck eines gewissen Sprachbewusstseins und eines Sinns fürs Absurde, ohne dass wir da je drüber nachgedacht hatten.
Mittwoch, 22. Oktober 2025
Sein Beruf ödete ihn an, nervte ihn, erschien ihm völlig sinnlos. Man riet ihm, sich umzuorientieren, er sollte sich fragen, wo seine Stärken liegen und was er gern machen würde. Dazu fiel ihm nichts ein. Dann las er in so einem Buch mit allen Berufen drin: nichts.
Noch keine zwei Wochen war er in dem Betrieb, da luden die Kolleginnen und Kollegen, allesamt ausgesprochen freundlich und aufmerksam, ihn zu einem Spieleabend ein. In was für eine Hölle war er da nur geraten.
Die Arbeit in dem Laden langweilte oder stresste ihn – bisweilen sogar gleichzeitig. Wie sie das hinbekam, war ihm selbst ein Rätsel, verdiente beinahe schon seine Bewunderung.
Sonntag, 19. Oktober 2025
Da ist so eine Gehässigkeit in ihm, schon seit jeher, und er kommt da nicht gegen an. Immer wieder beschert sie ihm zynische Denk- und Sichtweisen und richtig hässlich wird's, wenn er damit auch noch Recht behält, wenn Schlechtigkeit mit Schlechtigkeit ins Bett geht.
Er hatte sich wieder ein neues Image zugelegt, einen neuen Style, sich rundum mit neuen Klamotten eingedeckt, war beim Friseur gewesen, in der Parfümerie, alles neu, alles fresh. Wie ausgetauscht war er, Tatsache, sein Ich ein gänzlich anderes – ja, er war so hohl.
Er hatte Angst vor den Menschen, misstraute ihnen, wich ihnen aus, kleidete sich deswegen sogar bewusst unauffällig – und billig. Je billiger er sich kleidete, so sein Kalkül, desto mehr ließen sie ihn in Ruhe.
Freitag, 17. Oktober 2025
Sollte er den Lottojackpot knacken – er wäre immer noch unglücklich, vielleicht sogar noch unglücklicher. Ohne den Jackpot kann er sich immerhin noch selbst was vormachen, sich etwa einreden, er sei unglücklich, weil er zur Arbeit muss oder sich irgendwas nicht leisten kann.
Nach einer wüsten Wochenendsauferei hatte sie ihm ins Bett gepisst. Klar war er sauer, angepisst, blieb aber Gentleman, bezog das Bett neu und machte Witze, sie hätte jetzt ihr Revier markiert und so. Vielleicht hätte es ja Liebe werden können, das fanden sie aber nie heraus.
Die ganze Woche über hat er mit Stimmungsschwankungen zu kämpfen. Wegen der Arbeit, er hat ja groß nichts außer der Arbeit. Gleichmut wäre schön, ein gestandenes Scheißegal gegenüber dem ganzen Mist – das muss doch hinzukriegen sein. Na, irgendwann wird er's schon hinkriegen.
Mittwoch, 15. Oktober 2025
Mit besoffener Birne fand er immer wieder überraschend klare Antworten auf all seine Probleme. Nur dass die mit nüchterner Birne nie was taugten. – Was ihn aber keineswegs davon abhielt, es weiterhin zu versuchen.
Dinge werden oft herbeigeredet, üble Dinge, richtig üble Dinge. Erst werden sie nur unüberlegt und dumm dahergeredet, damit aber nach und nach herbeigeredet und am Ende isser dann da, der Schlamassel. Hören Sie also um Himmels willen auf, so unüberlegt und dumm daherzureden!
Im Einkaufscenter tönte Musik aus Deckenlautsprechern und in der Fußgängerzone spielten Straßenmusiker. Allein schon deswegen ging er da nicht mehr hin. Musik bedeutete ihm was und er ertrug es nicht, wenn sie ihm aufgedrängt wurde, egal, ob es "seine" Musik war oder eine andere.
Einschränken musste er sich, kürzertreten, höchste Zeit, der Magen und die Nerven, beides. Und er hatte es eingesehen, hatte auf seinen Körper gehört und jetzt machte er sich ein eiskaltes Bier auf und dann noch sieben, feierte seinen genehmigten Antrag auf Arbeitszeitverkürzung.
Sonntag, 12. Oktober 2025
Wie eine immerwährende Arbeitswoche ohne Wochenende, so fühlte es sich inzwischen an: die Ehe, die Kinder, das Haus, die Verwandtschaft bei Kaffee und Kuchen.
An den langen Sommertagen in seiner Kindheit, da waren er und seine Freunde Abenteurer, Entdecker, Kämpfer, Helden, alles an einem Tag und der Sommer war endlos und ein ganzes Jahr beinahe ein ganzes Leben. Nun sitzt er Tag für Tag im Büro, Jahr für Jahr.
Er gewöhnte es sich an, nett zu den Leuten zu sein, hilfsbereit, sich keinesfalls mehr über sie zu erheben. Es fiel ihm nicht leicht, war ein langer Weg, aber es war der richtige. Für ihn gehörte es letzten Endes sogar zu den wenigen Dingen, die wirklich von Bedeutung waren.
Hüten Sie sich vor der Kunst: der Schreiberei, der Malerei und vor allem der Schauspielerei! Nichts bringt es Ihnen ein. Verbitterung und Armut im Alter, das bringt es Ihnen ein, das ist dann der Lohn für Eitelkeit und Großmannssucht. Gehen Sie gefälligst arbeiten!
Welch Leid man sich doch mit den eigenen Gedanken und Gefühlen selbst zufügen kann und es auch noch tut! Es ist verrückt, völlig verrückt. Ganz normale Menschen, völlig verrückt.
Freitag, 10. Oktober 2025
Sie prahlten, logen sich gegenseitig die Hucke voll, es war so eine Art Übereinkunft zwischen ihnen. Irgendwie ging es dabei um Respekt, sie redeten viel von Respekt, in einem fort redeten sie davon.
Der Nachbar in der Wohnung drüber hat Raucherhusten. Jeden Morgen um 4:30 Uhr schrillt sein Wecker und dann fängt auch gleich das Gehuste an. Und das Gepolter. Um 5:30 Uhr dann knallt seine Wohnungstür, da zieht er dann endlich los. Zu irgendeinem Scheißjob, wohin sonst.
Dieses ewige Auf und Ab war er eben leid. Eine Gleichgültigkeit wünschte er sich, keine dumme, mehr so'ne philosophische. Ja, wie sollte er's jetzt beschreiben – sich von nichts und niemandem mehr die Laune hin und her scheuchen lassen, darum ging's, innen drin frei sein, das wollte er.