Da ist so eine Gehässigkeit in ihm, schon seit jeher, und er kommt da nicht gegen an. Immer wieder beschert sie ihm zynische Denk- und Sichtweisen und richtig hässlich wird's, wenn er damit auch noch Recht behält, wenn Schlechtigkeit mit Schlechtigkeit ins Bett geht.
Er hatte sich wieder ein neues Image zugelegt, einen neuen Style, sich rundum mit neuen Klamotten eingedeckt, war beim Friseur gewesen, in der Parfümerie, alles neu, alles fresh. Wie ausgetauscht war er, Tatsache, sein Ich ein gänzlich anderes – ja, er war so hohl.
Er hatte Angst vor den Menschen, misstraute ihnen, wich ihnen aus, kleidete sich deswegen sogar bewusst unauffällig – und billig. Je billiger er sich kleidete, so sein Kalkül, desto mehr ließen sie ihn in Ruhe.
Sonntag, 19. Oktober 2025
Freitag, 17. Oktober 2025
Sollte er den Lottojackpot knacken – er wäre immer noch unglücklich, vielleicht sogar noch unglücklicher. Ohne den Jackpot kann er sich immerhin noch selbst was vormachen, sich etwa einreden, er sei unglücklich, weil er zur Arbeit muss oder sich irgendwas nicht leisten kann.
Nach einer wüsten Wochenendsauferei hatte sie ihm ins Bett gepisst. Klar war er sauer, angepisst, blieb aber Gentleman, bezog das Bett neu und machte Witze, sie hätte jetzt ihr Revier markiert und so. Vielleicht hätte es ja Liebe werden können, das fanden sie aber nie heraus.
Die ganze Woche über hat er mit Stimmungsschwankungen zu kämpfen. Wegen der Arbeit, er hat ja groß nichts außer der Arbeit. Gleichmut wäre schön, ein gestandenes Scheißegal gegenüber dem ganzen Mist – das muss doch hinzukriegen sein. Na, irgendwann wird er's schon hinkriegen.
Mittwoch, 15. Oktober 2025
Mit besoffener Birne fand er immer wieder überraschend klare Antworten auf all seine Probleme. Nur dass die mit nüchterner Birne nie was taugten. – Was ihn aber keineswegs davon abhielt, es weiterhin zu versuchen.
Dinge werden oft herbeigeredet, üble Dinge, richtig üble Dinge. Erst werden sie nur unüberlegt und dumm dahergeredet, damit aber nach und nach herbeigeredet und am Ende isser dann da, der Schlamassel. Hören Sie also um Himmels willen auf, so unüberlegt und dumm daherzureden!
Im Einkaufscenter tönte Musik aus Deckenlautsprechern und in der Fußgängerzone spielten Straßenmusiker. Allein schon deswegen ging er da nicht mehr hin. Musik bedeutete ihm was und er ertrug es nicht, wenn sie ihm aufgedrängt wurde, egal, ob es "seine" Musik war oder eine andere.
Einschränken musste er sich, kürzertreten, höchste Zeit, der Magen und die Nerven, beides. Und er hatte es eingesehen, hatte auf seinen Körper gehört und jetzt machte er sich ein eiskaltes Bier auf und dann noch sieben, feierte seinen genehmigten Antrag auf Arbeitszeitverkürzung.
Sonntag, 12. Oktober 2025
Wie eine immerwährende Arbeitswoche ohne Wochenende, so fühlte es sich inzwischen an: die Ehe, die Kinder, das Haus, die Verwandtschaft bei Kaffee und Kuchen.
An den langen Sommertagen in seiner Kindheit, da waren er und seine Freunde Abenteurer, Entdecker, Kämpfer, Helden, alles an einem Tag und der Sommer war endlos und ein ganzes Jahr beinahe ein ganzes Leben. Nun sitzt er Tag für Tag im Büro, Jahr für Jahr.
Er gewöhnte es sich an, nett zu den Leuten zu sein, hilfsbereit, sich keinesfalls mehr über sie zu erheben. Es fiel ihm nicht leicht, war ein langer Weg, aber es war der richtige. Für ihn gehörte es letzten Endes sogar zu den wenigen Dingen, die wirklich von Bedeutung waren.
Hüten Sie sich vor der Kunst: der Schreiberei, der Malerei und vor allem der Schauspielerei! Nichts bringt es Ihnen ein. Verbitterung und Armut im Alter, das bringt es Ihnen ein, das ist dann der Lohn für Eitelkeit und Großmannssucht. Gehen Sie gefälligst arbeiten!
Welch Leid man sich doch mit den eigenen Gedanken und Gefühlen selbst zufügen kann und es auch noch tut! Es ist verrückt, völlig verrückt. Ganz normale Menschen, völlig verrückt.
Freitag, 10. Oktober 2025
Sie prahlten, logen sich gegenseitig die Hucke voll, es war so eine Art Übereinkunft zwischen ihnen. Irgendwie ging es dabei um Respekt, sie redeten viel von Respekt, in einem fort redeten sie davon.
Der Nachbar in der Wohnung drüber hat Raucherhusten. Jeden Morgen um 4:30 Uhr schrillt sein Wecker und dann fängt auch gleich das Gehuste an. Und das Gepolter. Um 5:30 Uhr dann knallt seine Wohnungstür, da zieht er dann endlich los. Zu irgendeinem Scheißjob, wohin sonst.
Dieses ewige Auf und Ab war er eben leid. Eine Gleichgültigkeit wünschte er sich, keine dumme, mehr so'ne philosophische. Ja, wie sollte er's jetzt beschreiben – sich von nichts und niemandem mehr die Laune hin und her scheuchen lassen, darum ging's, innen drin frei sein, das wollte er.
Dienstag, 7. Oktober 2025
An den Feiertagen holt er sich das Bier aus der Tankstelle, das gehört für ihn dazu, ein Ritual, da schaut er nicht aufs Geld. Beim Kauf lässt er sich dann Zeit, betrachtet in aller Ruhe die Auswahl im Kühlregal und spielt dabei mit den Münzen in seiner Jackentasche, ist selig.
Sogar der Alkohol am Wochenende verlor mehr und mehr seinen Drive. Von Bedeutung war weiterhin die Vorfreude darauf, das Trinken selbst nur noch banal und trist, eine müde Angelegenheit. Im Grunde konnte er sich auch gleich so schlafen legen.
Die Trinkerei gehörte längst der Vergangenheit an, der verkaterte Blick auf die Welt blieb, ließ ihn zeitlebens nicht mehr los.
Sonntag, 5. Oktober 2025
Wie lang kannten sie sich jetzt, wie lang saßen sie jetzt zusammen in diesem Büro? 20 Jahre? Und, hatte er in der Zeit auch nur einmal was Bemerkenswertes von sich gegeben? Was Geistreiches? Was Überraschendes? – Vielleicht lag's ja am Büro, daran, was das Büro aus einem machte.
Wieder so einer: Obwohl er offenbar gebildet und auch gescheit ist, ist er ein Idiot; verhält sich idiotisch, benimmt sich idiotisch. Und dafür, dass sich das vielleicht noch rauswächst, ist er längst zu alt, viel zu alt. Nein, er ist ein Idiot, eindeutig ein Idiot.
Und auch witzig konnte er sein, gern mal zur allgemeinen Auflockerung, bei Dienstbesprechungen etwa. Natürlich nur auf eine geistreiche Art witzig, und wenn er dann was Entsprechendes "raushaute", war er auch sogleich höchst begeistert von sich selbst, seiner Brillanz.
Freitag, 3. Oktober 2025
Er wuchs auf in geordneten Verhältnissen, einem bürgerlichen Elternhaus: prüde, ignorant, neurotisch. Nach einer Phase pubertärer Auflehnung gewann seine Herkunft wieder die Oberhand und machte aus ihm ein nützliches Mitglied der Gesellschaft. Alles fügte sich, alles wurde gut.
Endlich verdiente er gut, nach all den Jahren des Zurücksteckens, endlich hatte er das nötige Geld, endlich erfüllte er sich seine aufgesparten Wünsche. Wie schnell ihn das dann langweilte, wie banal, beinahe lächerlich das war, das hätte er allerdings nie für möglich gehalten.
Er war es leid dort. Vor allem war er es leid, sich aufzuregen, sich zu ärgern, sich schon selbst nicht mehr zu ertragen. Irgendwann erschloss sich ihm da der Trost der Resignation und Gleichgültigkeit. Zunächst im Kleinen, dann auch mehr und mehr im Großen.
Dienstag, 30. September 2025
Mit welcher Selbstverständlichkeit sie poltern und plärren und anderen auf die Nerven gehen, einfach keine Ruhe geben, keine Ruhe geben wollen, keine Ruhe geben können. Den Wert der Ruhe nicht verstehen. Furchtbare Leute, steckengeblieben in kindischer Selbstbezogenheit.
Warme Worte in kalten Zeiten – Gefasel, ausweichendes Gefasel, er konnte es nicht mehr hören. Seine aufsteigende Wut gab ihm Energie, ließ ihn innerlich gefrieren.
Mit der Realität stand er auf Kriegsfuß, die wollte nie so, wie er wollte, war ein undankbares Miststück. Er erkannte da mehr und mehr ein Muster – und die ihm darin zugewiesene Rolle, informierte sich, welche effektiven Waffen sich wo unauffällig besorgen ließen.
Samstag, 27. September 2025
Wohlgefühlt hatte er sich immer nur in seinen Phantasien, wo er klug und witzig war, sexy, ein Frauenschwarm, und glücklich, die ganze Zeit glücklich. Im mittleren Alter verkümmerte seine Phantasie, da ließ sie ihn dann im Stich. Wie auch seine Gesundheit. Etwa zur gleichen Zeit.
Zum Friedhof, wo sie bald bei ihrem Mann liegen wird – auf dem Grabstein ist der Platz für ihren Vornamen schon vorgesehen –, geht sie wenn möglich jeden Tag. Um dann von da wieder bewusst weggehen zu können, hin zu ihrem Restleben.
Langsam kam er in ein Alter, wo auch der Alkohol nicht mehr half, wo selbst der ihn mehr und mehr enttäuschte. Er nahm es dem Alkohol nicht übel, es war nun mal der Lauf der Dinge. Ab und an trank er noch ein Glas, ohne Erwartung, ohne sich was vorzumachen.
Sonntag, 21. September 2025
Er mochte die Frauen nicht, immerzu müssen die reden, sich immerzu herausputzen. Und immerzu kramen sie in ihren Handtaschen nach irgendwas. Er kannte sich aus, war er doch mit einer Frau verheiratet. Eine, die wo er hätte lieben können, war ihm nie begegnet.
Der Verwaltungsfachangestellte Uwe H. trieb sich an den Wochenenden oft in der Bahnhofsgegend rum. Um was zu erleben. Einmal bekam er da gewaltig eins auf die Mütze: Brieftasche weg, Handy weg, sechs Wochen krankgeschrieben. Davon erzählt er noch heute mit Glanz in den Augen.
Diese vielbeschworenen kleinen Freuden, denen gegenüber er achtsam sein sollte, auf die es allein ankäme, die wurden mit der Zeit dann aber nur noch kleiner. Fadenscheiniger. Rückblickend auf sein Leben jedenfalls hätte er bei den Freuden lieber doch mehr aus dem Vollen geschöpft.
Sogar Bier wollen die verbieten. Weil da Alkohol drin ist. Und Frauen verhüllen. Weil – sind eben Frauen. Bier verbieten; an was für Unverträglichkeiten leiden die eigentlich oder sind die einfach nur so bekloppt?
Er mag Bier. Bier beruhigt das Gemüt, das ist eine gute Sache. Man darf es nur nicht übertreiben, das ist klar, sonst wird aus der Seligkeit eine Sauerei. Nun, er hat es im Griff, schätzt sich glücklich, gießt sich gerade ein zweites ein und schenkt der Welt ein Lächeln.
Mittwoch, 17. September 2025
In seiner Heiterkeit lag immer auch eine gewisse Melancholie. Es war für ihn die einzig mögliche Heiterkeit, die einzig erträgliche.
Bisweilen war sie etwas naiv und dann hatte er sich immer mal für sie geschämt. Aber ihre Freundlichkeit war echt, die Gutmütigkeit tief in ihr verankert. Dass sie ihn durchs Leben begleitete, war sein Hauptgewinn. Er wünschte nur, er hätte das schon früher erkannt.
Ich denk', das lässt sich so oder auch so sehen, sagte er stets, wenn bei den anderen die Emotionen hochkochten. Aber auch sonst sagte er es, eigentlich war's seine Meinung zu allem. Viele hielten ihn für ahnungslos, vielleicht lagen sie damit richtig, vielleicht aber auch nicht.
Samstag, 13. September 2025
Im Gespräch war er unangenehm: ausschweifend, selbstbezogen. Und da er keine Bekannten, keine Freunde hatte, rückte er häufig Fremden auf den Pelz. Die, die dabei unter Aufbringung all ihrer Geduld und Toleranz höflich blieben, nannte er dann seine Freunde.
Er war sehr belesen und ließ das auch gern andere wissen. Abgesehen von seiner Belesenheit war da aber nicht viel. Wie denn auch, las er doch von früh bis spät.
Er fühlte sich gut, richtig gut, den ganzen Tag schon. Er wusste nicht, was los war, alles war wie immer und doch fühlte er sich gut, beinahe fröhlich. Das war verrückt. Verstörend. Da stimmte was nicht. Mit seinem Kopf, seinem Hirn, da kam das schließlich her. Ein Tumor?