Mittwoch, 1. Mai 2024

 Mit Ende 20 bekam er dann doch noch gerade so die Kurve und schlug den bürgerlichen Weg ein. Am meisten schätzte er dann an der Bürgerlichkeit dieses behagliche Gefühl der Selbstgerechtigkeit.


Sie war auf Wohlstand und Ansehen aus, wollte den erfolgreichen Geschäftsmann. Das war die einzige Rolle, die sie ihrem Mann einräumte, alles andere an ihm verspottete sie: jede Schwäche, jede Träumerei, jede Gefühlsduselei – alles trieb sie ihm aus.


Aber irgendwann trank er sich dann jeden Abend leicht einen an, um sich seine Frau und das Leben mit ihr zumindest ein Stück weit erträglich zu machen. Sein Sohn erfuhr das erst nach seinem Tod, gerade zu der Zeit als er genauso damit anfing.


Als Kinder haben wir uns gekloppt, um die Rangordnung zu klären. Es war 'ne ernste, oft sogar feierliche Angelegenheit – und fair ging es zu und ehrlich, nicht so wie bei den doofen Erwachsenen.


Inzwischen ließ auch er sich Zeit dabei, studierte in aller Ruhe die Verpackungen, verglich die Preise, beobachtete andere Kunden und hoffte auf Bekannte. Der Lebensmitteleinkauf war der gesellschaftliche Höhepunkt in seinem Leben geworden, gerade der am Samstag.


Er schmiss seine Festanstellung, verließ die Familie und zog in die Großstadt, in so 'ne Sozialwohnung mit Balkon. Oft saß er angetrunken auf 'ner Parkbank und zeigte Passanten den Mittelfinger. Sonst schaute er viel fern, die gleichen Sendungen wie früher auch.


Mit welcher Leichtigkeit sie drauflos redeten, so sorglos und unverbindlich! Ihm war das nicht möglich, er hatte zu großen Respekt, sogar Angst vor den eigenen Worten, stammelte oder schwieg lieber ganz.