Montag, 30. Dezember 2024

 Sein ungemeiner Stolz, so hatte es den Anschein, kam allein schon vom Stolzieren.


Er war kein Spinner, kein Idiot, tatsächlich hatte er auf seine alten Tage noch den Mut zur Konsequenz und zog es durch: verschwendete sein Geld, seine Gesundheit, verkürzte sein Altsein.


Nichts und niemandem laufe ich hinterher. Wo käme ich denn da hin!

Donnerstag, 26. Dezember 2024

 Geriet er bei seinen Beobachtungen ins Pauschalisieren, dann war er unaufmerksam, fahrlässig, dann wurde er den Menschen nicht gerecht. Das Pauschale war uninteressant, völlig nutzlos.


Alle in einen Sack, Knüppel druff, triffste keinen Falschen, sagte er und winkte ab. Er war es leid, hatte es satt, alles.
Die ganze Menschheit, fing er wieder an und rotzte auf den Bürgersteig, alle in einen Sack!


Strunzdummes Zeug hat er dahergeredet und peinlich aufgeführt hat er sich; betrunken, aber auch nüchtern, meistens aber betrunken. Und das verfolgt und piesackt ihn nun bis heute, wahrscheinlich sein Leben lang. So ist das halt, da kann man nix machen.

Dienstag, 24. Dezember 2024

 Angetrunken umarmte er die Welt und hatte plötzlich die Spendierhosen an. Da vergaß er seine Knauserigkeit und hatte vom vielen Lachen und so mancher Rührseligkeit Tränen in den Augen. Besoffen wurde er dann wieder eklig.


Endlich daheim machte er sich ein Bier auf und dann dachte er nach über seine Arbeit – über sein Leben. Dann machte er sich gleich noch 'n Bier auf, weil ihm zu all dem Mist ja doch nichts einfiel.


Er war viel am meckern, regte sich über jeden Scheiß auf, beschwerte sich und redete dann vom Kündigen, obwohl er genau wusste, dass er woanders genauso meckern, sich über jeden Scheiß aufregen, sich beschweren und wieder vom Kündigen reden würde. Das war so in ihm drin.


Hier sei er angekommen im Hafen der Glückseligkeit, sagte er, als er den Kolleginnen und Kollegen zu seinem Geburtstag einen ausgab. "Angekommen im Hafen der Glückseligkeit", ohne Scheiß. 28 war er jetzt und er sprach verdammt nochmal von seinem Arbeitsplatz!


Vordergründig freundlich und dahinter nichts als Verkommenheit: Missgunst, Egozentrik, Intriganz. Seine manipulativen Komplimente hört man trotzdem gern, ob man nun will oder nicht. So ist das bei Komplimenten, da ist der Mensch mal so gar nicht wählerisch.

Sonntag, 22. Dezember 2024

 Weil er nicht mehr klar kam, nicht mehr weiter wusste, weil ihn alles überforderte, legte er sich dann diese Frömmigkeit zu. Das gab ihm Struktur, Halt, Selbstvertrauen und dann bald schon schaute er herab auf andere, die seiner Frömmigkeit nicht nachgingen.


Die an sich schon törichte Luxusverehrung wurde immer törichter. Und vulgärer, aus Luxus wurde Ramsch.


Gut, er war mehr so der Phlegmatiker und kein Stoiker, aber im Ergebnis machte das ja nicht unbedingt 'nen großen Unterschied, schon mal gar nicht in der Außenwirkung. Er hatte halt diese Begabung, da wo andere erst mal mühselig hin mussten.


Ja, dann fragen Sie doch einfach mal die Leute mit direktem Kundenkontakt. Fragen Sie sie, die werden Ihnen genauso sagen, dass die Spinner da draußen mehr und mehr werden. Man ist doch schon froh heutzutage über jeden halbwegs Normalen, der einem zur Tür reinschneit.


Dass einem das Berufsleben so elendig lang, das eigentliche Leben hingegen von Tag zu Tag kürzer und kürzer erscheint, ist doch auch so eine Sauerei – diese Art von Riesensauerei, der man ohnmächtig und bitter gegenübersteht.

Freitag, 20. Dezember 2024

 Dass er nun schon den Großteil seines Lebens mit dieser Arbeit verbracht hatte, dass er sich Tag für Tag dorthin schleppte, sich quälte, erschien ihm urplötzlich völlig surreal. Ihm wurde schwindlig, sogar übel, aber dann ging's wieder und er konnte zum Glück gleich weiterarbeiten.


Er spielte mal wieder den Begeisterten, sollte die Angestellten anstecken und mit auf den Weg nehmen, zu noch mehr Arbeit. Ein paar fielen sogar drauf rein oder taten zumindest so. Ihm war's gleich, er hatte seine Schuldigkeit getan und die Angestellten hatten eh keine Wahl.


Als er den neuen Kollegen einarbeitete, sagte der in einem fort "das macht doch aber gar keinen Sinn". Natürlich hatte er recht, war ein aufgeweckter Bursche, aber nach etwa 2 Monaten sah er die ganze Sinnlosigkeit auch schon nicht mehr und funktionierte gut.

Mittwoch, 18. Dezember 2024

 Die Wochenenden sollten ihn entschädigen. Der Besorgungsstress am Samstag und die Ödnis am Sonntag sollten ihn entschädigen.


Wieder Mal war es nur ein müder Abklatsch von dem, was er sich vorgestellt hatte, und wieder zog es gleich neue Bedürfnisse und neues Handelnmüssen nach sich. Besser ließ er fortan die Träume Träume bleiben, das Schwelgen in ihnen war ihm ja doch das Liebste.


Es war ihm nicht bewusst, an so was hatte er noch nie Interesse, aber sein Kleiderschrank war inzwischen hervorragend bestückt für jede nur erdenkliche Revival-Mode. Und seine 17 Jahre alten Hauspantoffeln taten's auch noch.


Trist ist es geworden in Deutschland, vielerorts heruntergekommen. Der verschwenderische Hedonismus der 70er, 80er und 90er Jahre ist anscheinend immer noch nicht beglichen. – Aber wer ihn noch erlebt hat, hat ihn immerhin erlebt.

Montag, 16. Dezember 2024

                   Deutschland, frühe 2020er Jahre







 

Samstag, 14. Dezember 2024

 Nur noch der immer gleiche Mist in Dauerschleife – und im Fernsehen kommt auch nichts mehr.


Chirurgen, die einem heutzutage eine Rücken-OP oder sonst was Kostspieliges aus dem Klinikangebot nahelegen, kann man noch so weit über'n Weg trauen wie 'nem Versicherungsvertreter oder Matratzenverkäufer. Dabei war das mal was; so'n Chirurg, der stellte mal richtig was dar.


Als er dann morgens bei der Arbeit anrief, sagte er aber "grippaler Infekt". Grippaler Infekt klang besser als Erkältung, dramatischer, da war gleich 'n Tag mehr drin. Was so was anging, da war er 'n Schlitzohr, da hatte er seinen Spaß dran.


Dummes, unangenehmes Zeug hat er daherreden müssen, Zugehörigkeit heucheln. Und mit dem Alkohol musste er aufpassen, höllisch aufpassen. Nächstes Jahr ist er zur Weihnachtsfeier krank, Magendarm, und dann sitzt er daheim auf'm Sofa, macht sich'n Bier auf und ist selig.


Er geht kaum noch raus. Zur Arbeit muss er raus. Ansonsten gibt's nicht mehr viel, für das er noch raus muss. Und so wie's da draußen inzwischen zugeht unter den Leuten, da fragt man sich ja ohnehin, ob man da nun wirklich noch raus will oder nicht.

Samstag, 7. Dezember 2024

 Kleingeister, dachte er. Erbärmliche Krämerseelen, dachte er an seinem Rotwein nippend, Einfaltspinsel, Tölpel in Abendgarderobe. Er ließ sich noch ein Glas bringen, sein fünftes, und er fühlte sich zunehmend imposant und schaute sich weiter um.


Herr P. trat auch privat belehrend auf, fühlte sich seinem Gegenüber gern überlegen. Und geizig war er, unfassbar geizig. Frau P. war übrigens ebenfalls im Lehramt tätig und auch ihr widerstrebte das Geldausgeben. Die beiden, – ja, das war so was mit denen.


Bei jeder Kleinigkeit droht er und prahlt dabei mit seinen Beziehungen, mit seiner Bedeutsamkeit. Mehr braucht man über ihn nicht wissen, mehr gibt es über ihn nicht zu sagen.


Wir alle sind lächerlich, auf die ein oder andere Art sind wir alle lächerlich. Und jene, die denken, für sie gelte das in keinster Weise, sind umso lächerlicher.


Schon bei der gedanklichen Vorwegnahme einer ihn eventuell ereilenden Ungerechtigkeit oder sonstigen Unerfreulichkeit steigerte er sich in eine unbändige Wut hinein. So hielt er sich innerlich auf Trab, so begegnete er der Welt.


Erst im späten Rückblick auf sein Erwerbsleben erkannte er die Lächerlichkeiten und Eitelkeiten dieser sogenannten Berufswelt, diese Dinge abseits der eigentlichen Arbeit, die ihn so viel Nerven gekostet, ihn nach und nach so verkorkst hatten.

Montag, 2. Dezember 2024

 Er wollte nicht aus dem Bett, hatte ja doch nur wieder einen Arbeitstag vor sich. Liegen bleiben wollte er auch nicht. Er wusste nicht, was er wollte, generell nicht, als hätte man's ihm vor langer Zeit schon gründlich ausgetrieben, das Wollen, so fühlte es sich an.


Wegen ihrer enttäuschten Erwartungen hackt sie dann eben auf die ein, die gerade greifbar sind. Sie hat als Kundin nun mal gewisse Ansprüche, ist eine starke Persönlichkeit, die sich nichts bieten lässt – und außerdem ist das deren Job, dafür kriegen die ihr Geld.


Abseits vom Auswendiggelernten, Einstudierten und Vorbereiteten kam da nicht viel, im Grunde gar nichts. Plattheiten, Floskeln, Trägheit. Man überschätzt diese Leute, lässt sich nur zu gern was vormachen.


Durchhalten!, sagte er sich immer wieder – nun all die Jahre schon. Aber für was genau er eigentlich durchhalten sollte, wo das Ziel für dieses Durchhalten war, das konnte er sich nicht sagen, ging es ja doch ausschließlich ums Weiterstrampeln, um nicht unterzugehen.


Und bei all dem Getöse um einen rum soll man neuerdings auch noch seine innere Mitte finden, seine innere Heimat, das innere Kind – lauter so'n Zeug, das da irgendwo so in einem drin ist. Aber gut, das muss ja jeder selber wissen, ob er da mal nachguckt oder nicht.

Freitag, 29. November 2024

 Als junger Mann wäre er gern Rockstar gewesen. Jetzt, mit Anfang 50, wäre er gern endlich Pensionär, das ist von seinem Rebellentum noch übrig geblieben.


Samstags vom Samstagsshopping heimkommen und erst mal die vorhin erworbene Wohndeko unter ihren Anweisungen an die Wand dübeln - genau so hat er sich sein Leben immer vorgestellt.


Er steckte seit all den Jahren schon mit seinem Leben in dieser Sackgasse, nicht unkomfortabel, aber eine Sackgasse und er sah keinen Ausweg, stellte immer nur wieder und wieder die gleichen Überlegungen an und wartete auf ein Wunder – oder eine Katastrophe.


Materialistisch, geld- und arbeitsfixiert: So ging's bei seinen Eltern zu, so wuchs er auf und abgesehen von den üblichen pubertären und spätpubertären Aufmüpfigkeiten lebte er dann ebenso. Seine Vernünftigkeit hielt ihn in der Spur, verhinderte alles andere.

Mittwoch, 27. November 2024

 Als junger Mann hatte er sich noch von völlig naiven, bisweilen sogar romantischen Vorstellungen leiten lassen. Davon hat er sich längst befreit, längst sieht er nur noch Stoppschilder vor sich.


So ist das im Leben nun mal, dass man sich immer mal wieder irgendeiner Dummheit unterordnen muss, letztlich ja ohnehin der eigenen.


Jeden Tag regte er sich auf, immer über den gleichen Scheiß; seinen Scheiß. Sah er anderer Leute Scheiß, so war er mit seinem im Grunde aber doch recht zufrieden – im Einklang, wenn man so will.


Er äußerte sich nur noch in Floskeln, ließ sich nichts mehr einreden und hatte zu allem keine Meinung. Das war jetzt sein Standpunkt.


Zuhause trank er auch schon mal heimlich. Streng darauf bedacht, sich nichts anmerken zu lassen, konnte er sich aber nicht wirklich auf den Alkohol einlassen, hatte überhaupt nichts davon. – Und seine Frau wusste's eh, es war so eins dieser absurden Spielchen zwischen ihnen.

Samstag, 23. November 2024

 Das berufserforderliche Vortäuschen von guter Laune, gar von Fröhlichkeit: Er selbst war davon nicht in dem Maße betroffen und beobachtete er es bei anderen, machte er innerlich drei Kreuze.


Statt altersmilde wurde er altersaggressiv. Er stemmte sich mit allem, was er noch hatte, gegen das Unvermeidliche und machte sich und seinem Umfeld das Leben nochmal zur Hölle. Es war keine Demenz, er hatte Schiss, jede Menge Schiss.


Immer mal wieder ein kleines Auf, prompt gefolgt von einem großen Ab. Bei jedem Auf hielt er schon Ausschau nach dem Ab, nahm sie schon gar nicht mehr für voll, diese Aufs; wenn sie sich nur ankündigten, winkte er schon ab.


So viele, die eindeutig einen an der Waffel haben und dann noch die vielen anderen, wo's erst ein bisschen braucht, bis man merkt, dass die einen an der Waffel haben – so langsam fragt man sich ja, ob man nicht vielleicht einfach nur selbst einen an der Waffel hat.

Mittwoch, 20. November 2024

 Mit seiner humorlosen Dünnhäutigkeit machte er sich unbeliebt. Man begegnete ihm zurückhaltend und wortkarg oder ging ihm ganz aus dem Weg. Was ihn in seinem Glauben bestärkte, er sei einschüchternd, dominant, eine Respektsperson.


Bei den ewig lästernden Kolleginnen und Kollegen weiß er aber immerhin, woran er ist. Sie lästern über alle, also auch über ihn. Und dennoch hört er sie gerne lästern, weil es unterhaltsam ist und er dieses ganze Theater ohnehin nicht mehr ernst nimmt.


Ab und an muss man schon was machen, ganz konkret was machen. Sich immerzu nur Gedanken machen, das hält doch keiner aus, kein normaler Mensch zumindest. Gibt ja sogar welche, die immerzu was machen, immerzu, um gar nicht erst anzufangen mit dem Gedankenmachen.


Schon wieder blättert er seine alte Plattensammlung durch, versucht, eine Verbindung zu seiner Jugend herzustellen, die Freude von damals heraufzubeschwören. Seine Frau belächelt ihn deswegen, keineswegs wohlwollend, sie hasst diesen Mief, der von diesen Platten ausgeht.

Montag, 18. November 2024

 Er hatte einen lächerlichen Beruf, lebte ein lächerliches, beschämendes Leben. So sah er es selbst, vielleicht sogar nur er selbst, für die anderen schien das normal zu sein, diese ganze Lächerlichkeit, eine Selbstverständlichkeit, die man hinzunehmen hat.


Nie war mal was passiert. Nie kam es zu einer schicksalhaften Begegnung, wie man das so aus Filmen kennt, und auch kein schicksalhaftes Ereignis zwang ihn je irgendwohin. Allein mit Mut und Ehrgeiz hätte er vielleicht was bewegen können – hätte, vielleicht.


Dass er die große, richtige Scheiße ja erst noch vor sich hatte, lag jenseits seines Vorstellungsvermögens. So war das als Kind, als Teenager, mit Anfang 20, mit Anfang 30, mit Anfang 40. Mit Anfang 50 dämmerte ihm dann langsam was.


Halb verkatert, halb betrunken oder auch mal andersrum schlurfte er unentschlossen durch die Wochenenden.


Seine starren und für andere oft lächerlich anmutenden Verhaltensmuster gaben ihm aber verdammt nochmal ein Gefühl von Sicherheit. Viele sahen das nicht, begriffen das nicht, machten sich lustig über ihn und ahnten nicht, was sie ihm damit antaten.


Jedes Gespräch mit ihr, das länger als eine halbe Stunde dauerte, geriet zu einer Psychoanalysesitzung.


Jedes Mal wieder fiel er darauf hinein, auf dieses Glück, das er ja doch nur im Unglück hatte, das ihn das Unglück ertragen ließ, es ihm mitunter sogar schmackhaft machte. Gerade nochmal Glück gehabt, dachte er dann immer und wähnte sich glücklich.

Samstag, 16. November 2024

 Und Tag für Tag sollte er nun diese Arbeit verrichten, immer diese eine Arbeit. Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. So lief das nun mal, so bläuten sie es ihm ein. Immer diese eine Arbeit, auf die er nun stolz sein konnte, die er sich ans Revers heften durfte.


Sein ständiges Denken an die Arbeit war inzwischen schon zwanghaft und für ihn längst genauso schlimm wie die Arbeit selbst, wenn nicht noch schlimmer. Die Arbeit hatte ihn im Sack, mit Leib und Seele im Sack, und an ein Entfliehen wagte er nicht zu denken.


Seine Arbeitsunterwerfung verhöhnte ihn bei seinen läppischen Versuchen, sich in der sogenannten Freizeit abzulenken, sich zu amüsieren oder zu entspannen.

Donnerstag, 14. November 2024

 Er war von durchschnittlichem Äußeren und auch sonst: vernünftig, zurückhaltend, sparsam. Typ Kassengestell, witzelte seine Frau immer, aber im Grunde wollte sie ihn genau so haben.


Nun, er mochte aber eher die Kollegen, die, so wie er, immer die gleiche Kleidung trugen, die so die herrschende Tristesse und Monotonie in den Büros nochmal unterstrichen. – Und dazu immer mit einem entsprechenden Gesicht rumliefen. – Und zu nichts eine Meinung hatten.


Nein, man rackert sich nicht ab in dem Job, wirklich nicht, man hat sogar das ein oder andere Privileg. Man macht halt und tut und fragt sich dann aber am Ende des Tages mehr und mehr, was man eigentlich noch so hat vom Leben. – Aber man geht weiter da hin, weil besser ist das.


Menschen, die sich selbst wichtig nehmen, nimmt er nicht für voll, fehlt denen doch was Entscheidendes.


Ein Leben in engen Räumen mit dünnen Wänden, tages- und nachtaktiven Nachbarn, plärrenden Radios und Fernsehern, Klospülungen, Türen- und Fensterschlagen, Staubsaugern, diesem irrsinnigen Gepolter und Getrampel: ein Vorgeschmack auf die Hölle, wenn sie's nicht schon ist.


Dass ihm ja die "soziale Teilhabe" bei seinen geringen finanziellen Mitteln verwehrt bliebe, das war so ziemlich das letzte, was ihn scherte.


Einen Rausch im Sinne eines Hochgefühls hatte er gar nicht mehr, schon längst lief die Sauferei nur noch auf eine Geistesauslöschung hinaus, einen Selbstmord auf Raten, dem er nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

Samstag, 9. November 2024

Jedes Wochenende ließ er sich volllaufen, phantasierte sich dann das Leben zurecht, das er haben wollte, das ihm zustand, das er gleich nächste Woche in Angriff nehmen wollte. Jedes Wochenende, immer dasselbe, und er freute sich jedes Mal drauf.


Den Wodka trank er gegen die Trostlosigkeit und am nächsten Tag dann 'nen Ayran gegen den Kater, er wusste sich zu helfen. Er war weiß Gott kein Einstein, aber das musste man ihm lassen, er wusste sich zu helfen.


Leichtes Unbehagen am kalten Getränk an kalten Tagen – im Sommer läufts besser, um einiges besser, aber er nimmt sich trotzdem noch'n Bier aus'm Kühlschrank raus, trotzt der Kälte, lässt sich nicht beirren von irgendwelchen äußeren Umständen.


Es war verrückt, völlig verrückt, was ihm sein Suchthirn so für Argumente lieferte, damit er dranblieb, weitermachte mit dem Scheiß, mit der Selbstzerstörung. Er schüttelte ja selbst den Kopf darüber; diesen ramponierten Kopf, in dem sich das alles abspielte.

Mittwoch, 6. November 2024

 Beim Duzen rutschten ihm die Gespräche zu schnell ins Leichtfertige ab, oder gar ins Persönliche. Zumeist bereute er es, mit jemandem zum Du übergegangen zu sein.


Geh arbeiten, kauf Dich glücklich und sorg vor; so in etwa. Jedenfalls so machte er's all die Jahre, bis es dann irgendwie mit einmal nicht mehr ging. Und von Zufriedenheit war ja auch nie die Rede gewesen, nie. Ganz im Gegenteil.


Er warf einen Blick in das Café, das ihm neulich eine Kollegin so empfohlen hatte. Es war schön da, gut besucht, attraktive Leute, sympathisch, fröhlich, auch die beiden Bedienungen, wirklich einladend. – Gut, er hat's mal gesehen, aber für ihn war das nix.


Er wurde tatsächlich von der Leitung für seine Zuverlässigkeit und Loyalität gelobt, vorm versammelten Kollegium. In den folgenden Wochen meldete er sich immer mal wieder krank, immer für 3 Tage, wegen Magendarm und so. Eine derartige Unannehmlichkeit wollte er nie wieder erleben.


Früher saß er viel in diesen sogenannten Szene-Cafés, jetzt nur noch in dem Shoppingcenter-Café. Shopping-Leute waren ihm lieber als Szene-Leute, man sah mehr Vielfalt, mehr Ehrlichkeit, weniger Penetranz.

Sonntag, 3. November 2024

 Als Kind wollte er Kontinente erobern und als junger Mann die Herzen der Frauen und die Welt der Finanzen. Jetzt ist er 32 und er will nur einmal einen Tag ohne Ärger erleben, einen Tag, an dem er nicht von einem Kunden blöd angemacht wird, oder sonst wem, einen Tag nur.


Noch konnte er die Sprache nicht, verstand kein Wort von dem, was die Leute hier in der Bahn miteinander redeten. Aber er war sich sicher, es war im Grunde das gleiche Gerede wie das in seiner alten Heimat und somit ganz froh, es nicht zu verstehen.


Was er an diesen Spießbürgern so hasste, war die Erfahrung, dass sie letztlich so oft recht behielten und dass er mehr und mehr selbst einer wurde.


Er kaufte am liebsten nur noch billig. Da wurde er genauso oft getäuscht, über den Tisch gezogen und beschissen wie bei dem teuren Zeug, aber eben auf nur niedrigem Niveau.


Er wartete im Shoppingcenter auf seine Frau, die dort die Boutiquen durchstöberte. Er hatte sich einen Kaffee bestellt und beobachtete die Leute, bemerkte andere Männer, die es auch so machten. Er gehörte jetzt also dazu – und es war okay. Inzwischen war es okay.


Nie hörte man von ihm ein böses Wort, nie. Er war jetzt kein Heiliger oder'n Schöngeist oder so. Und einige warfen ihm auch Harmoniesucht vor, Feigheit sogar. Aber das war's nicht. Irgendwie spielte er, was das anging, einfach in 'ner anderen Liga als wir.

Donnerstag, 31. Oktober 2024

 Bitte hören Sie auf, mir zu raten, das Leben zu genießen. Sie haben keinerlei Ahnung von meinem Leben, also bitte lassen Sie das.


Seine Unzufriedenheit mit seiner gesamten Lebenssituation hatte inzwischen ein Ausmaß angenommen, das es ihm unmöglich machte, diese zu kaschieren. Da konnte er erzählen und behaupten, was er wollte, es stand ihm ins Gesicht geschrieben und das ging auch nicht mehr weg.


Es war ihm bewusst, dass es die negativen Erfahrungen sind, die Ärgernisse, Misserfolge und Enttäuschungen, die einem die Augen öffnen. Dennoch empfand er ihnen gegenüber in keinerlei Hinsicht Dankbarkeit, sein vorherrschendes Empfinden war immer schon die Wut gewesen.


Mit jedem Misserfolg, mit jeder Zurückweisung wurde er misstrauischer und empfindlicher, sah genauer und genauer hin. Und dann sah er es, wusste es fortan: Sie hatten es auf ihn abgesehen. Alle. Alle miteinander. Überall.

Sonntag, 27. Oktober 2024

 Des Nachts wälzte er sich schlaflos und sorgenvoll in seinem Bett hin und her und am Tage saß er dann in diesem furchtbaren Büro und versuchte sich im Träumen.


Das einzige Glück seiner Arbeit bestand für ihn noch darin, sie für den Tag hinter sich gebracht zu haben. Ein Glück für ein paar Minuten vielleicht, Sekunden mitunter, dann hatte ihn schon wieder der andere Trott.


Eine Arbeit zu finden, die ihn nicht schon nach kurzer Zeit mit Widerwillen erfüllte, ihm nicht von Grund auf widerstrebte, ihn abends einschlafen lies und ihn ernährte, das blieb ihm verwehrt. Sein Leben lang musste er sich verbiegen, seine Seele opfern.

Dienstag, 22. Oktober 2024

 In seinen Tagträumen erschlug er seine Feinde. Nahm sich ihre Frauen. Und wilde Orgien feierte er, verprasste das erbeutete Gold, den Schmuck, die Edelsteine. Aber das eher nebensächlich, in erster Linie erschlug er erst mal seine Feinde.


Sicher will man lieber das Positive im Menschen sehen, ist ja auch für einen selber schöner. Aber nicht umsonst hat sich das misstrauische, vorsichtige Modell in der Evolution durchgesetzt.


Die Sinnhaftigkeit der meisten Mühseligkeiten erschloss sich ihm nicht, gerade derer, die darauf abzielten, andere zu beeindrucken. So erwuchs in ihm im Laufe der Jahre eine gewisse Bequemlichkeit. Faulheit sagten einige. Nun gut, von ihm aus auch Faulheit, was soll's.


Als ob es einfach wäre, es sich einfach zu machen. So eine Einfachheit, wenn sie denn funktionieren soll, hat es in sich, die will gelernt sein, die ist alles andere als einfach.

Freitag, 18. Oktober 2024

 Er konnte sich immer auf ihn verlassen, wusste, woran er an ihm war und worauf er sich einließ, und war auch immer bereit, den Preis dafür zu zahlen. Und heute war der Wodka sogar im Angebot: 6,49 Euro.


Der Alkohol nahm ihm die Angst, ließ alles plötzlich so einfach erscheinen und ihn dann diese Entschlossenheit und Zuversicht spüren – verkaufte ihn also für dumm. Er schenkte sich trotzdem noch einen ein, um genau die Täuschung ging's ihm ja.


Er wollte raus aus dem Trott, aus dieser Trostlosigkeit, wusste aber nicht wie, hoffte insgeheim, dass was passierte, was ihn gezwungenermaßen da raus holte. Aber so lief das nicht; wenn was passierte, holte ihn das nie da raus, es machte den Trott jedes Mal nur noch schlimmer.


Als wären ihre Emotionen andressiert und abrufbar, so sprangen sie auf jede Mode an, jeden Trend, machten alles mit, wirklich jeder Albernheit rannten sie hinterher.


So eine richtige Sauflaune, das gab sein Leben nicht mehr her.


Gegenüber anderen war er nachsichtiger und geduldiger als gegenüber sich selbst. Die insgeheim hohe Meinung, die er von sich hatte, war da recht streng mit ihm.


Tatsächlich wurde er als Hund wiedergeboren. Was er dann in diesen 9 Jahren alles für die ihm zugeteilten Menschen tat, machte seine vorherigen 82 Jahre als Mensch wieder mehr als wett.

Dienstag, 15. Oktober 2024

 Er schaute sich keine Shows an, fand sie in ihrer Albernheit unerträglich. Ihm reichte da schon das reale Leben mit all den vermeintlichen Spaßvögeln, den Spinnern und Schwätzern, den Posern, Nervensägen, Langweilern und sonstigen Akteuren; dieses ganze Affentheater.


Sie redeten daher, was ihnen gerade so in den Sinn kam, wie Kinder; und fad war es, das Gerede, gehässig mitunter, und dann fielen sie sich auch noch ständig gegenseitig ins Wort, lachten aber – tatsächlich fühlten sie sich wohl in diesem lärmenden Miteinander.


Die Oberflächlichkeit der Menschen, ihre Vergnügungssucht und Lärmerei: Das regte ihn auf. – So sehr regte ihn das auf, dass er immer mal wieder in aller Öffentlichkeit die Fassung verlor. Seine empfindliche Ernsthaftigkeit machte einen Tölpel aus ihm.

Donnerstag, 10. Oktober 2024

 Ihre warmen Worte steckten sie sich nicht sonst wo hin, sie hefteten sie sich ans Revers.


Trotz seines unbestrittenen Erfolgs, seines hohen Ansehens und all seiner Privilegien neigte er immer noch zu kleingeistiger Gehässigkeit, er hatte es nicht wirklich geschafft.


Zu oft wurden seine Illusionen und Hoffnungen zerstört, zu oft hat er sich mies gefühlt, jetzt lässt er alles nur noch auf sich zukommen, wartet ab, betrachtet die Dinge erst mal dahingehend, dass sie ihn möglichst amüsieren, ihn womöglich sogar zum Lachen bringen.


Die wenigen Male, die er sich bei der Arbeit zu einer ehrlichen Äußerung bzgl. der Arbeit hatte hinreißen lassen, genügten, um ihn endgültig eines Besseren zu belehren.


Vor allem, wenn er was getrunken hatte, juckte es ihm in den Fäusten. Dann suchte er sich einen, der was an sich hatte, was ihm nicht passte. Und irgendeinen fand er immer. Im Grunde war das sein Hobby, sein Ausgleich.

Donnerstag, 3. Oktober 2024

 Obwohl er die Zuverlässigkeit in Person war und es nichts gab, rein gar nichts – in all den Jahren nicht –, was man ihm hätte vorwerfen können, wurde er von seinen Vorgesetzten beargwöhnt. Er registrierte das mit Genugtuung, es gab ihm ein Stück weit seine Würde zurück.


Die Freundlichkeit verlogen, die stetige Heiterkeit aufgesetzt und auch sonst macht er einen guten Job. Passt super ins Team. Ja, der geht seinen Weg, da sind sie sich alle einig.


Auch wenn ich den anderen vielleicht lieber zuhör', verlassen tu' ich mich eher auf die Phantasielosen.


Als sei man dazu verdammt, tagein tagaus zwischen lauter 14jährigen auf dem Jahrmarkt im Autoscooter im Kreis herumzufahren und sich in einem fort anrempeln zu lassen.


Wurde er wütend, dann lud diese ungestüme Energie in ihm einfach nur seinen Körper und seinen Lebenswillen mal wieder etwas auf; eine biologische Notwendigkeit, unangenehm, aber ja nur von kurzer Dauer und durchaus händelbar.


Beim Trinken phantasierte er sich ein aufregend schönes Leben herbei, dann war es zum Greifen nah, er sah es klar vor sich und er wusste genau, was er zu tun hatte, es war so simpel, gleich morgen konnte's losgehen.


Seine Eltern haben ihn als Kind nach Strich und Faden verwöhnt, so erklärt er sich und anderen seit jeher sein Scheitern als Erwachsener. Es ist eine plausible Erklärung und sie tut ihm gut, jedes Mal aufs Neue.

Sonntag, 29. September 2024

 Bevor ich in Rente geh', trainiere ich mich schon mal in Untätigkeit, damit ich's dann gleich von Anfang an so richtig drauf hab'.


Wenn ich Rentner bin, schau' ich dem Rasen beim Wachsen zu und währenddessen trink ich'n Bier. Und dann geh' ich rein und hol' mir noch'n Bier.


Wenn ich Rentner bin und dann erst so richtig sehe, wie bescheuert doch die ganze Arbeiterei war, bin ich wieder mal hinterher schlauer.


Wenn ich Rentner bin, schreibe ich Leserbriefe an die Lokalzeitung, ohne die Zeitung überhaupt je zu lesen.


Wenn ich Rentner bin, lasse ich mich beim Unterhosenkauf von einer Fachverkäuferin beraten. Oder einem Fachverkäufer.


Wenn ich Rentner bin, gehe ich spazieren und bleibe jedes Mal stehen, wenn da was ist, über das ich den Kopf schütteln kann.


Wenn ich Rentner bin und ich habe gerade nichts zu tun, dann stelle ich mir vor, ich müsste gerade was tun.


Wenn ich Rentner bin, gehe ich viel auf den Friedhof und schau mich schon mal um.

Mittwoch, 25. September 2024

 Der Körper verschlissen, der Geist müde und gereizt und vergiftet: So ging er in Rente, so gestaltete er seinen Lebensabend.


Im Büro trug er ausschließlich graue Anzüge und hellblaue Hemden, vom ersten Tag an. Seine Häftlingskleidung witzelte er und meinte das vollkommen ernst.


Manchmal malte er sich aus, wie's wär, für 'nen Betrüger zu arbeiten und mit 'ner billigen Masche irgendwelche Idioten abzuziehen. Im Grunde wär's ja wie jetzt auch, nur eben illegal und um so einiges cooler.


Ihm erschien das Leben trostlos und die Menschheit affig. Mit der Trostlosigkeit hatte er sich arrangiert.


Vieles war ihm sogleich vertraut, auch hier hörte man etwa die übliche professionelle Schönrederei vom Führungspersonal und auch das Hauen und Stechen und Lästern im Kollegium entsprach soweit den üblichen Mustern.


Seit zwei Tagen zieht sie auf Arbeit jetzt ein Gesicht und gibt sich wortkarg. Schon als Kind in der Schule hatte sie das immer mal wieder gemacht. In der Regel hält sie drei, manchmal auch vier Tage durch.


Die Scheiße da hinnehmen, wie sie nun mal ist, einfach die Stunden abreißen und sich dann daheim 'n Bier aufmachen. Und dann noch eins und dann am nächsten Tag halt wieder da hin, fertig. – Und trotzdem isses zum Irrewerden, früher oder später – und so wird's auch kommen.

Freitag, 20. September 2024

 Die Anziehsachen in seinem Kleiderschrank, die er sich mal für potentiell besondere Anlässe gekauft hatte, verhöhnten ihn. Höchstwahrscheinlich passten sie ihm nicht einmal mehr.


Erstmal eine rauchen, dachte er sich und dann rauchte er erstmal eine. So einer war er; dieser Typ Mensch, der immer seltener wird.


In aller Regel sind Menschen nicht hintergründig, ihre Absichten springen einem doch geradezu ins Gesicht, nicht mal Zeit zum Wegducken hat man.


Wir damals hatten noch keine Handys und so'n Zeug, aber wir haben uns coole Spitznamen gegeben: "4-Finger-Joe", "Lüftchen" oder "Panne". Und wir hatten Mokicks oder 80er. Und Dorfdiskos, wo wir hin sind, um uns davor zu betrinken.


so stumpfsinnig wie laut, rücksichtslos, niemals auch nur auf die Idee kommend, dass man anderen eventuell gerade auf die Nerven gehen könnte, Kind geblieben


Er hielt sich zurück, denn er war den anderen voraus. Hielte er sich nicht zurück, bekäme er von den anderen aufs Maul, so lief das nun mal.


Am Sonntagmorgen, so gegen acht, halb neun, wenn die letzten grölenden Partygänger endlich weg waren, wurde es ruhig und friedlich und dann ging er raus. Manchmal fand er dann Geld auf dem Bürgersteig von diesen Leuten, das war nur gerecht.

Dienstag, 17. September 2024

 Er war jetzt 71 und er hockte viel vorm Fernseher, hatte eine schmale Rente, trank. Seine Frau war vor 3 Jahren gestorben, vor Kummer hieß es, wegen ihm. Er dachte kaum noch an sie, er hatte verdammt nochmal jetzt einen anderen Scheiß um die Ohren.


Um 5:15 Uhr steht er auf, macht sich fertig, fährt zur Arbeit. Und freitags um 16:00 Uhr wacht er auf, so halbwegs, für die dann etwas angenehmeren Routinen.


Die Morgensonne tauchte das Haus gegenüber in ein goldenes Licht. Und ruhig war es draußen und frisch. Aber er musste jetzt los zur Arbeit, das ruinierte alles.


Sie logen sich gegenseitig die Hucke voll, machten sich selbst was vor, aber so funktionierte es. Nur so funktionierte es.


Er war kein Überflieger, auch in keinster Weise originell, aber er war ehrgeizig, eitel, geltungssüchtig. Und so fuhr er erst seine Arbeit an die Wand und dann sich selbst. Er war ein Idiot.


Privat wie auf Arbeit: als stünde er nur noch neben sich. Und tatsächlich hatte er sich längst innerlich abgewandt, es nur noch nicht in aller Konsequenz realisiert.


Bewerben sollte und musste er sich, um einen Job, um eine Wohnung, um eine Mitgliedschaft, um ein Praktikum – um eine Frau. Er hatte die Schnauze voll vom Bewerben, nie lief's anders rum, immer war er der Bittsteller, von Anfang an. Genau wie schon sein Vater.

Sonntag, 15. September 2024

 Sie war Fleischereifachverkäuferin, ihr Leben lang. Sie hatte sich das nicht ausgesucht, nicht aussuchen dürfen. So war das damals in einem Familienbetrieb. Sie blieb ledig und schaute schließlich zurück auf ein Leben als Fleischereifachverkäuferin.


Zum Thema Liebe äußerte er sich nicht. Genau wie er sich auch nicht zum Thema Astrophysik äußerte oder zu sonst 'nem Thema, wo er schlichtweg keine Ahnung von hatte. Allein schon das Wort Liebe auszusprechen widerstrebte ihm, damit fing's doch schon an.


Na, immerhin war das Schreiben ein kostenloser Zeitvertreib und bisweilen auch mal eine ganz brauchbare Selbstverteidigung.


Vielleicht weiß er ja im nächsten Leben, was er eigentlich will. In diesem jedenfalls wird das nix mehr, auch die restlichen Jahre wird er machen, was man halt so macht und dann geht's dem Ende zu und das war's dann gewesen.


Das Fleisch schlaff, die Knochen brüchig, ständig hockt er beim Arzt. Seit kurzem braucht er Seniorenwindeln. In seiner Jugend, da gab es so ein Lied, er weiß nicht mehr welches, aber "I hope I die before I get old" hieß es da, das weiß er noch, das fällt ihm jetzt ständig ein.


Heute muss ich nach der Arbeit noch in den Supermarkt, und so gehen die Tage dahin, die Wochen, Monate, Jahre.


Sein Wohlstand beruhte auf dem Leid anderer Menschen, aber damit kam er klar. Himmel, Hölle, Karma, ausgleichende Gerechtigkeit: alles nur Wunschdenken von Verlierern, Bullshit, wegen so was machte er sich nicht ins Hemd. Allein um den Wohlstand selbst war er besorgt, ständig.

Donnerstag, 12. September 2024

 An den Wochenenden zog es ihn dann in die Bahnhofsgegend, zu diesen Menschen dort, die sich so völlig anders verhielten als er, so völlig anders lebten. Um nichts in der Welt wollte er mit ihnen tauschen und dennoch empfand er diesen verstörenden Neid.


Mit naiven und vor allem eitlen Vorstellungen machte er sich ans Werk und genau das kam dann auch bei raus.


Ganz klar, reich will er werden – und berühmt, aber erstmal reich, mit Krypto und so, und dann auf jeden Fall berühmt, weils ja sonst öde wär, einfach nur reich so ganz ohne Fame.


Er war empört, fassungslos, aufgebracht, er ging damit jetzt direkt an die Zeitung. Da kannten sie ihn schon und ließen ihn einfach reden; bereits seine Leserbriefe sorgten in der Redaktion immer wieder für ausgelassene Heiterkeit und waren eine willkommene Abwechslung.


Die Menschen, so kommt es einem vor, regen sich doch nur zu gern auf. Manche regen sich sogar darüber auf, dass andere sich aufregen. Gut, man muss da ja nicht mitmachen. So eine Aufregung, das ist doch eine persönliche Angelegenheit, die ist ja nun jedem selbst überlassen.


Letztens hatte er sich während der Woche mal einen angesoffen, so wie sonst am Wochenende, aber irgendwie war das nix, so vom Gefühl her. Er brauchte das Wochenende, das Gefühl, sich was verdient zu haben, das war so in ihm drin, wie eingeimpft war das in ihm drin.


Allzu oft hat er es erlebt: Die Menschen lügen, sobald sie den Mund aufmachen. Auch die sympathischen, gerade die sympathischen.

Montag, 9. September 2024

 Dass er eine ehrliche Haut war und obendrein ein durch und durch gutmütiger, freundlicher Mensch, nahmen sie zweifelsohne zur Kenntnis, zählte aber nicht wirklich; seine Langsamkeit nervte und verärgerte sie.


Aber immerhin gab es ja die angenehmen und die unangenehmen Routinen, also gab es doch noch Abwechslung in seinem Leben.


Ruhig bleiben, freundlich bleiben, gefasst auf Provokationen reagieren: Das war die eigentliche Herausforderung. Lernte und gelang ihm das, zog er aus dieser furchtbaren Arbeit zumindest einen persönlichen Nutzen.


Bei der Arbeit wurde er Tag für Tag 8 Stunden oder länger rumgehetzt und in seiner Freizeit stand er dann als Ausgleich immer wieder gern irgendwo entspannt und geduldig in irgendeiner ellenlangen Schlange.


Schlichtheit schwebte ihm vor. Holz hacken, dann stolz den Brennholzstapel anschauen und sich erschöpft aber selig ein Bier aufmachen, so was in der Art.


Es erschien ihm reichlich lachhaft, dennoch ließ er sich drauf ein, irgendwann würde es ja wohl aufhören und alles wieder anders werden. Aber nichts wurde anders und es hörte auch nicht auf, es wurde nach und nach sein Leben.


Etwas nachzuplappern widerstrebte ihm zutiefst. Passierte es ihm trotzdem, schämte er sich bereits währenddessen.

Samstag, 7. September 2024

 Er jedenfalls fühlte sich sauwohl in seiner Haut, schmatzte und stöhnte beim Essen, schlürfte am Wein und lachte über die missmutigen Gesichter überall; keine Ahnung, was die immer alle hatten.


Er solle die Menschen mit Vorsicht genießen, hatten seine Eltern ihm immer geraten. Die Vorsicht konnte er seinen Erfahrungen nach nur unterstreichen, das Genießen erschien ihm allerdings recht abwegig.


Immer musste er Recht haben, allein dafür war er immer gut informiert und immer auf dem Laufenden. Für ihn gab es nichts Geileres, als Recht zu behalten und es den anderen dann unter die Nase zu reiben, das war das Größte, er war dann der Größte.


Wegen jedem Fliegenschiss, wegen jedem Furz drohte er mit einem Anwalt oder einer Petition. Er war ein Mann, der sich auskannte und vor dem man sich besser in Acht nahm, ein einsamer Wolf, eine große Nummer.


An ihm war alles laut: seine Stimme, seine Lache, seine Witze, sein Benehmen ... In ihm war's eher still; wenig los da, definitiv tote Hose.


Überzogen freundlich suchte er nach Gemeinsamkeiten, versuchte es mit dem Wetter, dem herrlichen Sonnenschein und den herrlich angenehmen Temperaturen, aber auch da widersprach ich ihm.


Bier gibt mir ein gutes Gefühl.

Mittwoch, 4. September 2024

 Montagmorgen und er kommt kaum aus dem Bett, die ganze Arbeitswoche, dieser ganze mühselige Dreck hat sich über Nacht wieder vor ihm ausgerollt. Und dann kommt wieder das Wochenende, der Alkohol und die Einsamkeit, und dann ist wieder Montagmorgen.


Alle, wirklich alle seine Tagträume liefen darauf hinaus, dass er bewundert werden wollte, dass er irgendwo eine große Nummer war. Mit Ende 40 wurde ihm dann endlich klar, wie erbärmlich das ist, aber da hatte er im Grunde nur noch diese Träume und klammerte sich weiter daran.


Alle paar Jahre definierte, erfand er sich neu; mit einer neuen Frisur, einem neuen Outfit, einer neuen Sprechblase.


Der Zeitgeist mag sich ändern, die Spießigkeit passt sich an und bleibt.


Wenn er schon arbeiten musste, dann am liebsten allein vor sich hin. Gruppenarbeit hatte er schon in der Schule gehasst und dabei war er nicht mal der Streber gewesen, der da immer der Gearschte war.


"Sicherlich wissen Sie ja ...": Wenn einer oder eine das Gespräch so eröffnet, ist er oder sie höchstwahrscheinlich ein Arsch.


Rente war das falsche Wort, reichte die doch nicht mal für den Lebensunterhalt. Ruhestand war das falsche Wort, ruhig rumstehen, wie absurd! Restleben, das war das richtige Wort. Für das, was ihn da erwartete, war Restleben das richtige Wort.

Montag, 2. September 2024

 Knauserig ist er, durch und durch knauserig. Sie ebenso. An dieser Gemeinsamkeit haben sie sich damals auch erkannt und so führen sie seitdem ein Leben als Mann und Frau in harmonischer Knauserigkeit.


Im Suff fanden sie ein paar Mal zusammen. Zunächst in der Schänke bei ihm um die Ecke und dann in seiner Wohnung, einmal auch das ganze Wochenende. Nüchtern funktionierte es nicht, nüchtern waren sie desinteressiert, nicht nur einander, schlicht generell.


Nun, was wusste er schon von der Liebe zwischen Mann und Frau, was konnte er denn wissen, hat doch keine Frau ihm je eine Chance gegeben, allenfalls mal bemitleidet haben sie ihn, aufrichtig bemitleidet.


"GIB'S MIR, ZEIG'S MIR, MACH'S MIR!" – Wie auf Arbeit oder was? Nee, so hatte er sich das nicht vorgestellt.

Freitag, 30. August 2024

 Er ist von ihr verarscht worden, verarscht und geprellt, und jetzt versteht er plötzlich diese Typen, die ihr Auto mehr lieben als ihre Frau – oder ihren Hund mehr lieben oder ihre DVD-Sammlung, ihren Fernseher, ihren Rasenmäher, ihr Feuerzeug.


Auch bei dem illegalen Zeug wollte er nie die Aufputschmittel, immer nur das andere. Er hatte nun mal nichts, für das er sich hätte aufputschen wollen, er hatte ja nichts vor, er hatte nie was vor.


Und nach einigen Bieren tischte der Typ uns dann wilde Lügengeschichten von sich auf, Räuberpistolen, aber sie waren unterhaltsam, sogar witzig und an keiner Stelle prahlerisch. Im Grunde waren es keine Lügen, es waren Geschichten.


In dem Bekanntenkreis damals wollten sie alle irgendwie Künstler werden. Nur einer hat es geschafft, dass er gerade so von der Kunst leben kann und der hat nun mehr Druck und Stress und muss sich mehr verbiegen als alle anderen. Er lebt von der Kunst, nicht unbedingt von seiner.


Mit dem Kauf hat er sich einen lang gehegten Traum erfüllt und ihn somit ad acta gelegt. Er überlegt sich nun einen neuen Traum, der käuflich ist.


Geld, Prestige, Zugehörigkeit: Irgendwie hatten ihn diese Dinge nie interessiert. Geld vielleicht schon, aber das war ja in der Regel an unerfreuliche Bedingungen geknüpft.


Er war den Abend betrunken und nuschelte jedem ins Ohr: "ey, ich bin ein hässlicher SCHNAPS-SCHUSS" und kicherte wirr. Er kannte da keinen, war da irgendwie reingeraten, irgendeine Privatparty, irgendwo in Berlin, ist schon lange her, aber genau so hat es sich zugetragen.

Dienstag, 27. August 2024

 Er geht arbeiten, hasst seinen Job, lebt allein. Etwas, das dem Geldverdienen – abgesehen vom reinen Lebensunterhalt – wirklich einen Sinn verleihen würde, hat er nicht. Er denkt da lieber nicht drüber nach und geht weiter arbeiten.


Leute kommen rein, stören sich an irgendeinem Furz und wollen "hier mal den Chef sprechen" – quasi von Chef zu Chef.


Sie streiten sich laut in der Öffentlichkeit und auch sonst sind sie unangenehm.


Er war mehr als nur nett und zuvorkommend, er war beherrscht von einer unterwürfigen Gefallsucht und wurde seines Lebens nicht froh.


Wenn das so weitergeht mit dem Internet, wird er's über kurz oder lang nur noch für die Wettervorhersage einschalten. So wie früher das Fernsehen.


Er fantasierte mal wieder vom Lotto-Jackpot, von Sonne und Ruhe, von einer lächelnden Schönheit, die ihm den Nacken krault, von Salz in der Luft und warmen Sand, in den er seine Füße steckt. Dabei spielte er gar kein Lotto. Und diese Träumerei war so oder so für'n Arsch.


Auf Schwätzer triffst du überall, an jeder Straßenecke triffst du auf 'nen Schwätzer, wenn hier irgendwo kein Mangel herrscht, dann an Schwätzern.

Samstag, 24. August 2024

 Als äußerst erfolgreicher, millionenschwerer Künstler hatte er gut reden von Nonkonformität und Unabhängigkeit – und das tat er auch ausgesprochen gern.


Kann ja sein, dass sich all die Dinge auch mal wieder zum Besseren wenden, kann aber auch nicht sein. Da er mit all den Dingen sowieso nichts mehr am Hut hat, isses ihm schnurz.


Ihr Lachen war Verlegenheit, seine Späße auswendig gelernt.


Ab und an spielte er mit dem Gedanken, mal wieder eine wilde, verrückte Kneipentour zu machen – so wie früher. Er hatte auch noch andere, noch abwegigere Gedankenspiele in petto, das vom Lotto-Jackpot etwa, oder das von seiner Traumfrau, das war besonders abenteuerlich.


Er war ratlos unglücklich – hatte er doch alles, was er sich immer gewünscht hatte –, so dass er nicht müde wurde, anderen und sich selbst zu versichern, dass es ihm bestens ging.


Bei Erwachsenen, die die Rechtschreibung und Grammatik nicht so recht beherrschen, sehe ich mich selbst, wie ich die Physik, Mathematik oder Chemie nicht beherrsche, weil ich sie nach der Schule nicht mehr in dem Maße oder sogar überhaupt nicht mehr gebraucht habe.


Die ertappten Säufer mussten dann mit 'nem Mofa zur Arbeit und waren dann die Lachnummer im Dorf.

Mittwoch, 21. August 2024

 Er hatte immer die gleiche Stelle innegehabt und in knapp 2 Jahren ging er nun in Rente. Auch aus der damals zu seinem Berufseintritt angemieteten 1½-Zimmerwohnung war er nie herausgekommen. Hat nicht sollen sein, sagte er immer, hat nicht sollen sein.


Er war allein, kam nicht mehr klar, schrieb seitenlange, konfuse Briefe an Behörden, seine Krankenversicherung und den Bürgermeister, wo sie die Briefe wohl gleich entsorgten, wenn sie nur den Absender lasen. Auch die Tochter ließ nichts von sich hören, sie wohnte weit weg.


Mit leerem Gesicht und monotoner Stimme redet er jetzt seit ca. einer halben Stunde völlig belangloses, fades Zeug daher. Stünde er auf einer Kabarettbühne, wär's saukomisch.


Und wieder ein neuer Arbeitstag und danach muss er noch zum Supermarkt und das war's dann wieder mal gewesen – auch überhaupt, so im großen Ganzen gesehen.


Er redet ganz gern mal dummes Zeug daher, was ihm halt gerade so durch den Kopf geht, das befreit irgendwie, am liebsten auf Arbeit bei so 'nem bestimmten Kollegen, der immer höflich bleibt.

Sonntag, 18. August 2024

 Das hat er sowieso nie kapiert, was mit den Menschen eigentlich nicht stimmt, warum sie überall so'n Theater veranstalten müssen, so 'nen Terz machen um Nichtigkeiten. Er hat mal ein paar echt kluge Leute gefragt und die wussten's auch nicht.


Und dann fiel ihm die Realität vor die Füße, und zwar genau so, wie sie es ihm immer vorhergesagt hatten, und dafür hasste er diese Klugscheißer nun um so mehr.


Gewählte Worte, eitle Spitzfindigkeiten, höfliches Zuhören. Und alle hielten sich beim Alkohol zurück. Er ging in die Küche, vielleicht tranken die Cateringleute ja ein Bier mit ihm.


Dass sich hinter einem sympathischen Lächeln eine eiskalte Person und hinter einem mürrischen Blick eine lediglich schüchterne Freundlichkeit verbirgt, habe ich schon öfters erlebt. Dass Menschen im Alter das Gesicht bekommen, das sie verdienen, sehe ich so nicht.


Er war nur noch empört, sichtlich empört, schon morgens auf dem Weg zur Arbeit fing das an. – Nein, soziale oder politische Missstände interessierten ihn nicht. Seine persönliche Situation empörte ihn, sein Alltag, das, was er sich Tag für Tag selbst zumutute.


Ich nehm's mir ja vor, immer wieder nehm' ich's mir doch vor, ganz entschieden sogar, aber da drinnen in mir drin, wissen'S, da sind dann da immer so labile Kräfte am Werk.


"... all night long!" – Tja, nunmehr höchstens noch hinsichtlich Harndrang und Schlafstörungen.

Mittwoch, 14. August 2024

 Er hatte gelernt, gearbeitet, gebüffelt, geheult, hatte im Grunde seine Jugend geopfert, hatte wirklich alles gegeben, um Arzt zu werden. Jetzt war er es, seit 8 Jahren in einer gutgehenden Gemeinschaftspraxis in einem Mittelzentrum, und er hasste es.


Sie machen sich manipulative Komplimente und auch sonst lügen sie sich da gegenseitig die Hucke voll; fällt irgendwo unter Wertschätzung und Teamfähigkeit, gewichtige Aspekte ihrer Unternehmenskultur.


Alles, was ihm durch den Kopf ging, war ausnahmslos von großer Wichtigkeit und entsprechend laut und leidenschaftlich artikulierte er es, fuchtelte dabei mit den Armen umher und starrte den Leuten ins Gesicht. Wichtig, es war wichtig!


Die Welt draußen war am Durchdrehen. Wäre er jünger, würde er vielleicht an der einen oder anderen Stelle mitmischen, aber so ...  Er holte sich noch ein Bier, setzte sich wieder hin und wartete ab; auf was auch immer.


Er wurde nie aggressiv, nicht mal ansatzweise ausfallend, im Gegenteil, je mehr Bier er getrunken hatte, desto stiller und sanftmütiger wurde er. Aber nichtsdestotrotz stank er dann aus dem Mund. Und dass er sich einfach so in sich zurückzog, verzieh sie ihm erst recht nicht.


Er fand sie immer schon interessant, die Wirrköpfe und Exzentriker, mochte sie irgendwie. Es sei denn, sie wurden aufdringlich. Wobei Aufdringlichkeit ja ohnehin immer alles kaputt macht.


Ich hab' genug Bier im Kühlschrank. Und meine Ruhe. – Unbezahlbar.

Sonntag, 11. August 2024

 Er besuchte jede Menge Rockkonzerte, erhoffte sich jedes Mal sexuelle Abenteuer. Aber am nächsten Tag wachte er immer nur mit einem üblen Kater auf und sonst nichts. Hin und wieder noch mit einem neuen Bandshirt. So lief das nun mal im Rockbusiness.


Je mehr sie ihn zu Einklang und Toleranz erzogen, ihn ermahnten und drängten, desto bockiger wurde er. Und jetzt als Erwachsener sind sie tatsächlich wieder an ihm dran und wieder überkommt ihn diese längst überwunden geglaubte Bockigkeit.


Er regelte seine Angelegenheiten pragmatisch und rational, eine Ideologie kam ihm nicht ins Haus. Kam ihm einer an mit so einer Ideologie, dann sollte der besser sehen, dass er schnell Land gewinnt.


Das Wort "Bierchen" mochte er nicht hören. "Ein Bierchen trinken", wie scheiße das schon klang! Er trank gerne Bier, es tat ihm gut. Es bedeutete ihm was. Die Leute sollten mal mehr auf die Sprache achten und nicht so leichtfertig so eine Scheiße daherreden!


Noch mit Mitte 20 hielt er sich für unverwüstlich, im Grunde für unsterblich, und die Welt stand ihm offen, sie wartete nur auf ihn. Was war das doch für ein Glück, für eine Gnade, für so lange Zeit in diesem Irrsinn gelebt haben zu dürfen.

 

Immer verglich sie sich mit denen, die bessergestellt waren, oder gesünder oder glücklicher. Immer wollte sie das besitzen, was andere besaßen. Das war es, was sie beschäftigte, was sie sah.


Als sie alt und krank wurde und es für sie allmählich dem Ende zuging, verspürte sie Bitterkeit und Verzweiflung. Ihr Sohn sagte dann zu ihr, sie habe es versäumt, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten.

Mittwoch, 7. August 2024

 Die Vorstellung, sich in seinem Alter noch einmal wo bewerben zu müssen, in einem Bewerbungsschreiben und, noch schlimmer, in einem Bewerbungsgespräch so tun zu müssen, als läge einem was an dieser Arbeit und an diesem Betrieb, fand er gruslig und zugleich zum Schreien komisch.


Sie redete gern und viel über ihre Befindlichkeit, am liebsten aber über ihre Krankheiten. Schon so, als würden die sie irgendwie auszeichnen, auch weil sie immer alles ganz genau drüber wusste, über die jeweilige Krankheit.


Er sagte nur noch "behutsam" oder "sorgsam". "Achtsam" kam ihm nicht mehr über die Lippen; völlig überladen und unbrauchbar geworden das Wort, ein für alle Mal verunstaltet.


Das so ziemlich lächerlichste Argument erwies sich schlussendlich auch noch als das entscheidende. Nun gut, schon die ganze Diskussion, die ganze Angelegenheit an sich erschien ihm ohnehin aus der Luft gegriffen und von bemerkenswerter Lächerlichkeit.


Er war am Arsch. All die Jahre schon, aber ohne dass er's auch nur geahnt hätte. Und schön war das nicht, wenn man's plötzlich kapiert, dass man ja im Grunde schon all die Jahre am Arsch gewesen war und das tatsächlich nur nie gesehen hatte, nie wahrhaben wollte.

Freitag, 2. August 2024

 Er hörte es wohl, das Gerede und das Geschwätz, verstand es auch, nur allzu gut verstand er es und so mimte er weiter den Schwerhörigen. Den grinsenden Begriffsstutzigen, gegenüber dem sie nachsichtig waren und über den sie sich amüsierten.


Wenn's was gab, was er nie wieder machen wollte, dann, sich mit Leuten rumärgern müssen, weder beruflich noch privat, nirgendwo. Und die Badewanne schrubben, das war auch so was.


Sie rieten ihm, alles, was ihn zum Trinken animiere, zu vermeiden. Wie stellten die sich das vor? Er musste zur Arbeit, musste Besorgungen machen, durch die Stadt, zum Arzt, zum Amt, einkaufen, auch mal aus'm Fenster gucken oder in den Spiegel ... Die waren gut.


Auch wenn sie einfach nur unhöflich und beleidigend wurde, glaubte sie, ihr Auftreten sei von geradezu filmreifer Raffinesse.


Nicht an dem "Das-gönn'-mir-jetzt-mal-Scheiß", sondern erst an dem "Scheiße,-das-muss-ich-jetzt-löhnen!-Scheiß" spürst du, wie teuer der ganze Scheiß inzwischen überall ist.

Samstag, 20. Juli 2024

 Er machte sich keine Illusionen mehr. Dass solch alberne, kleine Hoffnungen aber immer mal wieder in ihm hochkamen, ließ sich wohl nicht verhindern.


Auf der Stadttheaterbühne gestern Abend wieder das bemüht Bedeutungsvolle, wieder vor dem üblichen, rausgeputzten Publikum: Bonbons lutschend, Blähungen unterdrückend und froh, als es endlich rum war.


Die Leute kamen nicht mehr miteinander aus, lebten allein, bepöbelten sich im Netz. Merkwürdige, schlimme Zeiten waren das. Aber wahrscheinlich war's zu allen Zeiten schon immer irgendwo merkwürdig und schlimm mit den Leuten.


Nein nein, ihm geht's gut. Arbeit, Familie, Gesundheit: alles gut. Der ganze Unmut und die Stänkerei, das ist mehr so sein Hobby.


Er fragte sich, was er machen würde, wenn er wüsste, dass er nur noch 3 Jahre zu leben hat. Außer, dass er auf keinen Fall mehr zur Arbeit gehen würde, fiel ihm groß nichts ein. Aber nicht mehr zur Arbeit zu gehen, das wär' schon was. Wie bei 'nem 6er im Lotto wär' das.


Je wichtiger sie sich aufführen, je mehr sie sich aufplustern, umso weniger nimmt man sie für voll. Das wäre schön.


Geduckt schlich er durchs Leben, schwankend zwischen großer Angst und kleinen Hoffnungen.

Dienstag, 16. Juli 2024

 Er hatte sich ja noch nie wirklich für seinen Beruf interessiert, aber jetzt mit den ganzen Neuausrichtungen, den Umstrukturierungen und den völlig neuen Aufgaben konnten sie ihm endgültig mal am Arsch lecken.


Er war jetzt Ende 50, kam da nicht mehr raus und er war es leid, hatte es satt, spürte bei allem, was er da zu tun hatte, nur noch diesen Widerwillen. Man sah es ihm an und so eine junge Kollegin riet ihm gestern, er solle versuchen, einfach mehr Freude in sein Herz zu lassen.


Da soff er sich dann wieder einen an, spülte sich die Bedenken aus dem Hirn und spürte wieder diesen Mut und diese Entschlossenheit. Wurde wieder der 20jährige Idiot, der ihm schon mal das Leben ruiniert hatte.

Donnerstag, 11. Juli 2024

 Immer vorne weg, immer in der ersten Reihe und immer mit dem breitesten Grinsen im Gesicht: Was auch immer ihn dazu antrieb, was auch immer er sich davon versprach, groß was bewegt in seinem Leben hatte es nicht.


Er redete oft schlecht über andere, weil er oft schlecht über andere dachte. Immerhin wusste man bei ihm, woran man war. Viel übler waren doch diese Schönredner und Schmeichler, diese falschen Fuffziger, die alles mit sich in den Dreck zogen.


Das erste Bier ist immer das schnellste, das zweite schon'n bisschen behäbiger – und dann geht das so über in den Flow.


Einmal hatte er auch 'ne Wohnung mit 'nem Balkon. Erst hat er ihn genutzt, vielleicht 3 oder 4 Mal, dann nicht mehr. Vögel haben dann da immer draufgeschissen, Stadttauben. – Ja, so war das. Und das erzählte er immer, wenn's irgendwie um Wohnungen und Balkone ging.


Die erregte Schwatzhaftigkeit dieser Leute raubte ihm den letzten Nerv. Wie sie in einem fort all diese Wörter hinausposaunten, völlig achtlos und unbekümmert, und wie sie sich dabei auch noch zu amüsieren schienen, das war doch unfassbar, für ihn war das unfassbar.


Das, was ihn dann abstürzen ließ, ihm mental wie sozial das Genick brach, war irgendwie immer schon in ihm drin gewesen. All die Jahre ging's gut, Familie, Beruf, alles. Aber es war einfach in ihm drin, saß ihm quasi schon die ganze Zeit im Genick, von Anfang an.


Er hielt seine Meinungen für bedeutsam, er hielt sich für bedeutsam. Und er wurde auch nicht müde, das seinen Mitmenschen bei jeder Gelegenheit mit auf dem Weg zu geben; auch noch im hohen Alter, wo er die rollenden Augen seines Gegenübers umso mehr nicht mehr mitbekam.

Samstag, 6. Juli 2024

 Er wusste nie so recht, was er mal machen wollte, geschweige denn werden wollte. Er hatte immer nur klar vor Augen, was er nicht machen wollte und vor allem nie werden wollte. Als 78jähriger im Seniorenheim erging es ihm immer noch so, und zwar schlimmer als je zuvor.


Zufall und Gleichgültigkeit, das wurde mehr und mehr so sein Gesamteindruck und zum Ende hin dann auch sein Resümee. Von irgendeinem göttlichen Wesen jedenfalls, das ein wohlmeinendes Auge auf alles hat, hatte er persönlich nie was mitbekommen, beim besten Willen nicht.


Angst machte ihm das Alleinsein, nicht die Einsamkeit, die hatte er längst akzeptiert. Ganz konkret das Alleinsein. Keinen Beistand zu haben. Keine Hilfe, wenn's drauf ankam. Ein scheiß Gefühl war das.


Nie konnte er mit seinen Eltern über wirklich Persönliches reden, sie wollten es nicht hören. Vielleicht wollten sie es wissen, aber hören wollten sie es nicht.


32 Jahre machte er das schon und nun wollte er nicht mehr. Zum Arzt wollte er, sich arbeitsunwillig schreiben lassen – ein für alle Mal arbeitsunwillig.

Mittwoch, 3. Juli 2024

 Alles für die Familie, sagte er immer. Dabei würde er inzwischen viel lieber als Single leben, seinen finanziellen Erfolg allein ausschöpfen. Ihn wurmte seine Verlogenheit, aber er brauchte sie, sie war der Generalschlüssel zu seinem Erfolg, seinem Ansehen.


Er war gut, seine beifallheischenden Plattitüden wurden gefeiert. Darauf ließ sich aufbauen.


Rumgebrüllt hat er ja immer schon gern und jetzt arbeitet er als Gerüstbauer. Hier bei mir da am Haus gegenüber.


Mit Ende 20 hatte er bereits alles unter Dach und Fach: Beruf, Frau, Nachwuchs, Eigenheim mit Garten. An den Sonntagen saß er jetzt immer häufiger allein in der Küche und starrte vor sich hin.

Freitag, 28. Juni 2024

 Noch als Erwachsener hatte er Abenteuer im Sinn, Stückwerk aus den Actionfilmen, die er so mochte: Sportwagen, verhängnisvolle Frauen, Schlägereien, trockene Sprüche – er war da ganz zuversichtlich, was sein Leben betraf.


Es war ihm schon früh ein Ungemach gewesen mit den Leuten. Trunkenbolde waren sie, laut und hemmungslos, oder aber bieder kamen sie daher, kalt und boshaft. Da finde mal einer seinen Platz! Ihn zog es dann zu den Trunkenbolden, zu den stillen und gefassten aber.


     ... mit ihren erhobenen Zeigefingern, die sie sich heimlich sonst wo reinsteckten und dann erregt dran rochen, und diesen Mündern, die ...


Früher war er wie die anderen auch wegen der Mehrarbeit empört, inzwischen aber sympathisierte er heimlich mit den ewigen Krankmachern, schadeten sie doch dem eigentlichen Feind. Hätte er doch nur mehr Mumm, zu gern würde er es ihnen gleichtun.


Vielen Leuten, selbst denen, die nicht allein lebten, sah er die Einsamkeit recht schnell an. Er meinte, er sah das Schicksal, das er mit ihnen teilte.
 

Zumindest einmal die Woche, am Samstagabend zwei oder auch mal drei Bier trinken, entspannen, sich ein klein wenig befreien: Selbst das gönnte sie ihm nicht, wollte sie nicht. Sie dachte, es ginge dabei um sie. Und recht schnell ging es das dann auch.


Fürs Mitmachen fehlte ihm der Antrieb, fürs Dazugehören der Sinn und für Verbindlichkeiten der Nerv. Er hielt sich raus. Wo's nur ging, hielt er sich raus.

Montag, 24. Juni 2024

 Seine Arbeit bestand im Grunde darin, den Leuten etwas anzudrehen, das sie nicht wirklich brauchten, in vielen Fällen nicht einmal wollten. 43 Jahre und 4 Monate machte er das.


Die innere Heiterkeit war ihm längst abhanden gekommen, die äußere spielte er weiterhin überzeugend. Von nichts und niemandem ließ er sich die Butter vom Brot nehmen und von sich selbst schon mal gar nicht.

Samstag, 22. Juni 2024

 Das in Aussicht Gestellte interessierte ihn aber nicht, hatte ihn noch nie interessiert. Und dennoch musste er ran, jeden Tag musste er ran.


Wofür sollte er sich noch immer so eine Mühe geben? Um von sich selbst sagen zu können, er war stets bemüht? Um vor sich selbst als Depp dazustehen?


Ging es ihm gut und war er glücklich, brachte er nicht einen brauchbaren Satz zu Papier. Schreiben reimt sich auf leiden, sagte er immer und so hielt er es auch. Der Erfolg blieb ihm allerdings verwehrt; was ihm blieb, war das Leiden – und das Schreiben.


Schon oft erhielt er lang Ersehntes erst dann, wenn es ihm nichts mehr bedeutete. Plötzlich war es da, einfach so. Um ihn zu verhöhnen.


Mit Stolz konnte er inzwischen gut umgehen: Empfand er auch nur einen Anflug davon, schrillten bei ihm die Alarmglocken.

Samstag, 15. Juni 2024

 Im Betrieb seinen Namen zu hören oder gar selbst aussprechen zu müssen, wurde ihm zunehmend unangenehm. Er wünschte sich ein Pseudonym, ein möglichst abwegiges, eine konkrete Distanz gegenüber dem Ganzen dort.


Nahm er den Hörer ab und meldete sich im Namen der Firma, klang er schwerfällig, wie in sich zusammengesackt. Und genau so saß er auch da, mit erloschenen Augen, leergeräumtem Gesicht und dem speckigen Hörer am Ohr, jahrzehntelang.


Unwichtiger, teils völlig absurder Scheißdreck, der mit grotesker Ernsthaftigkeit betrieben wird. Kleingeistige Eitelkeiten, auf die man achten muss, um keinen Ärger zu kriegen. Irgendwann lacht man drüber und dann nicht mehr, weil man inzwischen zu tief drinsteckt.


Aber jedes Mal nach zwei, drei Bier dachte er dann wieder, so schlecht ist mein Leben im Grunde jetzt auch wieder nicht.

Mittwoch, 12. Juni 2024

 Schon als Kind stand er lieber im Tor, als mit den anderen auf dem Spielfeld rumzurennen. Beim Versteckspiel suchte er sich immer bequeme Verstecke und musste er suchen, ließ er sich Zeit. Er war nicht fett oder träge, stand dem Ganzen nur damals schon fremd gegenüber.


Beim Trinken hatte er dann neuerdings immer so philosophische Gedanken, die taugten zwar allesamt nichts, aber philosophisch waren sie schon irgendwie. Nüchtern jedenfalls hatte er so was nicht, überhaupt nicht, da war da ja auch gar kein Platz für.


Meistens schwieg er. Nicht aus Feigheit oder Unwissenheit oder Weisheit – er wusste im Grunde selbst nicht warum. Das Schweigen war einfach so in ihm drin.

Samstag, 1. Juni 2024

 Unbekannt verzogen, da wollte er hin. Da wollte er sein.


Und dann stellte er sich vor, er sei ein Vogel und könnte im Fliegen kacken und müsste sich auch nie den Arsch abwischen. In seiner Vorstellungswelt war er generell sehr konkret, das hatte er sich aus seiner Kindheit bewahrt.


Nun, er ist mit sich im Reinen, weil er sich keine Gedanken darüber macht, ob er mit sich im Reinen ist. Weil er gar nicht erst auf die Idee kommt, sich so 'ne Gedanken zu machen; dafür ist er viel zu sehr mit sich im Reinen.


Schon ihr häufiges und immer exakt gleiches Lachen ließ nichts Gutes erahnen.


"Lass Dir bloß nichts gefallen!" hatten ihm seine Eltern immer und immer wieder eingebläut. Sie wollten einen lebenstüchtigen Sohn, eine Kämpfernatur. Bekommen haben sie dann eine Nervensäge.


Seine Genügsamkeit bewahrte ihn davor geizig zu sein.


Einmal auch vor Stolz und Selbstsicherheit nur so strotzen, einmal spüren, wie das ist, und dann hoffentlich nie wieder erleben wollen.

Freitag, 24. Mai 2024

 Er sah sich selbst nur noch als Statist im eigenen Leben und dennoch war er permanent angespannt und nervös wegen der Momente, in denen er eventuell mal kurz im Hintergrund zu sehen war. Seine Welt gehörte den Rampensäuen und den brüllenden Regisseuren.


Auf den Fotos konnte man es sehen: Selbst in seinen glücklichen, stolzen Momenten zeigte sich bei ihm immer auch dieser scheue Blick, diese Scham, die ihn beherrschte, ihn beengte, ihn zeitlebens klein hielt. Irgendwas oder irgendwer hatte da ganze Arbeit geleistet.


Mit einem Bier in der Hand am Fenster sitzen und rausgucken und sich groß keine Gedanken machen: Das macht er gern, das gibt ihm was. Müsste er nochmal 'ne Bewerbung schreiben, würde er's glatt als Hobby aufführen.


Nie könnte er sich mit einem bedruckten T-Shirt, einem Aufnäher oder sonstigen Hinweisen – Tätowierungen womöglich – durch die Öffentlichkeit bewegen. Dass man ihm auf derart billige, unmittelbare Weise etwas ansieht, etwas über ihn erfährt, wäre ihm höchst unangenehm.


Kleingeistige Empfindlichkeiten, wieder und wieder – und irgendwann dann plötzlich auch bei einem selbst: kleingeistige Empfindlichkeit, Gereiztheit, Ungerechtigkeit, Rachgier, das volle Programm.


Als der liebe Gott mir die Seele angerührt hat, waren ihm die Zutaten Macht- und Karrierestreben wohl gerade ausgegangen. Vielleicht wär' ich ja ansonsten reich und sexy geworden – oder aber auch nur so'n verbissener Arsch, weiß man halt alles nicht.


Ihretwegen hatte er mit der Sauferei aufgehört und ihretwegen fing er wieder damit an. – Dass sie sich gerade mal 4 Tage kannten und sie ihm dann zu verstehen gab, dass sie nichts von ihm wollte, steckte dabei den zeitlichen Rahmen ab.

Sonntag, 19. Mai 2024

 Es reicht ihnen ja nicht, dass du deine Arbeit erledigst, nein, du musst sie gern erledigen und jederzeit die Bereitschaft zeigen, sie über alles andere zu stellen. Sie wollen dich so verkorkst sehen, wie sie selbst verkorkst wurden.


Als Kind wurde er jeden Sonntag von seinen Eltern aus repräsentativen Gründen in unbequeme, kratzige Kleidung gesteckt und zum Sonntagsausflug mitgeschleift. Wenn er sich jetzt montagmorgens sein Businesshemd zuknöpft, kommt das alles wieder hoch.


Seine Selbstherrlichkeit steht auf wackligen Beinen, ein falsches Wort und man darf sich auf was gefasst machen. Als Vorgesetzter ist er eine Katastrophe, als Mensch nicht der Rede wert.


In sich gekehrt saß er zwischen den Kolleginnen und Kollegen in der Dienstbesprechung und hörte sich diesen aufgeblähten Unfug an. Dabei visualisierte er sich mal wieder den ausgestreckten Mittelfinger als seine innere Haltung, sein Rückgrat.


Eine dicke Schmeißfliege kommt reingeflogen. Sie verschafft sich kurz einen Überblick und fliegt direkt wieder raus, seine Bude ist wohl sogar unter ihrer Würde.

Donnerstag, 16. Mai 2024

 Die Sonn- und Feiertage bescherten ihm die Einsamkeit und die Arbeitstage gaben ihm den Rest.


Seit 20 Jahren windet er sich jetzt in seinem Trott. Er hofft, dass sich der Knoten in seinem Hirn doch noch löst, dass er endlich wieder geradeaus denken kann, mal wieder einen Weg erkennt, zumindest eine Richtung, irgendwas.


Er hat Feierabend und Bier im Kühlschrank. Das sind so diese Momente. Das, was den ganzen Scheiß noch irgendwie am Laufen hält.


In seinem ersten eigenen Auto kurvte er dann jedes Wochenende ziellos in der Gegend rum, immer die Straßen hoch und runter. In seinem flotten Flitzer, wie seine stolze Mutter es formulierte.


Er trank lieber allein, da pfuschte ihm niemand in die Behaglichkeit.


Er las den Brief ein zweites Mal, um auch das zu lesen, was zwischen den Zeilen stand. Und dann ein drittes Mal, um dieses Zwischenzeilige wieder zu vergessen.


Mit seinen Launen eiert er durch die Tage und die Wochen. Geradlinig wäre ihm lieber, wäre männlicher, cooler. Aber naja.

Sonntag, 12. Mai 2024

 Die Nachbarn haben Sex und wieder klingt das Gestoße nach dem üblichen, schwerfälligen und mühseligen Pflichtprogramm am Sonntagmorgen. Und danach wird sie duschen und er auf dem Balkon eine rauchen und dann ist auch schon bald wieder Mittag.


Er holt sich noch'n Bier aus'm Kühlschrank und setzt sich wieder hin. Er hat nichts zu tun, nichts vor und er hat seine Ruhe. Es geht ihm gut, wirklich gut und mit jedem Schluck geht's ihm sogar noch besser.


Als unfreundlicher, unhöflicher Mensch wirst du nicht vermisst, wenn du mal längere Zeit nicht da warst. Vielmehr wird da gehofft, dass du ein für alle Mal wegbleibst. Und genau dann kommst du prompt wieder zur Eingangstür reinstolziert.


Bei jeder Kleinigkeit zeigte er sich angegriffen und beleidigt, damit er dann selbst ordentlich austeilen konnte. Erst im Streit lebte er auf, nur da fühlte er noch was.


Wegen des morgigen Feiertags gestattet seine Frau ihm ein Bier nach dem Abendessen, ein 0,33er. Er soll sich aber Untersetzer holen. Er kommt nicht gegen sie an, traut sich nicht einmal, das Bier abzulehnen.


In Filmen werden notorische Einzelgänger und Sonderlinge gern eines Besseren belehrt. Da machen die so'ne rührselige Erfahrung, die sie erst nachdenklich werden lässt und dann auf den rechten Weg, hinein in die Geselligkeit führt. Genau wie im richtigen Leben.


Diese kleinen Fliegen, die da um die Deckenlampe kreisen, weil sie nicht raus finden, die sind seine einzige Gesellschaft seit Wochen. Er muss lachen und prostet ihnen zu.

Montag, 6. Mai 2024

 Jeden Morgen erschien sie pünktlich und wie aus dem Ei gepellt, war stets freundlich und bester Laune und zugleich mit der größten Selbstverständlichkeit eiskalt und berechnend. Sie war perfekt – und verkorkst bis ins Mark.


Unfreundliche Menschen beschweren sich über Unfreundlichkeit; sie leben in einer unfreundlichen Welt.


Zwischen dem, was sie sagt und dem, was sie wirklich sagt, liegen Welten. Da jetzt eine Brücke zu schlagen, ist für sie selbst auch nicht leicht. – Aber statt zu helfen und ihr den Weg zu ebnen, steht er nur da und glotzt hohl!


Diese Typen, die da rumlungerten und respektlos und provokativ ihre Zigarettenstummel auf den Bürgersteig schnippten: So langsam wurden die ihm angesichts dieser neuen, omnipräsenten Korrektheit regelrecht sympathisch.


Er ließ es einfach sein und fand sich damit ab; sein Universalschlüssel zum Seelenfrieden. Seiner Frau passte das nicht, aber mit der hatte er sich schon lange abgefunden.


Ob ein Tag jetzt schön war oder nicht, das machte er nur mehr am Wetter aus. Was sonst so passierte – so lang's ihm nicht gerade wehtat – war ihm doch längst einerlei.


Sie wollte das Zusammenleben zu etwas Besonderem machen, es gestalten und ausstaffieren. Das fing schon an mit diesen Dekoartikeln, die sie ihm in die Wohnung schleppte. Er ließ es über sich ergehen, tat so, als hätte er keine Meinung dazu.

Mittwoch, 1. Mai 2024

 Mit Ende 20 bekam er dann doch noch gerade so die Kurve und schlug den bürgerlichen Weg ein. Am meisten schätzte er dann an der Bürgerlichkeit dieses behagliche Gefühl der Selbstgerechtigkeit.


Sie war auf Wohlstand und Ansehen aus, wollte den erfolgreichen Geschäftsmann. Das war die einzige Rolle, die sie ihrem Mann einräumte, alles andere an ihm verspottete sie: jede Schwäche, jede Träumerei, jede Gefühlsduselei – alles trieb sie ihm aus.


Aber irgendwann trank er sich dann jeden Abend leicht einen an, um sich seine Frau und das Leben mit ihr zumindest ein Stück weit erträglich zu machen. Sein Sohn erfuhr das erst nach seinem Tod, gerade zu der Zeit als er genauso damit anfing.


Als Kinder haben wir uns gekloppt, um die Rangordnung zu klären. Es war 'ne ernste, oft sogar feierliche Angelegenheit – und fair ging es zu und ehrlich, nicht so wie bei den doofen Erwachsenen.


Inzwischen ließ auch er sich Zeit dabei, studierte in aller Ruhe die Verpackungen, verglich die Preise, beobachtete andere Kunden und hoffte auf Bekannte. Der Lebensmitteleinkauf war der gesellschaftliche Höhepunkt in seinem Leben geworden, gerade der am Samstag.


Er schmiss seine Festanstellung, verließ die Familie und zog in die Großstadt, in so 'ne Sozialwohnung mit Balkon. Oft saß er angetrunken auf 'ner Parkbank und zeigte Passanten den Mittelfinger. Sonst schaute er viel fern, die gleichen Sendungen wie früher auch.


Mit welcher Leichtigkeit sie drauflos redeten, so sorglos und unverbindlich! Ihm war das nicht möglich, er hatte zu großen Respekt, sogar Angst vor den eigenen Worten, stammelte oder schwieg lieber ganz.

Samstag, 27. April 2024

 Er war froh gewesen, es war seine erste unbefristete Vollzeitstelle und um sie herum hat er sich dann in Lauf der Jahre seine Existenz aufgebaut und jetzt hasst er nur noch alles daran.


Über die Jahre hatte er sich eingerichtet in dieser Sackgasse, in diesem Trott seiner Unzufriedenheit. Bei anderen sah er das auch und das stimmte ihn dann wieder etwas milde.


Er kommt kaum mehr klar in der Firma, ist überfordert, sucht Sicherheit in alten Routinen. Als sei er ein Fluchttier in Angststarre, das gleich gefressen oder überfahren wird, so empfindet er es, so geht er jeden Morgen da hin.

Mittwoch, 24. April 2024

 Er wollte immer das, was er in den Filmen oder auf den Plattencovern sah, legte sich sogar die Frisuren und die Klamotten zu; bekommen hat er einen müden Scheiß.


Um diese Leute ertragen zu können, hörte er ihnen nicht mehr wirklich zu. Er tat nur so und grinste. So wie sie's auch machten.


Ich mag die alten Filme, wo der Bösewicht mürrisch, ungepflegt und hässlich und der Oberbösewicht lächelnd, wie aus dem Ei gepellt und durchaus gutaussehend daherkommt. Das waren noch Filme, die gaben einem noch Orientierung im Leben!


Und als er dann tatsächlich nach der Ausbildung direkt übernommen wurde, sogar in eine unbefristete Vollzeitstelle, da war alles nur noch schön und er lebte glücklich und zufrieden bis ans Ende seiner Tage.

Sonntag, 21. April 2024

 Er geht arbeiten, geht einkaufen und an den Sonntagen geht er spazieren, immer zum Friedhof und zurück.


Alkohol trinkt er – wenn überhaupt – nur noch, wenn er sich entspannt und gut fühlt und nicht mehr, um sich so zu fühlen. Er ist dankbar und glücklich, dass er diese Entscheidung nach all den Jahren für sich so noch treffen konnte.


Er lebte sein Leben nach seinen Möglichkeiten, machte kein Trara, war immer darauf bedacht, niemandem unnötig auf den Sack zu gehen. Er hatte das nicht von seinen Eltern mitbekommen oder in der Schule gelernt, da war er von selbst drauf gekommen.


Gerade in der Stille fand er keine Ruhe, er brauchte immer erst die Erschöpfung.


Jedes Wochenende hockte er in irgendeiner Kneipe, klopfte lauthals die immer gleichen Sprüche, riss die immer gleichen dreckigen Witze. Zuhause in seiner Wohnung wartete ja doch nichts und niemand auf ihn, da quälte ihn die Stille.


Wenn in einem amerikanischen Film Teenager ausgelassen feiern, am besten auf einem schicken Anwesen mit großem Pool, ist das jedes Mal so schlecht und affig und peinlich inszeniert, wie es wohl auch in der Wirklichkeit ist.


Er geht da nur hin, um überhaupt noch irgendwo hinzugehen, und wenn er dann da ist, will er nur wieder weg. Nächste Woche, wieder um die Zeit, wird er wieder da hin gehen.

Mittwoch, 17. April 2024

 Sonst hat er sich ja immer über das aufgeregt, was bei ihm hier im Ort so alles schief läuft. Leute, die ihren Garten nicht in Schuss halten, die Straße nicht kehren, nicht grüßen, sowas halt. Aber jetzt, wo er mit dem Internet umgehen kann, ist er an den ganz großen Sachen dran.


Er redete viel von sich und seiner Hilfsbereitschaft, war sichtlich gerührt von der eigenen Großzügigkeit, einmal kamen ihm fast die Tränen.


Könnte ich in der Zeit zurückreisen, um nochmal alles anders zu machen oder zumindest so manches anders zu machen, hätte ich in der Vergangenheit ja doch nur wieder mein altes Motivationsproblem überhaupt was zu machen.


Und um seine absolute Entschlossenheit zu demonstrieren, goss er dann eine halbvolle Flasche Schnaps in den Ausguss. Es war beeindruckend, überwältigend; seinen Followern lief ein Schauer über den Rücken.


Es war schwierig mit ihm. Er war nicht boshaft, kein schlechter Mensch, überhaupt nicht, aber komisch, so in sich gekehrt, schwierig eben. Am schlimmsten waren seine Geburtstage, für ihn wie für seine Angehörigen.

Samstag, 13. April 2024

 Sein Geltungsbedürfnis war größer als sein Talent, größer als seine Persönlichkeit und größer als jede Einsicht. Zeitlebens war er wütend, zum Ende hin zerfressen vor Wut.


Seit etwa 20 Jahren hat er jetzt die gleichen Poster in seiner Wohnung hängen: nackte Weiber und Rennwagen. Mit Rennwagen kennt er sich sogar etwas aus.


Er ertrug es nicht, dieses Geschwätz von der Liebe. Er lebte in Einsamkeit und er kam da nicht raus und jede Wette: Es gab da jede Menge anderer, denen es genauso erging, die dieses Geschwätz auch nicht hören oder lesen wollten, denen das genauso wehtat.


Er hat so diese Aura; selbst wenn er nicht da ist, ist er noch unangenehm. Wie so'n Drecksack von der dunklen Seite der Macht.


Ihre geübt geschliffene Artikulation beeindruckt, täuscht über jede inhaltliche Durchschnittlichkeit hinweg. So geht Karriere.


Wäre ich eingewandert, wären meine ersten deutschen Wörter vermutlich "scheise" und "egal" gewesen.


Die Sonne kommt hoch, die Leute stehen auf. Lärm, Gemache; immer der gleiche Mist.

Montag, 8. April 2024

 Sie stanken, kauten mit offenem Mund und lachten wüst. Es war erst die Frühstückspause, den ganzen Tag mit ihnen hatte er noch vor sich. Einen Monat! Zumindest einen Monat wollte er diesmal durchhalten, einen beschissenen vollen Monatslohn, zumindest das.


Die Menschen wurden immer misstrauischer und dünnhäutiger und so vermied er es, in Gesprächen originell oder gar witzig sein zu wollen. Er äußerte sich in Floskeln, stets wohlwollend und zustimmend. Zynische Zeiten waren das.


Nie wollte er so sein wie sein Vater, niemals dieses Leben führen. Er wehrte sich vehement, machte konsequent alles anders und wurde die Karikatur seines Vaters.


Er saß viel zu Hause rum, eigentlich immer. Und einen Plan oder überhaupt mal irgendeine Vorstellung von einem anderen, einem in irgendeiner Weise gelungenen Leben hatte er schon lange nicht mehr und im Fernsehen lief auch nur noch Mist.


Ständig hielt sie ihn an, was zu tun. Im Garten, am Haus: Irgendwas war da immer und da musste er dann ran, immer gleich und sofort. Einen fleißigen, vorzeigbaren Mann zu haben, darum ging es ihr, dafür das ganze Theater.

Mittwoch, 3. April 2024

 Damals dachte er in seiner Schwärmerei, Frauen sind die besseren Menschen, sind ausnahmslos liebenswert, Frauen können einfach keine Arschlöcher sein. Die Ebenbürtigkeit von Frau und Mann musste er erst noch lernen anzuerkennen.


Sich den ganzen Scheiß wieder und wieder selbst schön reden, das war ihr Rat. Natürlich eleganter und ausgiebiger formuliert, sie hat ja 'n Diplom vor ihrem Namen, aber im Grunde war das der Rat.


Für sein Image, für seine "Credibility" als Künstler und Punkrocker hat er damals ständig rumerzählt, er hätte mal 'ne ganze Zeit aus Geldnot Hundefutter gegessen. Keine Ahnung, was er heute so macht – wahrscheinlich irgendwo irgendwas arbeiten geh'n.


Nur wuchsen da jetzt Menschen heran mit einer äußerst verkümmerten Sprache und es war wirklich ein Leichtes, sie zu diesem oder eben jenem Unfug zu verführen.


Kunst? – Ja, was weiß denn ich. Kunst isses vielleicht dann, wenn's die anderen einem abkaufen.

Samstag, 30. März 2024

 Bierchen trinken, Sprüche klopfen und grölen vor Lachen, Holzhammerhumor in der Eckkneipe, das war so seine Welt. In seiner Todesanzeige ist eine Dartscheibe abgebildet.


Während seine Frau shoppt, sitzt er draußen auf einer Bank und schaut vor sich hin. Sein Vater hatte das auch immer gemacht, wenn Mutter shoppen war, auch so rumgesessen und geschaut. Vielleicht schaut er ja vom Himmel jetzt gerade auf ihn runter und findet das amüsant.


Es war mehr als nur ein Verbergen; die kleinbürgerliche Fassade war geradezu essentiell für seine verschrobene Gedankenwelt. Den bunten Vogel, den Künstler raushängen zu lassen, hätte alles umgehend ruiniert.


Die gleichen beruhigenden und zuversichtlichen Gedanken hatte er ja auch nüchtern. Nach ein, zwei Bier aber, da empfand er sie.


In ihren Schulheften damals musste sie immer penibel drauf achten, nicht über die Randlinien zu schreiben. Das hat sie voll und ganz verinnerlicht, nicht nur in formaler Hinsicht.


In seiner durchaus höflichen, aber ansonsten scheuen und freudlosen Art brachte er die Tage, Wochen und Jahre in der Firma hinter sich. Am liebsten wäre er für alle dort vollends unsichtbar gewesen.

Sonntag, 24. März 2024

 Nun ist er etabliert. – Und dünnhäutig und intolerant, sein zwanzigjähriges Ich würde ihn in null Komma nichts zur Weißglut treiben.


Ihm geht es hinsichtlich seines Erscheinungsbildes, überhaupt seines ganzen Auftretens, zuvorderst um Manierlichkeit. Etwas, das er bei seinen Mitmenschen zusehends vermisst.


Geduld, Zurückhaltung, Gefasstheit. – Ach ja, das waren noch Zeiten und Menschen.


Er ist laut und aufdringlich, reißt dumme Witze, 'n Klotz, der sich für unwiderstehlich hält. Und jeden Tag kommt er angeschissen, jeden Tag hängt er hier rum. Hat sonst nix. Klar isser 'ne arme Sau, aber eben auch 'n dummer Arsch.


Dass er so vieles immer schnell als lachhaft erachtete, hatte nichts mit Arroganz zu tun. Es war seine Sicht der Dinge, in erster Linie seine Sicht auf sich selbst.


Der neue, junge Kollege meinte neulich, ich sei irgendwie ein cooler Typ. Bei ihm ist alles entweder cool oder krass.


Er rülpste und furzte in ihrer Gegenwart, schmatzte, schlürfte, ächzte beim Essen. Und bei Besuch spielte er dann den feinen Herren. Aus ihrer Aversion wurde Hass und der Hass wuchs und wuchs und fraß sie nach und nach auf.

Dienstag, 19. März 2024

 Nicht mal in seinem Tagebuch wurde er ehrlich. Vielleicht rang er mit den Worten, aber nie mit der Wahrheit.


Sie redete viel, das war anstrengend. Tag für Tag schilderte sie ihm ihre Welt, auf die er sich einzustellen hatte.


"Ich schreie nicht!", brüllte sie.


Heutzutage geht es nun mal auch viel um die richtige Empörung. Will man dazugehören, sollte man schon mit einem gewissen Maß am Empörung unter die Leute gehen, sonst wird das nix.


Seit dem Tod ihres Mannes ist sie einsam und viel bei den Ärzten. Auch um unter Menschen zu sein. Um zu reden. Und für Ärzte hatte sie immer schon eine Schwäche.


Echt ständig nennen sie ihn einen HONK, aber für heut' Abend hat er'n Tisch reserviert, da wo's diese Goldsteaks gibt und genau so eins wird er sich servieren lassen und das dann posten und dann sollen sie mal sehen, wer hier ein HONK ist!


Vieles bekam er nicht mit oder wollte er nicht mitbekommen. Als Führungskraft zeigte er überhaupt erstaunlich wenig Einsatz. Der Betrieb lief auch so. Seine Nachfolge hingegen – engagiert, ehrgeizig, karrierefixiert – hinterließ nach nur einem Jahr einen Scherbenhaufen.

Donnerstag, 14. März 2024

 Er hat Geld in der Tasche und schlendert die Fußgängerzone rauf und runter. Oh ja, das ist das wahre Leben, genau so hat er sich das immer vorgestellt.


Damals musste und ging er zur Bundeswehr, Autos hießen Kadett, Kapitän, Admiral oder Diplomat und bekiffte Hippies saßen im Park auf der Wiese und verdammt nochmal nicht in der Regierung!


Er ist rumgekommen, hat viel gesehen, verdammt viel erlebt, Außendienst, Mode und Textil, er weiß, wovon er spricht.


Mach's genau so, wie die anderen es machen, guck einfach hin, wie die's machen, war stets der Rat seiner Mutter. Und damit kam er dann auch gut durch die Schule und durch die Ausbildung und im Beruf und privat lief's auch super. Mutter war die Beste!

Sonntag, 10. März 2024

 Früher ist auch er ins Theater gegangen oder zu Vernissagen, sogar zu Lesungen ist er hin und hat sich das angehört. Was man halt so tut, um bei den Frauen zu landen. So triebgesteuert ist er heute nicht mehr, so'ne Veranstaltungen sind jetzt nix mehr für ihn.


Die Tageszeitung las er grundsätzlich erst einen Tag später. Weil die ganzen schlechten Nachrichten so ihre Aufdringlichkeit einbüßten. Is' gut gegen Blutdruck, sagte er immer. Und weil er sparsam war, das natürlich auch, die Zeitung gab's umsonst vom Nachbarn.


Nie schmiss er mal 'ne Runde, nie ließ er auch nur mal 'ne Kleinigkeit springen. Weil er diese Form von Geselligkeit im Grunde verabscheute, dieses - wie man es schon so abstoßend beschrieb! - "feuchtfröhliche Beisammensein". Und weil er sparsam war, das natürlich auch.


Mit so 'nem sonnigen Gemüt, mit so 'ner Wärme und Helligkeit in einem drin, das muss schon irre sein. Wenn einem das gegeben ist, hat man's große Los gezogen, ganz klar. Und wenn's dann noch unerschütterlich ist, dann das ganz große.


Seit 16 Jahren sind sie jetzt verheiratet. Im Bett läuft kaum noch was. Und auch sonst. Man hat sich arrangiert, ist vernünftig. Aber heute Abend kommt was im Fernsehen, was sie sogar beide gern sehen und es ist okay, es ist gut. Beide wissen, was sie einander haben.


Er hat immer viel Musik gehört, konnte in ihr schwelgen, ist in sie geflüchtet, hat sich oft stundenlang in ihr aufgehalten. Jetzt mit den Jahren ist es die Ruhe, die er in gleicher Weise aufsucht.