Sonntag, 27. November 2022

 Sein Text war gekonnt formuliert, keine Frage, geschliffen, gefällig, ein Ganzes; allerdings nicht ehrlich, alles war aufgesetzt, im Grunde dahergelogen. Der Text war nichts wert.


Romantische Phantasien und Vorstellungen, die Schwärmerei generell: Darüber ist er endgültig hinweg, schließlich war es die Ernüchterung gewesen, die Schlimmeres verhindert, ja, ihm tatsächlich den Arsch gerettet hatte.


Aber das Beleidigendste war, wie fantasielos und unambitioniert er log.


Es sollte ein Liebesbrief sein, aber statt Tinte und seinem Herzblut hatte er allein seine Jauche einfließen lassen. Er war einfach nur geil auf sie.


Angesichts seines in Scherben liegenden Lebens machte er sich ein Bier auf. Und dann noch eins.

Mittwoch, 23. November 2022

Nein, das juckte ihn nicht; mit seiner ausgewachsenen Resignation stand er zwar nicht über, aber wenigstens weit neben diesen Dingen.


Widerwillig und müde schleppte er sich Tag für Tag durch den Tag. Er solle nicht immer so ein Gesicht ziehen und einfach mal auf die kleinen Freuden des Alltags achten, riet ihm eine Arbeitskollegin eines Tages. – Ja, genau so ein Tag war das wieder.


Aber dann wuchs sein Desinteresse von Jahr zu Jahr, von Tag zu Tag. Längst erstreckte es sich bis hin zu den großen Fragen, die einen ja so oder so ratlos zurücklassen.


Für den Zyniker heutzutage ist es ja auch nicht leicht, mit der Realität überhaupt noch Schritt halten zu können.


Früher hatte auch er sich noch Illusionen gemacht, jetzt behilft er sich mit Freundlichkeit und Humor, rettet sich so einigermaßen durch den Tag und durch die Jahre. Man erkennt ihn an seinen Augen.

Sonntag, 20. November 2022

 Seine Frau machte sich über ihn lustig, meinte, ihm morgens immer seine Garderobe zurechtlegen zu müssen und erzählte es rum. Er ließ es sich gefallen, es störte ihn nicht, er empfand schon längst nichts mehr für seine Frau oder sonst wem in seinem Umfeld.


So langsam verlor sogar die Trinkerei an Reiz, die Stimmung war ja doch immer die gleiche. Aber wo er nun schon mal dabei war, goss er sich noch einen ein, schon aus Trotz.


Wenn er mal nachts durchschlief, war das schon 'ne große Sache. So sah es mittlerweile aus, sein Leben.


Mit Wehmut dachte er gerade an seine jugendlichen Ausschweifungen zurück, an diese unbekümmerte Euphorie damals. – Der Wohlstand, die Bequemlichkeiten, all das, was er jetzt hatte, kam da nicht ran; es war geradezu das Gegenteil davon.


Diese überhandnehmende plumpe Unhöflichkeit und Gereiztheit überall: Er verstand das nicht. In seinem Alter musste er ja nicht mehr alles verstehen, aber das beschäftigte und beunruhigte ihn.

Donnerstag, 10. November 2022

 Von einem Leben nach dem Tod wollte er nichts hören. Licht aus und Ende, alles andere wäre ja doch nur wieder 'ne verdammte Zumutung. Aber das behielt er für sich. Dass er in dem Dorfpfarrer 'nen tuntigen Schleimscheißer sah, auch.


Die Sanftmütigkeit von zwei, drei Bier: mehr wollte und mehr brauchte er gar nicht mehr. Für die Unberechenbarkeit des Hochprozentigen war er jetzt zu alt, zu vernünftig. Er hatte großes Glück, dass er nach all den Jahren so leicht verzichten konnte.


In 'nem alten amerikanischen Actionfilm wäre ich die eierige Radkappe.


Die Sanftmut in Person: niemals jähzornig oder boshaft, kein böses Wort, nicht mal im Suff oder wenn's sonst wie zur Sache ging. Immer nur friedfertig – wie so'n scheiß Heiliger, sagten wir in unserer gewöhnlichen Gehässigkeit und unserem stillen Neid.


Andere bekamen Rücken, bei ihr gingen nun nach 10 Jahren im Kundenservice Geduld und Freundlichkeit am Stock.

Donnerstag, 3. November 2022

 Seine eigentlich ernüchternden Einsichten über die komplette Sinnlosigkeit seiner Existenz erheiterten ihn in zunehmenden Maße.


Lass dich nur nicht einlullen und sieh' bloß zu, dass du genug Bier da hast, wenn so'ne scheiß Feiertage sind – das war sein Rat, das gab er mir mit fürs Leben.


Sich bewusst mit unsinnigen Bemerkungen oder unangebrachten Witzen selbst vorführen, sich über sich selbst lustig machen, das ging nicht mehr, passte nicht mehr in die Zeit. Irgendwann war tatsächlich alles zu einer ernsten Angelegenheit geworden.


Jetzt im Alter passierte es häufiger: Er blieb plötzlich einfach so stehen und schaute sich missmutig um. Die Menschen überall und überhaupt das ganze Leben passten ihm nicht; hatten ihm noch nie gepasst!


Für ihn machte das alles da keinen Sinn mehr, der ganze Betrieb erschien ihm von Tag zu Tag absurder, die Aufgeregtheit der Kollegen lachhaft. Am besten fühlte er sich, wenn er es schaffte, einfach den Mund zu halten oder zumindest nur in unverfänglichen Floskeln zu reden.