Samstag, 30. März 2024

 Bierchen trinken, Sprüche klopfen und grölen vor Lachen, Holzhammerhumor in der Eckkneipe, das war so seine Welt. In seiner Todesanzeige ist eine Dartscheibe abgebildet.


Während seine Frau shoppt, sitzt er draußen auf einer Bank und schaut vor sich hin. Sein Vater hatte das auch immer gemacht, wenn Mutter shoppen war, auch so rumgesessen und geschaut. Vielleicht schaut er ja vom Himmel jetzt gerade auf ihn runter und findet das amüsant.


Es war mehr als nur ein Verbergen; die kleinbürgerliche Fassade war geradezu essentiell für seine verschrobene Gedankenwelt. Den bunten Vogel, den Künstler raushängen zu lassen, hätte alles umgehend ruiniert.


Die gleichen beruhigenden und zuversichtlichen Gedanken hatte er ja auch nüchtern. Nach ein, zwei Bier aber, da empfand er sie.


In ihren Schulheften damals musste sie immer penibel drauf achten, nicht über die Randlinien zu schreiben. Das hat sie voll und ganz verinnerlicht, nicht nur in formaler Hinsicht.


In seiner durchaus höflichen, aber ansonsten scheuen und freudlosen Art brachte er die Tage, Wochen und Jahre in der Firma hinter sich. Am liebsten wäre er für alle dort vollends unsichtbar gewesen.

Sonntag, 24. März 2024

 Nun ist er etabliert. – Und dünnhäutig und intolerant, sein zwanzigjähriges Ich würde ihn in null Komma nichts zur Weißglut treiben.


Ihm geht es hinsichtlich seines Erscheinungsbildes, überhaupt seines ganzen Auftretens, zuvorderst um Manierlichkeit. Etwas, das er bei seinen Mitmenschen zusehends vermisst.


Geduld, Zurückhaltung, Gefasstheit. – Ach ja, das waren noch Zeiten und Menschen.


Er ist laut und aufdringlich, reißt dumme Witze, 'n Klotz, der sich für unwiderstehlich hält. Und jeden Tag kommt er angeschissen, jeden Tag hängt er hier rum. Hat sonst nix. Klar isser 'ne arme Sau, aber eben auch 'n dummer Arsch.


Dass er so vieles immer schnell als lachhaft erachtete, hatte nichts mit Arroganz zu tun. Es war seine Sicht der Dinge, in erster Linie seine Sicht auf sich selbst.


Der neue, junge Kollege meinte neulich, ich sei irgendwie ein cooler Typ. Bei ihm ist alles entweder cool oder krass.


Er rülpste und furzte in ihrer Gegenwart, schmatzte, schlürfte, ächzte beim Essen. Und bei Besuch spielte er dann den feinen Herren. Aus ihrer Aversion wurde Hass und der Hass wuchs und wuchs und fraß sie nach und nach auf.

Dienstag, 19. März 2024

 Nicht mal in seinem Tagebuch wurde er ehrlich. Vielleicht rang er mit den Worten, aber nie mit der Wahrheit.


Sie redete viel, das war anstrengend. Tag für Tag schilderte sie ihm ihre Welt, auf die er sich einzustellen hatte.


"Ich schreie nicht!", brüllte sie.


Heutzutage geht es nun mal auch viel um die richtige Empörung. Will man dazugehören, sollte man schon mit einem gewissen Maß am Empörung unter die Leute gehen, sonst wird das nix.


Seit dem Tod ihres Mannes ist sie einsam und viel bei den Ärzten. Auch um unter Menschen zu sein. Um zu reden. Und für Ärzte hatte sie immer schon eine Schwäche.


Echt ständig nennen sie ihn einen HONK, aber für heut' Abend hat er'n Tisch reserviert, da wo's diese Goldsteaks gibt und genau so eins wird er sich servieren lassen und das dann posten und dann sollen sie mal sehen, wer hier ein HONK ist!


Vieles bekam er nicht mit oder wollte er nicht mitbekommen. Als Führungskraft zeigte er überhaupt erstaunlich wenig Einsatz. Der Betrieb lief auch so. Seine Nachfolge hingegen – engagiert, ehrgeizig, karrierefixiert – hinterließ nach nur einem Jahr einen Scherbenhaufen.

Donnerstag, 14. März 2024

 Er hat Geld in der Tasche und schlendert die Fußgängerzone rauf und runter. Oh ja, das ist das wahre Leben, genau so hat er sich das immer vorgestellt.


Damals musste und ging er zur Bundeswehr, Autos hießen Kadett, Kapitän, Admiral oder Diplomat und bekiffte Hippies saßen im Park auf der Wiese und verdammt nochmal nicht in der Regierung!


Er ist rumgekommen, hat viel gesehen, verdammt viel erlebt, Außendienst, Mode und Textil, er weiß, wovon er spricht.


Mach's genau so, wie die anderen es machen, guck einfach hin, wie die's machen, war stets der Rat seiner Mutter. Und damit kam er dann auch gut durch die Schule und durch die Ausbildung und im Beruf und privat lief's auch super. Mutter war die Beste!

Sonntag, 10. März 2024

 Früher ist auch er ins Theater gegangen oder zu Vernissagen, sogar zu Lesungen ist er hin und hat sich das angehört. Was man halt so tut, um bei den Frauen zu landen. So triebgesteuert ist er heute nicht mehr, so'ne Veranstaltungen sind jetzt nix mehr für ihn.


Die Tageszeitung las er grundsätzlich erst einen Tag später. Weil die ganzen schlechten Nachrichten so ihre Aufdringlichkeit einbüßten. Is' gut gegen Blutdruck, sagte er immer. Und weil er sparsam war, das natürlich auch, die Zeitung gab's umsonst vom Nachbarn.


Nie schmiss er mal 'ne Runde, nie ließ er auch nur mal 'ne Kleinigkeit springen. Weil er diese Form von Geselligkeit im Grunde verabscheute, dieses - wie man es schon so abstoßend beschrieb! - "feuchtfröhliche Beisammensein". Und weil er sparsam war, das natürlich auch.


Mit so 'nem sonnigen Gemüt, mit so 'ner Wärme und Helligkeit in einem drin, das muss schon irre sein. Wenn einem das gegeben ist, hat man's große Los gezogen, ganz klar. Und wenn's dann noch unerschütterlich ist, dann das ganz große.


Seit 16 Jahren sind sie jetzt verheiratet. Im Bett läuft kaum noch was. Und auch sonst. Man hat sich arrangiert, ist vernünftig. Aber heute Abend kommt was im Fernsehen, was sie sogar beide gern sehen und es ist okay, es ist gut. Beide wissen, was sie einander haben.


Er hat immer viel Musik gehört, konnte in ihr schwelgen, ist in sie geflüchtet, hat sich oft stundenlang in ihr aufgehalten. Jetzt mit den Jahren ist es die Ruhe, die er in gleicher Weise aufsucht.

Freitag, 8. März 2024

 Wirkliche Begeisterung war ihm fremd, erschien ihm bei anderen in aller Regel auch nur aufgesetzt; gespielt, um Sympathie oder Geld oder was auch immer einzusacken. Eine Masche eben.


Mit seiner Wohnung fing es an und dann wurde ihm mehr und mehr egal. Es fiel nicht auf, er machte einfach weiter, funktionierte, ohne dass es aber noch eine Bedeutung für ihn hatte.


Schon lange war er unzufrieden, sehnte sich nach Veränderung, hatte aber nicht einmal mehr eine Vorstellung, geschweige denn eine konkrete Idee von einem anderen, glücklicheren Leben. Und dann dämmerte ihm, dass er so was ja überhaupt noch nie gehabt hatte.


Was ihm seine Eltern vor allem mit auf den Weg gegeben haben? Zum einen, dass man immer darauf bedacht sein muss, was andere von einem denken. Und zum anderen, dass man ab einem gewissen Einkommen doch was Besseres ist, es nicht zeigt, aber zweifelsohne ist. Die alte Schule halt.


Seine jugendliche Arroganz war abstoßend; dieses spöttische Grinsen, diese schmierige Selbstgefälligkeit. Na ja, in der Regel kommen sie früher oder später selbst dahinter.


All diese Nachlässigkeiten des schon lange Alleinlebenden sorgten bei ihm für einige Unordnung, aber schließlich auch für diesen verschrobenen Humor und diese unbekümmerte Heiterkeit, die ihn so liebenswert, so besonders machten.


Sein ganzes Leben verbrachte er hier; hier wurde er geboren, hier wurde er begraben. ... – Nein nein, Sachzwänge waren es, jede Menge Sachzwänge.

Dienstag, 5. März 2024

 Mal wieder Zeit, den Müll raus zu bringen – und zwar in vielerlei Hinsicht, sagte er sich und fühlte sich bedeutsam.


Geht er raus, spazieren, lauern inzwischen an jeder zweiten Ecke peinliche Erinnerungen. Und ansonsten Tristesse, nur noch Tristesse. Ein Umzug oder ein richtiger Wegzug könnte vielleicht helfen. Wobei die Tristesse, die nimmt er ja doch überall hin mit.


Wann immer er von gescheiterten Existenzen sprach, so nahm er sich da selbst keinesfalls von aus. Sich selbst als eine nicht gescheiterte Existenz zu betrachten, erschien ihm von Grund auf vermessen.


Mit angelesenem Wortkitsch wollte er Schönheit und Liebe beschwören und machte alles nur noch schlimmer.


Bombenleger. Da hätt' er nun Lust zu. Schon das Wort gefiel ihm: Bombenleger. Jetzt kein richtiger, ne, eher so im übertragenen Sinne. Aber das wär's doch, auf den Zug würde er glatt aufspringen und nicht auf den drögen Mist, den sie ihm da immer vorschlugen.


Die ganze Scheiße da auf'er Arbeit ging ihm nur noch am Arsch vorbei und das ging in Ordnung, völlig in Ordnung, wie hätt' er's sonst ertragen soll'n. Alle da verstanden's, die waren genauso durch, warteten auf Rente oder bessere Zeiten oder sonst ein Hirngespinst.


Er stand immer früh auf, so um 3 oder 4 Uhr morgens. Die Morgenstunden waren ihm heilig, da hatte er noch seinen Verstand beisammen und ein wenig Ruhe und Klarheit, bevor dann die Zumutungen und Widerlichkeiten des Tages alles unter sich begruben.

Freitag, 1. März 2024

 Er ging ohne Ehrgeiz durchs Leben, ohne Biss. Allein so war es ihm möglich.


Es ist nie zu spät für ein Haus am Meer, nie zu spät glücklich zu sein, sagte sie. Wortwörtlich, völlig ohne Ironie, völlig ernst gemeint. Vor solchen Leuten nehm' ich mich in Acht, nicke dankbar und lächle freundlich.


Damals, seine wilden Jahre, bevor er dann häuslich wurde, so wild waren die auch nicht. Eigentlich war er da einfach nur besoffen, rotzbesoffen, und halt nachts unterwegs, am Freitag und Samstag, mehr war da nicht, das war's in etwa so gewesen, an Wildheit.


Nach bürgerlichen Maßstäben hat er's verkackt, nichts erreicht, sein Leben vertan. Und nach den eigenen auch. Tja, so kann's gehen.


Samstagseinkauf (Bier holen): vorm Penny die beiden schnorrenden Trinker und drinnen die Verrückte mit der Federboa und der übellaunige Filialleiter und an der Kasse dann die besonders stoische Kassiererin, alles vertraute Gesichter. Heimat.


NO FUTURE! hatten sie sich auf ihre Lederjacken geschrieben und hingen am Bahnhof mit älteren Obdachlosen ab, die nicht mal mehr eine Gegenwart hatten.


Als er seine mit NO FUTURE! bekritzelte Lederjacke schließlich an den Nagel hängte und ins Geschäft seines Vaters einstieg, war's dann tatsächlich soweit.