Mittwoch, 27. April 2022

 Er dachte nur noch von Woche zu Woche, immer öfter auch nur noch von Tag zu Tag. Eine andere Strategie hatte er nicht. Als Kind und junger Mann hatte auch er sich noch ganze Leben erdacht.


Er merkte es gleich: Bei allem, was sie ihm sagte, vermutete sie, dass er es hören wollte. Das deprimierte ihn nur noch mehr.


Seine Schulzeit war eine Farce und seine ethische Orientierung beruht auf dem RTL2-Nachmittagsprogramm. In drei Monaten wird er Vater.


Bier trinken und Gott 'nen guten Mann sein lassen: Jede Form von Frieden ist mir recht und diese ganz besonders.


Bei diesen Dingen, die vielen Leuten doch wichtig sind, – Strandurlaube, Geldanlagen, Möbel, sexuelle Eroberungen, ein Auto fahren, Armbanduhren – ist er etwas achtlos; eine richtige Lusche, wie er selbst sagt. Er schlendert lieber durch die Gegend und ist zu allen freundlich.


Jahrmarktsgetöse, Mief hinter kandierten Fassaden. Es ist Sonntag und die Leute gehen hin.


Bevor ich hier noch für irgendwas den Kopf hinhalten muss, geb' ich ihn doch lieber morgens beim Reinkommen gleich an der Garderobe ab, witzelt Herr L. gern über seine Arbeit. In 5 Monaten geht er in Rente und er weiß nicht, was er dann machen soll. Er weiß es wirklich nicht.

Freitag, 22. April 2022

 Bevor er sich von der Arbeit noch verrückt machen ließ, brachte er ihr lieber eine gesunde Portion Verachtung entgegen. So läuft das nun mal in einem reinen Abhängigkeitsverhältnis.


Alles muss heutzutage "schlank und effizient" sein und das Bierdosenblech wird auch immer dünner, man mag die Dinger ja kaum noch in die Hand nehmen. Alles machen sie einem kaputt, alles!


Gefangen in einem Beruf, einer Ehe – in einem Leben, das ihn von Tag zu Tag unglücklicher macht, stellt er sich gerade vor, ihn ereilt eine unheilbare Krankheit, die ihm nur noch ein paar Jahre lässt. Für zumindest diese Jahre hätte er dann den Mut zur Freiheit, denkt er.


Seine Eltern lebten ein Leben voller Zwänge und Missgunst. Er machte alles anders und die Falle, in die er dann schließlich geriet, war auch nicht ohne, aber es war seine eigene – was es aber auch nicht unbedingt besser machte.


Diese ganze Ratgeber- und Kalenderspruchpsychologie, mit der sie ihm dann kamen, die nahm ihm dann endgültig das Interesse an jeglicher Innenschau. Er machte sich über andere Dinge Gedanken, pragmatische Dinge. Das half.


Er verdiente gut, mehr als gut, dabei war seine Arbeit, im Grunde der ganze Beruf, unnötig, absurdes Blendwerk. Er wusste, ohne die Anstellung wäre er aufgeschmissen, er konnte nichts richtig, hatte niemandem wirklich was zu bieten. Wem sollte er was vormachen?

Mittwoch, 20. April 2022

 Eindeutig das schlimmste an den Feiertagen sind die Feiertage.


Als Hampelmann seiner Ungeduld hampelte er durchs Leben, nervte, machte sich und andere verrückt. Tja, so war er und so war dann auch sein Leben.


Er knackte eine Bierdose auf und nach einer kurzen Pause redete sie am anderen Ende der Telefonleitung mit veränderter Stimme weiter. Es kümmerte ihn nicht, er machte ihr nichts mehr vor, er machte niemandem mehr was vor. Was sollte der ganze Bullshit überhaupt noch?


Er erinnerte sich: Sein Gürtel war aus Plastik, seine bunten Hosen kratzten, die Schule war ein seelenloser Plattenbau und im Schulbus wurde ihm jedes Mal schlecht. Zuhause roch es nach Zwiebeln und kaltem Stein. Das Leben war ihm unangenehm, immer schon.


Die Zeit kroch ihm davon und er ließ sie machen.


Er hatte so seine Probleme im Zwischenmenschlichen und so verordneten sie ihm Liebe: Selbstliebe! – Zuvörderst solle er lernen, sich selbst zu lieben, sich zu achten und er hatte keinen blassen Schimmer, von was diese Arschficker da überhaupt redeten.

Donnerstag, 14. April 2022

 Durchs Küchenfenster wirft er einen kurzen Blick auf die Straße, nichts und niemand erwartet ihn. Im Kühlschrank steht noch Bier.


Sein dröger Beruf war ein Auslaufmodell, er auch. Seine Ehe, seine Bürgerlichkeit, sein bescheidener Wohlstand: eine Farce, die ihn Tag für Tag verhöhnte, ihn lähmte. Seine Schwiegereltern erzählten rum, er habe eine Midlife-Crisis.


Der Anlass war klein, die Aufregung groß. Hysterie und Langeweile, irgendsowas, und während sie keifte und spuckte, kippte er im Stehen sein Bier und warf dabei theatralisch den Kopf in den Nacken, wie so'n Dirigent oder wie'n Bekloppter. Im Fernseher lief "Medical Detectives".


Er geht jetzt auf die 50 zu und er prahlt immer noch damit, wie viel Alkohol er verträgt. Nun ja, mit seiner zweiten großen Leidenschaft, dem dekorativen Bemalen von Dachziegeln, ist er nun mal nicht in dem Maße erfolgreich.


Früher nutzte er den Sonntag, um seinen Kater auszukurieren. Der Tag hatte seinen Zweck und auch diese Gemütlichkeit, die Zeit ging ganz von selbst rum und es ging einem nach und nach besser. Jetzt sind Sonntage nur noch Sonntage. Der Sauferei weint er keine Träne nach, den alten Sonntagen schon.


"Eher friert die Hölle zu, als dass ich ...", verkündete er lauthals. Und dann brach offenbar die Zeit der gefrorenen Hölle heran.


Die Haare trägt er kurz und die Fäuste geballt
So zieht er los, ist geil auf Gewalt
Äußerlich mächtig feist
Drinnen noch ein Kind im Geist
Ein Idiot, wie er im Buche steht
(er selbst den Büchern aus dem Wege geht)
Gewalt ist seine Zier
Gut, ich hol mir jetzt besser noch'n Bier

Dienstag, 5. April 2022

 Jedes Mal, wenn er sich wegen irgendwas groß Hoffnungen gemacht hatte, war dann die Enttäuschung groß. Sich über irgendwas groß Gedanken zu machen, gewöhnte er sich in dem Zuge dann auch gleich ab.


Für die langen Sätze und die dicken Bücher hatte er auch schon keine Geduld und keinen Sinn mehr. Zum Punkt kommen! Er wollte nur noch zum Punkt kommen, aber der ganze Scheiß ging einfach immer weiter und weiter.


Schon als Kind mochte er keine Clowns, den lustigen nicht und den traurigen schon gar nicht. Später entdeckte er für sich den zerlumpten, mürrisch versoffenen Clown; den mochte er, dem konnte er was abgewinnen.


Geduldig und gleichmütig steht er in der langen Schlange vor der einzig offenen Supermarktkasse. Er stellt sich einfach vor, er wartet auf den Tod. – Was er letztendlich ja auch tut.


Damals, Samstagabend in der Dorfdisko, wir waren 15, 16 Jahre alt und nur die Softdrinks und die wilden Geschichten von den Großstadtdiskos, die wir uns vom Hörensagen erzählten, sorgten für etwas Unterhaltung. Und den Dorfdisko-DJ verachteten wir am meisten.


Er war nicht dumm, nicht langsam im Kopf. Er besaß ein großes Talent zur Trägheit und sein Leben verlief unaufgeregt; es war ein gutes, ein schönes Leben.


Trotz seiner grundsätzlich konservativen Gesinnung gefielen ihm diese sogenannten "Emojis" von Anfang an und er machte reichlich Gebrauch davon, ließen sich doch damit seine wahren Gefühle wunderbar einfach kaschieren. 😁 😂


Seine beinahe schon asketische Genügsamkeit erwies sich dann tatsächlich als die preiswerteste und effektivste Altersvorsorge.


Damals, in den Büros, als die PCs noch weiß waren und sich allmählich graugelb verfärbten: tja, so dolle war das alles auch schon damals nicht.