Montag, 26. Februar 2024

 Der Arbeiter arbeitet sich im Lauf der Jahre den Rücken kaputt, der Dienstleister die Psyche. Und viele von ihnen wünschen sich irgendwann, sie hätten den Job des anderen.


Trist und perspektivlos, so erlebt und beschreibt er es. Carsten W. ist lohnabhängig.


Und dann polterte sie wieder gereizt und verbittert mit dem Staubsauger durch die Wohnung, das war inzwischen ihre Antwort auf alles.


Nicht nur bei der Arbeit, auch sonst duckte er sich nicht weg; das wäre viel zu auffällig. Mit seiner freundlichen Unverbindlichkeit erreichte er mehr, blieb so viel eher für die anderen unsichtbar.


Er ließ sich lieber treiben, vertrödelte seine Zeit, im Grunde sein ganzes Leben. Die Welt ging davon auch nicht unter. Nur die seiner Eltern, die allerdings schon.


Nahezu jeden Morgen begegneten sie sich auf dem Weg zur Arbeit an dieser Kreuzung. Sie schnellen Schritts mit geradem Rücken und erhobenem Kopf, er genau das Gegenteil. Ohne sich zu kennen, dachten sie sich beide ihren Teil.


Die Art, wie seine Frau ihm jeden Abend irgendwelche Banalitäten von ihrem Tag erzählt, wie sie sich dabei in Nebensächlichkeiten verfängt, den Faden verliert und dann mit einem "Na ja, jedenfalls ..." wieder von vorn beginnt, lässt ihn dann endgültig erschöpft ins Bett gehen.

Donnerstag, 22. Februar 2024

 Nicht nur sein Auftreten, sein ganzes Wesen ist von marktschreierischer Penetranz. Er ist nur eine kleine Nummer, ein Möchtegern, aber ihm und seinesgleichen gehört die Welt, daran lässt er keinen Zweifel.


Weil draußen das Wetter mal wieder seit Tagen grau, stürmisch und verregnet ist, sagt Friedrich M. zu seiner Frau: "Die haben uns unser Klima schön kaputt gemacht." Er schaut viel fern, so Sendungen, weiß das immer alles.


Klar könnte ich mit der Sauferei aufhören, jederzeit. Aber was soll ich denn bitteschön den lieben langen Tag machen? Die Wohnung putzen? Mein Geld zählen? Gedichte schreiben? Ihr habt sie doch nich' alle!


Er sieht sich schon im Ruhestand, wo er sich dann mit irgendeinem Blödsinn beschäftigt; auf jeden Fall mit so was, wo er viel unter Leuten ist, denen er dann gehörig auf den Sack gehen kann. Er hat da schon die ein oder andere Idee.


Nein, reich wird man damit nicht, aber er arbeitet gern in seinem Second Hand-Plattenladen. Würden da nur nicht immer wieder diese Arschgeigen aufkreuzen, die sich selbst als "ernsthafte Sammler" bezeichnen und ihn mit ihrem Scheiß belehren.


Bei der Politik, da hält er sich raus, mag den Scheiß nicht hören. Wenn einer am Tresen damit anfängt, dann fokussiert er sich auf sein Bier, atmet, nimmt 'nen Schluck, atmet, steckt sich 'ne Kippe an, inhaliert, atmet ...  –  Wenn's drauf ankommt, macht er das den ganzen Abend.


Bis ins hohe Alter schwelgte er in kindischen Tagträumen. In ihnen war er very special, 'ne coole Sau, einer der ganz Großen, der, der es schließlich allen zeigt. Daraus wurde natürlich nichts, aber das Schwelgen war schon schön.


Als er dann begriff, dass es sinnlos war, dass es ja doch nicht besser wurde, schloss er endlich Freundschaft mit der Trostlosigkeit und Ohnmacht, trank ein Bier mit ihnen, oder auch mal zwei oder drei. So ging die Zeit dann letztlich auch gut rum.

Montag, 19. Februar 2024

 Um damit umzugehen, dass er von der Stütze lebte, spielte er dann irgendwann den Zwielichtigen, ließ sich tagtäglich blicken, immer auf'm Sprung, weil er gerade was Wichtiges am laufen hatte; so Sachen halt, Geschäfte. Und seine Bekannten im Kiez spielten mit.


Neuerdings schmückte auch er sich mit einer Moral, trug sie vor sich her, stolz und modebewusst.


Auf der Straßenfest-Bühne spielen sie Hardrock, covern Bon Jovi, Guns N' Roses, so was in der Richtung, machen dazu diese Bewegungen und nehmen sich ernst; Lehrer in Pension vielleicht.


In seiner Jugend damals waren die Jeanshosen auch schon mal so hauteng. Und wie er sich jetzt so daran erinnert und zurückblickt, da wird ihm bewusst, dass ihn dieser spezielle Aspekt seiner Jugend allerdings herzlich wenig interessiert.


Gemach und nach und nach – groß was anderes fiel ihm zu all dem Kokolores auf der Arbeit und im Privaten auch nicht ein.


Das Unvermögen, höflich zu sein beziehungsweise zu bleiben, beschäftigte ihn. Er verstand es nicht, beobachtete er es doch bei den tatsächlich unterschiedlichsten Menschen.


Er war dumm und sensibel. – Ja, das gibt's auch, nur sagt man dann empfindlich.


Dann im Alter stellte sich bei ihm eine große Unzufriedenheit ein, schließlich tiefe Verbitterung, und er wusste nicht, was er denn hätte anders machen sollen, sein Leben lang hatte er alles richtig gemacht.

Freitag, 16. Februar 2024

 Sein Vater war ein Aktenkoffer-Vater gewesen, nicht einer dieser lässigen Umhängetaschen-Väter. Aber er weiß gar nicht, ob er als Kind so eine Lässigkeit an seinem Vater überhaupt geschätzt hätte.


Sie machte Karriere, gab alles dafür, immerzu machte sie sich und andere verrückt. Selbst wenn sie lachte, klang es überdreht und gehetzt.


Alkohol mag er nicht, er hält sich lieber ans Essen, jeden Abend nach der Arbeit stopft er sich voll, frisst sich schlaff, kaut, schmatzt und schluckt, bis er nichts mehr fühlt; dann erst kann er ins Bett.


Seine Freund- und Bekanntschaften damals beruhten ausnahmslos auf einem gemeinsamen Drogen- und Musikgeschmack. Aber er wurde älter und vernünftig und seine Freund- und Bekanntschaften heutzutage beruhen nun auf gegenseitiger Verpflichtung und Nerverei.


Sichtlich aufgebracht telefoniert eine junge Frau, ca. Mitte/Ende 20, lautstark auf dem Bahnsteig. "Geh zur Hölle!", keift sie weit hörbar ins Telefon und dann sogar nochmal: "GEH. ZUR. HÖLLE!". Nun, die Sachlage ist klar, sie schaut eindeutig zu viel Film und Fernsehen.

Montag, 12. Februar 2024

 Eben beim Bäcker wollte ich eigentlich so ein Laugenbrötchen kaufen, aber die Produktbezeichnung "Laugen-Willi" kam mir nicht über die Lippen, da stand mir mein Stolz im Weg.


Die Gegenwart ist ihm eindeutig zu unerfreulich, viel zu hysterisch. Er lebt lieber in der Vergangenheit, hört die alte Musik, sieht die alten Filme, macht sich'n Bier dazu auf. Und wenn's das für ihn gewesen sein soll, dann war's das eben.


Ja, hätte er mal auch so einen Wohlstand, dann hätte er bestimmt auch dieses Muffensausen von wegen Wohlstandsverlust und so. Jetzt immerhin in der Richtung muss er sich ausnahmsweise mal so gar keinen Kopp machen.


Auch bei ihm wurde das Lesen immer häufiger ein Drüberhinweglesen. Als geübter Leser erkannte er die Passagen leeren Geschwafels recht schnell und zuverlässig. Und seinem Empfinden nach wurden die immer länger, wenn nicht sogar gänzlich tonangebend.


Montagmorgens quält er sich zur Arbeit, die Einsamkeit vom Wochenende wiegt noch schwer.

Mittwoch, 7. Februar 2024

 Im Büro über eine Arbeit gebeugt, die ihn noch nie interessiert hatte, wurde er langsam alt. Manchmal dachte er darüber nach, meistens aber nicht.


Immer mal wieder, zumeist in der Kantine, sprechen die Kolleginnen und Kollegen von einem "schönen Tag" oder einem "netten Abend" und je mehr sie dabei ins Detail gehen, desto weniger versteht er es.


Die Tage erlebte er als etwas in sich Geschlossenes, die Wochen auch noch wegen der Wochenenden, die Monate schon nicht mehr, vielleicht noch ein wenig wegen der Gehaltszahlungen, aber die Jahre waren tatsächlich nur noch die Abzählung seiner Lebenszeit.


Seit vielen Jahren schon schreibt und sagt er nur noch "zu Hause" und nicht mehr "daheim". Er macht sich nichts vor, "zu Hause" ist ein Ort, "daheim" ein Empfinden.

Samstag, 3. Februar 2024

 Geilheit und kitschige Gefühle, das war's, mehr war da nicht gewesen, deswegen hatte sich sein Vater damals auf seine Mutter eingelassen. Sichtlich alkoholisiert hat er es ihm mal anvertraut.


Als sie endlich all die organisatorischen Angelegenheiten um den Tod ihres Mannes, vor allem die behördlichen, soweit geregelt hatte, sagte sie: Ein Segen, dass ich mich nicht um meinen Tod kümmern muss, wenn ich tot bin.


Es machte ihn wütend, bisweilen cholerisch, wenn ihm nicht die Aufmerksamkeit zuteil wurde, die ihm seiner Meinung nach zustand. Seine innere Aufgeblasenheit ließ ihn sozusagen immer wieder hochgehen.


Wenn sie mal wieder jemanden gehörig vor den Kopf gestoßen hatte, sagte sie gern "ich sag' nur, wie's ist". Als ob ausgerechnet sie wusste, wie was ist.

Donnerstag, 1. Februar 2024

 Ihm reichte es im Grunde, wenn er seine Ruhe hatte, das war schon was. Und ab und an ein Bier, das auch. Und wenn es ihm dann noch vergönnt war, in Ruhe ein Bier zu trinken, das war dann das Größte, nicht zu überbieten war das – höchstens mit noch 'nem Bier.


Enttäuscht, nein gänzlich angewidert vom Kulturbetrieb eröffnete er einen schrulligen Groschenheftladen und sprach und diskutierte mit seiner Kundschaft endlich wieder mit Freude und Witz über literarische und erzähltechnische Qualitäten einzelner Publikationen.


Na gut, dachte er sich, dann setz' ich mir jetzt eben 'ne billige Perücke auf, geb' mir 'nen bescheuerten Namen wie Wendehals oder Hüftgold und sing' blödsinnige Texte zu den immer gleichen Liedern.
Aber auch das bekam er nicht hin.