Sonntag, 14. Oktober 2018

Er lebt allein, arbeitet Vollzeit. Tag für Tag, Woche für Woche, immer das Gleiche, Jahr für Jahr. Jede Nacht kurz vor dem Einschlafen überfällt ihn mit voller Wucht das Bewusstsein für seine Einsamkeit und Ohnmacht.
Der unglücklich im MediaMarkt angestellte Informationselektroniker Rüdiger S. kompensiert seine fachliche Unterforderung durch einen zynisch arroganten Umgang mit der seiner Meinung nach hochgradig schwachsinnigen Kundschaft. Sein Traum ist es, als Berufsschullehrer zu arbeiten.
Nachdem ihm seine euphorischen Äußerungen im Suff immer wieder äußerst peinliche Scherereien eingebracht hatten, ging er in sich und erkannte schließlich das teuflisch zerstörerische Potenzial der Euphorie.
Jens S. ist ein geduldiger und grundgütiger Ehemann, aber als seine Frau im Discounter mal wieder mit jeder Cellophanverpackung eine gefühlte Ewigkeit knistert und raschelt, als wolle sie ihnen ein Geheimnis entlocken, bevor sie sie in den Einkaufswagen legt, muss er sich doch sehr beherrschen.
Aufgrund seiner Überzeugungen verlor er hoffnungslos den Anschluss. Aus kindischem Trotz und um sein Gesicht zu wahren und weil er sonst nichts mehr hatte, hielt er an seinen Überzeugungen fest. Und sein Hass wuchs.
Der Versicherungsvertreter Carl L. stellt in der Agentur stets sein Licht unter den Scheffel, um seine beruflichen Erfolge noch zusätzlich zu adeln. In rührseligen Tagträumen sieht er sich, wie er von Demut ergriffen das Bundesverdienstkreuz entgegennimmt.
Der ansonsten äußerst seriös konservativ auftretende Sales-Manager Friedhelm F. legt großen Wert auf exzentrisches Schuhwerk und knallbunte Socken. Solange die Verkaufszahlen stimmen, darf er sich das erlauben. Er ist stolz auf seine Schuhe und ganz besonders auf seine Socken.
Nachdem er von seinem Enkel erfolgreich dazu animiert wurde, sich auch mal bei diversen sozialen Medien anzumelden, wurde ihm sehr schnell wieder klar, warum er sich schon früher immer am liebsten aus allem rausgehalten hatte.

Sonntag, 7. Oktober 2018

Er hasst nicht nur seinen Job, er hasst den ganzen verdammten, sinnlosen Beruf, diese ganze dreckige Werbebranche. Aber er ist Anfang 50 und dann ist da auch noch das Haus. Sie haben ihn voll an den Eiern. Selbst angetrunken macht er sich keine Illusionen mehr.
Das Formulieren von Bewerbungsschreiben für Jobs, die man eigentlich gar nicht haben will, ist eine sehr konkrete Lektion über den praktischen Wert von Wahrhaftigkeit und Authentizität.
Auf die provokante Nachfrage, ob sie sich allein um der Sache willen empört oder ob es ihr dabei auch um Aufmerksamkeit und Zugehörigkeit geht, reagierte sie hochgradig empört.
Hin und wieder stellte er den Kollegen bei der Arbeit Fragen, um Interesse zu heucheln. Dann wurde ihm selbst das zu viel, das Desinteresse gegenüber Kollegen und Arbeit war einfach zu befreiend.
Bei einem Glas Wein und einer Zigarre liest Herr M. im Lokalblatt die Ankündigung einer Kunstausstellung im Gemeindezentrum. Der Künstler wolle mit seiner Kunst die Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißen. Beim Loslachen verschluckt M. sich am Wein, die Zigarre fällt ihm in den Schoß und zack ist's vorbei mit der Bequemlichkeit.
Seine Problemschüler werden allesamt später einmal sehr erfolgreiche Rapmusiker, Fußballprofis und Dartspieler, sagt sich der Grundschullehrer Hans-Uwe H. autosuggestiv jeden Morgen. Acht Jahre Schuldienst muss er noch irgendwie überstehen.
Als Schüler meinte er, dass die Pausenbrote der Mitschüler grundsätzlich besser waren als seine. Als er Karriere machte und reich wurde, beneidete er die armen Leute um ihre Unbekümmertheit. Als er hochbetagt im Sterben lag, empfand er erstmals so was wie Gerechtigkeit.
Nach vielen Jahren disziplinierten Übens konnte die "The Sweet"-Coverband "The sweet Sweet" die Sweet-Songs derart perfekt covern, dass sie klangen, als spielten sie nur Playback und wurden von den Veranstaltern nicht mehr gebucht.
Nach 30 Jahren sein altes Heimatdorf besuchend stellte er fest: Sogar der örtliche Friedhof lag im Sterben.
Auf die Begrüßungsfloskel, er habe sich aber gut gehalten, witzelt Holger "Holli" H., sein Körper sei ja auch seit 20 Jahren in Alkohol eingelegt. Er übertreibt natürlich; eigentlich sind es nur 18 Jahre, 2 Monate und 9 Tage.
Jetzt, wo sein BMW endlich fertig aufgepimpt ist, wirft er auch schon mal einen genaueren Blick auf seine Freundin.
Lange Jahre fragte er sich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit, wie viel Kröten er wohl heute von seinen Kunden und seinen Vorgesetzten zu schlucken bekommt. Dann legte er dazu Statistiken an, schrieb Erlebnisberichte und entwickelte geradezu eine Lust am Krötenschlucken.
Der Heinz Erhardt- und Rosamunde Pilcher-Zitate rappende Nachwuchsrapper KleinBörgerYo überforderte die Zuhörerschaft intellektuell und wurde beim gestrigen Battle-Rap gnadenlos ausgebuht.
Kai-Uwe war ganz ein Netter. Er war nett zu Hunden und zu Katzen, sogar zu Würmern und Spinnen war er nett. Selbstverständlich war er nett zu Kindern und auch zu Erwachsenen; zu den Sanftmütigen war er nett und zu den Aggressiven war er nett. Er war unerträglich.
Der rein emotional gesteuerte Hitzkopf Ralf R. schlug wieder mal wegen eines banalen Missverständnisses brutal zu und brach sich dabei die Hand. Dabei war die Münzeinwurfanleitung an dem Blumenautomaten sogar extra noch Schritt für Schritt mit farbigen Piktogrammen illustriert.
Im Sozialen wie im Privaten ist es oft keine Frage des Geldes, sondern eine der Kultiviertheit. Und Kultiviertheit ist keine Frage des Geldes.
Der bald in Rente gehende Hilfsarbeiter Udo M. schlurft morgens in verdreckten Cargohosen zur Arbeit. Die einst abfälligen Blicke der Passanten haben sich schon seit einigen Jahren in Blicke voller Anerkennung gewandelt. Aber davon kann er sich auch nichts kaufen.
Inzwischen gehört der Ex-Punk und Szenegänger Steffen 'Specki' S. auch zu den Leuten, die hier sofort wegziehen, wenn sie es sich leisten können. Trotz Vollzeitstelle kann er es sich aber nicht leisten.
Statt am Ruder sitze ich jetzt endlich am Steuer des Lebens, dachte sich Hajo H. nach dem unerwarteten Geldsegen. Nach einer kurzen Phase der Orientierungslosigkeit setzte er sich wieder zu den Ruderern.
Nachdem Klaus-Udo erfolgreich eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hatte, lehnte er schelmisch grinsend jedes berufliche Fortbildungsangebot seines Arbeitgebers ab.
Was sucht ein Mann über 50 noch im Alkoholrausch? Eine Bestätigung seiner Resignation? - Nach reiflicher Überlegung fiel ihm dazu nichts ein, also goss er sich einfach so noch einen nach.