Sonntag, 31. Oktober 2021

 Wenn's bei ihm im Leben mal bergab geht, dann nur, um Fahrt aufzunehmen für den kommenden Aufschwung, dachte er; wie bei so 'ner Achterbahn, dachte er. - Dachte er.


An seinem ersten Tag als Rentner machte er sich morgens um 9 einen Instantkaffee und schaute teilnahmslos aus dem Küchenfenster in den Hinterhof, genau so wie seit den letzten acht Jahren seiner Arbeitslosigkeit auch.


Schlichtweg seine Arbeit zu verrichten, einfach seinen Job zu machen, das war nie sein Problem, das ganze verlogene Theater drumherum war es.
Oft wünschte er sich, allein im Wald zu arbeiten: Holz sägen, Tiere zählen, nach dem Rechten sehen, irgendsowas.


Auch wenn er Arbeit nur vortäuschte, mit Papieren in der Hand ziellos umherlief oder sonst wie die Firma um bezahlte Arbeitszeit betrog: Es war Lebenszeit, die draufging, so oder so.


War er nun besonnen oder eher unentschlossen oder einfach nur faul? Er wusste es selbst nicht. Solche Dinge entschied auch eher seine Frau für ihn.


Sozial erwünschte Plattitüden höre ich immer wieder gern; so wie damals meine Otto-Platten.

Sonntag, 24. Oktober 2021

 Jedes Wochenende begießt er mit Alkohol seine Träume und jeden Montagmorgen quält er sich dann aus ihren Trümmern.


Den anderen bereitete es Sorgen, aber er wünschte sich insgeheim schon lange, dass endlich irgendeine Maschine seine Arbeit verrichtet. Der Rücken machte ihm Probleme, die Gelenke taten weh und überhaupt, er hatte genug.


All diese leeren Tage, vollgestopft mit Erledigungen und Besorgungen.


In ihrem Gesicht liegt immer dieses zaghaft unterdrückte Lächeln. Es reicht, dass sie ihm bei der Arbeit nur mal kurz über den Weg läuft, schon fühlt er sich besser.


Seit knapp 4 Jahren sitzt er ihr jetzt im Büro gegenüber und plötzlich fällt ihm ein, dass sie ihm in all der Zeit ja noch nie etwas erzählt oder gesagt hat, was er wirklich witzig oder interessant gefunden hat. Und ihr geht es bestimmt genauso.


In seinen jungen Jahren war ein Abschied immer auch ein Neuanfang. Jetzt klammert er. Selbst den verstaubten alten Mief lässt er nicht los, ahnt er doch, dass da groß nichts mehr auf ihn wartet.


Heute hatte er sein 25jähriges Dienstjubiläum. Er musste einen ausgeben und bekam eine Urkunde überreicht. Sein Chef hielt eine Ansprache, die ein paar Witzchen enthielt. Er weiß nicht, wann er sich zuletzt so niedergeschlagen gefühlt hat. Er weiß es wirklich nicht.


Dass er es nun mit Leuten zu tun hat, die sich an den Wochenenden gegenseitig zu Spieleabenden einladen, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Ist dieses Berufsleben womöglich auch seine Endstation?


Er ertrug es einfach nicht mehr, all die Enttäuschungen, Kränkungen und Peinlichkeiten. Jetzt lebt er allein in einer 1-Zimmer-Whg., schaut viel fern, am liebsten Filme, die er schon kennt. Anders kriegt er's nicht mehr hin, will es auch gar nicht.


Es tut ihm ja leid, aber er findet's nun mal lächerlich, es ist nichts Persönliches, er findet so ziemlich alles nur noch lächerlich, weil, nur so erträgt er's, ohne gehässig oder bösartig zu werden, und das will er nun mal nicht.


Kein normaler erwachsener Mensch mag Mitmachtheater und trotzdem wird fleißig mitgemacht; überall und jederzeit, schauen Sie sich doch nur mal um!


Wenn er sich mal aufregt, dann nur über irgendso'n Quark, der ihn überhaupt nichts angeht. Dann geht's schnell wieder vorbei und er hat seiner Frau gezeigt, dass auch er sich durchaus mal aufregen kann.

Sonntag, 17. Oktober 2021

 Aus Langeweile kauft er Zeug. Im Baumarkt. Oder so T-Shirts mit so Sprüchen drauf. Sie geht ja am liebsten zum Frisör und seit einiger Zeit auch zum Nägelmachen. So kriegen sie ihre restlichen Jahre auch noch rum.


Je exklusiver die Designermöbel in ihrem City-Loft mit der Zeit wurden, desto sehnsüchtiger dachte er an seine erste eigene Bude zurück, damals im Hinterhof mit den Sperrmüllmöbeln und all der Unbeschwertheit darin.


Der Kollege Achim H. fällt bei den Weihnachtsfeiern immer unangenehm auf und alle freuen sich jetzt schon wieder darauf.


Ihn zu hassen, kam ihr nie in den Sinn, dafür aber tief empfundene Freude, wenn er nicht da war.


Früher dachte er immer, Drogen würden das Bewusstsein verändern. Aber dann lernte er das Erwerbsleben in Form einer unbefristeten Vollzeitstelle kennen.


Am ersten Tag der Home-Deko-Messe treffen sich die Profis und fachsimpeln in kleinen Gruppen laut und gut gelaunt daher. Offenbar nehmen sie sich, ihr Fachwissen und ihre Branche durchaus ernst, inmitten von all dem Tinnef.

Samstag, 9. Oktober 2021

 Morgens war er klar und aktiv im Kopf, malte sich ein Leben aus. Dann musste er zur Arbeit.
Abends stellte er den Fernseher an und alles war sinnlos.
Das war so sein Rhythmus. Und sein Leben.


Der ansonsten völlig unauffällige ältere Herr im 6. Stock führt in seiner Wohnung laute Selbstgespräche. Manchmal schreit er auch. Niemand spricht ihn darauf an oder beschwert sich über ihn. Wie ihm geht es vielen.


Er war jetzt Anfang 30 und immer noch ein Idiot. In manischen Großmannsträumen fuhr er im Supersportwagen durch den Kiez, gefeiert von den steilsten Bitches - und wenn die Träume dann wieder an seiner kläglichen Realität zerbrachen, schlug er zu. Irgendein Opfer fand sich immer.


Seine Ansichten passen mir nicht und seine Beliebtheit geht mir entschieden zu weit. Mal schauen, wo man ihn gut missverstehen könnte, dann werd' ich dem Bastard auf die moralische Tour mal mächtig einen reinpfeffern!


Sie war bei allem immer dermaßen gesundheitsbewusst, dass es sie ganz krank machte, wenn sie mal krank wurde.


Für immer mehr Menschen wird der Arbeitsplatz im Laufe des Lebens zum einzigen Anknüpfungspunkt für soziale Kontakte. Kein Wunder, dass immer mehr allein leben (wollen).

Sonntag, 3. Oktober 2021

 Plötzlich hielt er inne, lehnte sich zurück und schaute sich um. Schaute, als zöge er ein schleimig triefendes Haarbündel aus einem verstopften Abfluss. Seit tatsächlich 20 Jahren sitzt er jetzt also in diesem Büro.


Er ist in den späten 70ern mit der Punkkultur erwachsen geworden, mit der Umwertung aller Werte, und das hilft ihm bis heute. Nur so hält er es aus, dieses ganze Getöse um die jeweilige Korrektheit.


Irgendwie waren die Menschen schon immer bescheuert. Es gab mal eine Zeit, da haben sie Geld für Klingeltöne ausgegeben.


Hannes A. wird älter, der Gang langsamer, das Furzen unkontrollierter. Hannes steht aber über diesen Dingen, er besitzt Fröhlichkeit.


Er zog es durch, bis zum bitteren Ende. Sogar bei seiner betrieblichen Verabschiedung zum Renteneintritt sprach er mit den Kolleg:innen ausschließlich in wohlmeinenden Floskeln, die gar nicht wohlmeinend waren; sie waren gedankenlos und gleichgültig. Und er lächelte.


Seine karierten Arbeiterhemden hat sie immer gehasst. Sie wünschte sich einen Mann in feinen Hemden. Und wenn er sich ihr zuliebe mal herausputzte, dann machte es das für sie nur noch schlimmer.


Als er es dann endlich schaffte, mit der Trinkerei aufzuhören, hatte er plötzlich alle Zeit der Welt, mit der er alles Mögliche anfangen konnte. Er fing wieder an mit der Trinkerei.


Er lachte über seine Fehltritte, empfand keine Reue, keine Scham. Betrachtete er doch die ganze Menschheit incl. seiner Winzigkeit als einen kurzen Fehltritt der Evolution, einen Witz.


Seitdem er sich entschlossen hatte, die Wochenendsauferei hinter sich zu lassen, ging er gern am frühen Sonntagmorgen auf der Partymeile spazieren. Was er da sah und wie er sich dabei fühlte, frisch und ausgeruht, bestärkte ihn in seinem Entschluss.