Sonntag, 31. Dezember 2023

 Wieder mal hatte er die Vorstellung, sich einfach irgendwann konsequent tot zu saufen. Auch als eine Art Statement, als beleidigtes Abwenden von diesem unfreiwilligen Dasein, mit dem er im Grunde nie was anzufangen wusste.


Er war erschöpft von den Zumutungen dieses tagtäglichen Irrsinns. Und da war nichts mehr, was ihn wieder aufbaute, nur noch die Sehnsucht nach einer alles durchdringenden Gleichgültigkeit.

Mittwoch, 27. Dezember 2023

 Und dann sollte man sich endlich für einen Beruf entscheiden und das war es dann, was man war.


Aufgedruckte Lustigkeit auf T-Shirts und Kaffeebechern.


Bei aller Intelligenz, Kompetenz und Strebsamkeit scheiterte er dann doch aufgrund seiner Arschlochhaftigkeit. Dass er das Scheitern dann in keinster Weise realisierte, war ein Aspekt dieser Arschlochhaftigkeit.


Die Chefetage war nicht im Haus, das komplette Kollegium saß entspannt in der längst überzogenen Mittagspause. Für einen kurzen Moment war man sich einig: Was soll überhaupt der ganze Stress, diese lächerliche Aufregung um irgendeinen Kleinschiss?


Die Nachbarn poltern umher, den ganzen Tag, von morgens bis abends poltern und lärmen sie in der Wohnung umher; sind unfähig zur Ruhe und Untätigkeit.

Sonntag, 24. Dezember 2023

 Nach jedem Arbeitstag soff er sich den Dreck von der Seele und nach 'nem kräftigen Bierschiss am nächsten Morgen ging's dann wieder weiter.


Geselligkeiten gingen ihm auf den Sack. Seiner Frau passte das nicht, sie zankte wieder und wieder mit ihm wegen seiner fürchterlichen Ungeselligkeit. Aber er blieb dabei: Geselligkeiten gingen ihm auf den Sack.


Das Beenden der Sucht, das endgültige Aufhören mit einem Letzten Mal zelebrieren – und dann nochmal, weil's so bedeutend ist, so erhebend. Und dann nochmal.


Sie war ein ums andere Mal unzufrieden, verfiel dann immer in eine bittere Streitlust, oft schon am frühen Morgen. Die Versöhnungen mit ihr waren wiederum warmherzig und voller Großzügigkeit; aber auch das wurde Routine.


Im hohen Alter beschwerte sie sich oft über ihre Einsamkeit und körperlichen Beschwerden und Einschränkungen. Allerdings, sagte sie mal, wenn sie so hört, wie schlimm es so manch andere trifft, da geht es ihr ja noch gut; das baut einen dann doch wieder etwas auf.


Das alles überforderte sie. Als ihr Mann noch lebte, hatte der sich immer um das alles gekümmert. Musste sie jetzt Entscheidungen treffen, wichtige Entscheidungen, dann traf sie sie anhand rein sentimentaler Überlegungen.

Mittwoch, 20. Dezember 2023

 Er drückt den Remote Key und das Auto hupt und blinkt. Wie ein Hund, der wufft und mit dem Schwanz wedelt.


Freudige Erregung, weil man einen Grund für eine persönliche Anschaffung hat; man kauft nicht aus innerer Leere, aus Langeweile, man hat einen vernünftigen Grund, einen auch für andere nachvollziehbaren, absolut vernünftigen Grund!


Eine Frau – um die 30, Business-Kostüm – diskutiert mit dem Kassierer, sie hält den Betrieb auf, redet aber ruhig und gefasst, fragt schließlich nach einem Vorgesetzten. Der kommt und hört ihr zu und erstattet ihr dann die 15 Cent aus seinem eigenen Portemonnaie.


Zwei Jugendliche rennen in Richtung Ausgang der Stadtbücherei. Einer ruft gut vernehmbar "Penis" und beide lachen erregt über ihren Streich.


Die Ruhe ist das Größte.

Donnerstag, 14. Dezember 2023

 Der erste Arbeitstag nach dem Urlaub war jedes Mal der schlimmste. Da wieder hin müssen, sich wieder diesem Scheiß aussetzen – und wofür? Damit es weitergeht, immer so weitergeht und man bloß nicht auf der Strecke bleibt mit all dem angehäuften Ballast um einen herum.


Ist er bei der Arbeit, ist er da eben und macht, was er eben machen muss. In Gedanken ist er dann woanders: Da, wo's schön ist, da sieht er sich sitzen mit 'nem Bier in der Hand und 'ner Zufriedenheit im Gesicht.


Es war offensichtlich, er hatte sich dabei was gedacht. Gedankenfrei wär's ihm vielleicht besser gelungen.


Als durch und durch sarkastischer Mensch verbrachte er in der Vorweihnachtszeit viel Zeit in den Warenhäusern und schaute sich um.


Mit 'ner tiefen Stimme und 'nem großen Penis wäre er wahrscheinlich etwas entspannter unterwegs, aber so –


Berufstätig und rentenfixiert, so steht er jetzt da, so verlebt er seine Tage, Wochen, Jahre. Als junger Mann hatte er solche Typen, wie er jetzt einer ist, immer verhöhnt. Dafür würde er seinem jungen Ich jetzt gern mal schön die vorlaute Fresse polieren.


"Live fast, die young!", das wär' nix für mich, das entspräche nicht meinem Way of Life, meinem Style. Im Alter mit 'ner gediegenen Altersvorsorge dastehen: DAS rockt! DA sehe ich mich.

Donnerstag, 7. Dezember 2023

 Alles schlecht zu reden, war die einzige Freude, die er noch hatte. Hinter seinem Rücken amüsierten sich die Leute über ihn, zitierten seine Meckerei und schnitten Grimassen dazu. Eine echte Win-win-Situation.


Ihm war Ehrgeiz immer schon eine Selbstverständlichkeit und er war stolz auf seinen Beruf und seinen Erfolg. Er hatte einfach Freude daran, die Leute über den Tisch zu ziehen; es zauberte ihm jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht und sein prahlerisches Auto war die Trophäe.


Bei den Dorffeierlichkeiten damals in seiner Jugend sorgte der Alkohol immer mal wieder für bemerkenswerte Unverblümtheiten; Gesprächsstoff für Wochen, wenn nicht Jahre. Später in der Anonymität und Liederlichkeit der Großstadt trank es sich dann erheblich ungenierter.


Das Schlimmste an der Weihnachtsfeier war wieder mal die feierlich verlogene Ansprache der Abteilungsleiterin. Und dass man mit dem Alkohol aufpassen musste, das natürlich auch. Und dann noch das Warten, dass endlich der erste aufsteht und sich verabschiedet.


Irgendwann geht einem ja selbst die Sauferei auf den Senkel, aber gut, nach zwei drei Tagen geht's ja wieder.


Nach jetzt über 20 Jahren im gleichen Job geht er Morgen für Morgen wie ferngesteuert zur Arbeit, sein ganzes Leben ist längst eine einzige Gewohnheit. Als junger Mann hatte er immer Heavy Metal gehört. Die CDs hat er noch und die gibt er auch nicht her.

Sonntag, 3. Dezember 2023

 Sein Name war Cliff Holden und so nannte man ihn auch: Cliff Holden. Er war groß, muskelbepackt, ein Hüne. Selbst der Schatten, den er warf, war von imposanter Härte.


Er war der Teufel in Person, knallhart mit den Fäusten, blitzschnell und skrupellos mit dem Schießeisen. Ein Mann mit Erfahrung, ein Mann, der sich grundsätzlich nicht ans Bein pinkeln ließ – schon aus Prinzip nicht.


Colton Smith war kein Mann großer Worte. Colton Smith war ein Mann der Tat. Ein Mann, der die Frauen zu überzeugen wusste. "Noch einen Whiskey!", sagte er mit fester Stimme zu der drallen Blondine. Sie lächelte und musterte ihn schamlos lüsternen Blicks.

Donnerstag, 30. November 2023

 Er setzte sich. Ein zwei Bier zum Feierabend, ein paar Minuten Ruhe, die kleinen Freuden eben, was anderes hatte er ja nicht. Große Freuden gibt's eh nur in der Vorstellung, dachte er dann und der Gedanke gefiel ihm, bereitete ihm Freude.


Seine materialistische Orientierung und streng bürgerliche Arbeitsmoral hatten ihn dieses Leben leben lassen. So war das eben. Von was sich die jungen Leute heute so leiten lassen, weiß er nicht, aber die werden schon noch sehen – so wie er das auch musste.


Ein eigenes Haus, einmal im Jahr eine Urlaubsreise, alle 7 Jahre ein neues Auto: Dafür gingen seine Eltern arbeiten. Darauf hatte er keinen Bock, er wollte immer ein anderes Leben und tatsächlich: Er geht nun arbeiten, um überhaupt erst mal Miete, Strom und Heizung zahlen zu können.


Weil und wenn ihm langweilig ist, kauft er sich irgendwelchen Kram. Früher in der Innenstadt, jetzt im Internet. Die Innenstadt vermisst er nicht, er war da immer nur aus Langeweile.


Er glaubte es nicht und es interessierte ihn auch nicht und damit lag er wieder mal goldrichtig.

Donnerstag, 23. November 2023

 Wirklich alles, was sie von sich gab, war durchdacht, korrekt und zudem auch noch zielführend. Wie kann man sich nur so unbeliebt machen!


Aber was hingegen das menschliche Verhalten betraf, da favorisierte er längst die einfachen, naheliegenden Erklärungen.


Als Geschäftsmann musste er sich natürlich lokal engagieren, sich sehen lassen: Vereine, Politik, Ehrenamt. So lief das nun mal. Und was ging ihm dieser ganze verlogene Zirkus auf den Sack! Nur damit er mit seinem Scheißladen noch einigermaßen über die Runden kam.


Er hatte sich immer gern sein Leben schöngetrunken. Rückblickend hat er so natürlich genau das Gegenteil erreicht. Und wo er jetzt so drüber nachdenkt, denkt er: Wär's nicht die Trinkerei gewesen, wär's was anderes gewesen, mit Sicherheit.


Er war ja immer schon überzeugter Nachtmensch; früher ist er da oft betrunken und lustig gewesen und jetzt schläft er da halt.


Schon als Kind las er viel, geradezu flüchtete er sich in die Welt der Bücher und er wuchs heran zu einem fantasiebegabten jungen Mann, einem liebenswerten Träumer. Sogar vom Geldverdienen hatte er romantisch abenteuerliche Vorstellungen.


Zweifelsohne noch am Leben begriff er sich selbst aber als bereits weitestgehend verstorben und so schlenderte er doch recht amüsiert durch diese Zwischenwelt mit all den seltsam umtriebigen Menschen darin, diesen sogenannten Alltag.

Mittwoch, 15. November 2023

 Auch bei ihm ging inzwischen das meiste für Miete, Heizung und Strom drauf. Dass die jungen Leute heutzutage nicht mehr so wie er malochen wollten, konnte er in der Hinsicht sogar so langsam verstehen, aber auch nur in der Hinsicht.


Immer wieder hat er vom Leben eins auf'n Deckel gekriegt, kaum ging's mal gut für'ne Zeit, da gab's auch schon wieder eins auf'n Deckel. "Damit der Mensch nicht hochmütig wird", hat ihm mal einer ins Gesicht gesagt. Selten hatte er derart einen Stuss gehört.


Auch seine Glückszahlen lassen ihn im Stich. Ab und zu mal 3 Richtige, damit er am Ball bleibt. So läuft's doch im Grunde überall: ausnehmen und abspeisen. Aber irgendwann zieht auch er das große Los, ganz klar, was wäre das auch sonst für ein Leben!


Als seine Eltern endlich begriffen, dass er statt wirklich zu studieren nur Party machte und Weibergeschichten nachging, drehten sie ihm mit Ende 20 den Geldhahn zu. Rückblickend muss er sagen, dass das das Beste war, was ihm passieren konnte – also, die Partys und Weibergeschichten natürlich.


Und als er dann mit der Sauferei aufhörte, musste er keine Kater mehr auskurieren und überhaupt wurden die Tage lang und eintönig.

Samstag, 11. November 2023

Das Paar in der Wohnung nebenan streitet mal wieder, es ist Alkohol im Spiel. Sie will "diskutieren", er seine Ruhe. Immer das gleiche Theater; beinahe schon von einer rührenden Lachhaftigkeit.


Gerade eben hat er mit einem Kollegen gestritten, ihn wegen einer Lappalie angeschrien. Jetzt sitzt er breitbeinig in einem Dunst aus Schweiß und Zwiebeln mir gegenüber und kaut mit offenem Mund und leeren Augen sein Pausenbrot.


Immer hatte sie eine Wut im Bauch. Bei allem, was sie machte: immer nur mit Wut und bitterer Miene, weil doch alles eine Zumutung war, eine persönliche Demütigung. Dass das Leben kein Zuckerschlecken war, brauchte man ihr nicht sagen, ihr nicht!


Früher fand er Wirrköpfe ganz amüsant, oft sogar interessant. Seitdem er an dem Infopoint einer städtischen Bibliothek arbeitet, sieht er das anders.


Immer wenn er witzig sein wollte, wurde er komisch.

Sonntag, 5. November 2023

 Seine süffisanten Anekdoten liefen jedes Mal darauf hinaus, dass andere dumm und unwissend waren. Das war es, was ihn amüsierte.


Und als er dann ihrem Beispiel folgte und auch er sich wieder mehr auf sein "real life" fokussierte, da wurde ihm schon nach wenigen Tagen wieder bewusst, um wie viel schöner und befriedigender doch das Virtuelle war.


Für ihn war's das jetzt mit Rührseligkeiten. Zu oft hatten sie ihn damit drangekriegt, ihn weichgekocht mit diesem zuckersüßen Dreck, mit dem sie ihre Absichten und ihre Herablassung kaschierten.


Und da saß er dann: in seinem Zellenbüro, mit seinem ergonomischen Headset und seinen zerrütteten Träumen.


Flachpfeifen und Arschgeigen, wohin man auch schaut: überall nur Flachpfeifen und Arschgeigen! – So sieht er das. Das ist sein Point of View, seine Philosophie.

Donnerstag, 2. November 2023

 Er fand sich da nicht zurecht und just als er eine Verkäuferin fragte, wo denn die Hosenabteilung sei, entwich ihm ein knatternder Furz. Er fühlte sich furchtbar, auch ohne den Furz, er fühlte sich nur noch furchtbar, nirgends mehr fand er sich noch zurecht.


Bereits als er seinen Beruf erlernt hatte, war er ihm peinlich. Der Beruf war Blendwerk, Augenwischerei. Sein gesamtes Berufsleben verbrachte er in der Angst, dass andere das auch erkennen und ihn fortan als lächerlichen Menschen betrachten.


Mit seinem losen Mundwerk und überhaupt seinem ganzen Auftreten lärmte und polterte er umher, nervte – und er merkte es nicht, wusste es nicht und er fühlte sich sauwohl in seiner Haut.


Die Witzigen sind stärker als die Starken.


Gestern Abend ertappte sie sich selbst bei der Überlegung, welches Outfit sie mal bei der Beerdigung ihrer Mutter tragen wird.

Sonntag, 22. Oktober 2023

 Nein, die Dinge wenden sich nicht wieder zum Guten, man gewöhnt sich einfach nur dran, das ist alles.


Früher hat er sich oft aufgeregt über die vorherrschende Verlogenheit und professionelle Schönrederei in seinem Betrieb und überhaupt in dem ganzen beruflichen Umfeld. Dann hat sich aber sein Sinn für Humor der Sache angenommen.


Am besten waren immer die Routinen bei der Arbeit, dann war er zumindest in Gedanken woanders.


Einem Kunden in einem Bekleidungswarenhaus beim Kaufentscheidungsprozess eines Kleidungsstücks, einer Hose etwa, beratend zur Seite stehen zu müssen, stellte er sich ungeheuerlich vor. Allein dieses Geschehen zu beobachten, ließ ihn innerlich erschaudern.


Die Möblierung seiner Wohnung weist, abgesehen von 2 im Flur verstauten Klappstühlen, keinerlei Geselligkeitsmöbel auf. Die Klappstühle hatte er sich mal angeschafft, da sie sage und schreibe mit 50% Preisnachlass verkauft wurden. Gebraucht hat er sie bislang nicht.

Sonntag, 15. Oktober 2023

 Er hörte sich selbst gern reden. Was er redete, war keineswegs originell oder denkwürdig, auch nicht amüsant, ganz im Gegenteil, aber er hörte sich nun mal selbst gern reden.


Andere lernten eine Frau kennen, zeugten ein Kind, bauten ein Haus und machten es sich irgendwann vor einem 70-Zoll-Fernseher in ihrem Wohnzimmer bequem. Sascha M. startete direkt mit dem 70-Zoll-Fernseher in seiner Einzimmerwohnung und dabei blieb es dann.


Sicherlich sind höfliche Menschen oft unehrlich, nicht verlogen, aber doch schon unehrlich. Im täglichen Miteinander, gerade hier in Deutschland, bekommt man allerdings schon oft genug verbal eine vor den Latz geknallt, da lobt man sich doch diese Unehrlichkeit.


Sehnsuchtsgeschwätz, schwelgen in Worten: Irgendwann ist auch mal gut, irgendwann muss der Mensch auch mal ran an den Speck und sich gehörig vollfressen; wird er doch ansonsten übellaunig und gehässig – so wie er nun mal beschaffen ist, der Mensch.


Auf das, was sie sagte, gab er schon längst nichts mehr, eher schon auf das, was ihr mal in einer Aufregung so versehentlich rausrutschte. Von Bedeutung war ohnehin nur, was sie tat.


Ich bin nur heilfroh, dass ich keinen Punk als Nachbarn hab'. Wissen Sie, ich war früher selber Punk.


Punk, Popper oder Proll: Mit der Einteilung mussten wir damals auskommen, das war's an Selbstbestimmung und Identität. Gut, den Normalo gab's auch noch, aber der zählte nicht.


Aber dann interessierte und reizte ihn das alles nicht mehr, und dann stand er nun da wie ein ratloses Kind, das mit einmal aus seinem Spielzeug herausgewachsen ist und melancholisch wird.

Freitag, 13. Oktober 2023

 Angetrunken verfiel sie dann immer in diese Illusionsduselei: Liebe, Erfolg, Schönheit, Glück und Drama, ein bedeutsames Leben – so Sachen halt, die sie vom Fernsehen her kannte.


Er lebte allein, litt unter Schlafstörungen, seit Jahren schon, und seine Einzimmerwohnung in dem Plattenbau war hellhörig und bei den Nachbarn wurde Tag und Nacht lauthals gevögelt. Tja, hätte er mal in der Schule besser aufgepasst und einen ordentlichen Beruf ergriffen!


Herr L. war ein penibel bedachter Brückentagsurlauber, ein Fuchs. Und auch sonst: Sein Leben war reich an Genugtuungen dieser Art.


Als die Chefetage nicht im Hause war, spielten sie sich plötzlich auf, überzogen die Mittagspause, machten dreckige Witze, vier von ihnen droschen Karten. Man musste sich dazugesellen, es war erbärmlich.


Als ihm dann in seinem Leben nach und nach alles wegbrach, machte ihm das die Sicht und den Weg frei. Aber da war groß nix, also für ihn war da nix.

Mittwoch, 11. Oktober 2023

 Alle aufdringlichen Menschen, die er kennengelernt hatte, waren doch recht erbärmliche Gestalten. Das einzig Gute an ihnen war, dass sie sich zumeist prompt in Luft auflösten, wenn sie bekommen hatten, was sie wollten.


Vielleicht war er wirklich geizig, vielleicht aber auch einfach nur genügsam. Das Leben, das er führte, war jedenfalls nicht der Rede wert und genau so wollte er es anscheinend.


Gönn' Dir doch einfach was, kauf Dir was Schönes, war der Ratschlag seiner Mutter, wenn er mal wieder Kummer, Ärger oder sonst was hatte. Dass er sich lieber einfach ein Bier aufmachte, ging ihr gegen den Strich.


Die Leute merkten schnell, dass er überdurchschnittlich intelligent war, fleißig und diszipliniert noch dazu, und das passte ihnen nicht. Wie damals in der Schule. Gehässige Kinder, sie waren immer noch gehässige Kinder.


"Ja, kann schon sein, kann aber auch nicht sein." Den Satz habe ich in jungen Jahren mal in einem Taschenbuchkrimi gelesen und nie vergessen. Ein guter Satz; taugt zum Lebensmotto.

Sonntag, 8. Oktober 2023

 Wenn, dann verstand er sich mit den stillen, mit den in sich gekehrten Trinkern. Die Schreihälse waren ihm fremd, die mochte er nicht, um die machte er einen Bogen. Aber meist saß er ja allein am Tisch.


Für einen Moment spürte er diese vollkommene Klarheit in sich, so dermaßen besoffen war er.


Selbst die angenehmen Kolleginnen und Kollegen erwiesen sich bei genauerem Hinsehen dann doch als verkorkst und lebensfern. Er ahnte es: Ein paar Jahre in dem Laden und er war einer von ihnen.


Äußerlich wie innerlich verknöchert machte sie sich und anderen das Leben bitter. Gewöhnlich ging es ihr um irgendwelche Geldangelegenheiten. Oder Krankheiten. Krankheiten waren ihr auch wichtig.


Seine Selbstgefälligkeit war wohl nur vorgeschoben, ein Selbstschutz. Das änderte aber nichts daran, dass sie abstoßend war. Dass er abstoßend war.


Eine Gruppe Jugendlicher boxt sich gegenseitig auf die Oberarme, offenbar nur aus Spaß, sie lachen und grölen. Einer von ihnen betrachtet dabei aber seine Spielkameraden zudem mit einem Ausdruck erregter Boshaftigkeit.

Dienstag, 3. Oktober 2023

 Schon am Frühstückstisch saßen sie in sprachloser Unzufriedenheit beieinander, das Küchenradio spielte derweil Lieder über die Schönheit der Liebe und des Lebens. Den Schlagersender hörten sie auch im Auto.


Als Kind wollte er das werden, wo man am meisten Geld mit verdient. Damals war das Zahnarzt. Auch seine Freunde wollten alle Zahnarzt werden. In seinem Umfeld hieß es, der Zahnarzt wäre der mit dem meisten Geld, also Zahnarzt.


Allein schon, damit ihm niemand reinredete – vor allem eine Bestätigung oder Bestärkung wollte er nicht hören –, behielt er vieles für sich. Wenn es keine Bedeutung mehr für ihn hatte, dann sprach er vielleicht mal drüber, dann ließ sich drüber reden.


Jetzt mit Mitte 50 gibt man ihm trotz all seines Engagements und seiner unterdurchschnittlichen Anzahl an Fehltagen langsam zu verstehen, dass man ihn ja eigentlich nur noch mit durchschleppt. Mit Mitte 30 hatte er genau so über die älteren Kollegen geurteilt.


Sein Selbsthass begann, als er chronisch krank wurde und er deswegen den eigenen arbeitsmoralischen Ansprüchen nicht mehr genügte.

Sonntag, 1. Oktober 2023

 Eben war er glücklich gewesen, durch und durch glücklich. Für vielleicht 5 oder 10 Sekunden. Seiner Erfahrung nach war's das jetzt erst mal wieder für die nächsten 6 bis 7 Tage.


Bei anderen hörte er ab und an, dass sich in ihrem Leben gerade einiges im Umbruch befände. Bei ihm, in seinem Leben, da war so was immer nur ein Wegbruch.


Seine Kollegin am Schreibtisch gegenüber kugelt ein extra großes Bonbon in ihrem Mund hin und her. Als sie dabei auch noch laut aufschmatzt, tut er so, als fände er das amüsant.


Bei allem, was er in seiner Freizeit noch unternahm, ging es ihm nur noch darum, endlich eine Frau kennenzulernen. Spaß hatte er keinen und mit einer Frau ergab sich auch nie was. Und seine Arbeit im Übrigen war auch scheiße.


Er spazierte immer mit so einer amüsierten Leichtfertigkeit durchs Leben; als hätte er irgendwie schon alles etliche Male erlebt. Man hatte Spaß mit ihm, er tat einem gut.


Auf ihr Fehlverhalten angesprochen antwortet sie im Ton pubertärer Anmaßung: Ich mach', was ich will! Sie ist 32 Jahre alt und Mutter zweier Kinder.


Wieder mal latscht er barfuß und in einer völlig ausgeleierten Unterhose durch die Gänge des Heims. Graue Schamhaare und auch etwas Hodensack. Er ist klar im Kopf, aber für ihn spielt das alles keine Rolle mehr.


Mit dem Tragen sogenannter Muscle-Shirts betont und demonstriert er seine muskulöse Ausstattung in der Öffentlichkeit. Keine Ahnung, was er sonst so macht.


Die zum Café ausgebauten Bäckereifilialen werden gut angenommen. Den Leuten gefällt es da, es ist günstig, sie bekommen Sonderwünsche erfüllt und es gibt bei dem Trubel immer was zu sehen. Das Personal wechselt oft, die wenigsten halten es da aus.


Damals in den 80ern, zuzeiten seiner Jugend, da gab es ja etliche, die auf Cowboy machten. So richtig mit Stiefeln und Hemden. Vom Indianer her kam ja nur dieser beliebte Autoaufkleber mit dem Spruch mit dem letzten Baum, der dann gerodet ist und so.

Sonntag, 24. September 2023

 Sie kommen rein, lachen. Jemand sagt, schön habt ihr's hier. Und dann geht er los, der Geselligkeitskrampf.


Er blieb am liebsten für sich in seiner Bude, trank sich einen an, begrub seine Illusionen; so hielt er's einigermaßen aus. – Klingt traurig? Ja, was glauben Sie denn, was hinter all den Fenstern überall so vor sich geht?


Er hatte Smalltalk immer gehasst. Als er dann in seinem beruflichen Wirken den Nutzen und die Notwendigkeit des Smalltalks erkannte, sich in ihm übte und er ihn schon bald spielerisch beherrschte, hasste er ihn immer noch.


Bei prahlerisch auftretenden Menschen gibt er sich stets interessiert und beeindruckt. Das gefällt denen und sie prahlen weiter, die wenigsten merken es.


Feierlichkeit zum Firmenjubiläum, bemühtes Beieinanderstehen, mitspielen, sich bloß nichts anmerken lassen. Lieber hätte er den Abend in einem Schlachthof gestanden und laut fluchend Schweinehälften zerlegt.

Donnerstag, 21. September 2023

 Nun, was er in der Hauptsache so macht, ist in etwa zweimal die Woche im Supermarkt einkaufen und hin und wieder die Wohnung putzen. Er lebt jetzt auch schon lange in diesem Zustand der perspektivlosen Einsamkeit.


Er hat eine bemerkenswerte Karriere hingelegt, bemerkenswert weiterentwickelt hat er sich nicht. Was darstellen wollte er, jemand sein – nicht jemand werden.


Tagsüber aß er so gut wie nichts, damit abends das Bier besser knallte. So kam er auch insgesamt mit weniger Geld aus. Das war seine Art zu denken, so wurde er erzogen.


Die Zwänge seines kleinbürgerlichen Elternhauses, die er als Kind und Jugendlicher so unerträglich fand, betrachtet er inzwischen eher als amüsante Schrullen. Er hat jetzt mit seinem eigenen Leben einen ganz anderen Scheiß um die Ohren.


Sich schweigend mit ein paar Bier in die Unaufgeregtheit begeben, das war ihm das liebste. Dazu brauchte es auch kein "Ambiente", keinen malerischen Sonnenuntergang oder sonst einen Quark; ein paar Bier und gut.


Angetrunken wurde er dann zum Gedankenheld, sah sich in Situationen, in denen er glänzte und Bewunderung erfuhr. Keine Spur mehr von den üblichen Demütigungen und der eigenen Unzulänglichkeit. Das war Magie, pure Magie.

Sonntag, 17. September 2023

 Ehrgeizig war er, überaus ehrgeizig, karrierefixiert und geltungsbedürftig. Aber mit seiner durchschnittlichen Intelligenz und ohne auffallende Talente tat er sich schwer und sein Charakter war bereits nach wenigen Jahren ins Erbärmliche abgerutscht.


Am schlimmsten aber war es bei den Dienstbesprechungen, da spürte er den Widerwillen gegenüber seiner Arbeit inzwischen sogar körperlich.


Sich lebensbejahend zu äußern, liegt ihm nicht. Um da nicht banal oder gar kitschig zu sein, braucht's auch schon was, das schaffen nur die wenigsten.


Um bei der Angelegenheit erfolgreich zu sein, sollte er jetzt Dinge von sich behaupten, die so nicht zutrafen und ihm auch zutiefst widerstrebten. So langsam widerstrebte ihm der Erfolg an sich.


Als junger Mann hatte er sich oft im Suff daneben benommen und sich lächerlich gemacht, sogar mehrfach um ein Haar sein Leben ruiniert. Sieht er jetzt verwahrloste Trinker am Bahnhof oder sonst wo, wird ihm wieder und wieder klar, er hat Glück gehabt, einfach nur Glück.

Freitag, 15. September 2023

 Einen groben Stolz trägt er vor sich her, lautes Benehmen und kindische Prahlerei. Bei so jemandem kann man nichts machen.


Seine Empfindlichkeiten trieben ihn in die Einsamkeit. Mit Sensibilität hatte das nichts zu tun, er war voller Hass.


Zwischen dem, was er redete, und dem, was er tat, öffnete sich eine Kluft, die er dann mit noch mehr Gerede vollstopfte.


Der Luxus dort, der Glanz und das Gehabe, das waren Umstände, die ihn bedrückten. Er fand es affig und beschämend, ein schönes Leben ist was anderes.


Nach dem Einlass mit Begrüßungssekt ab 19:00 Uhr und der Begrüßungsrede des Oberbürgermeisters um 19:45 Uhr stand ab 20:00 Uhr das "Come together" bei Livemusik auf dem Programm. Schon beim Lesen der Einladungskarte bekam er Blähungen und Sodbrennen.


Er wollte da nur noch weg, raus aus der Situation, er wollte zurück in seine Bleibe und sich ein Bier aufmachen – und dann noch eins. Es war immer das Gleiche, überall war es das Gleiche.

Dienstag, 12. September 2023

 Naiv und ungeübt im gesellschaftlichen Miteinander ging er fatalerweise immer wieder davon aus, dass sein Gegenüber ein rationales, empathisches Wesen war.


Sie fühlte sich schon immer eher angegriffen, als dass sie mal einen Scherz verstand. Das hätte ihm eine Warnung sein müssen, inzwischen war das Leben mit ihr kaum mehr zu ertragen.


Über den schlechten Geschmack oder das schlechte Benehmen seiner Mitmenschen lästerte er auch schon mal gern, aber nie über deren vermeintliche Dummheit. Hatte er sich doch oft genug selbst als Dummkopf erlebt und erwiesen.


Einige der Möbel, die da für die Sperrmüllabholung bei ihm in der Straße standen, waren besser in Schuss als seine. Für einen Austausch fehlte es ihm aber an Antrieb, auch war er an Fragen der Möblierung und Inneneinrichtung grundsätzlich eher desinteressiert.


Mit Anfang bis Mitte 20 hatte er mal eine rotzige Punk-Attitüde gelebt, danach kam dann seine kleinbürgerliche Prägung um so deutlicher zum Vorschein. Ich habe meinen Spaß gehabt, beteuerte er oft mit Nachdruck und säuerlicher Miene.

Sonntag, 10. September 2023

 Zu was der Mensch heutzutage auch alles taugen soll! Dann war er eben ein Taugenichts, aber einer derer mit Charme und Bildung! Erbaulich mit ihm plaudern ließ es sich allemal.


Was seinen Beruf und die Arbeit betraf, da verstand er keinen Spaß, nicht den geringsten. Dabei war es doch gerade dieser Aspekt seines Lebens, der noch am ehesten für eine allgemeine Erheiterung hätte sorgen können.


Networking bei der abendlichen Betriebsfeier, Smalltalkgemetzel im Garderobenschick.


Ihre Leidenschaft war, sich schick zu machen. So verstand er sie jedenfalls und so stellte er sich auch ihren Alltag vor.


Stilsicher bis ins kleinste Detail, alles blitzblank, selbstverständlich nur Massivholz. Ihr Wohnen repräsentierte sie, nirgends ein Widerspruch, keinerlei Auflockerung, unerträglich.

Freitag, 8. September 2023

 Samstagmittags zog er dann los in die Geschäfte und kaufte sich glücklich, irgendwas fand er immer für wenig Geld. Er wusste selbst, wie erbärmlich das war, aber was anderes fiel ihm nicht mehr ein, irgendwie war er alles leid.


Sie telefoniert lautstark in der Fußgängerzone, geifert, ist in Rage. Es geht um einen Einkauf bei H&M, wo ein ganz klar um 20% reduziertes Oberteil dann doch nicht reduziert war.


Betrunken hatte der Zweifel ein Ende, betrunken war er überzeugt, ja geradezu begeistert von der schnörkellosen und zugleich tiefgründigen Wahrhaftigkeit seiner Gedanken. Himmel nochmal, so ließ es sich leben! Er goss sich noch einen ein, war selig.


Da hat man diese Sehnsucht nach einem schönen Leben im Kopf, Bilder schweben einem vor, Vorstellungen, kitschig und unreif. Die jährliche Urlaubsreise soll es dann richten, soll das schöne Leben bereitstellen und dabei weiß man es doch längst besser.


Dass das Lotterleben für ihn auch einmal vorbei ist, hält er in seiner fortgeschrittenen Verlotterung aber für ein Gerücht.


Mit seiner Einsamkeit ging er inzwischen offen um und verkniff sich jede bedürftige Jammerei. Sein Unglück war kein besonderes, mit seiner Einsamkeit war er nicht allein.

Mittwoch, 6. September 2023

 Trinkende Alkoholiker betteln vor dem Supermarkt und kaufen von ihren Einnahmen sogleich wieder Alkohol in dem Supermarkt. Ein Auswuchs des öffentlichen Alkoholismus, der mit seiner effizient pragmatischen Schlüssigkeit Eindruck hinterlässt.


Das Bürgerliche ist im Niedergang, in seinem Stadtteil ist es schon nicht mehr anzutreffen. Er träumt von einem Leben auf dem Land, wo es sich vielleicht noch einige Jahre hält. Als junger Mann hatte er sich noch über alles Bürgerliche lustig gemacht, es verachtet.


Die Hoffnung, die nicht kleinzukriegen war und ihm immer wieder aufs Neue zuredete, dass es wieder besser wird, dass "alles gut" wird, so langsam ging ihm die auf den Sack.


Er betrinkt sich schon seit langem nicht mehr, hat aber noch eine Flasche Hochprozentiges im Regal für den Fall, dass er den Lottojackpot knackt oder aber der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht. Dass er die Flasche ansonsten nicht anrührt, ist Teil seiner Therapie.


Morgens hochzukommen, es durch den Tag und die Arbeit zu schaffen, abends nicht zu verzweifeln: Das war's auch schon – im Großen und Ganzen jedenfalls war's das.


In einem Film sah er mal, wie ein tadellos gekleideter Mann sich während eines Gesprächs in aller Ruhe seine Fingernägel mit einem Messer gereinigt hat. So wollte er auch sein.

Sonntag, 3. September 2023

 Er ging gern in diese zwielichtigen, schäbigen Spätkaufkioske, die gerade überall aus dem Boden schossen und kaufte sich dort Zigaretten und Bier, war dann erfüllt von seiner heimlichen Freude am persönlichen und allgemeinen Niedergang.


Eine Arbeitskollegin weist ihn darauf hin, dass sein Hemd einen Speckkragen hat. Ihr ist das schon einmal aufgefallen. Auch sein Blouson hat einen Speckkragen. Er ist bestürzt und er fragt sich, welche Sichtbarkeiten seiner inneren Verwahrlosung es vielleicht noch gibt.


Der ältere Herr bleibt plötzlich stehen und sieht sich um, als gäbe es irgendetwas zu beobachten. Dabei steht ihm der Mund offen. Eine Angehörige, vermutlich seine Tochter, geht unbeirrt weiter, wartet dann aber doch in einiger Entfernung und ruft "KOMM JETZT".


Sein neurotischer Irrsinn hatte ihn schließlich auch äußerlich entstellt, hatte ihm eine entsetzte Grimasse über sein einst respektables Gesicht gespannt.

Freitag, 1. September 2023

 Er wohnte am Meer und ihm war langweilig. Und im Sommer kamen dann die Touristen, da blieb er dann gleich ganz in der Wohnung.


Sein Lebensalltag wurde für ihn nach und nach und mehr und mehr eine persönliche, eine intime Angelegenheit. Auch das Amüsement. Gerade das Amüsement; für ein Amüsement ging er schon mal gar nicht vor die Tür.


Die Jeanshose ist fabrikneu, aber so fabriziert, als hätte man in ihr auf einer Bohrinsel oder im Outback gearbeitet und sie schon damals bei Woodstock getragen. Man darf sich mit der Hose Erlebnisse überstreifen, eine abenteuerliche Vergangenheit etwa.


Er schraubte seine Erwartungen an den Alkohol herunter, trank weniger, vermisste es nicht mal besonders. Dass das für ihn nach all den Jahren keine große Sache war – ja, das erstaunte ihn auch.


Er spazierte durch sein altes Heimatdorf und fragte sich, wie viel Hass und Verzweiflung sich wohl erst hinter all diesen gardinenverhangenen Fenstern abgespielt hatte, als damals, als er noch Kind war, eine Scheidung noch eine Schande und Sünde war.

Dienstag, 29. August 2023

 Die meisten Geschehnisse im Büro waren begründet in menschlichen Lächerlichkeiten.


Eine Arbeitskollegin schenkte ihm zum Geburtstag einen Kaffeebecher mit dem Aufdruck "BE HAPPY". Sie meinte es ja gut.


Endlich war er jetzt vom Sorgen machen und Angst haben so erschöpft, dass ihn diese Geistesmüdigkeit befiel, die ihn gnädigerweise mit einer schwerwiegenden Leere betäubte.


Die Vorstellung, nach all den Jahren seiner Einsamkeitsverwahrlosung einen Menschen in sein Leben zu lassen, schien ihm ein aussichtsloses Ansinnen zu sein, auch eher eine Zumutung als eine Rettung.


Der Nachbar hat Raucherhusten. Jeden Morgen, so gegen 5, kurz bevor er zu seiner Arbeit aufbricht, hustet er am kräftigsten; als müsse er vor Dienstantritt erst noch den Auswurf erledigen.


Er hielt sich für speziell, für bedeutsam, kleidete und benahm sich auffällig. In seinen mittleren Jahren war er dann endgültig eine tragische Figur.

Freitag, 25. August 2023

 Beim Warten hielt er inne. Das bekam ihm eigentlich ganz gut. Er überlegte, das Warten zu seinem erklärten Hobby zu machen, es durchaus mit einer gewissen Ernsthaftigkeit zu betreiben.


Warten kann man immer, auch wenn gerade nix ist. Dann kann man sich sagen, gut, ich warte jetzt, dass es, sagen wir mal, 19:00 Uhr ist und dann wartet man, dass es 19:00 Uhr ist und schon hat man etwas zu tun und auch ein Ziel vor Augen.


An der Kasse stopft er das Wechselgeld hektisch in sein Portemonnaie. Zu Hause glättet er dann als erstes die Scheine und ordnet sie nach Größe, so dass er sie beim nächsten Bezahlvorgang wieder schnell parat hat. Von ihm aus sollte alles schnell gehen.


Auch legte sie großen Wert darauf, dass auch er ausschließlich hochwertige Kleidung trug. Die Wertigkeit der Kleidung machte sie schnell an der Marke des Kleidungsstücks fest, dafür hatte sie ein Bewusstsein.


Einkaufsmöglichkeiten und Sonderangebote, daran hatten sie in Wahrheit Freude, darauf lief es immer wieder hinaus. Auch jetzt wieder beim gemeinsamen Urlaub in Italien: Einkaufsmöglichkeiten und Sonderangebote.

Sonntag, 20. August 2023

 Sein Problembewusstsein übersteigt seine Problemlösungskompetenz. Und dann gibt's ja die, die sich einfach keinen Kopp machen und lachen und ihren dummen Spaß haben. Das macht ihn so richtig irre.


Unbedingt glänzen zu wollen, das war was für Arschlöcher, für Idioten. Es durchzustehen, darum ging es doch – es irgendwie mit Anstand und halbwegs unbeschadet über die Bühne kriegen, mehr war letztlich sowieso nicht drin, zu keiner Zeit, nirgends.


Er lebte sein Leben spurentreu. Schon die wenigen Ab- und Ausschweifungen, die er sich als junger Mann mal geleistet hatte, waren ihm eine Lehre gewesen.


Sie war durchparfümiert, kein Zweifel, selbst ihre Ausscheidungen waren parfümiert.


Ich beobachte gern Leute, die gerade andere Leute beobachten.


Ja, sicherlich hätte auch er Zeit dafür gehabt, aber auch er stolperte unvorbereitet und unreflektiert in sein Sterben.

Sonntag, 13. August 2023

 Um nicht ständig aufs Klo zu müssen, griff er einfach nur noch zum Hochprozentigen. Als lösungsorientierter Pragmatiker hatte er viele solcher Ideen.


Das ebenso spitze wie falsche Lachen seiner Bürokollegin fraß sich ihm ins Hirn, Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Als er es schon gar nicht mehr hörte, war es auch sonst nicht mehr gut um ihn bestellt.


Verarschen kann ich mich selber, sagte er. Da hatte er sicherlich recht. Liegt es doch geradezu in der Natur des Menschen, sich selber unentwegt etwas vorzumachen.


Aufgesetzte Fröhlichkeit im Büro, hysterisches Gelächter, er lacht mit, in seiner Faust ein Werbekugelschreiber mit Metallspitze.


Dem giftigen Eifer der Moralapostel und Missionare begegnete er stets mit einer freundlich verpackten Gleichgültigkeit. Diese Gestalten waren ihm keinerlei Aufregung wert. Arschlöcher waren das, weiß Gott.


Flausen im Kopf, Sperenzchen machen, seinen Spaß haben: alles verlernt, geopfert, flöten gegangen. – Na gut, mal sehen, was sonst so läuft.


Seine Arbeit und dass er da noch hin ging, war doch ein Witz. Er kam da partout nicht raus und es war ein ausgesprochen mieser Witz, aber ein Witz. Nur ein Witz.


Beim Menschen ist es letztlich doch immer eine Frage der Herzlichkeit.

Mittwoch, 9. August 2023

 Seine ausgewählt legere Kleidung sollte dieses Freizeitempfinden zum Ausdruck bringen: Lebensfreude, Unbekümmertheit, so was in der Art. Er selbst empfand nichts, der ganze Urlaub war überhaupt allein ihre Idee gewesen.


Immer war er in Gedanken woanders, er wusste schon warum.


Sich ab und an mal 'n starkes Stück erlauben, dann wird's auch für die anderen nicht langweilig, dann hamse wieder was.


Die Behaglichkeit, die er sich mühsam aufgebaut hatte, zermürbte ihn jetzt. Die Unvernunft stand schon in den Startlöchern.


Er lachte mit, war verzweifelt.

Sonntag, 6. August 2023

 Er hatte sich in seiner mut- und phantasielosen Erbärmlichkeit eingerichtet, gönnte sich nichts, jammerte rum, dass die Inflation sein Erspartes auffraß. Das war so sein Style, sein Way Of Life.


Aber alles in allem und im Großen und Ganzen: Drauf geschissen! Das war jetzt seine Meinung, seine Sicht der Dinge – und die hatte er sich lange und hart erarbeitet, oft zwölf Stunden am Tag, fünf, manchmal sechs Tage die Woche, bei Mindestlohn.


Er hatte schon die Pantoffeln vor Augen, mit denen er dann mal hochbetagt durch die Wohnung, das Heim oder den Krankenhausflur schlurfen wird. Klassische Pantoffeln, grauer Filz, vielleicht kariert. Mehr wollte er sich aber lieber nicht vorstellen.


Den Menschenfreund, den besorgt liebenden Menschenfreund, nahm er ihr nicht ab. Zu oft hatte er es erlebt, dass gerade bei jemandem mit so einem religiösen Gehabe und Gerede dann mit einmal eine unglaubliche Verachtung und Boshaftigkeit zu Tage trat.


Abkehr, Selfcare, Notwehr – wie auch immer, ich mach' jetzt das Bier auf und die Tür zu.

Sonntag, 30. Juli 2023

 So in etwa im gleichen Maße, wie er die Woche über mit einem Lächeln im Gesicht funktioniert hatte, wurde er dann betrunken zum Arsch.


Seit Ewigkeiten hockte er mal wieder in einer Kneipe am Tresen, starrte vor sich hin, pulte am Etikett der Bierflasche. Er suchte keinen Kontakt, betrachtete sich selbst unschlüssig bei einer Art peinlichen Selbstinszenierung.


Nach der üblichen Vorfreude aufs Wochenende dann wieder nur die übliche Langeweile. Die übliche Sinnlosigkeit. Aber er hatte Bier da, wie üblich hatte er Bier da.


Es ist etwas sehr Schönes, sehr Persönliches, da redet er nicht drüber, mit niemandem. Das Reden hat ihm schon so vieles kaputt gemacht. Dieses drängende Gefasel, eitel und unnötig – umso mehr man sich dabei selbst zuhört.


Die Euphorie und der Rausch, in jungen Jahren kein Problem, waren jetzt in seinem Alter teuer erkauft, dennoch blieb er dran, er wusste, es war idiotisch und dennoch blieb er dran. Ein anderes Glück war ihm nie begegnet.

Donnerstag, 27. Juli 2023

 Er trank Bier an der Bierbude, glotzte auf die Bierbudenbedienung. Den ganzen Rummel und die Leute um ihn rum hatte er sich längst weggesoffen. Das einzige Problem war der scheiß Toilettenwagen, er hasste diese scheiß Toilettenwagen, musste ständig pissen.


Er sieht sich selbst als'n Kerl mit ordentlich Eiern in der Hose. Gender heißt das neuerdings, hat ihm neulich so'ne Type verklickert. Das ist also sein Gender; klingt irgendwie cool.


Empörung, billige Polemik, schamloser Hass – schon erschreckend, was da bei den Leuten so unter der Schädeldecke brodelt. Irgendwann wird's mal böse enden. Na ja, ich mach mir jetzt 'n Bier auf und lass es auf mich wirken, also das Bier natürlich.


Er ging den Menschen lieber aus dem Weg. Auf dem Bürgersteig, im Gespräch, überall, er traute ihnen nicht. Als wollten sie ihm an den Kragen, an seine Seele. Im Grunde war's ja auch so.


Das schwierigste für ihn jetzt nach ihrem Tod, sagt er, ist vor allem das Hemdenbügeln. Das Einkaufen, Fensterputzen und so kriegt er ganz gut hin, aber die Hemden – es will ihm einfach nicht gelingen, oft ist er dann den Tränen nahe.

Montag, 24. Juli 2023

 Tag für Tag, Woche für Woche: immer das Gleiche. Immer die gleiche Scheiße, mit der er sich arrangiert und jetzt zu leben hat. Diese hartnäckige Scheiße, die ihm jeden Morgen aufs Neue an den Schuhen klebt.


Jedes Mal, wenn ein Gespräch mit seiner Abteilungsleiterin ins Private wechselt und er sich interessiert oder sogar amüsiert gibt, stirbt irgendwo ein ..... was auch immer, irgendwas stirbt jedenfalls!


Sei authentisch und spontan, sei einfach du selbst! – Aber jetzt bloß nicht mit Ehrlichkeit verwechseln! Ehrlichkeit ist fatal.


Er sah sie jeden Tag auf der Arbeit. Aber sie war verheiratet, beachtete ihn auch kaum. Kam sie ihm näher als 2 Meter, war da sofort der Drang, sie in den Arm zu nehmen. Er achtete immer auf die 2 Meter, das half etwas. Ihm durfte das nicht schon wieder passieren.


"Aber ich vergebe ihr", hat er gesagt und meinte das auch so. So ein erhabener Großmut fühlt sich bestimmt richtig geil an.


Er lag hinten, wieder mal. Als junger Mann hatte er auch mal vorne gelegen, jetzt lag er nur noch hinten. Vorne wartete ja doch nichts auf ihn, zumindest nichts, was der Mühe wert gewesen wäre.

Samstag, 22. Juli 2023

 Ich bin Jeanslochdesigner, aber da verdient man auch nicht mehr so gut wie früher.


Für eine stetig wachsende Zahl augenscheinlich erwachsener Kunden*innen musste er eine Art Sprache und Rücksicht entwickeln, mit der man sonst kleinen Kindern begegnete. Da musste er erst mal drauf kommen. Aber so langsam hatte er's raus.


Vertane Tage im Betrieb, tote Lebenszeit im Workflow, erst im Schlaf lebendig.


Er machte eifrig mit, aber es passte nicht, es war einfach nicht seins. Das zog sich so durch sein ganzes Leben, nie war's wirklich seins. Was denn seins gewesen wäre, hat er nie rausgefunden. Er war immer nur drauf bedacht dabeizusein, mitzumachen.


Als Arbeiter, der draußen bei der Arbeit einfach alles um sich herum stehen und liegen lässt und sich erst mal 'ne Zigarette ansteckt, machst du eindeutig mehr her als so'n Angestellter, der für 'ne Zigarette draußen vor der Tür rumsteht.

Mittwoch, 19. Juli 2023

 Was für Idioten überall, dachte er, ohne sich da selbst als Ausnahme zu betrachten.


Betrunken sein mochte er in seinem Alter nun nicht mehr, betrunken werden schon.


In letzter Zeit stand er oft am Fenster und schaute raus. In den Hinterhof, wo sich nie was tat. Dann dachte er über sein Leben nach, so über alles halt, aber ihm fiel da nie wirklich was zu ein.


"Is' keine große Sache", sagte er immer und letztendlich war das dann auch sein Lebensresümee.


Aber man gewöhnt sich recht schnell dran, glauben Sie mir, mit der richtigen Resignation geht das ratzfatz.


Sich mit dem Fehlerbehafteten, Unvollkommenen arrangieren, am besten sogar anfreunden – also, mir hilft's.

Donnerstag, 13. Juli 2023

 Von diesem ewigen Weicheigekoche hatte er jedenfalls die Schnauze voll! Schmied wollte er sein. Waffenschmied. Mit Bart und breiten Schultern. Auf glühenden Stahl wollte er einhämmern. Seine Freundin stand auch voll auf diese Phantasie.


Der Mittelweg, den die Leute früher gegangen sind, ist wie leergefegt. Beleidigt oder zankend auf der Stelle zu treten und sich aufzuregen, scheint erfüllender zu sein.


Gleich ganz schrullig braucht man ja jetzt nicht werden, aber so 2 oder 3 Schrullen braucht's schon. Für den Spaß. Für die Persönlichkeit. Und erst recht für die Glaubwürdigkeit. Wer glaubt denn schon einem, der jetzt so gar keine Schrulle hat!


Ja, so was wie 'ne Liebe hätt' er sich schon gewünscht, hat aber wohl nicht sollen sein. Zu unansehnlich, zu arm, zu bescheuert, er wusste es nicht, verstand es nicht. Fragte er mal ganz direkt, wich man ihm aus. Ein durch und durch verlogenes Spiel, so sah er das jetzt.


Redeten sie, redeten sie zu 80% aneinander vorbei und die restlichen 20% waren Missverständnisse und dann stritten sie sich wieder. Aber sie redeten so gern, beide redeten sie für ihr Leben gern.

Sonntag, 9. Juli 2023

 Er führte doch schon jetzt das Leben eines verlassenen, einsamen Rentners. Nur dass er auch noch seinen verhassten Beruf an der Backe hatte.


Im Fernsehen liefen nur noch die ewig gleichen Wiederholungen, sonst ein dröger Kram oder unsäglicher Stuss zum Fremdschämen. Im Grunde genau wie in seinem realen Leben.


Was das nun soll, fragt er sich schon gar nicht mehr. Er grinst, als wüsste er's und geht weiter.


Auch mit 47 lässt er's in seiner Junggesellenbude noch regelmäßig ordentlich krachen. Gestern ist dabei aber sein gerahmtes Ferrariposter zu Bruch gegangen, das große mit dem Ferrari 308 GTSi. Wenn er rauskriegt, wer das war, dann setzt's Dresche!


Den Song fand er gut, immer noch, nach all den Jahren, aber es hing diese eine peinliche Erinnerung dran. Er konnte ihn nicht mehr hören, das ganze Album konnte er nicht mehr hören, die ganze Band. Nix zu machen.

Dienstag, 4. Juli 2023

 Kaum ausbezahlt hatte er das Geld auch schon wieder großspurig unter die Leute gebracht. Es war die Zeit des Bargelds, gerollte Bündel in engen Hosen. Andere Zeiten waren das, völlig anders, nicht so verklemmt und so verkackt wie heute.


Geld langweilte ihn. Genau wie all der nutzlose Kram, den er und seine Frau sich dafür kauften. Ihre gemeinsamen Urlaube allerdings waren noch schlimmer.


Die jungen Leute in ihrer Erregtheit und Manie gehen ihm mächtig auf den Sack. So ist das, wenn man älter wird, da gehen einem diese jungen Leute auf den Sack, da kann man nichts gegen machen, ist'n Naturgesetz.


Bei der Arbeit jedenfalls mit all den Kollegen fühlte er sich einsamer als allein in seiner Wohnung. In die Kneipen oder sonst wohin zog es ihn auch nicht mehr. Für ihn war es überall das Gleiche.


Bereits in jungen Jahren hatte es sich bei ihm abgezeichnet, dass er mal ganz was Herkömmliches werden sollte.

Freitag, 30. Juni 2023

 Sich in dem Beruf, den man längst satt hat, immer noch auf dem Laufenden halten zu müssen, ist Teil des Berufs, den man längst satt hat.


Seine Gelassenheit sei lediglich ein Ausdruck seiner Ignoranz, warf sie ihm vor. Diesen Vorwurf deutete er als einen Ausdruck ihrer Gehässigkeit und nahm's gelassen.


Morgens kam er bereits innerlich erschöpft bei der Arbeit an. Er wollte nicht mehr, konnte nicht mehr, es ging nicht mehr. Und seine ihm in 8 Jahren in Aussicht gestellte Rente bereitete ihm Kopfzerbrechen. War er eigentlich blöd?


Alles, was in diesen Filmen auch nur im Entferntesten mit ihm und seinem Leben zu tun haben schien, betrachtete er als Wink des Schicksals. Das war's auch schon, das ruinierte sein Leben.


Eine Mode weckte ausschließlich dann sein Interesse, wenn sie auffällig lächerlich war; besaß sie doch so einen gewissen Unterhaltungswert.

Donnerstag, 29. Juni 2023

 Aber dann war's doch nicht so gut. Das verfolgte ihn sein ganzes Leben: Dass es dann aber doch nicht so gut war. Letztendlich machte er sich einfach keine Illusionen mehr, der Tod sollte ihn nicht auch noch enttäuschen.


Irgendwann sprach er dann nur noch in einfachen Worten und kurzen Sätzen. Versteht man sich, versteht man sich auch so. Versteht man sich nicht, machen's zu viele Wörter nur noch schlimmer.


Mal richtig auf die Kacke hauen: Das kam ihm nie in den Sinn, für ihn war das nichts. Er drückte die Spülung und machte, dass er da raus kam.


Nun, bei all der Schwatzhaftigkeit: Was ist noch der Rede Wert?


Er stand auf, ging kurzschrittig zum Fenster. Es gab nichts zu sehen, nichts war anders. Er setzte sich wieder. Immerhin hatte er ein eigenes WC.

Montag, 26. Juni 2023

 Stell' mir ab und an vor, ich wär' so'n reicher Schnösel aus 'ner reichen Familie, der den lieben langen Tag nur reichen Schnöselkram macht, als sei's 'ne gottgegebene Selbstverständlichkeit. Ich denk', ich wär' da richtig gut drin.


Als ihm die Eltern nach 18 Semestern Soziologie und Germanistik den Geldhahn zudrehten und er sich auf dem Fahrersitz eines Taxis wiederfand, da fuhr er das erste Mal in seinem Leben einen Mercedes.


Egal, ob es nun ums Geldverdienen oder um 'ne gute Sache ging: Je eifriger und verbissener sie dabei waren, desto mehr misstraute er ihnen.


Wenn er sich's so recht überlegte, also so richtig gründlich: – Ihm war inzwischen irgendwie alles peinlich. Sein ganzes Leben war ihm peinlich.


Wenn das und das ist, dann besauf ich mich, tönte er immer rum und wenn es dann soweit war, trank er in seiner theatralischen Art gerade mal 2 oder 3 Bier und mimte den Besoffenen. So einen kannten Sie doch auch mal, oder? Bestimmt kannten Sie so einen.

Freitag, 23. Juni 2023

 Die Arbeit stimme ihn aber doch froh, wenn er sie hinter sich gebracht habe oder wenn er dann am Wochenende nicht hin müsse, oder etwa nicht? Diesen Frohsinn solle er doch bitte mal zu schätzen lernen!


Nackt, unansehnlich und ohne Erinnerung stolperte er in den längst sonnendurchfluteten Tag. Wahrscheinlich Sonntag, oder doch schon Montag?


Und wieder mal gingen unangemessene Bekleidung und unangemessenes Verhalten bei ihm Hand in Hand. Immerhin für die Bekleidung konnte er nichts, die legte ihm seine Frau jeden Morgen raus.


Dann brachte er das Zauberwort: "nachhaltig". Zudem wirke es nachhaltig, sagte er. Damit hatte er sie. Es war so einfach, so lächerlich einfach. Früher, vor einigen Jahren, da war das Zauberwort mal "antibakteriell".


Die Hippies, die er damals kennenlernen durfte, entpuppten sich recht schnell als egoistische Hedonisten, oft reichlich schwatzhaft und auch eitel. Ohnehin machte er sich, was die Menschen betraf, bereits in jungen Jahren schon keinerlei Illusionen mehr.

Sonntag, 18. Juni 2023

 Ein Narr war er gewesen, ein törichter Narr! Hatte er doch tatsächlich geglaubt, sein Glück vorherzusehen, es unter Entbehrungen planen zu können.


Der Kellner ist betont gutgelaunt und macht Scherze. Ein Scherz besteht darin, alle als Chef zu bezeichnen. Das Kind ist der Chef, der Vater der Big Chef, die Mutter der Oberchef. Als er die Bestellungen notiert und den Tisch verlassen hat, sagt die Mutter: "Ja, der versteht's".


Sie bleiben vor einer Buchhandlung stehen. Sie zeigt auf ein Buch und sagt: "Von der hab ich schon mal was gelesen". Er zeigt auf einen Kalender und sagt: "Der Kalender da ist schön". "Die Autorin schreibt gut", sagt sie. Dann schlendern sie weiter, zum nächsten Schaufenster.


Eingerichtet in einem trostlosen Trott, gefangen in Bequemlichkeit, wie auch immer. Er blieb, wo und was er war. Der ganze Heckmeck überall interessierte ihn einfach nicht mehr.


Gescheitert, einsam, geltungs- und mitteilungsbedürftig – es war nicht immer einfach mit ihm, aber man blieb höflich, denn das war er bei allem auch.

Freitag, 2. Juni 2023

 Jedes Laster hat sie ihm ja nach und nach gehörig ausgetrieben – bis auf die Sache mit dem Sofa. Am helllichten Tag liegt er auf dem Sofa und starrt Löcher in die Luft, am helllichten Tag! Was denkt er sich dabei!


Feiertage waren für ihn in der Hauptsache arbeitsfreie Tage. Auch in der Hinsicht beherrschte die Arbeit sein Leben.


Sie redete mit ihm über eine berufliche Angelegenheit, sie war eloquent, attraktiv, liebenswert. Sie trug eine Halskette mit einem Herz-Medaillon. Für ihn war das alles so unglaublich weit weg.


Sie war jeden Tag hier, redete etwas wirr, aber immer vergnügt. Irgendwann wurde sie zusehends kleiner und schmaler, ihre Haut glasig. Man meinte schon, durch sie hindurch sehen zu können. Als Geist scharwenzelt sie jetzt immer noch hier rum.


Er hatte sich früh mit seiner Mittelmäßigkeit angefreundet. Als die anderen noch verbissen ihren Hirngespinsten nachjagten, fühlte er sich längst wohl im Unspektakulären, lebte sein Leben freundlich und entspannt.

Montag, 22. Mai 2023

 Er redete immer viel von Liebe, benutzte das Wort ohne Skrupel, entwertete es, höhlte es aus mit seinem seichten Geschwätz.


Bei so einer Prahlerei, ganz egal auf welchem Niveau und über was auch immer, sah er aber stets das Kindische im Erwachsenen. Und das beeindruckte ihn jedes Mal aufs Neue.


Sicher, die amüsanten Aspekte der Trunkenheit traten dann irgendwann in den Hintergrund.
Bei der Nüchternheit im Übrigen verhielt es sich ja auch nicht anders.


Nur ein einziges Mal habe ich gehört, wie meine Eltern Sex hatten. (Wobei auch nur mein Vater zu hören war.) Es war auf eine merkwürdige Art lächerlich. Aber in dem Alter, ich war so um die 15, fand ich meine Eltern ohnehin lächerlich.


Aber er lachte, machte seine schrägen Witze und lachte. Solang ihm die Scheiße doch nur bis zum Hals stand, konnte er doch immer noch lachen.

Donnerstag, 18. Mai 2023

 In aller Herrgottsfrühe poltert, tönt und trampelt er wieder durch die Wohnung. Nichts kann er leise machen, nichts!


Hatte er in geselliger Runde ein Glas zu viel, ging das häufig übel für ihn aus, Peinlichkeiten standen im Raum, es wurde geredet. Als er damit konfrontiert wurde, hatte er aber ein Einsehen und gewöhnte sich recht schnell und ohne Probleme die Geselligkeit ab.


Als wir jung waren und jedes Wochenende nachts loszogen und die Trunkenheit Abenteuer versprach und es keinen Montagmorgen gab: Gerade mal eine Handvoll Jahre, aber wir hatten sie.


Er war nicht gemacht für so ein Angestelltendasein, für eine Selbständigkeit aber schon gar nicht und anderen auf der Tasche liegen wollte er auch nicht. Also blieb's dabei: Er war nicht gemacht für so ein Angestelltendasein.


Beim Musikhören, da mochte ich immer schon nicht dabei, sondern lieber für mich sein.


Er kommt klar. Er reißt sich zusammen und kommt klar. Das reicht; mehr ist im Grunde sowieso nicht drin.

Montag, 15. Mai 2023

 Ohne auch nur im Entferntesten von irgendetwas in irgendeiner Weise überzeugt zu sein, sprach er dennoch gern im Brustton der Überzeugung. War doch alles ohnehin nur noch ein einziger großer Witz.


Da solle ich einfach drüberstehn, hat sie mir geraten. Aber das Drüberstehn ist mir unsympathisch, allein schon die Vorstellung mag ich nicht. Das entspannte Danebenstehn, das wäre eher so meins.


Auch weil er ja inzwischen selbst dazugehörte, waren ihm die alten, desillusionierten Kollegen am angenehmsten. Die, bei denen klar war, dass ihnen da alles nur noch am Arsch vorbei ging, ohne dass sie das auch nur ansatzweise zu erwähnen brauchten.


Er war schon zu lange dabei und brachte einfach nur noch die Tage hinter sich. Tag für Tag, Woche für Woche brachte er hinter sich. Dass das Leben ja nur noch an ihm vorüberzog, störte ihn auch schon nicht mehr.


Mit seinem Leben wusste er nie was anzufangen. Es war keineswegs ein elendes Leben, er kam gut zurecht und fiel nicht weiter auf, blieb allerdings dabei immer außen vor, bis zum Ende blieb er außen vor.

Donnerstag, 11. Mai 2023

 Jeden Sonntagmorgen, so gegen 8, hatten seine Nachbarn Sex. Es hörte sich mühselig an.


Verkatert, brech- und durchfallgefährdet im NETTO am Samstagmorgen und dann ist der gute Wodka ausverkauft! Seine Googlerezension wird sich gewaschen haben.


Er soll endlich mal aus den Puschen kommen, sagen sie ihm, mal endlich den Arsch vom Sofa hieven! Und wenn er dann fragt, wofür er das denn tun sollte, dann kommen sie ihm mit völlig abstrusen Vorschlägen, mit so unglaublich abwegigem Scheiß kommen sie ihm.


Die Hölle aber vermag sich der Mensch um ein Vielfaches einfallsreicher und beeindruckender auszumalen als den Himmel. – Da hat er eher einen Draht zu, mehr Erfahrung und so.


Aus Sammelspaß wurde Sammelleidenschaft wurde Sammelsucht wurde Sammelwut – und ein Haufen Kram. Und das war dann alles, was er noch hatte: ein Haufen Kram.


Tja, was will man machen, dachte er sich. Und dieser Gedanke kam ihm nun häufiger, wurde so langsam zu seinem Lieblingsgedanken.

Dienstag, 9. Mai 2023

 Der Arbeit wegen war er hierher gezogen. Allein schon dafür wollte er hier wieder weg.


Dass der Mensch immer einen Lärm veranstalten muss! Und wenn man dann mitkriegt, aus welchem Grund und zu welchem Zweck diese oder jene Lärmerei überhaupt veranstaltet wird, ja, dann braucht's schon mal Selbstbeherrschung, um nicht noch einen Lärm oben drauf zu setzen.


Das Leben ist kein Wunschkonzert, fürwahr. Viel eher doch eine Drehorgelbeschallung.


War er unter Menschen, war er der Faxenmacher, machte sich aus allem einen Spaß. Um nicht zu verzweifeln, machte er sich aus allem einen Spaß.


Ohne die Stelle zu wollen, bewarb er sich. Ging sogar zum Vorstellungsgespräch. Als er dann die Stelle auch noch angeboten bekam, sagte er ab. Ihm ging es allein um das Abenteuer, um den Triumph. Tatsächlich sprach er von Abenteuer und Triumph, benutzte tatsächlich diese Wörter.

Mittwoch, 3. Mai 2023

 Mit jetzt 48 Jahren, seiner Fransenjacke und einer Dose Bier in der Hand zog er los zur Kirmes. Dieses Jahr musste es klappen, diesmal wird er eine kennenlernen.


Moralisch war er aus Eitelkeit und wehe dem, der ihn in seiner Eitelkeit verletzte!


In seiner Kindheit hatten seine Eltern ein Aquarium mit Zierfischen im Wohnzimmer stehen. Ab und zu hatte er an die Scheibe geklopft, aber das war langweilig und was anderes wusste er mit diesem Unfug nicht anzufangen.


Dann begriff er, dass sie sich gern mal streitet. Ihm war das fremd, aber er spielte mit, gab ihr Kontra, obwohl ihm die Sache, um die es ging, egal war.
Sie durchschaute ihn – aber er war gut; wirklich ein Guter.

Montag, 1. Mai 2023

 So langsam sah er in den altgedienten Kollegen – es waren allesamt trübe Tassen mit trübseligen Gewohnheiten und Vorlieben – seine eigene trübselige Zukunft.


Seine Freundlichkeit war berechnend, eine kaltschnäuzige Falschheit im täglichen Umgang, wie man sie überall im Betrieb beobachten konnte. Bei ihm war es nur allzu offensichtlich, was ihm ja fast schon wieder was Menschliches verlieh.


Die rücksichtslose Launenhaftigkeit seiner Bürokollegin Frau H. war heute wieder ... rücksichtslos. Inzwischen säße er ja sogar lieber bei dem Herrn L. im Büro. Der ist stetig schlechter Laune, weil ... der ist eben so, der Herr L.; und da weiß man, was ist und was kommt.


Er gab sich nicht einmal mehr Mühe dabei, grinste selbst über seine dreiste Verlogenheit.


So wie er beschaffen ist und wie er sich aufführt, der Mensch, so ist das doch eine Zwangsläufigkeit, dass ihm mal alles entschieden um die Ohren fliegt. Sehen Sie mal, allein schon das Erlebnis eines typischen Samstagseinkaufs lässt doch nur diesen Schluss zu.

Samstag, 22. April 2023

 Und dann steht man da rum und erzählt sich gegenseitig irgendeinen Scheiß, so einen tranigen Alltagsscheiß. Weil man das so macht.


Sich die Menschen und das Leben schön zu trinken, war ihm nie so recht gelungen. Sich stumpf zu trinken, reichte ihm ohnehin; das war schön genug.


Er sagt den anderen einfach, was sie hören wollen, weil er keine Lust hat aufs Diskutieren, das ist schon alles, aber dann missverstehen die das als Einladung, noch mehr Bullshit bei ihm abzuladen. Irgendwann lässt er's ganz und geht gar nicht mehr raus.


In seiner Fantasie war's erhebend, wie in 'nem Film. Die Realität ist dann bei so was aber immer nur 'ne trübe Tasse.


Diesen Wunsch oder sogar Drang nach Aufmerksamkeit und Bestätigung konnte er nicht nachvollziehen, hat er nie verstanden. Deswegen hat er auch nie die Menschen verstehen können, hat sie in ihrer Schändlichkeit immer unterschätzt.


Er hat nie Karriere gemacht. Oder einen Strandurlaub. Dafür hat er viel rumgesessen, hat sich gefragt, was der Scheiß soll. So was halt.


Vieles hatte er von seinem Vater – und ebenso vieles von seiner Mutter. Und deren gehässige Streitereien tobten in ihm sein Leben lang.


Sie fragen dich, wie dein Urlaub war, ob du dich auch gut erholt hast. Oder wie dein Wochenende war, ob du was unternommen hast. Und du antwortest seit jeher mit den immer gleichen Floskeln, aber sie bleiben dran.

Donnerstag, 20. April 2023

 Im Wartezimmer lässt er sich ächzend auf einen Stuhl nieder, er ist übergewichtig, er schnauft, schwitzt und er riecht. Die Frau neben ihm steht auf und setzt sich woanders hin. Er schnauft weiter, wischt sich übers verschwitzte Gesicht und die wässrigen Augen.


In der Mittagspause mache ich meinen üblichen Spaziergang. Beim Überqueren der Kanalbrücke stelle ich mir wieder vor, ich werfe die Firmenschlüssel ins Wasser. Wie um etwas zu besiegeln, wie in einem billigen Film. Illusionskitsch.


Er hat eine neue Freundin, redet aber schon jetzt abwertend über sie, bezeichnet sie als "Madame": "Madame will aber das, Madame sagt aber jenes." Sein Kumpel lacht zustimmend, hält ihn aber für einen miesen Arsch.


Ja, kann schon sein, kann aber auch nicht sein. Ich mein', es spricht schon viel dafür, aber da gibt's ja auch schon noch was, was dagegen spricht. – Ich denk', ich bleib' dabei: Kann schon sein, kann aber auch nicht sein.

Dienstag, 18. April 2023

 Der übliche Kater am Sonntag beeinträchtigte ihn in seiner Empfindsamkeit und Offenheit, bewahrte ihn vor den sonntäglichen Finessen der Sonntage.


Die Feiertage verbringt er allein. Wie ja alle anderen Tage auch. Selbst die Arbeitstage inmitten der Kollegen verbringt er ja im Grunde allein. Manchmal ist er betrübt deswegen, aber meistens eigentlich nicht. Es ist einfach sein Leben, das er da lebt.


Den Müll rausbringen, die Einfahrt kehren, die Nachbarn beobachten, was man halt so macht, aber manchmal hat er schon so'n komisches Gefühl, so, als hätte er sich nicht sein Leben ausgesucht, sondern sein Leben ihn – so in der Art wie das mit seiner Frau auch gewesen ist.


Nein, er konnte ihr nichts vorhalten, da war nichts. Sie ging ihm mit der Zeit einfach so auf die Nerven. Einfach so. Und er schämte sich dafür. Genau wie damals, bei ihrer Vorgängerin.


Von ihm kam ja nie was, also bestimmte sie, was gemacht wurde und wo's langging. Er ließ es mit sich machen, war oft genervt, aber ließ es mit sich machen. So kannte er es auch von seinen Eltern und im Grunde wollte er es immer so haben.

Sonntag, 16. April 2023

 Er hat es gemacht, aber es hat nichts mit ihm zu tun, rein gar nichts, außer, dass er es halt gemacht hat. So geht das Tag für Tag, Montag bis Freitag, 8 Stunden lang. Am Wochenende macht er dann was anderes, aber am liebsten macht er nichts, rein gar nichts.


Er hatte sich früh von seinen Illusionen verabschiedet, hat den bürgerlichen, sicheren Weg eingeschlagen. Mit hämischer Genugtuung verfolgt er jetzt das Scheitern ehemaliger Bekannter, die geglaubt hatten, sie schaffen es. Einem hat er jüngst 50 Euro zugesteckt.


Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, nein, dann erteilen sie dir auch noch ihre Ratschläge, lassen dich teilhaben an ihrer Weisheit.


In seinen Wandkalender mit den Jahreszeitmotiven hatte er sich notiert, wann welche Mülltonne geleert wird. Sonst waren da keine Einträge mehr, nichts.


Bin gerade in Stimmung, aber null Ahnung für was denn überhaupt. Ich mach mir noch ein Bier auf, dann renkt sich das wieder ein.

Freitag, 14. April 2023

 Ist ja schön und gut, was Sie mir da so alles auftischen, aber meine eigenen Paradiesvorstellungen sind nun mal in der Lebenszeit angesiedelt und 'ne Einlasskontrolle gibt's da schon mal gar nicht.


Alte Gewohnheiten, die ihm eigentlich keine Freude mehr bereiten und auch sonst völlig sinnlos geworden sind: Er hält dran fest. Sein Leben entgleitet ihm, also hält er dran fest.


Sie überhäufte ihn mit ihrem Geschwätz, ohne Punkt und ohne Komma und immer wieder mit dem gleichen Scheiß. Sie wusste selbst, dass er kaum noch hinhörte. Hauptsache, er hielt dabei den Rand.


Beim Lebenslauf vor allem stets an mögliche Bewerbungen denken! Dafür ist er da, der Lebenslauf.


Nichts war ihm gut genug, alles bestätigte ihn in seiner Wut und seiner Frustration. Und so verbrachte er seine Zeit und irgendwann war's das dann gewesen.

Mittwoch, 12. April 2023

 Selbst als junger Mann ging er nicht auf die Barrikaden. Er ging in die Kneipe, soff sich einen an, machte sich einen Witz aus allem. Er wollte niemandem auf den Sack gehen, so wie ihm niemand auf den Sack gehen sollte.


Diese "Kulturschaffenden", das sind doch auch so welche. Bei uns zwei Häuser weiter, da hat mal einer gewohnt, das war so einer. Ein Schwätzer vor dem Herrn, aber mit Schaffen nix am Hut. Hab nicht einmal gesehen, dass der mal was am Schaffen war.


Als alter Stinkstiefel zog er dann los, im alten Arbeitskittel, so machte er seine täglichen Kontrollgänge und spuckte anderen in die Suppe. Da hatte er ein Recht dazu, so war das damals, als Rentner noch Rentner waren.


Er wartet gern, selbst jetzt in der Schlange vor der Kasse. Das Warten hat einen schlechten Ruf, aber er wartet gern. Er wartet auf besseres Wetter, auf die Rente, auf den Tod; völlig egal, er wartet und ist die Ruhe selbst.


Als Gewinner dastehen?  –  Ich weiß nicht, stell ich mir unangenehm vor. Das unbeteiligte Rumstehen, das ist eher so meins.


Ein Leben in Saus und Braus?  –  Ich hab Bier da und ich hab meine Ruhe, ich scheiß auf Saus und Braus.

Montag, 10. April 2023

 Alles, was ganz nett und schön war, mussten sie dann aber idealisieren, mit romantischer Gefühlsduselei übergießen. Er wusste nicht mehr, was er noch fühlen sollte, interessierte sich mehr und mehr für das, vor dem sie ihn warnten.


Er ist mit einer bürgerlichen Arbeitsmoral aufgewachsen und wie sie ihm früher mal von Nutzen war, so macht sie ihn inzwischen kaputt, faktisch krank. Eigentlich kann er schon längst nicht mehr.


Ein guter erster Eindruck, das ist was für Könner: Mietnomaden, Geschäftsleute und sonstige Halunken. Für mich ist das nichts.


Beruflich irgendwie was mit Action und Fame, das war so seine Vorstellung gewesen. Später lachte er drüber, genau wie er grundsätzlich über jeden Spinner und Schwachkopf lachte.


Gossenschick in der Edelboutique. Gossenjargon im Kosmetiksalon.

Donnerstag, 6. April 2023

 Für das schöne, glückliche Leben, das er sich manchmal so vorstellte, fehlte ihm in Wahrheit doch auch der Nerv.


Als Aussteiger leben? Aussteigen? Woraus denn? Aus seiner 1½-Zimmer-Wohnung?


Bin ja vom Typ her eher so der langweilige Typ. An einem kurzweiligen Leben habe ich auch gar nicht so das Interesse.


Dann griff ich aber doch mal wieder zur Flasche. Der Stumpfsinn war befreiend, ging dann aber schnell über in lächerliche Großmannsphantasien und andere unwürdige Widerlichkeiten. Der Rausch war nur noch fauler Zauber, Kulissenschieberei. Es war ernüchternd.


Draußen is' Wetter, drinnen is' besser.

Sonntag, 2. April 2023

 Sie saßen vorm Fernseher, seine Frau liebte diese Fernsehshows und er starrte vor sich hin. Manchmal hatte er noch Fantasien oder sogar Pläne, aber das waren Hirngespinste, reine Hirngespinste.


Da er aber ja nirgendwo mehr einen Sinn erkennen konnte, war die eklatante Absurdität seiner beruflichen Tätigkeit nun auch nicht weiter von Belang. Dass ihm seine Arbeit so auf den Sack ging, war dem Alltäglichen geschuldet.


Diese toxische Männlichkeit, die hat doch null Chance gegen die gute alte Gewitterziege – von dem klassischen Hausdrachen ganz zu schweigen.


Er stammt aus bescheidenen Verhältnissen, hat sich da aber raus gearbeitet, hat sich mit viel Fleiß und eisernem Willen was aufgebaut. Jetzt hat er Depressionen und 'nen kaputten Rücken – so kann's gehen.


Entrückt am Samstag, erdrückt am Sonntag, gebückt zum Montag.

Donnerstag, 30. März 2023

 Das Leben halt ertragen und versuchen, drüber zu lachen: Gut möglich, dass es clevere Methoden gibt, mir fällt aber keine ein.


Wenn du ihn dir schon nicht verkneifen kannst, dann frage dich zumindest, ob dein Zynismus im Wesentlichen auf einer gehässigen Arroganz oder einer ehrlichen Resignation beruht.


Entgegen der ins Kraut schießenden Flegelhaftigkeit im täglichen Miteinander bleibt er stets höflich und zurückhaltend. Alles andere wäre auch irrational, irrational und kindisch.


Er war ein angenehmer, freundlicher Mann; ruhig, unauffällig und immer etwas traurig. Als er irgendwann nicht mehr auftauchte, fiel es niemandem auf.


Und dann stehe ich plötzlich wieder mal neben mir, frage mich, was ich da mache, was das überhaupt noch soll. Das eigene Leben ist mir fremd geworden.

Samstag, 25. März 2023

 Hin und wieder tut er einfach so, als würde er sich über irgendeinen Stuss aufregen, redet dann einfach auch mal empört daher. Sonst denken die Leute, man ist keiner von ihnen. Gerade auf Arbeit ist das wichtig.


Die stets auf ihre Autorität pochende Abteilungsleiterin Britta R. lässt bei morgendlichen Dienstbesprechungen gern mal den ein oder anderen einstudierten Scherz einfließen. Noch unbeliebter kann sie sich ohnehin kaum machen.


Wenn Ihnen mal, wie mir neulich, irgend so ein Fatzke erzählen sollte, dass man für seinen Job brennen müsse, dass Erfolg Begeisterung und Hingabe bedeute oder sonst so einen Bullshit, der in diese Kerbe schlägt, ja, dann sind Sie ja jetzt schon mal vorbereitet.


Jeden Morgen, kurz bevor er für die Arbeit seine Wohnung verließ, verzog er für einen kurzen Moment das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. Zumindest einmal pro Tag wollte er ehrlich sein und seinem Empfinden ungehemmt Ausdruck verleihen.

Dienstag, 21. März 2023

 Seine eigentliche Berufserfahrung hatte nichts mit der Arbeit an sich zu tun. Das Drumherum war es, die Leute, die Interaktion, diese grotesken Spielchen, das hat ihn geprägt, hat ihn diese furchtbare Person werden lassen.


Wie ihr ganzes Auftreten waren auch ihre Gedanken schwatzhaft und unverbindlich. Da war einfach nicht viel.


Stille Wasser sind ja nicht unbedingt tief, aber still ist doch schon mal was.


Dass sich hinter seinen ausgesprochen markanten Gesichtszügen keinerlei markante Gedanken zu befinden schienen, schadete seiner Popularität nicht im Geringsten, ganz im Gegenteil.


Auch damals, als die Zeichentrickserie "Tom & Jerry" plötzlich eine politisch korrekte Weichspülung verpasst bekam, da wollt's doch dann auch keiner mehr sehen.


Und als er es dann tatsächlich mal aus der entgegengesetzten Perspektive erlebte, als sich der geifernde Mistgabelmob plötzlich mal vor seiner Hütte versammelte, da begriff er es tatsächlich genauso wenig.

Mittwoch, 15. März 2023

 Die Möbel aus dem Sperrmüll, das Bier und die Kippen aus der Tanke und das schallende, haltlose Gelächter aus naiver Unbekümmertheit: Wir holten raus, was rauszuholen war, wussten wir doch, dass es so oder so nicht lange gutgeht.


Ein pingelig gemähter Rasen, spruchverzierte Dekosteine und eine lustige Fußmatte: Wenn schon nicht der Hund, dann scheißt ja vielleicht der Waschbär drauf.


Genau wie damals, wie er nach und nach seine Saufkumpels gegen Arbeitskollegen und andere Trantüten ausgetauscht hatte, da war's doch auch so gewesen – als hätte da seine Frau auch nichts mit zu tun gehabt, als ob's seine eigene Entscheidung gewesen wäre!


Ich sehe es zu gern, wie mein Döner schnell und präzise in Alufolie verpackt, in eine Tüte gelegt und die Tüte dann verknotet wird. Das ist so was, was mir mal an der Arbeitswelt gefällt: routiniertes Geschick, ganz egal wo.


Sie zählte ihm auf, was sie alles für ihn tat. Er rechnete ihr vor, für was er alles aufkam. Und so zog sich das hin.

Samstag, 11. März 2023

 Wie wichtig es ihnen ist, gut dazustehen oder ihren albernen Willen durchzusetzen! Und dann ständig dieses Gemache und Geschisse um irgendwelche Nichtigkeiten. Die Leute machten ihn irre, nicht das Alleinsein – die Leute, tagtäglich diese Leute!


Und dann steckte er mit einmal völlig drin, in diesem Berufsleben. Die Tage und Wochen gehörten nicht mehr ihm, abends fielen ihm beim Fernsehen die Augen zu, seine Frau riet ihm zu einem Hobby – und irgendwann wusste er nicht einmal mehr, ob er überhaupt was vermisste.


So langsam gehörte auch er zum alten Eisen, er tat sich zusehends schwer und dass sie auf seine lange Zugehörigkeit und "Erfahrung" in Wahrheit einen müden Furz gaben, war ihm klar. Knapp 8 Jahre musste er noch. 8 Jahre!


Die Menschheit, das ist schon so'n Kapitel für sich – und ganz sicher keins mit Happy End.


Was die Lauten und Vulgären betraf, die Schreihälse und Rabauken, auch die Wirrköpfe, so ließ er ihnen für gewöhnlich den Vortritt, wollte er sie doch um nichts in der Welt im Nacken spüren.

Mittwoch, 8. März 2023

 Seine Arbeitsvermeidungsstrategien bei der Arbeit erforderten ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Manipulationsgeschick. Das war längst eine Arbeit für sich, aber eine, die ihm Genugtuung verschaffte und ihm mal wirklich etwas bedeutete.


Na ja, das wär' idiotisch, völlig idiotisch, aber zuzutrauen isses mir. Bei aller Einsicht und Vernunft hockt da doch immer auch so'n unberechenbarer Idiot in einem drin, so'n Clown, und der gibt dir dann vor, wo's lang geht.


Noch nie hatte er eine öffentliche Toilette putzen oder reparieren müssen, noch nie im Akkord Schlachtkörper für die Weiterverarbeitung zerlegt. Wenn er über Arbeit redete, kam ihm sowas nicht im Entferntesten in den Sinn.


Er wollte damals keine Zeit verlieren und hatte sich schnellstmöglich eingerichtet. Seine Arbeit, seine Ehe, sein Zuhause: In allem hatte er sich längst eingerichtet. Gelegentlich machte er jetzt mal was an der Deko – neue Möbel, 'nen frischen Anstrich, 'n neues Auto, sowas halt. Seine Frau war da genauso.


Und wenn er dann mal über alles so nachdachte, sein ganzes Leben und so, dann dachte er einfach schnell an was anderes.

Samstag, 4. März 2023

 Das Trinken in Geselligkeit aber brachte ihn um das eigentliche Glück der Trunkenheit.


Dass es sich bei Frank R. tatsächlich um den allerersten Menschen handelte, der sich dem rüden Vorwurf ausgesetzt sah, man habe ihm wohl ins Gehirn geschissen, merkte man ihm nicht an. Er war von durchschnittlicher Intelligenz und durchschnittlichem Aussehen.


Am meisten setzte er sich natürlich selbst unter Druck. Manchmal merkte er es – und selbst dann fiel er noch drauf rein.


Das Gesicht aufgedunsen und verschwitzt, seine Komplimente plump und aufdringlich; er war geschäftlich unterwegs und für ihn war das das Leben.


Vom Ehrgeiz getrieben polterte sie verbissen durch die Büros. Kam sie einem nahe, roch man den Stress in ihrem Atem. War sie nicht da, fühlte man sich besser.

Montag, 27. Februar 2023

 Nach der üblichen Wochenendsauferei mit seinen üblichen Großmannsphantasien war dann doch nur wieder Montagmorgen und er schmierte sich seine üblichen Graubrotschnitten für die Mittagspause.


Das schlimmste am verkaterten Aufwachen war inzwischen das unmittelbare und umfassende Gefühl der Vergeblichkeit – der Kopfschmerz und auch die Übelkeit schon fast eine willkommene Ablenkung, vor allem etwas, das sich schnell überwinden ließ.


Als er damals den Alkohol für sich entdeckte, erschien ihm das Leben plötzlich lebenswert, alles war mit einmal so entspannt und anregend zugleich. Als er es dann schaffte, vom Alkohol wieder weg zu kommen, passierte das Gleiche noch einmal, aber so allmählich, dass er es fast nicht gemerkt hätte.

Freitag, 24. Februar 2023

 Seine Unaufgeregtheit war es, dafür mochten sie ihn. Mit einem Unaufgeregten trinkt man gern mal ein Bier, redet unaufgeregt über Gott und die Welt. Es sollte mehr Unaufgeregte geben, die Welt wäre eine bessere.


Er liebte seine Frau, aber diese hergerichtete Behaglichkeit überall in der Wohnung schlug ihm langsam aufs Gemüt.


Marga S. fürchtete nichts so sehr wie den Tratsch anderer Leute. Sie wusste Bescheid, kannte sich aus mit latenter Gehässigkeit und der diebischen Freude daran, tratschte sie doch selbst leidenschaftlich gern.


Gäbe es tatsächlich so etwas wie Glückszahlen: Sein Geburtsdatum würde er für sich schon mal definitiv ausschließen.


Er befand sich jetzt in einem Alter und einer Befindlichkeit, wo er sein Sterbedatum nun doch gern wüsste.

Dienstag, 21. Februar 2023

 Blödsinn. Ein einziger Blödsinn, mehr ist es doch nicht. Und dennoch bleibt man dran. Obwohl man's weiß. Man ist doch selber blöd, einfach nur unfassbar blöd und das ist auch schon die ganze Erklärung, mehr ist es doch nicht.


Er hatte eine mächtig hohe Meinung von sich und genau so peinlich war er dann ja auch.


Beim Denken an die Arbeit hatte er nur noch diesen Riesenberg Scheißdreck vor Augen, an den er Tag für Tag ran musste. Und das Denken an die Arbeit war dann auch noch mal so ein Scheißdreck für sich.


Seine Einsamkeit ließ ihn dann auch noch aufdringlich werden. Es war ausweglos, er hatte keine Chance.


Der Wunsch, sich nur noch rauszuhalten, wurde für ihn schnell zur Notwendigkeit. Was die Leute sich gegenseitig zumuteten und antaten, war ihm unbegreiflich.

Sonntag, 19. Februar 2023

 Sich aus moralischen Gründen gegenseitig anscheißen – oder aus sexuellen: nun gut, wem's gefällt. Aber für mich ist das jedenfalls nix.


Er wusste aber nicht, was er machen sollte – oder machen könnte. Er wusste ja nicht einmal, was er überhaupt machen wollte. Wann er zuletzt glücklich gewesen war, wusste er auch nicht. Unglücklich war er, das wusste er, damit kannte er sich aus.


Joachim 'Drei-Finger-Joe' Schulze war der krasseste bei uns in der Dorfclique gewesen, eine Legende. Keiner weiß, was aus ihm geworden ist. Manche erzählen, er hat Einzelhandel gemacht und ist jetzt bei 'nem NETTO in der Big City, aber wirklich weiß es keiner!


Aber er verharrte in seiner illusorischen Sehnsucht wie ein Rehkitz vor dem Mähdrescher.


Die Arbeitsbedingungen mies, die Stimmung lähmend, der Lohn und die in Aussicht gestellte Rente ein Hohn. Jeden Morgen um 5:15 Uhr, wenn er sich auf den Weg macht, fragt er sich, ob er eigentlich einen an der Klatsche hat.


Und dann kam ihm wieder innerlich die Kotze hoch, also seelisch, quasi Seelenkotze. Und die Dienstbesprechung hatte gerade erst angefangen.

Mittwoch, 15. Februar 2023

 Nimm's leicht, sagt er da zu mir. Das ist so sein Motto und seine Antwort auf alles: Nimm's leicht!
Zu jedem und bei jeder Gelegenheit sagt er, nimm's leicht  –  selbst zu'nem angepissten Möbelpacker würde er's sagen.


Aufgedrehte Lautsprecher und aufgedrehte Gefühlslagen in aller Öffentlichkeit: rücksichtslos, schamlos, kindisch. Das war nicht mehr seine Welt und er blieb fast nur noch zu Hause, weggeschlossen und für sich in seiner Einzimmerwohnung.


Was er von sich gab, war haarsträubend, manchmal urkomisch und dann wieder unfassbar widerwärtig und abstoßend. Jeder konnte das; alles, was man dafür tun musste, war ungefiltert das auszusprechen, was einem so mal eben durch den Kopf ging.


Nach über 20 Jahren Dienst im Dienstleistungsgewerbe betrachtete Joachim A. den Menschen nur noch als ein Bündel aus Fleisch, Knochen und lächerlichen Bedürfnissen.


Ihm fiel nichts anderes mehr ein, als sich volllaufen zu lassen. Nicht, dass er auch mal groß was anderes ausprobiert hätte. Er war so einer, der nicht erst groß was anderes ausprobiert haben musste, bevor ihm nichts anderes mehr einfiel, als sich volllaufen zu lassen.

Sonntag, 5. Februar 2023

 Im Leben begegnet man sich immer zweimal  –  und dann ist aber auch gut.


Er verglich seine Beziehung mit ihr mit einem Lottogewinn: Wenn er hin und wieder mal 10 Euro gewann, wog das schwerer als die 60 Euro, die er jeden Monat für die Lottoteilnahme investierte.


Der Januar war ihm widerlich und dann erst der Februar! Und der März auch noch und der April immer noch. Und in dieser umfänglichen Widerlichkeit sollte er machen und tun, funktionieren, mit heiterer Miene der Arbeit nachgehen – weil, so ist das halt.


Bei der Arbeit war er innerlich tot. Zuhause äußerlich.


Mit der üblichen Rhetorik und den üblichen Phrasen wollte er die Belegschaft mal wieder "mitnehmen", sie begeistern für die kommenden "Herausforderungen". Dabei waren doch alle nur noch müde, selbst er war doch nur noch müde. Was für ein unbegreifliches Theater.

Sonntag, 15. Januar 2023

 Spätestens wenn da steht "der neueste Trend", ist doch klar, dass es sich um den letzten Dünnpfiff handelt.


Seit Jahrzehnten hockte er vorm Fernseher, schon als Bub hockte er am liebsten vorm Fernseher. Und jetzt, wo da nur noch Wiederholungen liefen, gefiel es ihm sogar noch besser. Es beruhigte ihn – wie ein Kind, das immer die gleichen Geschichten hören will.


Und dann tatsächlich lebte er seinen Hippie-Traum. – In Niedersachsen. In einem deutschen Mittelzentrum. In Quakenbrück.


Zeug hatte sich angesammelt. Vor allem hatte sich Zeug angesammelt, so unglaublich viel Zeug. Als hätte man sein Leben lang nur Zeug rangeschafft – und das war's dann gewesen.


Hochbetagt auf einem motorisierten Stressless-Fernsehsessel liegen, "Traumschiff" schauen und auf den unvermeidlichen Eisberg warten: so oder so ähnlich.

Sonntag, 8. Januar 2023

 In so einer schleimscheißerisch sanftmütigen Art und Weise kam er angeschissen, dieses verlogene, heimtückische Arschgesicht. Überzeugen wollte er mich, von seiner Religion. Damit ich so werde wie er, wie einer von ihnen.


Sicher, mit seinem ewigen Klagen und Jammern steigert er sich in negative Vorstellungen hinein und macht sich selbst das Leben schwer, aber das gehört nun mal dazu, das Klagen und Jammern, ist es doch ein zentraler Aspekt seiner kulturellen Identität.


Komm, sei ruhig und geh' scheißen, sagte er zu mir und was offenbar als Beleidigung gemeint war, war ja aber eigentlich gar keine so schlechte Idee.


Wieder mal gewaltig aufgebracht klatschte er hinter jeden Satz ein Ausrufezeichen, wenn nicht sogar gleich drei oder noch mehr. Punkt und Komma kamen ihm kaum mehr in den Sinn, vom Gedankenstrich ganz zu schweigen. Das Getöse in seinem Kopf war unerträglich, eine Zumutung.


"Ja, und? Was kostet es Sie schon? Das bisschen Lügen – oder besser: das bisschen Schönfärberei."
"Eine Überwindung, von der Sie nicht die geringste Ahnung haben."

Sonntag, 1. Januar 2023

 Dass mir so dermaßen viele Menschen so dermaßen auf den Sack gehen, liegt natürlich an mir selbst  –  das ändert ja aber nun nichts daran, dass mir so dermaßen viele Menschen so dermaßen auf den Sack gehen!


Seit über 30 Jahren war er jetzt da beschäftigt und es war klar, dass er da nicht mehr raus kam, dass er den Absprung verpasst hatte. Seine distanzierte Verachtung gegenüber der längst als sinnlos erlebten Arbeit half da auch nicht viel, aber manchmal schon.


Wieder hockte er über die Feiertage bei seiner Familie, ohne je eine eigene Familie gegründet zu haben. Er machte sich noch ein Bier auf. Mit jedem Bier wurde's erträglicher. So schlecht war sein Leben gar nicht.


Und so zogen die Jahre übers Land und dass sie einem mit zunehmendem Alter immer kürzer vorkamen, war doch eine verdammte Gnade, war es doch irgendwann sowieso immer wieder nur noch der gleiche Scheiß.


Er hatte ja aber nichts, was ihn mal aus dieser Trostlosigkeit herausriss, nichts, worauf er sich freuen konnte und was ihn mal eben befreite und vergessen ließ. Nichts! So zog es ihn trotz seines Vorsatzes doch gleich wieder in die funkelnde Spirituosenabteilung.