Sonntag, 19. Mai 2024

 Es reicht ihnen ja nicht, dass du deine Arbeit erledigst, nein, du musst sie gern erledigen und jederzeit die Bereitschaft zeigen, sie über alles andere zu stellen. Sie wollen dich so verkorkst sehen, wie sie selbst verkorkst wurden.


Als Kind wurde er jeden Sonntag von seinen Eltern aus repräsentativen Gründen in unbequeme, kratzige Kleidung gesteckt und zum Sonntagsausflug mitgeschleift. Wenn er sich jetzt montagmorgens sein Businesshemd zuknöpft, kommt das alles wieder hoch.


Seine Selbstherrlichkeit steht auf wackligen Beinen, ein falsches Wort und man darf sich auf was gefasst machen. Als Vorgesetzter ist er eine Katastrophe, als Mensch nicht der Rede wert.


In sich gekehrt saß er zwischen den Kolleginnen und Kollegen in der Dienstbesprechung und hörte sich diesen aufgeblähten Unfug an. Dabei visualisierte er sich mal wieder den ausgestreckten Mittelfinger als seine innere Haltung, sein Rückgrat.


Eine dicke Schmeißfliege kommt reingeflogen. Sie verschafft sich kurz einen Überblick und fliegt direkt wieder raus, seine Bude ist wohl sogar unter ihrer Würde.

Donnerstag, 16. Mai 2024

 Die Sonn- und Feiertage bescherten ihm die Einsamkeit und die Arbeitstage gaben ihm den Rest.


Seit 20 Jahren windet er sich jetzt in seinem Trott. Er hofft, dass sich der Knoten in seinem Hirn doch noch löst, dass er endlich wieder geradeaus denken kann, mal wieder einen Weg erkennt, zumindest eine Richtung, irgendwas.


Er hat Feierabend und Bier im Kühlschrank. Das sind so diese Momente. Das, was den ganzen Scheiß noch irgendwie am Laufen hält.


In seinem ersten eigenen Auto kurvte er dann jedes Wochenende ziellos in der Gegend rum, immer die Straßen hoch und runter. In seinem flotten Flitzer, wie seine stolze Mutter es formulierte.


Er trank lieber allein, da pfuschte ihm niemand in die Behaglichkeit.


Er las den Brief ein zweites Mal, um auch das zu lesen, was zwischen den Zeilen stand. Und dann ein drittes Mal, um dieses Zwischenzeilige wieder zu vergessen.


Mit seinen Launen eiert er durch die Tage und die Wochen. Geradlinig wäre ihm lieber, wäre männlicher, cooler. Aber naja.

Sonntag, 12. Mai 2024

 Die Nachbarn haben Sex und wieder klingt das Gestoße nach dem üblichen, schwerfälligen und mühseligen Pflichtprogramm am Sonntagmorgen. Und danach wird sie duschen und er auf dem Balkon eine rauchen und dann ist auch schon bald wieder Mittag.


Er holt sich noch'n Bier aus'm Kühlschrank und setzt sich wieder hin. Er hat nichts zu tun, nichts vor und er hat seine Ruhe. Es geht ihm gut, wirklich gut und mit jedem Schluck geht's ihm sogar noch besser.


Als unfreundlicher, unhöflicher Mensch wirst du nicht vermisst, wenn du mal längere Zeit nicht da warst. Vielmehr wird da gehofft, dass du ein für alle Mal wegbleibst. Und genau dann kommst du prompt wieder zur Eingangstür reinstolziert.


Bei jeder Kleinigkeit zeigte er sich angegriffen und beleidigt, damit er dann selbst ordentlich austeilen konnte. Erst im Streit lebte er auf, nur da fühlte er noch was.


Wegen des morgigen Feiertags gestattet seine Frau ihm ein Bier nach dem Abendessen, ein 0,33er. Er soll sich aber Untersetzer holen. Er kommt nicht gegen sie an, traut sich nicht einmal, das Bier abzulehnen.


In Filmen werden notorische Einzelgänger und Sonderlinge gern eines Besseren belehrt. Da machen die so'ne rührselige Erfahrung, die sie erst nachdenklich werden lässt und dann auf den rechten Weg, hinein in die Geselligkeit führt. Genau wie im richtigen Leben.


Diese kleinen Fliegen, die da um die Deckenlampe kreisen, weil sie nicht raus finden, die sind seine einzige Gesellschaft seit Wochen. Er muss lachen und prostet ihnen zu.

Montag, 6. Mai 2024

 Jeden Morgen erschien sie pünktlich und wie aus dem Ei gepellt, war stets freundlich und bester Laune und zugleich mit der größten Selbstverständlichkeit eiskalt und berechnend. Sie war perfekt – und verkorkst bis ins Mark.


Unfreundliche Menschen beschweren sich über Unfreundlichkeit; sie leben in einer unfreundlichen Welt.


Zwischen dem, was sie sagt und dem, was sie wirklich sagt, liegen Welten. Da jetzt eine Brücke zu schlagen, ist für sie selbst auch nicht leicht. – Aber statt zu helfen und ihr den Weg zu ebnen, steht er nur da und glotzt hohl!


Diese Typen, die da rumlungerten und respektlos und provokativ ihre Zigarettenstummel auf den Bürgersteig schnippten: So langsam wurden die ihm angesichts dieser neuen, omnipräsenten Korrektheit regelrecht sympathisch.


Er ließ es einfach sein und fand sich damit ab; sein Universalschlüssel zum Seelenfrieden. Seiner Frau passte das nicht, aber mit der hatte er sich schon lange abgefunden.


Ob ein Tag jetzt schön war oder nicht, das machte er nur mehr am Wetter aus. Was sonst so passierte – so lang's ihm nicht gerade wehtat – war ihm doch längst einerlei.


Sie wollte das Zusammenleben zu etwas Besonderem machen, es gestalten und ausstaffieren. Das fing schon an mit diesen Dekoartikeln, die sie ihm in die Wohnung schleppte. Er ließ es über sich ergehen, tat so, als hätte er keine Meinung dazu.

Mittwoch, 1. Mai 2024

 Mit Ende 20 bekam er dann doch noch gerade so die Kurve und schlug den bürgerlichen Weg ein. Am meisten schätzte er dann an der Bürgerlichkeit dieses behagliche Gefühl der Selbstgerechtigkeit.


Sie war auf Wohlstand und Ansehen aus, wollte den erfolgreichen Geschäftsmann. Das war die einzige Rolle, die sie ihrem Mann einräumte, alles andere an ihm verspottete sie: jede Schwäche, jede Träumerei, jede Gefühlsduselei – alles trieb sie ihm aus.


Aber irgendwann trank er sich dann jeden Abend leicht einen an, um sich seine Frau und das Leben mit ihr zumindest ein Stück weit erträglich zu machen. Sein Sohn erfuhr das erst nach seinem Tod, gerade zu der Zeit als er genauso damit anfing.


Als Kinder haben wir uns gekloppt, um die Rangordnung zu klären. Es war 'ne ernste, oft sogar feierliche Angelegenheit – und fair ging es zu und ehrlich, nicht so wie bei den doofen Erwachsenen.


Inzwischen ließ auch er sich Zeit dabei, studierte in aller Ruhe die Verpackungen, verglich die Preise, beobachtete andere Kunden und hoffte auf Bekannte. Der Lebensmitteleinkauf war der gesellschaftliche Höhepunkt in seinem Leben geworden, gerade der am Samstag.


Er schmiss seine Festanstellung, verließ die Familie und zog in die Großstadt, in so 'ne Sozialwohnung mit Balkon. Oft saß er angetrunken auf 'ner Parkbank und zeigte Passanten den Mittelfinger. Sonst schaute er viel fern, die gleichen Sendungen wie früher auch.


Mit welcher Leichtigkeit sie drauflos redeten, so sorglos und unverbindlich! Ihm war das nicht möglich, er hatte zu großen Respekt, sogar Angst vor den eigenen Worten, stammelte oder schwieg lieber ganz.