Aber bei der Sparsamkeit, da sollte man schon unterscheiden können, die sollte man nicht gleich so von oben herab belächeln. Die Frage ist doch, warum da jemand, obwohl er's nicht müsste, so sparsam lebt. Genügsamkeit befreit, Geiz beengt, wissen Sie.
Schon als Jugendlicher hatte er seine kleinbürgerliche Herkunft gehasst und verhöhnt. Jetzt, mit Ende 50, tut er es immer noch. Immer noch hat sie die Oberhand, bestimmt über ihn, regelt seine Angelegenheiten – verhöhnt ihn.
Vieles hatte er probiert an Praktiken und auch an Substanzen; wirkliche Ruhe und Freiheit fand er schließlich in seiner Genügsamkeit.
"Müde bin ich, geh' zur Ruh', schließe meine Äuglein zu" hatte er als Kind jeden Abend vorm Schlafenmüssen aufgesagt. Im hohen Alter im Bewusstsein des Sterbenmüssens hatte er es sich wieder angewöhnt.
Donnerstag, 12. Juni 2025
Sonntag, 8. Juni 2025
Mit seinen Arbeitskollegen hatte er nichts gemein, jede Unterhaltung war zäh und ermüdend. Zu Hause war es im Grunde auch nicht anders. Da schauten sie viel fern, während sich in seinem Kopf wüste Szenarien abspielten.
Früher, in seinen 20ern, da hatte er nichts ernst genommen, viel gelacht, sich einen Scheiß um irgendwas gekümmert. Hat sich so sein Leben versaut. Er wünschte, er wäre jetzt wieder so wie früher, spielt doch nun alles ohnehin keine Rolle mehr.
Er hielt sich da raus, wieder mal. Nicht weil er etwa keinen Durchblick hatte oder gar feige war. Nein, das Raushalten und Außenvorstehen, das war ja bei ihm nicht mal eine Entscheidung, sondern eine Berufung. Sein Lifestyle, sein Ding, wissen Sie.
Donnerstag, 5. Juni 2025
Als Kind hatte ich diesen Onkel, über den in der Familie geredet wurde, der allein lebte und auf den Esstischfotos nie lächelte, aber in den unpassendsten Momenten lachte. Der oft einen becherte und so furchtbar maulfaul war. Der hat mich nachhaltig beeindruckt.
Was er sagte und erzählte, zielte mal wieder darauf ab, dass er gelobt werden wollte. Man hörte ihm zu, wie man einem Kind zuhört, dabei hatte man gerade seinen Amtsleiter vor sich; einen 58jährigen Amtsleiter.
Als er ihn das erste Mal las, war er von der Brillanz des Satzes überwältigt. Als er ihn dann bei passender Gelegenheit mal in einer Unterhaltung zitierte, war er miteins flach und schal, peinlich, nicht mehr zu gebrauchen.
Montag, 2. Juni 2025
Zu seinem Dienstjubiläum sagte man ihm, er dürfe stolz sein auf das in all den Jahren Geleistete. Dabei hatte er doch längst die Bedeutungslosigkeit seiner Tätigkeit erkannt, die Lächerlichkeit seines Berufs. Und doch blieb er dabei, er wusste nicht, wohin mit sich.
So viel Verlogenheit, so viel Falschheit. Sogar in der Freundlichkeit. Gerade in der Freundlichkeit. Aber wo soll man sich denn noch wohlfühlen, wenn nicht in der Freundlichkeit.
Was soll der Scheiß? Sein ganzes Leben schon fragt er sich das. Im Großen wie im Kleinen. Und er weiß schon jetzt: Wenn's dann mit ihm zu Ende geht, wird er sich fragen, was der ganze Scheiß denn überhaupt sollte. Mit Sicherheit wird er das, daran hat er nicht den geringsten Zweifel.
Donnerstag, 29. Mai 2025
Menschen machten ihm Angst. So beobachtete er sie, studierte sie; ganz pragmatisch, sein Unbehagen ihnen gegenüber wollte er verstehen. Je mehr er aber sah und mitbekam, desto größer wurde das Unbehagen nur.
Oftmals wünschte er, er wäre wieder der Punk, der er noch mit Anfang zwanzig gewesen war, und würde diesen verkorksten Arschgeigen bei der Arbeit offen den Mittelfinger zeigen. Aber dafür war er längst selbst zu verkorkst.
Nein, er glaube nicht an diese Krankheiten, die sie mit einmal alle überall hatten. Die Leute lassen sich alles einreden, sagte er, sogar Krankheiten lassen sie sich einreden. Oder sie flüchten sich in sie hinein, weil ja doch alles in gewisser Hinsicht nur noch krank ist, alles.
Aber ich bitte Sie, man weiß doch, wie unbedeutend diese sogenannten Kulturschaffenden im Allgemeinen nun mal sind, zuvorderst die vom Staat finanzierten natürlich. Schon deswegen plustern sie sich ja auch so auf, in der Zeitung, mit der Zeitung, bei jeder Nichtigkeit. Ein albernes, unwürdiges Schauspiel, mehr ist es nicht.
Samstag, 24. Mai 2025
Er lernte, es sein zu lassen, es liegen zu lassen. So vieles verlor somit an Bedeutung, wurde ihm schon nach kurzer Zeit einerlei. Das Ausmaß der Unnötigkeiten in seinem Leben verblüffte ihn.
Ihre Wänste schlugen sie sich voll und dann lehnten sie sich zurück, stöhnten, glotzten leer und grinsten und dann rief einer von ihnen: "Leute, ist das herrlich, ist das schön!"
Er saß nur zwei Tische weiter und doch in einer anderen Welt, fühlte sich belästigt und verspottet.
Aber er hatte kein gutes Gefühl dabei. Und je länger er drüber nachdachte, desto mehr fragte er sich, wann er zuletzt überhaupt mal bei irgendwas 'n gutes Gefühl hatte.
Bier federte das Ganze immerhin etwas ab. Und 'n Zeitvertreib war's. – So einiges sprach dafür.
Auch hatte man mit so 'ner Bierdose konkret was in der Hand. Gerade in diesen Zeiten, wo alles nur noch virtuell war, da wollte man doch auch mal was konkret in der Hand haben.
Mittwoch, 21. Mai 2025
Die Freiheit, die er sich wirklich wünschte, war ihm bereits unvorstellbar geworden.
Viele Jahre schwelgte er in Illusionen, während die Realität ihm von Tag zu Tag mehr auf die Pelle rückte, ihm in die Suppe spuckte und seine Phantasie verhöhnte. Zuflucht bot ihm dann der Zynismus. Der vertrug sich mit der Realität und begleitete ihn nun bis zum bitteren Ende.
Hinsichtlich Arbeit und Beruf wäre er schon jetzt gern weg von Fenster. Und was den endgültigen Abgang betraf – nun, dem wollte er sich dann ebenso wenig verschließen. Half ja alles nichts. So richtig überzeugend fand er's Vorhandensein im Großen und Ganzen sowieso noch nie.
Sinn und Trost sollte er finden, indem er ihre Regeln befolgte. Vertrauen sollte er haben und sich weiter keine Gedanken machen. Einfach nur ihre Regeln befolgen – die aber völlig absurd waren. Und je absurder sie waren, umso wichtiger waren sie ihnen auch noch.
Samstag, 17. Mai 2025
Die ersehnte Ruhe, die fand er aber erst recht nicht auf'm Dorf. Da gab's Nachbarn und Neugierde und jede Menge Geschwätz und Gartengeräte, sogar so eine Straßengemeinschaft hatten die da.
Er schlenderte jeden Samstag durch die Kaufhäuser, ohne Kaufabsicht, drehte da seine immer gleichen Runden. So wie andere etwa im Park. Im Einkaufstrubel aber fiel seine Einsamkeit weniger auf.
Am schlimmsten aber sind die Schmeichler, die, die einem sogleich Honig ums Maul schmieren und echte Freundlichkeit in den Dreck ziehen, bloß weil sie irgendetwas wollen.
Ausgesorgt im Verborgenen, wie auch immer, wo auch immer. Genau da wollte er hin.
Mittwoch, 14. Mai 2025
Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit sitzt er mit ihnen in der Straßenbahn: dem Schreiner, der kein Holz mehr sehen mag, dem Buchhändler, der keine Bücher mehr sehen mag, dem Friseur, der keine Haare mehr sehen mag, dem Bestatter, der keine Leichen mehr sehen mag.
Was auch immer er aus einer Begeisterung heraus gemacht hatte: Es taugte nichts, enttäuschte, geriet oft genug zur Peinlichkeit. Was Brauchbares auf die Beine zu stellen, das war 'ne nüchterne, zähe Angelegenheit – und langweilig. Nein, er soff sich lieber einen an und ließ die Puppen tanzen.
Verlogen aber waren die Zeiten schon immer.
Für seine Absichten, Entscheidungen und überhaupt alles gab er ehrenwerte Motive an, die egoistischen behielt er selbstverständlich für sich. Ein guter Mann. Schon als Jugendlicher beherrschte er das Spiel und war selbst verwundert, wie einfach und effizient das war.
Sonntag, 11. Mai 2025
Er kaufte wieder nur No-Name-Produkte. Nicht aus Kostengründen oder weil sich dahinter vielleicht Hochwertiges verbarg, nein, der Imageverzicht gefiel ihm. So sah er sich selbst doch auch: unscheinbar, unten im Regal, fernab von Eitelkeit und Show.
Ende 50 ist er jetzt und das Alleinsein macht ihm zu schaffen. Manchmal, da hat er so Bilder im Kopf: von Geborgenheit und Freude – wie aus 'nem Werbespot für's Bausparen. Und dann hat er von dem Kitsch auch noch 'n Kloß im Hals.
Aber was sollte er denn seiner Mutter schon groß erzählen? Was wirklich in ihm vorging? Was er wirklich dachte? Die Hände über den Kopf zusammenschlagen würde sie, ihn enterben würde sie. Nein nein, es blieb bei den Gesprächen übers Wetter und's Essen, zeitlebens blieb's dabei.
Er hoffte auf bessere Zeiten. Seit 25 Jahren, seitdem er in dieser Vollzeitstelle steckte, hoffte er auf bessere Zeiten. Auf Unbekümmertheit, Leichtigkeit. Durchschlafen wollte er mal wieder, nicht immerzu an den Scheiß denken. Einfach mal wieder durchschlafen.
Dazu musste man gehören. Vernetzt sein. Gehörte man nicht dazu, dann konnte man's vergessen, dann trat man auf der Stelle. Ihm war das bewusst. Aber lieber trat er auf der Stelle.
Donnerstag, 8. Mai 2025
Er ersatzbefriedige sich mit Essen und Trinken, warf sie ihm vor. Vielleicht war da ja was dran, vielleicht aber auch nicht, vielleicht war ja der Ersatz das Eigentliche. Nun, er machte sich so seine Gedanken, ließ sich aber nicht beirren, trieb sie weiter in den Wahnsinn.
Ein altgedienter Kollege hatte gekündigt, erleichtert war er gewesen, euphorisch. Nach zwei Monaten steht er wieder auf der Matte und bettelt um seine alte Stelle. Da, wo er jetzt beschäftigt ist, hält er's nicht aus. Diese Arbeitswelt hat einen weit mehr an den Eiern, als man sich das vorstellen mag.
Sonntag, 4. Mai 2025
Sein Beruf hat ihm ins Hirn geschissen.
Wegen jeder Lappalie regte er sich auf, empörte sich, wurde sogleich sauer, böse und ungerecht und schließlich von der eigenen Magensäure aufgefressen, so richtig fies von innen raus.
Unbekümmertheit, Vertrauen, Zuversicht: Dafür ist diese Welt nicht gemacht. Der durch und durch misstrauische Typ mit dem verkniffenen Mund, der Ihnen doch auch überall über den Weg läuft, Ihnen jeden Morgen in der U-Bahn gegenüber sitzt, das ist das Erfolgsmodell der Evolution.
Stets Vorsorge treffen für ein Leben in stetiger Sorge.
Früher soff er sich dann einfach einen an, hatte Spaß oder bekam Ärger oder beides; alles war ein Witz. Er war noch jung, leichtsinnig, hatte von nichts eine Ahnung, hatte seine Jugend einfach noch mal um einige Jahre verlängert. Rückblickend die absolut richtige Entscheidung.
Unzufrieden war er irgendwie schon immer, unbehaglich war ihm. Und wie er dann erlebte, wie erst sein Vater und dann seine Mutter elendig verstarb, wie er konkret sah, worauf's hinauslief, da hatte er dann auch keinen blassen Schimmer, was er denn nun groß anders machen könnte.
Donnerstag, 1. Mai 2025
Die Sauferei ist ihm nicht bekommen, hat ihn unansehnlich gemacht, vor allem den Charakter. Wobei der im Grunde immer schon verdorben war, da hätte es den Alkohol gar nicht zu gebraucht, so oder so wäre aus ihm ein hässlicher Arsch geworden, nur vielleicht weniger offensichtlich.
Er dachte mal wieder darüber nach, warum er den Scheiß überhaupt machte. Nun, er hatte sonst nichts und so machte er eben das. Das war die vernichtende Antwort, seit jetzt mehr als 30 Jahren war das die Antwort.
Nein, sein Leben ließ sich nicht schönreden. Das konnte er überhaupt noch nie: sich irgendwas schönreden. Der Scheiß zog bei ihm nicht. Klar hatte er es versucht, aber was er sah und was er spürte, ließ sich nicht korrumpieren, es war, was es war.
Du wirst dich dran gewöhnen, sagte er sich, an alles Mögliche hast du dich doch schon gewöhnt, an jeden noch so üblen Mist.
Die Aussicht auf Gewöhnung tröstete ihn immerhin etwas. Und einen anderen, einen besseren Trost hatte er noch nirgends finden können, noch nie.
Auch war er penibel darauf bedacht, immer etwas schäbig aufzutreten: leicht schäbige Kleidung, ein leicht schäbiges Grinsen, nachlässige Wortwahl. Die Leute dort sollten keine Erwartungen an ihn stellen, nichts von ihm halten, ihn in Ruhe lassen.
Am Sonntag traf er beim Spazierengehen einen Arbeitskollegen. Es war ein Ärgernis, da sie sich über die Arbeit unterhielten. Sie hatten sonst kein Thema, worüber sie sich unterhalten mochten. Am Montag saßen sie sich dann im Büro wieder gegenüber.
Sonntag, 27. April 2025
Er kam vom Dorf und hasste alles daran, zog in die Großstadt, hockte in den Eckkneipen und trieb sich in der Bahnhofsgegend rum. Aber die Menschen dort waren im Grunde auch nicht anders, die gleiche Borniertheit, die gleiche Gemeinheit - das, was er so auch in sich spürte.
Jetzt beschlich ihn wieder diese Ahnung, dass sein betrunkenes Ich gestern seinem nüchternen Ich irgendwas Wichtiges hatte mitteilen wollen. Aber das nüchterne Ich konnte sich nun beim besten Willen nicht denken was. Da trank er besser heute gleich noch mal einen.
Und wenn er mal trank, wurde er nie ausfallend oder gar aggressiv. Auch nicht wehleidig. Nur still wurde er, ganz in sich gekehrt war er dann. Aber schon das passte ihr nicht. Alkohol soll den Menschen lustig und gesellig machen, sagte sie, alles andere tauge nichts.
Mit irgendeinem Scheiß lag sie ihm schon wieder in den Ohren, zeterte rum. Er nickte und gab ihr Recht, in Wirklichkeit aber pellte er sich 'n Ei drauf – das hatte er von diesem Selfcare-Workshop neulich als Quintessenz für sich so mitgenommen und setzte es nun im Alltag um.
Freitag, 25. April 2025
Ein kleines Haus mit Garten und Sichtschutz, mit Rasenmäher und Randschneider und jeden Morgen die BILD im Briefkasten, da wollte er am liebsten wieder hin. Da war er damals von geflüchtet und jetzt wollte er wieder hin – schon aus Verachtung gegenüber der Großstadt.
Allein schon das Bier tags zuvor einzukaufen bereitete ihm Freude. Bier bedeutete ihm was.
Er war jemand, der anpackte, der nicht erst groß zweifelte, sondern machte. Auch er las die Zeitung: Politik, Wirtschaft, Kultur. Auch das ein oder andere Buch las er, aber nicht, um darüber zu quatschen; um sich damit zu schmücken. Nein, er machte und es machte ihn glücklich.
Er wollte endlich wieder morgens aufwachen ohne Angst, wollte in Gedanken nicht mehr ständig bei der Arbeit sein. Sich langsam bewegen wollte er, langsam essen. Atmen. Sehen. Denken. Und keine zwei Wochen Schnellurlaub. Aber was bildete er sich ein!
Er redet. Er redet über Ideen, die er niemals umsetzen wird, über Pläne und Projekte, die er nie angehen wird, über seine Vergangenheit, die so nie stattgefunden hat. Er redet.
Dienstag, 22. April 2025
Nein, die Gefahr, sich allzu sehr in dieses Leben zu verlieben und dann womöglich nicht loslassen können, bestand bei ihm nicht, wirklich nicht. Nein nein, mit jedem Jahr wurde es in der Hinsicht sogar besser und besser.
Allein mit sich in seinen vier Wänden; mit 'nem Bier in der Hand und 'ner Illusion im Kopf. Früher war mehr los in seinem Leben. Mehr Highlife. Mehr Rambazamba. Und jetzt isses eben mehr so.
Eigentlich hatte er genug davon, wollte aufhören. Diese Vorstellung vom Rausch, wie er einmal war, musste raus aus seinem Kopf. Das Glück, die Euphorie, es stellte sich nicht mehr ein, es war das Glück der Jugend gewesen. Längst bedeutete die Sauferei nur noch Stumpfsinn.
Das Leid endlich akzeptieren und ertragen – sollte er das aber nicht hinbekommen, dann sah er für sich immerhin noch den Irrsinn als Ausweg.
Freitag, 18. April 2025
Er kleidete sich unauffällig, verhielt sich unauffällig, bewahrte sich das Eigenwillige.
Aber die meisten Arschlöcher bereiten sich doch in erster Linie selbst ein beschissenes Leben. Denn die wenigsten Arschlöcher sind clevere Arschlöcher und selbst die werden ja von ihrer Arschlochhaftigkeit früher oder später noch eingeholt – das weiß man doch aus Filmen.
Er war zurückhaltend und redete nicht viel. Aber wenn er redete, dann über das Kleingedruckte.
Schließlich wurde auch er alt, kam auch er nicht mehr hinterher. Und je weniger er nun verstand, desto mehr wollte und forderte er, dass alles nach seinen Vorstellungen lief.
Dienstag, 15. April 2025
Vermeintliche Annehmlichkeiten haben sie ihm verkauft, aufgeschwatzt, immer wieder: Versicherungen, Pauschalreisen, Wellness – und dafür ist er bereit gewesen, dieses diktierte Leben zu führen. Und natürlich für den ganzen Krempel, der jetzt überall hier rumsteht.
Beruflich verlor er schon jetzt den Anschluss und privat war auch nichts mit ihm los. Irgendwie war das alles nichts für ihn, irgendwie gehörte er hier nicht her, wurde vielleicht auf dem falschen Planeten geboren, eine tragische Verwechslung, irgend so was.
Allein schon sich jeden Morgen auf den Weg zu machen und da aufzukreuzen, nagte an ihm. Und wenn er dann da saß und den PC anmachte, gab es ihm regelmäßig den Rest. Und doch hielt er durch. Dieses sture Funktionieren, es war ja viel mehr eine Schwäche als eine Stärke.
Er war ein Idiot und ist ein Idiot. Dass er es war, weiß er. Dass er es ist, ahnt er. Ein Vollidiot also ist er freilich nicht.
Samstag, 12. April 2025
Die Taube landete, kackte erst mal und stolzierte dann so'n bisschen auf und ab, vertrat sich die Beine. Genau so würd' ich's auch machen, wäre ich 'ne Taube. Oder sonst'n Vogel.
In meine Meinungen bin ich ja im Grunde immer irgendwie so reingerutscht, jedenfalls hänge ich nicht sonderlich an ihnen.
Augen zu und durch, heißt es. Für mich sind allerdings viel mehr die Ohren das Problem.
Vor Müdigkeit die Ohren schließen. – Ach, hätte die Evolution den Menschen doch nur schon jetzt mit so einen Schließmechanismus ausgestattet!
Mittwoch, 9. April 2025
Außer Arbeit, Alkohol und dem immer Gleichen gab es nicht viel. Ja, ab und an mal eine Beerdigung. Und der Nachwuchs, der zog weg. Ein paar kamen zurück, die Gescheiterten, die ließen sich aber nicht sehen, tranken hinter gardinenverhangenen Fenstern.
Internet gab's noch nicht und im Fernsehen gerade mal 3 Programme. Er ging ohnehin lieber ins Wirtshaus, da hielt er sich auf dem Laufenden, da erfuhr er in allen Einzelheiten, was alles los war in der Welt.
Ihr Mann, ihre Garderobe, ihre zwei Kinder, ihre Rosensträucher – was auch immer: Immer musste es das der anderen in den Schatten stellen und an nichts hatte sie je eine Freude.
Sein ganzes Leben ist er hier im Dorf geblieben, im Elternhaus, war 'ne treue Seele. Hat immer viel gefeiert. Gut, totgesoffen hat er sich. Mit 48. Aber gearbeitet bis zum Schluss, da kann man nichts sagen.
Sonntag, 6. April 2025
Mit neuen schicken Begriffen versuchten sie, dem Drögen Glanz zu verleihen.
Dann kamen die Allergien, die Unverträglichkeiten und der Hautausschlag, die Haut vom Leib wollte er sich kratzen. Sich häuten und ein anderer sein. Er lernte damit umzugehen, sein Unbehagen am Leben aber blieb.
Es wird immer mehr und immer abstruser und absurder, selbst altgediente Angestellte verlieren jegliche Loyalität, werden arbeitsunwillig, fallen aus und die verbleibenden dürfen sich zu einem Resilienz-Workshop einfinden.
Vieles war ihm von Beginn an gegeben und vieles dann noch in den Schoß gefallen, wirklich krumm machen musste er sich nie. Für ihn war das alles eine Selbstverständlichkeit. So ist das im Leben, bei den einen läuft's so, bei den anderen so.
Er musste ja damals früh raus aus der Schule, musste mit anpacken. Da lernte er dann, was es heißt, ein Mann zu sein: den ganzen Tag im Laden stehen und die Leute bedienen.
Dienstag, 1. April 2025
Fürs Nachplappern gab's gute Noten, fürs Nachplappern in eigenen Worten sehr gute. Das nahm er mit aus der Schule, das trug ihn durchs Leben.
Im Pausenraum lagen wieder Süßigkeiten für alle, Bonbons und Kekse. Nervennahrung, hieß es im Kollegium, was für die Seele. Ein paar Sekunden auf der Zunge, ein Leben lang auf der Hüfte, scherzte Hr. Hinrichs und stöhnte beim Kauen und die anderen lachten höflich.
Wichtigtuerei und Eitelkeit und viel Heckmeck um Nichtigkeiten, das galt es auszuhalten. Und dann auch noch den ganzen beruflichen Scheiß an sich.
Sie quasselte und quasselte, ließ ihn nicht zu Wort kommen, wollte das Gespräch kontrollieren. Ihm war's recht, das Gespräch war ihm egal, die ganze Angelegenheit war ihm egal, seine Arbeit war ihm egal. Er saß da seine Stunden ab, galt als guter Zuhörer, als immer ansprechbar.
Freitag, 28. März 2025
Leichten Herzens streifte er mehr und mehr von sich ab und richtete sich ein in seiner Genügsamkeit, machte sich die Tage bequem und behaglich. Wie so'n Krösus.
Und die Zeit, bis er sich dann endlich volllaufen lassen konnte, überbrückte er mit ein paar Bier. Und rumsitzen. Und schweigen. Als er noch verheiratet gewesen war, war sein Leben anders gewesen. Vollgestopfter. Weniger kontemplativ.
Ihr Kleiderschrank war wirklich für alle Eventualitäten gerüstet, während er ein Auge darauf hatte, dass immer genug Bier im Haus war.
Die Frauen wollten aber nichts von ihm wissen und so wollte er dann von ihnen irgendwann auch nichts mehr wissen und ab da wollten sie dann erst recht nichts mehr von ihm wissen.
Je unsympathischer ihm jemand war, desto eher redete er ihm nach dem Mund. War ihm doch diese Person zutiefst egal.
Ach, und dann erst diese Kunst, die sie einem in diesen leerstehenden Ladengeschäften vorsetzen! Ich bitte Sie, als ob gerade die im Stande sei, irgendeine Form von Leere auszufüllen.
Sonntag, 23. März 2025
Bei der Arbeit lag ihm der Chef in den Ohren und zuhause seine Frau und die beiden Kinder. Zuflucht suchte er in einem Hobby, das ihn nicht wirklich interessierte. Große Töne spuckte er aber weiterhin, musste ja keiner wissen, wie sehr man ihn inzwischen kleingekriegt hatte.
Aber sein Beruf bot eher wenig Action und auch sonst mochte er ihn nicht.
Ein typischer Tag, das war für ihn so einer, den er nicht mehr wahrnahm, der sich nahtlos anschloss an die Tausende von Tagen, die er auch schon nicht wahrgenommen hatte, die im Grunde längst ohne ihn stattgefunden hatten.
Jedem Rock rannte er hinterher, jeder engen Bluse, bettelte, um Aufmerksamkeit, um Zuwendung. Wie ein Hund winselte er und machte alles nur noch schlimmer. Es war nicht allein seine Triebhaftigkeit, nein, Glückseligkeit versprach er sich. Glückseligkeit!
Fortan hatte er sein Glück im Immateriellen gesucht. Dass er fündig wurde, konnte er allerdings nicht behaupten, sowas wie das große Los jedenfalls war nicht dabei gewesen. Aber er hatte dabei einiges an Geld gespart, sodass er sich nun was richtig Schönes kaufen konnte.
Mittwoch, 19. März 2025
Andere Männer gehen in die Kneipe und lassen da ihr Geld und er macht eben das - bleibt zuhause, trinkt da und geht niemandem auf'n Sack.
8 Stunden am Tag musste er sich mit diesem Mist beschäftigen, sich den Scheiß anhören. 30 Minuten Pause standen ihm zu, da saß er dann im Pausenraum, aß seine 2 Pausenbrote und starrte dabei auf die Wanduhr, den Sekundenzeiger, so verging die Zeit etwas langsamer.
Er hatte sich wieder mal vorab aufgeregt, sich mögliche Antworten, sogar Gesten zurechtgelegt – und dann war da wieder nichts. Er spielte in der Angelegenheit keine Rolle, wurde nicht hinzugezogen, nicht befragt und seine Unwichtigkeit brachte ihn gleich wieder mächtig in Rage.
Freude empfand er einzig und allein aus seiner Gehässigkeit heraus. Fand er etwa Geld auf der Straße, empfand er selbst dann pure Schadenfreude. Und ansonsten tat er eben so, als würde er sich freuen, sich mitfreuen, mit anderen, das gehörte sich nun mal so.
Nun, da er jetzt all die Jahre verheiratet war, stand ihm aber eher der Sinn nach routinierter Beständigkeit – und nach einer guten Mahlzeit, vor allem einer guten Mahlzeit. Ihr ging es ja auch nicht anders. Insgeheim schätzte sie sich sogar glücklich damit.
Donnerstag, 13. März 2025
Freitagmorgens ging er immer in etwas besserer Stimmung zur Arbeit, weil er die folgenden 2 Tage nicht hingehen musste. Er war jetzt 48 Jahre alt und seit seiner Kindheit war das so. Seitdem er mit 6 Jahren eingeschult wurde, war das so und langsam war er es leid.
Samstags geht er eisern in die Innenstadt, ins WOOLWORTH, ins KIK, ins ACTION, schaut sich die Waren an, die Kundschaft, da ist immer was los. Die aufdringlichen Spendeneintreiber draußen lässt er eiskalt abblitzen und dann trinkt er noch wo einen Kaffeevollautomatenkaffee.
Er machte sich nur noch derlei Hoffnungen, die ihm etwas halfen, durch die Tage und Wochen, mitunter auch Jahre zu kommen und sich dann wie von selbst verabschiedeten, ohne dass sie ihn je hätten wirklich enttäuschen können. Von konkreten Hoffnungen ließ er schön die Finger.
Das Leben bei den Hörnern packen! Hinfallen ist keine Schande, aber liegenbleiben! Du lebst nur einmal, mach was draus, sonst machen's die anderen für Dich! – Das war seine Philosophie. Ihm selbst hatte sie praktisch nie was gebracht, aber er blieb dabei, sie machte ihn stolz.
Biedere Hausmannskost, in jeglicher Beziehung. Das kennt er, da kommt er her, da wurde er reingeboren und was anderes kommt ihm auch nicht ins Haus. 52 Jahre lebt er jetzt, ohne besondere Vorkommnisse, ohne Heckmeck und so soll das auch gefälligst bleiben.
Und dann musste er nach und nach feststellen, dass diese ganze herzliche Freundlichkeit im Kollegium nichts zu bedeuten hatte, dass es Getue war. Verlass war auf die einsilbigen Muffel, die Sonderlinge.
Sonntag, 9. März 2025
Zu oft hatte ihm das Leben klargemacht, wo sein Platz war, wo's langging für ihn, wo's mal endete. Er machte sich nichts mehr vor. Er brauchte sich nichts mehr vormachen, brauchte nur noch warten und zum ersten Mal seit seiner Kindheit spürte er wieder so was wie Daseinsfreude.
Vertrauen hatte er nur noch in sein Misstrauen. Und auf die Eitelkeit der Leute verließ er sich, auf ihren Egoismus, ihre Unaufrichtigkeit. Damit fuhr er gut. Manchmal behauptete er, auch er wünschte, die Dinge liefen anders, aber das war mehr so ein verkappter Jux von ihm.
Und überdies gab er sich immer einen Tick dümmer und unwissender, als er war. Keiner im Betrieb schien das zu durchschauen, sie genossen ihr Überlegenheitsempfinden und mochten ihn dafür, waren nachsichtig, freundlich. Er sei ja nun echt ein Lieber, sagten sie.
Gemütlich wollte er's haben, 'nen gemütlichen Abend verbringen, aber so 'ne Gemütlichkeit, die ist ja entweder in einem drin oder eben nicht in einem drin. Die lässt sich nicht bitten, kaufen auch nicht. – Und will man 'ne schöne Zeit erleben, isses genauso.
Bevor die gute Laune ihn dann aber noch übermütig machte, war sie auch schon wieder weg. Das hatte Mutter Natur gottlob bei ihm so eingerichtet, hielt es ihn doch in der Spur. Auf der sicheren Seite. In Arbeit und Brot.
Mittwoch, 5. März 2025
Was er erzählte, stimmte nicht. Was er sagte, tat er nicht. Was er redete, interessierte ihn nicht. Was er wollte, war klar.
Was in ihm vorging, so seine Überzeugung, ging so auch in anderen vor. Daher mied er die Menschen, war argwöhnisch und voller Hohn.
Die Dienstbesprechungen waren inzwischen das schlimmste für ihn. Die Aussicht auf Projekte, Arbeitsgruppen, Ziele: es widerte ihn nur noch an. 27 Dienstjahre, und weiterhin musste er den Interessierten mimen.
Hatte er gute Laune, wusste er nicht wohin damit und so ließ er die gute Laune dann einfach gute Laune sein – so hatte er sogar mehr von ihr.
Samstag, 1. März 2025
Nach der Arbeitswoche saß er dann den Samstag über gern in der Küche, trank Bier und hing seinen Gedanken nach. Und den Sonntag wiederholte er das und dann war ja wieder Montag.
Ihn beschäftigen dort aber eher die Kollegen als die Arbeit an sich. Viele waren ernsthaft bei der Sache, strebsam, manche regelrecht verbissen. Sie knüpften Hoffnungen an die Arbeit, ihr Leben musste so ganz anders sein als seins.
Immer hatte er sich reinreden lassen, bei allem, nie war mal was seins. Sein Beruf, seine Ehe, seine Bekannten, sein Alltag, seine Zukunft: alles letztlich nicht seins. – Den Familienurlaub 2014, den hatte er damals mal allein bestimmt, aber da hatten sie dann Pech mit dem Wetter.
Er hasst seine Arbeit, erträgt die Kollegen nicht mehr, ihre Visagen, ihr ewig gleiches Geschwätz. Noch 10 Jahre muss er bis zur Rente. Knapp 65.000 Euro hat er sich ja bis jetzt so zusammengespart. 65.000. Aber was hat er jetzt groß davon? – Nix. Einen Scheiß hat er davon.
Von seiner hohen Meinung von sich selbst ist er nun endgültig abgerückt und es geht ihm besser. Die Last ist weg und auf seinem Gesicht zeigt sich ein ganz anderes Lächeln. Jeder Mensch ist vielleicht irgendwo was Besonderes, aber nie was Besseres.
Er stellt sein feiges Verhalten als Besonnenheit dar und weiß um seine Unaufrichtigkeit, spürt sie förmlich. Feiges Verhalten macht feige.
Mittwoch, 26. Februar 2025
Der Alkohol hatte ihn da rein bugsiert und holte ihn nun nicht mehr raus, die Sauferei funktionierte nicht mehr, die Illusionen waren weg, die Tage bedrückender denn je. Nun, er gewöhnte sich dran, was blieb ihm übrig, er fand sich ab damit, funktionierte, lächelte scheu.
Peinliche Erinnerungen quälten ihn. Jugendsünden, Missverständnisse, Dummheiten. Sie hielten ihn klein, mutlos, machten etwas aus ihm, für das er sich dann auch noch schämte.
Bei all der Bitterkeit und Überstürzung um ihn herum wuchs aber sein Sinn fürs Unaufgeregte. Je mehr die Schreihälse keiften und mit den Armen fuchtelten, desto eher sah er durch sie hindurch.
Satt, unzufrieden und ratlos kroch er durch die Tage, die Wochen und Monate. Und die Renteninformation jedes Jahr war das Fenster in die Zukunft.
Arbeiten? - Ja sicher, passiert, macht man und tut einem ja auch gut. Aber arbeiten gehen?
Donnerstag, 20. Februar 2025
Diese haarige Monstrosität da zwischen ihren Beinen? Das war es, worum sie alle so einen Wind machten, was das Größte überhaupt sein sollte, wofür sie sich gegenseitig auf die Fresse schlugen? Das? Er war entsetzt – ließ sich aber nichts anmerken und tat begeistert.
"Irgendwann ist die Luft einfach raus", sagte er und steckte sich 'ne neue Zigarette an, "aus allem. Und du musst verdammt nochmal runter von dem toten Gaul, bevor der Kadaver stinkt, weißt du." – Sein Enkel konnte die Story von seiner letzten Scheidung gar nicht oft genug hören.
Die Arbeit des nächsten Tags überschattete ihm das Heute. So war für ihn der Samstag der einzig unbekümmerte Tag. Und so saß er nun da; in seiner Wohnung, am Samstag, in seiner Freizeit.
Der guten Laune misstraute er aber, genau wie der schlechten, beide waren sie ihm wieder und wieder schlechte Ratgeber gewesen. Einen klaren Kopf hatte er nur in der Melancholie.
Aber er gewöhnte sich dran, immer wieder gewöhnte er sich dran, all seine Widerstandsfähigkeit, sein Durchhaltevermögen, überhaupt alles beruhte darauf. Sollte die Gewöhnung ihn je im Stich lassen – nun, dann wär's das gewesen, dann wäre er erledigt, keine Frage.
Sonntag, 16. Februar 2025
Montagmorgens quält er sich aus dem Bett, voller Widerwillen und Unglück, und er fragt sich jedes Mal, wie das wohl erst wäre, wenn er auch noch arbeiten gehen müsste.
Immer nur wusste er, dass er raus wollte. Raus aus diesem Job, aus dieser Stadt, aus diesem Ganzen. Aber nicht, was er stattdessen wollte. Nicht mal wusste er, ob es ihm vielleicht an Mut mangelte, da er nichts sah oder erkannte, was er mit Mut hätte angehen können.
Was die Arbeit ihm, abgesehen vom Geld, angeblich alles geben sollte, welche Bereicherung sie für ihn sein sollte, das konnte er nie nachvollziehen, hielt er für eine Art Propaganda. Auch das Leben, das ihm diese Arbeit ermöglichte, blieb ihm fremd.
Er hatte sich witzige Anekdoten und geschliffene Formulierungen zurechtgelegt, war alles immer wieder haarklein durchgegangen und wie er dann da saß und zuhörte, wusste er nach 3 Minuten, dass es umsonst gewesen war. Die Vorbereitung an sich aber war schön gewesen.
In seiner Freizeit geht er gern die am nächsten Tag anstehende Arbeit schon mal in Gedanken durch und kriegt dabei schon mal vorab schlechte Laune, das ist so ein Hobby von ihm.
Freitag, 14. Februar 2025
Kann schon sein, kann aber auch nicht sein. Bin ich Jesus oder was? Ja, ich hätt' gern'n Bier. Das waren seine drei Lieblingssätze, eindeutig seine Top 3, bis zum Schluss haute er die raus, ungelogen: den mit dem Bier sogar noch auf'm Sterbebett.
Wo's nur ging, ging er den Leuten aus dem Weg. Vielleicht lag's an ihm, vielleicht an den Leuten. Er zerbrach sich darüber nicht länger den Kopf, es passierte einfach.
Nicht dass er keine gehabt hätte, aber seine Meinungen kundzutun, sie unter die Leute zu bringen, fand er sinnlos. Er nutzte sie, wenn überhaupt, um danach zu handeln.
Er fläzte sich hin, grundsätzlich, selbst auf den einfachsten Holzstuhl fläzte er sich hin. Und dann redete er, gedehnt und behäbig, ergriffen von seinem Tiefsinn und seiner Weltkenntnis. Wer ihm gegenüber saß, war ihm gleich, nahm er längst nicht mehr wahr, er redete und redete.
Sogar den Urin des Nachbarn hörte er plätschern und mehr als die Hälfte seines Einkommens ging für diese Wohnung drauf.
Dienstag, 11. Februar 2025
Neuerdings hatten sie in der Firma alle so Brotdosen mit so Fächern drin und in der Pause aßen sie dann kleine Brote und fertig geschnittenes Obst und Gemüse daraus. Er blieb bei seiner Alufolie und überhaupt deprimierte ihn das alles nur noch. Er wollte ein anderes Leben.
Er trug ein Namensschild, das ihn als Mitarbeiter auswies. Aber das hatte nichts mehr mit ihm zu tun. Ihm war das alles egal geworden, innerlich war er da längst raus. Man merkte es an seiner ruhigen, freundlichen Gelassenheit. Die Kunden immerhin mochten ihn dafür.
Ob es nun der Alkohol war oder die Völlerei: beruhigen wollte er sich, Stumpfsinn erleben. In der Arbeitswoche stopfte und am Wochenende soff er sich zu. Und schlafen wollte er, das war ihm überhaupt das Liebste: schlafen.
Über die vermeintliche Dummheit der Leute herzuziehen, sich sogar süffisant drüber lustig zu machen, ließ er lieber bleiben. Seine eigene Beschränktheit war ihm oft genug vor die Füße gefallen.
Geschwätz, Geschwafel, Gewäsch – vielleicht, um einen müde und mürbe zu machen, um einen dazu zu bringen, alles mit sich machen zu lassen, vielleicht deshalb all das Geschwätz, das Geschwafel und endlose Gewäsch.
Samstag, 8. Februar 2025
Alles oder nichts, sagte er immer, erst euphorisch, später trotzig und schließlich verbittert. Sein heroisches Selbstverständnis blieb davon unbeeindruckt, gerade im Trotz und in der schlussendlichen Verbitterung verlieh es ihm auch diese gewollte Tragik.
Mit eingezogenem Kopf ging er zur Arbeit, kam er von der Arbeit, brachte er seine Einkäufe in die Wohnung, ging er sonntags spazieren. Wahrscheinlich schlief er sogar mit eingezogenem Kopf, das wusste er aber nicht, weil er da ja schlief, aber er vermutete es.
Probleme, zeitlebens in einem fort Probleme. Und Überwindung. Und Mühsal. Und wenn einem aber die gebratenen Tauben nur so in den Mund fliegen, dann isses über kurz oder lang auch wieder nicht das Richtige. Bescheuert, das isser, der Mensch, vollends bescheuert.
Er wäre gern ein One-Hit-Wonder gewesen. Nicht unbedingt Musik, nein, irgendwas. Irgendeine Großartigkeit, auf die er dann zum Lebensende mit einem breiten Grinsen hätte zurückblicken können. Eine Sache nur, eine einzige!
Er war jung, fühlte sich berufen, fand sich genial. Dann wurde er älter, fühlte sich so lala und fand sich soweit zurecht.
Mittwoch, 5. Februar 2025
Menschen langweilen sich schnell allein und suchen dann Unterhaltung bei anderen. Bei ihm war's auch so, nur eben andersrum.
Diesmal ist er mal nüchtern da. Er schaut sich um und nichts spricht ihn an, nichts gibt ihm was. Und was all die Leute da so umtreibt und amüsiert, das erschließt sich ihm auch nicht. Diese Nüchternheit, das is' schon so 'ne Sache für sich.
Der Spaß und die Unbekümmertheit der Jugend waren weg. Da konnte er sich noch so albern anziehen oder sich noch so viel nostalgisches Zeug anschaffen, es half alles nichts. Da entdeckte er den müden alten Sack in sich. Er feierte ihn nicht, lebte ihn einfach. Und das war cool.
Mehr und mehr Aspekte des Ganzen erschienen ihm absurd, unnütz, völlig lächerlich, und er weigerte sich, darüber in Aufregung zu geraten. Sollten sie sich doch gegenseitig die Hölle heiß machen, sich das Leben vermiesen, er zog es vor, für sich zu sein und niemandem auf den Sack zu gehen.
Er war damals hierher gekommen wegen der Arbeit und wegen der war er immer noch hier, schon dafür hasste er diese Stadt. Es war die durchschnittliche, übliche Stadt mit den üblichen Angeboten und Möglichkeiten und Annehmlichkeiten und das machte ihn so ratlos, so wütend.
Freitag, 31. Januar 2025
Sein Glück schob er vor sich her, für später, wenn er das Geld und die Zeit dafür hatte. Dabei war ihm bewusst, dass er für das Glück nicht geeignet war. Allein die Vorstellung vom Glück stand ihm zu, allein sie machte ihn mal etwas glücklich. Deswegen das Aufschieben.
Die Ruhe vor dem Sturm und dann der Sturm vor der Ruhe vor dem Sturm. Immer in Anspannung, immer in Sorge. So ging es seinen Gang, so lebte es sich in dieser seiner Welt.
Er war ein Freund vernünftiger und pragmatischer Lösungen und mal stand er damit eher rechts und mal eher links. An den äußeren Rändern stand er aber nie, auch nicht, als es immer leerer und stiller um ihn herum wurde, während an den Rändern das Leben tobte.
Mit seiner Kalenderspruchphilosophie meinte er, uns die Welt erklären zu müssen oder, was noch übler war, Trost spenden zu können. Und wenn er einen dann in seiner Fürsorglichkeit auch noch in den Arm nahm, roch man seinen Schweiß und den fauligen Atem.
Jedes Mal, wenn er sich Hoffnungen macht, wird er enttäuscht. Selbst wenn das, was er sich erhofft hat, genau so eintrifft, wird er noch enttäuscht, jedes Mal. Er merkt es ja selbst und bezeichnet sich und seinesgleichen gern als Enttäuschtlinge.
Donnerstag, 30. Januar 2025
Im Alter las sie immer als erstes die Traueranzeigen, jede einzelne, achtete auf bekannte Namen und auf die Geburtsjahre, rechnete nach. Es war ihre Beschäftigung mit dem Tod, konkret und pragmatisch, ohne, wie sie es formulierte, religiöse oder philosophische Narretei.
Wir werden von Nullen regiert, von nichtsnutzigen, selbstsüchtigen Nullen, sagte er. Seit nunmehr 40 Jahren sagte er das. Und dass sich ja doch nichts ändert. Und dass es immer schlimmer wird. Und jedes Mal, wenn er es sagte, gab man ihm recht und dann war er soweit zufrieden.
Wieso existiert das Universum, was steckt da dahinter, was soll dieser unfassbare Riesenscheiß? – Ihn lässt das mal wieder keine Ruhe. Ganz kirre macht ihn das. Aber er hat Bier da, im Kühlschrank, das holt ihn wieder zurück: in seinen Trott, in seine Bude, in seine Welt.
Gestern Nacht von einer Frau geträumt, vom Kennenlernen, vom Zusammenkommen, ein zaghaftes Anlehnen, ein Kuss, Glücksempfinden. Und mit einmal wurde es dann auch schon verworren, sprunghaft, unlogisch – also wie in Wirklichkeit.
Im Moment sogar zu träge, um zu essen. Ein Bier wäre aber drin. Eindeutig eine Trägheitssituation für ein Bier.
Freitag, 24. Januar 2025
Er soff und pisste in aller Öffentlichkeit. Dabei war es ihm keineswegs egal, was andere von ihm dachten; im Gegenteil, da war er sogar recht empfindlich und schnell auf hundertachtzig. Dennoch soff und pisste er in aller Öffentlichkeit.
Bei der Arbeit herrscht Druck und Anspannung und daheim kommt sie dann auch nicht zur Ruhe, im Schlaf knirscht sie mit den Zähnen und ist, sie merkt es selbst, wieder und wieder ungerecht gegenüber ihrem Lebenspartner. Dabei geht es nicht mal um eine Karriere, nur ums Dranbleiben.
Was seine Geisteshaltung betraf, da fand er zusehends zu seinen familiären Wurzeln zurück, zu proletarischer Direktheit, Einfachheit, Unverstelltheit. Auf sein Abitur und dieses Dipl. vor der Berufsbezeichnung gab er schon längst einen müden Furz.
Nur die ihm genehme Wahrheit wurde seine Wahrheit. Er war sich darüber im Klaren, aber ein wenig wohlfühlen in dieser Welt wollte er sich nun mal auch. War doch alles auch so schon schlimm genug.
Mit Anfang 60 hatte er die Einsicht, sein Leben nun gelebt zu haben und alles, was noch kam, als eine Art Zugabe, einen Aufguss zu betrachten. Auch damit ihm der Abschied weniger schwer fiel. 20 Jahre hat er dann noch gelebt, gemächlich und unaufgeregt.
Dienstag, 21. Januar 2025
Nun schon so manches Mal wusste er rückblickend nicht mehr, ob er etwas wirklich erlebt oder nur geträumt hatte und von Mal zu Mal fand er nichts Beunruhigendes mehr an dieser Vermischung.
Wunschdenken, naive Vorstellungen und wenig Geld, das war seine Ausgangsposition. Und blieb es sein Leben lang.
Wenn er nur wüsste, was er wirklich will. Nun, dann könnte und würde er. Aber so. So macht er eben, was man eben so macht. Wie all die anderen auch. Sich wo anschließen und meckern. Und mit bitterer Miene die kleinen Freuden genießen.
Die Arbeit trieb sie an und dann verfiel sie Tag für Tag in diese forsche Hektik, stapfte durch die Flure und Büros, als bewege sie sich auf einer Bühne vor einem interessierten Publikum. Und auf eine schräge, kranke Art machte sie das glücklich.
Irgendwie schön wollte er es sich machen, das Leben mal genießen, dafür ging er ja schließlich arbeiten. Nur hatte er keinen blassen Schimmer, wie er das hinkriegen, was er da machen sollte. So wie früher, wo es darum ging, mal so richtig einen drauf machen zu wollen.
Freitag, 17. Januar 2025
Er sah gut aus: groß, sportlich, markant und er hielt sich für ein Geschenk an die Frauenwelt, für einen Halbgott. Natürlich ging das dann mächtig nach hinten los, aber für ein paar Jahre hatte er, was er wollte, und jetzt, mit 74, grinst er unverschämter denn je.
Hörte sie, dass es jemandem nicht gut ging, tat sie bestürzt, in Wahrheit baute es sie auf. Sie verglich sich immerzu mit anderen und mal tat es ihr gut und mal ärgerte es sie. Vorspielen musste sie natürlich immer das Gegenteil, aber das ging bei ihr wie von selbst.
Der Mensch mit all seinen Abgründen – und seinen Albernheiten! Die darf man nicht vergessen, die Albernheiten, sie nie aus dem Blick verlieren, unter keinen Umständen, gerade wegen der Abgründe.
Mit Selbstvorwürfen quälte er sich, hielt sich immer wieder die gleichen alten Peinlichkeiten vor, obwohl er längst daraus gelernt hatte und ein anderer war. Das war irrational, unlogisch, widersprach seinem Denken und dafür hasste er sich gleich noch ein bisschen mehr.
Was er bei anderen durchgehen ließ, verzieh er sich selbst noch lange nicht. Dafür war er sich zu fein.
Dienstag, 14. Januar 2025
Der neue Abteilungsleiter hat sich an seinem ersten Tag kurz dem Kollegium vorgestellt. Er freue sich hier zu sein, hat er behauptet, und er freue sich auf die Zusammenarbeit. Es ist immer der gleiche Quark, von der Begrüßung bis zur Verabschiedung, immer der gleiche Quark.
Das Klopapier von Aldi sei echt super, erzählte sie ihm. Sie gehe ja nicht gern ins Aldi, wenn dann nur für Klopapier, aber dann kaufe sie da auch anderes, weil die Sachen seien ja schon auch gut im Aldi, erzählte sie ihm. Seit 11 Jahren saß er mit ihr im Büro, 8 Stunden am Tag.
In der Firma war er bekannt für seine Socken. Besonders bei den Kolleginnen. Ansonsten obligatorisch seriös gekleidet trug er jeden Tag knallbunte, mit verspielten Motiven versehene Socken. Ins Auge stechende Socken, das war seins, seine Eigenheit.
Ich bitte Sie! Dieses ständige an die Arbeit müssen, das kann mir doch keiner erzählen, dass das gesund sein soll, dass das Sinn und Zweck sein soll und dass es das dann mal gewesen sein wird, was man angestellt hat mit dem Leben, mit der Lebenszeit. – Ich bitte Sie!
Freitag, 10. Januar 2025
Von sich selbst gehetzte Seelen, unglücklich, eigensüchtig und voller Wut. Im Internet und in ihren Autos brüllen sie es heraus und im Supermarkt in der Schlange riecht man ihren sauren Atem und spürt man ihren Hass.
Weil der Mensch auch viel aus Verlegenheit lacht, hält sich so manch peinlicher Depp für witzig.
Mittwoch, 8. Januar 2025
Und wenn er sich dann doch mal ums Mitmischen bemühte, wenn er unterhaltsam und anregend sein wollte, dann machte er's nur noch schlimmer. Sein Platz war woanders, seine Rolle eine andere und so nach und nach schwante's ihm.
Selbstironie kannte er nicht, seine Großmäuligkeit war respekteinfordernd und seine Lieblingswörter waren Treue, Ehre und Loyalität. Dass er mit Mitte 30 immer noch seine Wäsche bei seiner Mutter abgab, hatte damit aber nichts zu tun. Für ihn war das einfach nur praktisch.
Feiern ging er noch, weil er dazu verpflichtet war oder sonst wie gute Miene zum bösen Spiel machte. Wirklich etwas feiern, das gab es für ihn nicht, tat er nicht, aus Prinzip – weil er es ohnehin nie verstanden, nie gefühlt hatte.
Manchmal nahm er sich noch vor, sich mal wieder richtig zu betrinken, sich gehen zu lassen, als gäbe es kein Morgen. Sobald er aber dann die ersten Gläser geleert hatte, verlor es seinen Reiz. Trunkenheit war nur noch eine Illusion, eine nostalgische Erinnerung.
Montag, 6. Januar 2025
Die Wochenendtrinkerei wurde seine Rettungsboje. Zum Festland hatte er keine Beziehung mehr.
Mit Leidensmiene zieht er dann los, jeden Samstag, um Trübsal zu blasen in die Innenstadt, in die Geschäfte, in sein Stamm-Café.
Aber über so was reg' ich mich schon gar nicht mehr auf, sagte sie wieder und wieder und wieder ...
Samstag, 4. Januar 2025
Es einfach sein zu lassen, das hatte und hätte sich schon bemerkenswert oft als richtig erwiesen. Und unabhängig davon: Ihm war das ja immer schon sympathisch.
Manchmal, da schmiedete er noch Pläne – was richtig Großes und Gewagtes, aber durchaus im Rahmen seiner Möglichkeiten. Um es dann, nach etwa 3 oder 4 Wochen, mit dem Gefühl behaglicher Erleichterung einfach sein zu lassen.
Freitag, 3. Januar 2025
Nie war mal was los mit ihm. Als Jugendlicher hatte er auch keinen Spitznamen, obwohl wir damals echt alle einen hatten. Und später dann: Ausbildung, Beruf, Familie – alles richtig gemacht, nie hat man mal was gehört. Komische Type, und auch seine Frau, genauso unsympathisch.
Nun, man mochte ihn einfach nicht, nicht mal lustig machte man sich über ihn. Er war eben da und gut – und war er nicht da, dann war's halt besser, das war's auch schon, mehr war da nicht mit ihm.
Mittwoch, 1. Januar 2025
Gestellter Frohsinn auf den Familienfesttagsfotos, da, wo sie immer alle am Esstisch sitzen. Nur der eine Onkel, der alleinstehende, der, der gern mal einen pichelt, der guckt von Jahr zu Jahr immer gleich.
Über die Feiertage wurde er entgegen seiner sonstigen Praxis zum Pegeltrinker. So konnte er immerhin den beiden kleinen Enkeln noch was vormachen und die anderen hielten dankenswerterweise ihre Klappe.
Von wegen Feiertage, Verpflichtungstage sind's. Verwandtschaft, Heuchelei, geistloses Geschwätz – eine Farce. Immerhin glotzen sie jetzt alle ständig aufs Handy, da hat man auch mal seine Ruh', da kann man mal kurz in sich geh'n.