Samstag, 9. November 2024

Jedes Wochenende ließ er sich volllaufen, phantasierte sich dann das Leben zurecht, das er haben wollte, das ihm zustand, das er gleich nächste Woche in Angriff nehmen wollte. Jedes Wochenende, immer dasselbe, und er freute sich jedes Mal drauf.


Den Wodka trank er gegen die Trostlosigkeit und am nächsten Tag dann 'nen Ayran gegen den Kater, er wusste sich zu helfen. Er war weiß Gott kein Einstein, aber das musste man ihm lassen, er wusste sich zu helfen.


Leichtes Unbehagen am kalten Getränk an kalten Tagen – im Sommer läufts besser, um einiges besser, aber er nimmt sich trotzdem noch'n Bier aus'm Kühlschrank raus, trotzt der Kälte, lässt sich nicht beirren von irgendwelchen äußeren Umständen.


Es war verrückt, völlig verrückt, was ihm sein Suchthirn so für Argumente lieferte, damit er dranblieb, weitermachte mit dem Scheiß, mit der Selbstzerstörung. Er schüttelte ja selbst den Kopf darüber; diesen ramponierten Kopf, in dem sich das alles abspielte.

Mittwoch, 6. November 2024

 Beim Duzen rutschten ihm die Gespräche zu schnell ins Leichtfertige ab, oder gar ins Persönliche. Zumeist bereute er es, mit jemandem zum Du übergegangen zu sein.


Geh arbeiten, kauf Dich glücklich und sorg vor; so in etwa. Jedenfalls so machte er's all die Jahre, bis es dann irgendwie mit einmal nicht mehr ging. Und von Zufriedenheit war ja auch nie die Rede gewesen, nie. Ganz im Gegenteil.


Er warf einen Blick in das Café, das ihm neulich eine Kollegin so empfohlen hatte. Es war schön da, gut besucht, attraktive Leute, sympathisch, fröhlich, auch die beiden Bedienungen, wirklich einladend. – Gut, er hat's mal gesehen, aber für ihn war das nix.


Er wurde tatsächlich von der Leitung für seine Zuverlässigkeit und Loyalität gelobt, vorm versammelten Kollegium. In den folgenden Wochen meldete er sich immer mal wieder krank, immer für 3 Tage, wegen Magendarm und so. Eine derartige Unannehmlichkeit wollte er nie wieder erleben.


Früher saß er viel in diesen sogenannten Szene-Cafés, jetzt nur noch in dem Shoppingcenter-Café. Shopping-Leute waren ihm lieber als Szene-Leute, man sah mehr Vielfalt, mehr Ehrlichkeit, weniger Penetranz.

Sonntag, 3. November 2024

 Als Kind wollte er Kontinente erobern und als junger Mann die Herzen der Frauen und die Welt der Finanzen. Jetzt ist er 32 und er will nur einmal einen Tag ohne Ärger erleben, einen Tag, an dem er nicht von einem Kunden blöd angemacht wird, oder sonst wem, einen Tag nur.


Noch konnte er die Sprache nicht, verstand kein Wort von dem, was die Leute hier in der Bahn miteinander redeten. Aber er war sich sicher, es war im Grunde das gleiche Gerede wie das in seiner alten Heimat und somit ganz froh, es nicht zu verstehen.


Was er an diesen Spießbürgern so hasste, war die Erfahrung, dass sie letztlich so oft recht behielten und dass er mehr und mehr selbst einer wurde.


Er kaufte am liebsten nur noch billig. Da wurde er genauso oft getäuscht, über den Tisch gezogen und beschissen wie bei dem teuren Zeug, aber eben auf nur niedrigem Niveau.


Er wartete im Shoppingcenter auf seine Frau, die dort die Boutiquen durchstöberte. Er hatte sich einen Kaffee bestellt und beobachtete die Leute, bemerkte andere Männer, die es auch so machten. Er gehörte jetzt also dazu – und es war okay. Inzwischen war es okay.


Nie hörte man von ihm ein böses Wort, nie. Er war jetzt kein Heiliger oder'n Schöngeist oder so. Und einige warfen ihm auch Harmoniesucht vor, Feigheit sogar. Aber das war's nicht. Irgendwie spielte er, was das anging, einfach in 'ner anderen Liga als wir.