Als junger Mann wäre er gern Rockstar gewesen. Jetzt, mit Anfang 50, wäre er gern endlich Pensionär, das ist von seinem Rebellentum noch übrig geblieben.
Samstags vom Samstagsshopping heimkommen und erst mal die vorhin erworbene Wohndeko unter ihren Anweisungen an die Wand dübeln - genau so hat er sich sein Leben immer vorgestellt.
Er steckte seit all den Jahren schon mit seinem Leben in dieser Sackgasse, nicht unkomfortabel, aber eine Sackgasse und er sah keinen Ausweg, stellte immer nur wieder und wieder die gleichen Überlegungen an und wartete auf ein Wunder – oder eine Katastrophe.
Materialistisch, geld- und arbeitsfixiert: So ging's bei seinen Eltern zu, so wuchs er auf und abgesehen von den üblichen pubertären und spätpubertären Aufmüpfigkeiten lebte er dann ebenso. Seine Vernünftigkeit hielt ihn in der Spur, verhinderte alles andere.
Freitag, 29. November 2024
Mittwoch, 27. November 2024
Als junger Mann hatte er sich noch von völlig naiven, bisweilen sogar romantischen Vorstellungen leiten lassen. Davon hat er sich längst befreit, längst sieht er nur noch Stoppschilder vor sich.
So ist das im Leben nun mal, dass man sich immer mal wieder irgendeiner Dummheit unterordnen muss, letztlich ja ohnehin der eigenen.
Jeden Tag regte er sich auf, immer über den gleichen Scheiß; seinen Scheiß. Sah er anderer Leute Scheiß, so war er mit seinem im Grunde aber doch recht zufrieden – im Einklang, wenn man so will.
Er äußerte sich nur noch in Floskeln, ließ sich nichts mehr einreden und hatte zu allem keine Meinung. Das war jetzt sein Standpunkt.
Zuhause trank er auch schon mal heimlich. Streng darauf bedacht, sich nichts anmerken zu lassen, konnte er sich aber nicht wirklich auf den Alkohol einlassen, hatte überhaupt nichts davon. – Und seine Frau wusste's eh, es war so eins dieser absurden Spielchen zwischen ihnen.
Samstag, 23. November 2024
Das berufserforderliche Vortäuschen von guter Laune, gar von Fröhlichkeit: Er selbst war davon nicht in dem Maße betroffen und beobachtete er es bei anderen, machte er innerlich drei Kreuze.
Statt altersmilde wurde er altersaggressiv. Er stemmte sich mit allem, was er noch hatte, gegen das Unvermeidliche und machte sich und seinem Umfeld das Leben nochmal zur Hölle. Es war keine Demenz, er hatte Schiss, jede Menge Schiss.
Immer mal wieder ein kleines Auf, prompt gefolgt von einem großen Ab. Bei jedem Auf hielt er schon Ausschau nach dem Ab, nahm sie schon gar nicht mehr für voll, diese Aufs; wenn sie sich nur ankündigten, winkte er schon ab.
So viele, die eindeutig einen an der Waffel haben und dann noch die vielen anderen, wo's erst ein bisschen braucht, bis man merkt, dass die einen an der Waffel haben – so langsam fragt man sich ja, ob man nicht vielleicht einfach nur selbst einen an der Waffel hat.
Mittwoch, 20. November 2024
Mit seiner humorlosen Dünnhäutigkeit machte er sich unbeliebt. Man begegnete ihm zurückhaltend und wortkarg oder ging ihm ganz aus dem Weg. Was ihn in seinem Glauben bestärkte, er sei einschüchternd, dominant, eine Respektsperson.
Bei den ewig lästernden Kolleginnen und Kollegen weiß er aber immerhin, woran er ist. Sie lästern über alle, also auch über ihn. Und dennoch hört er sie gerne lästern, weil es unterhaltsam ist und er dieses ganze Theater ohnehin nicht mehr ernst nimmt.
Ab und an muss man schon was machen, ganz konkret was machen. Sich immerzu nur Gedanken machen, das hält doch keiner aus, kein normaler Mensch zumindest. Gibt ja sogar welche, die immerzu was machen, immerzu, um gar nicht erst anzufangen mit dem Gedankenmachen.
Schon wieder blättert er seine alte Plattensammlung durch, versucht, eine Verbindung zu seiner Jugend herzustellen, die Freude von damals heraufzubeschwören. Seine Frau belächelt ihn deswegen, keineswegs wohlwollend, sie hasst diesen Mief, der von diesen Platten ausgeht.
Montag, 18. November 2024
Er hatte einen lächerlichen Beruf, lebte ein lächerliches, beschämendes Leben. So sah er es selbst, vielleicht sogar nur er selbst, für die anderen schien das normal zu sein, diese ganze Lächerlichkeit, eine Selbstverständlichkeit, die man hinzunehmen hat.
Nie war mal was passiert. Nie kam es zu einer schicksalhaften Begegnung, wie man das so aus Filmen kennt, und auch kein schicksalhaftes Ereignis zwang ihn je irgendwohin. Allein mit Mut und Ehrgeiz hätte er vielleicht was bewegen können – hätte, vielleicht.
Dass er die große, richtige Scheiße ja erst noch vor sich hatte, lag jenseits seines Vorstellungsvermögens. So war das als Kind, als Teenager, mit Anfang 20, mit Anfang 30, mit Anfang 40. Mit Anfang 50 dämmerte ihm dann langsam was.
Halb verkatert, halb betrunken oder auch mal andersrum schlurfte er unentschlossen durch die Wochenenden.
Seine starren und für andere oft lächerlich anmutenden Verhaltensmuster gaben ihm aber verdammt nochmal ein Gefühl von Sicherheit. Viele sahen das nicht, begriffen das nicht, machten sich lustig über ihn und ahnten nicht, was sie ihm damit antaten.
Jedes Gespräch mit ihr, das länger als eine halbe Stunde dauerte, geriet zu einer Psychoanalysesitzung.
Jedes Mal wieder fiel er darauf hinein, auf dieses Glück, das er ja doch nur im Unglück hatte, das ihn das Unglück ertragen ließ, es ihm mitunter sogar schmackhaft machte. Gerade nochmal Glück gehabt, dachte er dann immer und wähnte sich glücklich.
Samstag, 16. November 2024
Und Tag für Tag sollte er nun diese Arbeit verrichten, immer diese eine Arbeit. Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. So lief das nun mal, so bläuten sie es ihm ein. Immer diese eine Arbeit, auf die er nun stolz sein konnte, die er sich ans Revers heften durfte.
Sein ständiges Denken an die Arbeit war inzwischen schon zwanghaft und für ihn längst genauso schlimm wie die Arbeit selbst, wenn nicht noch schlimmer. Die Arbeit hatte ihn im Sack, mit Leib und Seele im Sack, und an ein Entfliehen wagte er nicht zu denken.
Seine Arbeitsunterwerfung verhöhnte ihn bei seinen läppischen Versuchen, sich in der sogenannten Freizeit abzulenken, sich zu amüsieren oder zu entspannen.
Donnerstag, 14. November 2024
Er war von durchschnittlichem Äußeren und auch sonst: vernünftig, zurückhaltend, sparsam. Typ Kassengestell, witzelte seine Frau immer, aber im Grunde wollte sie ihn genau so haben.
Nun, er mochte aber eher die Kollegen, die, so wie er, immer die gleiche Kleidung trugen, die so die herrschende Tristesse und Monotonie in den Büros nochmal unterstrichen. – Und dazu immer mit einem entsprechenden Gesicht rumliefen. – Und zu nichts eine Meinung hatten.
Nein, man rackert sich nicht ab in dem Job, wirklich nicht, man hat sogar das ein oder andere Privileg. Man macht halt und tut und fragt sich dann aber am Ende des Tages mehr und mehr, was man eigentlich noch so hat vom Leben. – Aber man geht weiter da hin, weil besser ist das.
Menschen, die sich selbst wichtig nehmen, nimmt er nicht für voll, fehlt denen doch was Entscheidendes.
Ein Leben in engen Räumen mit dünnen Wänden, tages- und nachtaktiven Nachbarn, plärrenden Radios und Fernsehern, Klospülungen, Türen- und Fensterschlagen, Staubsaugern, diesem irrsinnigen Gepolter und Getrampel: ein Vorgeschmack auf die Hölle, wenn sie's nicht schon ist.
Dass ihm ja die "soziale Teilhabe" bei seinen geringen finanziellen Mitteln verwehrt bliebe, das war so ziemlich das letzte, was ihn scherte.
Einen Rausch im Sinne eines Hochgefühls hatte er gar nicht mehr, schon längst lief die Sauferei nur noch auf eine Geistesauslöschung hinaus, einen Selbstmord auf Raten, dem er nichts mehr entgegenzusetzen hatte.
Samstag, 9. November 2024
Jedes Wochenende ließ er sich volllaufen, phantasierte sich dann das Leben zurecht, das er haben wollte, das ihm zustand, das er gleich nächste Woche in Angriff nehmen wollte. Jedes Wochenende, immer dasselbe, und er freute sich jedes Mal drauf.
Den Wodka trank er gegen die Trostlosigkeit und am nächsten Tag dann 'nen Ayran gegen den Kater, er wusste sich zu helfen. Er war weiß Gott kein Einstein, aber das musste man ihm lassen, er wusste sich zu helfen.
Leichtes Unbehagen am kalten Getränk an kalten Tagen – im Sommer läufts besser, um einiges besser, aber er nimmt sich trotzdem noch'n Bier aus'm Kühlschrank raus, trotzt der Kälte, lässt sich nicht beirren von irgendwelchen äußeren Umständen.
Es war verrückt, völlig verrückt, was ihm sein Suchthirn so für Argumente lieferte, damit er dranblieb, weitermachte mit dem Scheiß, mit der Selbstzerstörung. Er schüttelte ja selbst den Kopf darüber; diesen ramponierten Kopf, in dem sich das alles abspielte.
Mittwoch, 6. November 2024
Beim Duzen rutschten ihm die Gespräche zu schnell ins Leichtfertige ab, oder gar ins Persönliche. Zumeist bereute er es, mit jemandem zum Du übergegangen zu sein.
Geh arbeiten, kauf Dich glücklich und sorg vor; so in etwa. Jedenfalls so machte er's all die Jahre, bis es dann irgendwie mit einmal nicht mehr ging. Und von Zufriedenheit war ja auch nie die Rede gewesen, nie. Ganz im Gegenteil.
Er warf einen Blick in das Café, das ihm neulich eine Kollegin so empfohlen hatte. Es war schön da, gut besucht, attraktive Leute, sympathisch, fröhlich, auch die beiden Bedienungen, wirklich einladend. – Gut, er hat's mal gesehen, aber für ihn war das nix.
Er wurde tatsächlich von der Leitung für seine Zuverlässigkeit und Loyalität gelobt, vorm versammelten Kollegium. In den folgenden Wochen meldete er sich immer mal wieder krank, immer für 3 Tage, wegen Magendarm und so. Eine derartige Unannehmlichkeit wollte er nie wieder erleben.
Früher saß er viel in diesen sogenannten Szene-Cafés, jetzt nur noch in dem Shoppingcenter-Café. Shopping-Leute waren ihm lieber als Szene-Leute, man sah mehr Vielfalt, mehr Ehrlichkeit, weniger Penetranz.
Sonntag, 3. November 2024
Als Kind wollte er Kontinente erobern und als junger Mann die Herzen der Frauen und die Welt der Finanzen. Jetzt ist er 32 und er will nur einmal einen Tag ohne Ärger erleben, einen Tag, an dem er nicht von einem Kunden blöd angemacht wird, oder sonst wem, einen Tag nur.
Noch konnte er die Sprache nicht, verstand kein Wort von dem, was die Leute hier in der Bahn miteinander redeten. Aber er war sich sicher, es war im Grunde das gleiche Gerede wie das in seiner alten Heimat und somit ganz froh, es nicht zu verstehen.
Was er an diesen Spießbürgern so hasste, war die Erfahrung, dass sie letztlich so oft recht behielten und dass er mehr und mehr selbst einer wurde.
Er kaufte am liebsten nur noch billig. Da wurde er genauso oft getäuscht, über den Tisch gezogen und beschissen wie bei dem teuren Zeug, aber eben auf nur niedrigem Niveau.
Er wartete im Shoppingcenter auf seine Frau, die dort die Boutiquen durchstöberte. Er hatte sich einen Kaffee bestellt und beobachtete die Leute, bemerkte andere Männer, die es auch so machten. Er gehörte jetzt also dazu – und es war okay. Inzwischen war es okay.
Nie hörte man von ihm ein böses Wort, nie. Er war jetzt kein Heiliger oder'n Schöngeist oder so. Und einige warfen ihm auch Harmoniesucht vor, Feigheit sogar. Aber das war's nicht. Irgendwie spielte er, was das anging, einfach in 'ner anderen Liga als wir.