Er kam vom Dorf und hasste alles daran, zog in die Großstadt, hockte in den Eckkneipen und trieb sich in der Bahnhofsgegend rum. Aber die Menschen dort waren im Grunde auch nicht anders, die gleiche Borniertheit, die gleiche Gemeinheit - das, was er so auch in sich spürte.
Jetzt beschlich ihn wieder diese Ahnung, dass sein betrunkenes Ich gestern seinem nüchternen Ich irgendwas Wichtiges hatte mitteilen wollen. Aber das nüchterne Ich konnte sich nun beim besten Willen nicht denken was. Da trank er besser heute gleich noch mal einen.
Und wenn er mal trank, wurde er nie ausfallend oder gar aggressiv. Auch nicht wehleidig. Nur still wurde er, ganz in sich gekehrt war er dann. Aber schon das passte ihr nicht. Alkohol soll den Menschen lustig und gesellig machen, sagte sie, alles andere tauge nichts.
Mit irgendeinem Scheiß lag sie ihm schon wieder in den Ohren, zeterte rum. Er nickte und gab ihr Recht, in Wirklichkeit aber pellte er sich 'n Ei drauf – das hatte er von diesem Selfcare-Workshop neulich als Quintessenz für sich so mitgenommen und setzte es nun im Alltag um.
Sonntag, 27. April 2025
Freitag, 25. April 2025
Ein kleines Haus mit Garten und Sichtschutz, mit Rasenmäher und Randschneider und jeden Morgen die BILD im Briefkasten, da wollte er am liebsten wieder hin. Da war er damals von geflüchtet und jetzt wollte er wieder hin – schon aus Verachtung gegenüber der Großstadt.
Allein schon das Bier tags zuvor einzukaufen bereitete ihm Freude. Bier bedeutete ihm was.
Er war jemand, der anpackte, der nicht erst groß zweifelte, sondern machte. Auch er las die Zeitung: Politik, Wirtschaft, Kultur. Auch das ein oder andere Buch las er, aber nicht, um darüber zu quatschen; um sich damit zu schmücken. Nein, er machte und es machte ihn glücklich.
Er wollte endlich wieder morgens aufwachen ohne Angst, wollte in Gedanken nicht mehr ständig bei der Arbeit sein. Sich langsam bewegen wollte er, langsam essen. Atmen. Sehen. Denken. Und keine zwei Wochen Schnellurlaub. Aber was bildete er sich ein!
Er redet. Er redet über Ideen, die er niemals umsetzen wird, über Pläne und Projekte, die er nie angehen wird, über seine Vergangenheit, die so nie stattgefunden hat. Er redet.
Dienstag, 22. April 2025
Nein, die Gefahr, sich allzu sehr in dieses Leben zu verlieben und dann womöglich nicht loslassen können, bestand bei ihm nicht, wirklich nicht. Nein nein, mit jedem Jahr wurde es in der Hinsicht sogar besser und besser.
Allein mit sich in seinen vier Wänden; mit 'nem Bier in der Hand und 'ner Illusion im Kopf. Früher war mehr los in seinem Leben. Mehr Highlife. Mehr Rambazamba. Und jetzt isses eben mehr so.
Eigentlich hatte er genug davon, wollte aufhören. Diese Vorstellung vom Rausch, wie er einmal war, musste raus aus seinem Kopf. Das Glück, die Euphorie, es stellte sich nicht mehr ein, es war das Glück der Jugend gewesen. Längst bedeutete die Sauferei nur noch Stumpfsinn.
Das Leid endlich akzeptieren und ertragen – sollte er das aber nicht hinbekommen, dann sah er für sich immerhin noch den Irrsinn als Ausweg.
Freitag, 18. April 2025
Er kleidete sich unauffällig, verhielt sich unauffällig, bewahrte sich das Eigenwillige.
Aber die meisten Arschlöcher bereiten sich doch in erster Linie selbst ein beschissenes Leben. Denn die wenigsten Arschlöcher sind clevere Arschlöcher und selbst die werden ja von ihrer Arschlochhaftigkeit früher oder später noch eingeholt – das weiß man doch aus Filmen.
Er war zurückhaltend und redete nicht viel. Aber wenn er redete, dann über das Kleingedruckte.
Schließlich wurde auch er alt, kam auch er nicht mehr hinterher. Und je weniger er nun verstand, desto mehr wollte und forderte er, dass alles nach seinen Vorstellungen lief.
Dienstag, 15. April 2025
Vermeintliche Annehmlichkeiten haben sie ihm verkauft, aufgeschwatzt, immer wieder: Versicherungen, Pauschalreisen, Wellness – und dafür ist er bereit gewesen, dieses diktierte Leben zu führen. Und natürlich für den ganzen Krempel, der jetzt überall hier rumsteht.
Beruflich verlor er schon jetzt den Anschluss und privat war auch nichts mit ihm los. Irgendwie war das alles nichts für ihn, irgendwie gehörte er hier nicht her, wurde vielleicht auf dem falschen Planeten geboren, eine tragische Verwechslung, irgend so was.
Allein schon sich jeden Morgen auf den Weg zu machen und da aufzukreuzen, nagte an ihm. Und wenn er dann da saß und den PC anmachte, gab es ihm regelmäßig den Rest. Und doch hielt er durch. Dieses sture Funktionieren, es war ja viel mehr eine Schwäche als eine Stärke.
Er war ein Idiot und ist ein Idiot. Dass er es war, weiß er. Dass er es ist, ahnt er. Ein Vollidiot also ist er freilich nicht.
Samstag, 12. April 2025
Die Taube landete, kackte erst mal und stolzierte dann so'n bisschen auf und ab, vertrat sich die Beine. Genau so würd' ich's auch machen, wäre ich 'ne Taube. Oder sonst'n Vogel.
In meine Meinungen bin ich ja im Grunde immer irgendwie so reingerutscht, jedenfalls hänge ich nicht sonderlich an ihnen.
Augen zu und durch, heißt es. Für mich sind allerdings viel mehr die Ohren das Problem.
Vor Müdigkeit die Ohren schließen. – Ach, hätte die Evolution den Menschen doch nur schon jetzt mit so einen Schließmechanismus ausgestattet!
Mittwoch, 9. April 2025
Außer Arbeit, Alkohol und dem immer Gleichen gab es nicht viel. Ja, ab und an mal eine Beerdigung. Und der Nachwuchs, der zog weg. Ein paar kamen zurück, die Gescheiterten, die ließen sich aber nicht sehen, tranken hinter gardinenverhangenen Fenstern.
Internet gab's noch nicht und im Fernsehen gerade mal 3 Programme. Er ging ohnehin lieber ins Wirtshaus, da hielt er sich auf dem Laufenden, da erfuhr er in allen Einzelheiten, was alles los war in der Welt.
Ihr Mann, ihre Garderobe, ihre zwei Kinder, ihre Rosensträucher – was auch immer: Immer musste es das der anderen in den Schatten stellen und an nichts hatte sie je eine Freude.
Sein ganzes Leben ist er hier im Dorf geblieben, im Elternhaus, war 'ne treue Seele. Hat immer viel gefeiert. Gut, totgesoffen hat er sich. Mit 48. Aber gearbeitet bis zum Schluss, da kann man nichts sagen.
Sonntag, 6. April 2025
Mit neuen schicken Begriffen versuchten sie, dem Drögen Glanz zu verleihen.
Dann kamen die Allergien, die Unverträglichkeiten und der Hautausschlag, die Haut vom Leib wollte er sich kratzen. Sich häuten und ein anderer sein. Er lernte damit umzugehen, sein Unbehagen am Leben aber blieb.
Es wird immer mehr und immer abstruser und absurder, selbst altgediente Angestellte verlieren jegliche Loyalität, werden arbeitsunwillig, fallen aus und die verbleibenden dürfen sich zu einem Resilienz-Workshop einfinden.
Vieles war ihm von Beginn an gegeben und vieles dann noch in den Schoß gefallen, wirklich krumm machen musste er sich nie. Für ihn war das alles eine Selbstverständlichkeit. So ist das im Leben, bei den einen läuft's so, bei den anderen so.
Er musste ja damals früh raus aus der Schule, musste mit anpacken. Da lernte er dann, was es heißt, ein Mann zu sein: den ganzen Tag im Laden stehen und die Leute bedienen.
Dienstag, 1. April 2025
Fürs Nachplappern gab's gute Noten, fürs Nachplappern in eigenen Worten sehr gute. Das nahm er mit aus der Schule, das trug ihn durchs Leben.
Im Pausenraum lagen wieder Süßigkeiten für alle, Bonbons und Kekse. Nervennahrung, hieß es im Kollegium, was für die Seele. Ein paar Sekunden auf der Zunge, ein Leben lang auf der Hüfte, scherzte Hr. Hinrichs und stöhnte beim Kauen und die anderen lachten höflich.
Wichtigtuerei und Eitelkeit und viel Heckmeck um Nichtigkeiten, das galt es auszuhalten. Und dann auch noch den ganzen beruflichen Scheiß an sich.
Sie quasselte und quasselte, ließ ihn nicht zu Wort kommen, wollte das Gespräch kontrollieren. Ihm war's recht, das Gespräch war ihm egal, die ganze Angelegenheit war ihm egal, seine Arbeit war ihm egal. Er saß da seine Stunden ab, galt als guter Zuhörer, als immer ansprechbar.