Leichten Herzens streifte er mehr und mehr von sich ab und richtete sich ein in seiner Genügsamkeit, machte sich die Tage bequem und behaglich. Wie so'n Krösus.
Und die Zeit, bis er sich dann endlich volllaufen lassen konnte, überbrückte er mit ein paar Bier. Und rumsitzen. Und schweigen. Als er noch verheiratet gewesen war, war sein Leben anders gewesen. Vollgestopfter. Weniger kontemplativ.
Ihr Kleiderschrank war wirklich für alle Eventualitäten gerüstet, während er ein Auge darauf hatte, dass immer genug Bier im Haus war.
Die Frauen wollten aber nichts von ihm wissen und so wollte er dann von ihnen irgendwann auch nichts mehr wissen und ab da wollten sie dann erst recht nichts mehr von ihm wissen.
Je unsympathischer ihm jemand war, desto eher redete er ihm nach dem Mund. War ihm doch diese Person zutiefst egal.
Ach, und dann erst diese Kunst, die sie einem in diesen leerstehenden Ladengeschäften vorsetzen! Ich bitte Sie, als ob gerade die im Stande sei, irgendeine Form von Leere auszufüllen.
Freitag, 28. März 2025
Sonntag, 23. März 2025
Bei der Arbeit lag ihm der Chef in den Ohren und zuhause seine Frau und die beiden Kinder. Zuflucht suchte er in einem Hobby, das ihn nicht wirklich interessierte. Große Töne spuckte er aber weiterhin, musste ja keiner wissen, wie sehr man ihn inzwischen kleingekriegt hatte.
Aber sein Beruf bot eher wenig Action und auch sonst mochte er ihn nicht.
Ein typischer Tag, das war für ihn so einer, den er nicht mehr wahrnahm, der sich nahtlos anschloss an die Tausende von Tagen, die er auch schon nicht wahrgenommen hatte, die im Grunde längst ohne ihn stattgefunden hatten.
Jedem Rock rannte er hinterher, jeder engen Bluse, bettelte, um Aufmerksamkeit, um Zuwendung. Wie ein Hund winselte er und machte alles nur noch schlimmer. Es war nicht allein seine Triebhaftigkeit, nein, Glückseligkeit versprach er sich. Glückseligkeit!
Fortan hatte er sein Glück im Immateriellen gesucht. Dass er fündig wurde, konnte er allerdings nicht behaupten, sowas wie das große Los jedenfalls war nicht dabei gewesen. Aber er hatte dabei einiges an Geld gespart, sodass er sich nun was richtig Schönes kaufen konnte.
Mittwoch, 19. März 2025
Andere Männer gehen in die Kneipe und lassen da ihr Geld und er macht eben das - bleibt zuhause, trinkt da und geht niemandem auf'n Sack.
8 Stunden am Tag musste er sich mit diesem Mist beschäftigen, sich den Scheiß anhören. 30 Minuten Pause standen ihm zu, da saß er dann im Pausenraum, aß seine 2 Pausenbrote und starrte dabei auf die Wanduhr, den Sekundenzeiger, so verging die Zeit etwas langsamer.
Er hatte sich wieder mal vorab aufgeregt, sich mögliche Antworten, sogar Gesten zurechtgelegt – und dann war da wieder nichts. Er spielte in der Angelegenheit keine Rolle, wurde nicht hinzugezogen, nicht befragt und seine Unwichtigkeit brachte ihn gleich wieder mächtig in Rage.
Freude empfand er einzig und allein aus seiner Gehässigkeit heraus. Fand er etwa Geld auf der Straße, empfand er selbst dann pure Schadenfreude. Und ansonsten tat er eben so, als würde er sich freuen, sich mitfreuen, mit anderen, das gehörte sich nun mal so.
Nun, da er jetzt all die Jahre verheiratet war, stand ihm aber eher der Sinn nach routinierter Beständigkeit – und nach einer guten Mahlzeit, vor allem einer guten Mahlzeit. Ihr ging es ja auch nicht anders. Insgeheim schätzte sie sich sogar glücklich damit.
Donnerstag, 13. März 2025
Freitagmorgens ging er immer in etwas besserer Stimmung zur Arbeit, weil er die folgenden 2 Tage nicht hingehen musste. Er war jetzt 48 Jahre alt und seit seiner Kindheit war das so. Seitdem er mit 6 Jahren eingeschult wurde, war das so und langsam war er es leid.
Samstags geht er eisern in die Innenstadt, ins WOOLWORTH, ins KIK, ins ACTION, schaut sich die Waren an, die Kundschaft, da ist immer was los. Die aufdringlichen Spendeneintreiber draußen lässt er eiskalt abblitzen und dann trinkt er noch wo einen Kaffeevollautomatenkaffee.
Er machte sich nur noch derlei Hoffnungen, die ihm etwas halfen, durch die Tage und Wochen, mitunter auch Jahre zu kommen und sich dann wie von selbst verabschiedeten, ohne dass sie ihn je hätten wirklich enttäuschen können. Von konkreten Hoffnungen ließ er schön die Finger.
Das Leben bei den Hörnern packen! Hinfallen ist keine Schande, aber liegenbleiben! Du lebst nur einmal, mach was draus, sonst machen's die anderen für Dich! – Das war seine Philosophie. Ihm selbst hatte sie praktisch nie was gebracht, aber er blieb dabei, sie machte ihn stolz.
Biedere Hausmannskost, in jeglicher Beziehung. Das kennt er, da kommt er her, da wurde er reingeboren und was anderes kommt ihm auch nicht ins Haus. 52 Jahre lebt er jetzt, ohne besondere Vorkommnisse, ohne Heckmeck und so soll das auch gefälligst bleiben.
Und dann musste er nach und nach feststellen, dass diese ganze herzliche Freundlichkeit im Kollegium nichts zu bedeuten hatte, dass es Getue war. Verlass war auf die einsilbigen Muffel, die Sonderlinge.
Sonntag, 9. März 2025
Zu oft hatte ihm das Leben klargemacht, wo sein Platz war, wo's langging für ihn, wo's mal endete. Er machte sich nichts mehr vor. Er brauchte sich nichts mehr vormachen, brauchte nur noch warten und zum ersten Mal seit seiner Kindheit spürte er wieder so was wie Daseinsfreude.
Vertrauen hatte er nur noch in sein Misstrauen. Und auf die Eitelkeit der Leute verließ er sich, auf ihren Egoismus, ihre Unaufrichtigkeit. Damit fuhr er gut. Manchmal behauptete er, auch er wünschte, die Dinge liefen anders, aber das war mehr so ein verkappter Jux von ihm.
Und überdies gab er sich immer einen Tick dümmer und unwissender, als er war. Keiner im Betrieb schien das zu durchschauen, sie genossen ihr Überlegenheitsempfinden und mochten ihn dafür, waren nachsichtig, freundlich. Er sei ja nun echt ein Lieber, sagten sie.
Gemütlich wollte er's haben, 'nen gemütlichen Abend verbringen, aber so 'ne Gemütlichkeit, die ist ja entweder in einem drin oder eben nicht in einem drin. Die lässt sich nicht bitten, kaufen auch nicht. – Und will man 'ne schöne Zeit erleben, isses genauso.
Bevor die gute Laune ihn dann aber noch übermütig machte, war sie auch schon wieder weg. Das hatte Mutter Natur gottlob bei ihm so eingerichtet, hielt es ihn doch in der Spur. Auf der sicheren Seite. In Arbeit und Brot.
Mittwoch, 5. März 2025
Was er erzählte, stimmte nicht. Was er sagte, tat er nicht. Was er redete, interessierte ihn nicht. Was er wollte, war klar.
Was in ihm vorging, so seine Überzeugung, ging so auch in anderen vor. Daher mied er die Menschen, war argwöhnisch und voller Hohn.
Die Dienstbesprechungen waren inzwischen das schlimmste für ihn. Die Aussicht auf Projekte, Arbeitsgruppen, Ziele: es widerte ihn nur noch an. 27 Dienstjahre, und weiterhin musste er den Interessierten mimen.
Hatte er gute Laune, wusste er nicht wohin damit und so ließ er die gute Laune dann einfach gute Laune sein – so hatte er sogar mehr von ihr.
Samstag, 1. März 2025
Nach der Arbeitswoche saß er dann den Samstag über gern in der Küche, trank Bier und hing seinen Gedanken nach. Und den Sonntag wiederholte er das und dann war ja wieder Montag.
Ihn beschäftigen dort aber eher die Kollegen als die Arbeit an sich. Viele waren ernsthaft bei der Sache, strebsam, manche regelrecht verbissen. Sie knüpften Hoffnungen an die Arbeit, ihr Leben musste so ganz anders sein als seins.
Immer hatte er sich reinreden lassen, bei allem, nie war mal was seins. Sein Beruf, seine Ehe, seine Bekannten, sein Alltag, seine Zukunft: alles letztlich nicht seins. – Den Familienurlaub 2014, den hatte er damals mal allein bestimmt, aber da hatten sie dann Pech mit dem Wetter.
Er hasst seine Arbeit, erträgt die Kollegen nicht mehr, ihre Visagen, ihr ewig gleiches Geschwätz. Noch 10 Jahre muss er bis zur Rente. Knapp 65.000 Euro hat er sich ja bis jetzt so zusammengespart. 65.000. Aber was hat er jetzt groß davon? – Nix. Einen Scheiß hat er davon.
Von seiner hohen Meinung von sich selbst ist er nun endgültig abgerückt und es geht ihm besser. Die Last ist weg und auf seinem Gesicht zeigt sich ein ganz anderes Lächeln. Jeder Mensch ist vielleicht irgendwo was Besonderes, aber nie was Besseres.
Er stellt sein feiges Verhalten als Besonnenheit dar und weiß um seine Unaufrichtigkeit, spürt sie förmlich. Feiges Verhalten macht feige.