Freitag, 31. Januar 2025

 Sein Glück schob er vor sich her, für später, wenn er das Geld und die Zeit dafür hatte. Dabei war ihm bewusst, dass er für das Glück nicht geeignet war. Allein die Vorstellung vom Glück stand ihm zu, allein sie machte ihn mal etwas glücklich. Deswegen das Aufschieben.


Die Ruhe vor dem Sturm und dann der Sturm vor der Ruhe vor dem Sturm. Immer in Anspannung, immer in Sorge. So ging es seinen Gang, so lebte es sich in dieser seiner Welt.


Er war ein Freund vernünftiger und pragmatischer Lösungen und mal stand er damit eher rechts und mal eher links. An den äußeren Rändern stand er aber nie, auch nicht, als es immer leerer und stiller um ihn herum wurde, während an den Rändern das Leben tobte.


Mit seiner Kalenderspruchphilosophie meinte er, uns die Welt erklären zu müssen oder, was noch übler war, Trost spenden zu können. Und wenn er einen dann in seiner Fürsorglichkeit auch noch in den Arm nahm, roch man seinen Schweiß und den fauligen Atem.


Jedes Mal, wenn er sich Hoffnungen macht, wird er enttäuscht. Selbst wenn das, was er sich erhofft hat, genau so eintrifft, wird er noch enttäuscht, jedes Mal. Er merkt es ja selbst und bezeichnet sich und seinesgleichen gern als Enttäuschtlinge.

Donnerstag, 30. Januar 2025

 Im Alter las sie immer als erstes die Traueranzeigen, jede einzelne, achtete auf bekannte Namen und auf die Geburtsjahre, rechnete nach. Es war ihre Beschäftigung mit dem Tod, konkret und pragmatisch, ohne, wie sie es formulierte, religiöse oder philosophische Narretei.


Wir werden von Nullen regiert, von nichtsnutzigen, selbstsüchtigen Nullen, sagte er. Seit nunmehr 40 Jahren sagte er das. Und dass sich ja doch nichts ändert. Und dass es immer schlimmer wird. Und jedes Mal, wenn er es sagte, gab man ihm recht und dann war er soweit zufrieden.


Wieso existiert das Universum, was steckt da dahinter, was soll dieser unfassbare Riesenscheiß? – Ihn lässt das mal wieder keine Ruhe. Ganz kirre macht ihn das. Aber er hat Bier da, im Kühlschrank, das holt ihn wieder zurück: in seinen Trott, in seine Bude, in seine Welt.


Gestern Nacht von einer Frau geträumt, vom Kennenlernen, vom Zusammenkommen, ein zaghaftes Anlehnen, ein Kuss, Glücksempfinden. Und mit einmal wurde es dann auch schon verworren, sprunghaft, unlogisch – also wie in Wirklichkeit.


Im Moment sogar zu träge, um zu essen. Ein Bier wäre aber drin. Eindeutig eine Trägheitssituation für ein Bier.

Freitag, 24. Januar 2025

 Er soff und pisste in aller Öffentlichkeit. Dabei war es ihm keineswegs egal, was andere von ihm dachten; im Gegenteil, da war er sogar recht empfindlich und schnell auf hundertachtzig. Dennoch soff und pisste er in aller Öffentlichkeit.


Bei der Arbeit herrscht Druck und Anspannung und daheim kommt sie dann auch nicht zur Ruhe, im Schlaf knirscht sie mit den Zähnen und ist, sie merkt es selbst, wieder und wieder ungerecht gegenüber ihrem Lebenspartner. Dabei geht es nicht mal um eine Karriere, nur ums Dranbleiben.


Was seine Geisteshaltung betraf, da fand er zusehends zu seinen familiären Wurzeln zurück, zu proletarischer Direktheit, Einfachheit, Unverstelltheit. Auf sein Abitur und dieses Dipl. vor der Berufsbezeichnung gab er schon längst einen müden Furz.


Nur die ihm genehme Wahrheit wurde seine Wahrheit. Er war sich darüber im Klaren, aber ein wenig wohlfühlen in dieser Welt wollte er sich nun mal auch. War doch alles auch so schon schlimm genug.


Mit Anfang 60 hatte er die Einsicht, sein Leben nun gelebt zu haben und alles, was noch kam, als eine Art Zugabe, einen Aufguss zu betrachten. Auch damit ihm der Abschied weniger schwer fiel. 20 Jahre hat er dann noch gelebt, gemächlich und unaufgeregt.

Dienstag, 21. Januar 2025

 Nun schon so manches Mal wusste er rückblickend nicht mehr, ob er etwas wirklich erlebt oder nur geträumt hatte und von Mal zu Mal fand er nichts Beunruhigendes mehr an dieser Vermischung.


Wunschdenken, naive Vorstellungen und wenig Geld, das war seine Ausgangsposition. Und blieb es sein Leben lang.


Wenn er nur wüsste, was er wirklich will. Nun, dann könnte und würde er. Aber so. So macht er eben, was man eben so macht. Wie all die anderen auch. Sich wo anschließen und meckern. Und mit bitterer Miene die kleinen Freuden genießen.


Die Arbeit trieb sie an und dann verfiel sie Tag für Tag in diese forsche Hektik, stapfte durch die Flure und Büros, als bewege sie sich auf einer Bühne vor einem interessierten Publikum. Und auf eine schräge, kranke Art machte sie das glücklich.


Irgendwie schön wollte er es sich machen, das Leben mal genießen, dafür ging er ja schließlich arbeiten. Nur hatte er keinen blassen Schimmer, wie er das hinkriegen, was er da machen sollte. So wie früher, wo es darum ging, mal so richtig einen drauf machen zu wollen.

Freitag, 17. Januar 2025

 Er sah gut aus: groß, sportlich, markant und er hielt sich für ein Geschenk an die Frauenwelt, für einen Halbgott. Natürlich ging das dann mächtig nach hinten los, aber für ein paar Jahre hatte er, was er wollte, und jetzt, mit 74, grinst er unverschämter denn je.


Hörte sie, dass es jemandem nicht gut ging, tat sie bestürzt, in Wahrheit baute es sie auf. Sie verglich sich immerzu mit anderen und mal tat es ihr gut und mal ärgerte es sie. Vorspielen musste sie natürlich immer das Gegenteil, aber das ging bei ihr wie von selbst.


Der Mensch mit all seinen Abgründen – und seinen Albernheiten! Die darf man nicht vergessen, die Albernheiten, sie nie aus dem Blick verlieren, unter keinen Umständen, gerade wegen der Abgründe.


Mit Selbstvorwürfen quälte er sich, hielt sich immer wieder die gleichen alten Peinlichkeiten vor, obwohl er längst daraus gelernt hatte und ein anderer war. Das war irrational, unlogisch, widersprach seinem Denken und dafür hasste er sich gleich noch ein bisschen mehr.


Was er bei anderen durchgehen ließ, verzieh er sich selbst noch lange nicht. Dafür war er sich zu fein.

Dienstag, 14. Januar 2025

 Der neue Abteilungsleiter hat sich an seinem ersten Tag kurz dem Kollegium vorgestellt. Er freue sich hier zu sein, hat er behauptet, und er freue sich auf die Zusammenarbeit. Es ist immer der gleiche Quark, von der Begrüßung bis zur Verabschiedung, immer der gleiche Quark.


Das Klopapier von Aldi sei echt super, erzählte sie ihm. Sie gehe ja nicht gern ins Aldi, wenn dann nur für Klopapier, aber dann kaufe sie da auch anderes, weil die Sachen seien ja schon auch gut im Aldi, erzählte sie ihm. Seit 11 Jahren saß er mit ihr im Büro, 8 Stunden am Tag.


In der Firma war er bekannt für seine Socken. Besonders bei den Kolleginnen. Ansonsten obligatorisch seriös gekleidet trug er jeden Tag knallbunte, mit verspielten Motiven versehene Socken. Ins Auge stechende Socken, das war seins, seine Eigenheit.


Ich bitte Sie! Dieses ständige an die Arbeit müssen, das kann mir doch keiner erzählen, dass das gesund sein soll, dass das Sinn und Zweck sein soll und dass es das dann mal gewesen sein wird, was man angestellt hat mit dem Leben, mit der Lebenszeit. – Ich bitte Sie!

Freitag, 10. Januar 2025

 Von sich selbst gehetzte Seelen, unglücklich, eigensüchtig und voller Wut. Im Internet und in ihren Autos brüllen sie es heraus und im Supermarkt in der Schlange riecht man ihren sauren Atem und spürt man ihren Hass.


Weil der Mensch auch viel aus Verlegenheit lacht, hält sich so manch peinlicher Depp für witzig.

Mittwoch, 8. Januar 2025

 Und wenn er sich dann doch mal ums Mitmischen bemühte, wenn er unterhaltsam und anregend sein wollte, dann machte er's nur noch schlimmer. Sein Platz war woanders, seine Rolle eine andere und so nach und nach schwante's ihm.


Selbstironie kannte er nicht, seine Großmäuligkeit war respekteinfordernd und seine Lieblingswörter waren Treue, Ehre und Loyalität. Dass er mit Mitte 30 immer noch seine Wäsche bei seiner Mutter abgab, hatte damit aber nichts zu tun. Für ihn war das einfach nur praktisch.


Feiern ging er noch, weil er dazu verpflichtet war oder sonst wie gute Miene zum bösen Spiel machte. Wirklich etwas feiern, das gab es für ihn nicht, tat er nicht, aus Prinzip – weil er es ohnehin nie verstanden, nie gefühlt hatte.


Manchmal nahm er sich noch vor, sich mal wieder richtig zu betrinken, sich gehen zu lassen, als gäbe es kein Morgen. Sobald er aber dann die ersten Gläser geleert hatte, verlor es seinen Reiz. Trunkenheit war nur noch eine Illusion, eine nostalgische Erinnerung.

Montag, 6. Januar 2025

 Die Wochenendtrinkerei wurde seine Rettungsboje. Zum Festland hatte er keine Beziehung mehr.


Mit Leidensmiene zieht er dann los, jeden Samstag, um Trübsal zu blasen in die Innenstadt, in die Geschäfte, in sein Stamm-Café.


Aber über so was reg' ich mich schon gar nicht mehr auf, sagte sie wieder und wieder und wieder ...

Samstag, 4. Januar 2025

 Es einfach sein zu lassen, das hatte und hätte sich schon bemerkenswert oft als richtig erwiesen. Und unabhängig davon: Ihm war das ja immer schon sympathisch.


Manchmal, da schmiedete er noch Pläne – was richtig Großes und Gewagtes, aber durchaus im Rahmen seiner Möglichkeiten. Um es dann, nach etwa 3 oder 4 Wochen, mit dem Gefühl behaglicher Erleichterung einfach sein zu lassen.

Freitag, 3. Januar 2025

 Nie war mal was los mit ihm. Als Jugendlicher hatte er auch keinen Spitznamen, obwohl wir damals echt alle einen hatten. Und später dann: Ausbildung, Beruf, Familie – alles richtig gemacht, nie hat man mal was gehört. Komische Type, und auch seine Frau, genauso unsympathisch.


Nun, man mochte ihn einfach nicht, nicht mal lustig machte man sich über ihn. Er war eben da und gut – und war er nicht da, dann war's halt besser, das war's auch schon, mehr war da nicht mit ihm.

Mittwoch, 1. Januar 2025

 Gestellter Frohsinn auf den Familienfesttagsfotos, da, wo sie immer alle am Esstisch sitzen. Nur der eine Onkel, der alleinstehende, der, der gern mal einen pichelt, der guckt von Jahr zu Jahr immer gleich.


Über die Feiertage wurde er entgegen seiner sonstigen Praxis zum Pegeltrinker. So konnte er immerhin den beiden kleinen Enkeln noch was vormachen und die anderen hielten dankenswerterweise ihre Klappe.


Von wegen Feiertage, Verpflichtungstage sind's. Verwandtschaft, Heuchelei, geistloses Geschwätz – eine Farce. Immerhin glotzen sie jetzt alle ständig aufs Handy, da hat man auch mal seine Ruh', da kann man mal kurz in sich geh'n.