Sonntag, 8. Juni 2025

 Mit seinen Arbeitskollegen hatte er nichts gemein, jede Unterhaltung war zäh und ermüdend. Zu Hause war es im Grunde auch nicht anders. Da schauten sie viel fern, während sich in seinem Kopf wüste Szenarien abspielten.


Früher, in seinen 20ern, da hatte er nichts ernst genommen, viel gelacht, sich einen Scheiß um irgendwas gekümmert. Hat sich so sein Leben versaut. Er wünschte, er wäre jetzt wieder so wie früher, spielt doch nun alles ohnehin keine Rolle mehr.


Er hielt sich da raus, wieder mal. Nicht weil er etwa keinen Durchblick hatte oder gar feige war. Nein, das Raushalten und Außenvorstehen, das war ja bei ihm nicht mal eine Entscheidung, sondern eine Berufung. Sein Lifestyle, sein Ding, wissen Sie.

Donnerstag, 5. Juni 2025

 Als Kind hatte ich diesen Onkel, über den in der Familie geredet wurde, der allein lebte und auf den Esstischfotos nie lächelte, aber in den unpassendsten Momenten lachte. Der oft einen becherte und so furchtbar maulfaul war. Der hat mich nachhaltig beeindruckt.


Was er sagte und erzählte, zielte mal wieder darauf ab, dass er gelobt werden wollte. Man hörte ihm zu, wie man einem Kind zuhört, dabei hatte man gerade seinen Amtsleiter vor sich; einen 58jährigen Amtsleiter.


Als er ihn das erste Mal las, war er von der Brillanz des Satzes überwältigt. Als er ihn dann bei passender Gelegenheit mal in einer Unterhaltung zitierte, war er miteins flach und schal, peinlich, nicht mehr zu gebrauchen.

Montag, 2. Juni 2025

 Zu seinem Dienstjubiläum sagte man ihm, er dürfe stolz sein auf das in all den Jahren Geleistete. Dabei hatte er doch längst die Bedeutungslosigkeit seiner Tätigkeit erkannt, die Lächerlichkeit seines Berufs. Und doch blieb er dabei, er wusste nicht, wohin mit sich.


So viel Verlogenheit, so viel Falschheit. Sogar in der Freundlichkeit. Gerade in der Freundlichkeit. Aber wo soll man sich denn noch wohlfühlen, wenn nicht in der Freundlichkeit.


Was soll der Scheiß? Sein ganzes Leben schon fragt er sich das. Im Großen wie im Kleinen. Und er weiß schon jetzt: Wenn's dann mit ihm zu Ende geht, wird er sich fragen, was der ganze Scheiß denn überhaupt sollte. Mit Sicherheit wird er das, daran hat er nicht den geringsten Zweifel.

Donnerstag, 29. Mai 2025

 Menschen machten ihm Angst. So beobachtete er sie, studierte sie; ganz pragmatisch, sein Unbehagen ihnen gegenüber wollte er verstehen. Je mehr er aber sah und mitbekam, desto größer wurde das Unbehagen nur.


Oftmals wünschte er, er wäre wieder der Punk, der er noch mit Anfang zwanzig gewesen war, und würde diesen verkorksten Arschgeigen bei der Arbeit offen den Mittelfinger zeigen. Aber dafür war er längst selbst zu verkorkst.


Nein, er glaube nicht an diese Krankheiten, die sie mit einmal alle überall hatten. Die Leute lassen sich alles einreden, sagte er, sogar Krankheiten lassen sie sich einreden. Oder sie flüchten sich in sie hinein, weil ja doch alles in gewisser Hinsicht nur noch krank ist, alles.


Aber ich bitte Sie, man weiß doch, wie unbedeutend diese sogenannten Kulturschaffenden im Allgemeinen nun mal sind, zuvorderst die vom Staat finanzierten natürlich. Schon deswegen plustern sie sich ja auch so auf, in der Zeitung, mit der Zeitung, bei jeder Nichtigkeit. Ein albernes, unwürdiges Schauspiel, mehr ist es nicht.

Samstag, 24. Mai 2025

 Er lernte, es sein zu lassen, es liegen zu lassen. So vieles verlor somit an Bedeutung, wurde ihm schon nach kurzer Zeit einerlei. Das Ausmaß der Unnötigkeiten in seinem Leben verblüffte ihn.


Ihre Wänste schlugen sie sich voll und dann lehnten sie sich zurück, stöhnten, glotzten leer und grinsten und dann rief einer von ihnen: "Leute, ist das herrlich, ist das schön!"
Er saß nur zwei Tische weiter und doch in einer anderen Welt, fühlte sich belästigt und verspottet.


Aber er hatte kein gutes Gefühl dabei. Und je länger er drüber nachdachte, desto mehr fragte er sich, wann er zuletzt überhaupt mal bei irgendwas 'n gutes Gefühl hatte.


Bier federte das Ganze immerhin etwas ab. Und 'n Zeitvertreib war's. – So einiges sprach dafür.
Auch hatte man mit so 'ner Bierdose konkret was in der Hand. Gerade in diesen Zeiten, wo alles nur noch virtuell war, da wollte man doch auch mal was konkret in der Hand haben.

Mittwoch, 21. Mai 2025

 Die Freiheit, die er sich wirklich wünschte, war ihm bereits unvorstellbar geworden.


Viele Jahre schwelgte er in Illusionen, während die Realität ihm von Tag zu Tag mehr auf die Pelle rückte, ihm in die Suppe spuckte und seine Phantasie verhöhnte. Zuflucht bot ihm dann der Zynismus. Der vertrug sich mit der Realität und begleitete ihn nun bis zum bitteren Ende.


Hinsichtlich Arbeit und Beruf wäre er schon jetzt gern weg von Fenster. Und was den endgültigen Abgang betraf – nun, dem wollte er sich dann ebenso wenig verschließen. Half ja alles nichts. So richtig überzeugend fand er's Vorhandensein im Großen und Ganzen sowieso noch nie.


Sinn und Trost sollte er finden, indem er ihre Regeln befolgte. Vertrauen sollte er haben und sich weiter keine Gedanken machen. Einfach nur ihre Regeln befolgen – die aber völlig absurd waren. Und je absurder sie waren, umso wichtiger waren sie ihnen auch noch.

Samstag, 17. Mai 2025

 Die ersehnte Ruhe, die fand er aber erst recht nicht auf'm Dorf. Da gab's Nachbarn und Neugierde und jede Menge Geschwätz und Gartengeräte, sogar so eine Straßengemeinschaft hatten die da.


Er schlenderte jeden Samstag durch die Kaufhäuser, ohne Kaufabsicht, drehte da seine immer gleichen Runden. So wie andere etwa im Park. Im Einkaufstrubel aber fiel seine Einsamkeit weniger auf.


Am schlimmsten aber sind die Schmeichler, die, die einem sogleich Honig ums Maul schmieren und echte Freundlichkeit in den Dreck ziehen, bloß weil sie irgendetwas wollen.


Ausgesorgt im Verborgenen, wie auch immer, wo auch immer. Genau da wollte er hin.

Mittwoch, 14. Mai 2025

 Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit sitzt er mit ihnen in der Straßenbahn: dem Schreiner, der kein Holz mehr sehen mag, dem Buchhändler, der keine Bücher mehr sehen mag, dem Friseur, der keine Haare mehr sehen mag, dem Bestatter, der keine Leichen mehr sehen mag.


Was auch immer er aus einer Begeisterung heraus gemacht hatte: Es taugte nichts, enttäuschte, geriet oft genug zur Peinlichkeit. Was Brauchbares auf die Beine zu stellen, das war 'ne nüchterne, zähe Angelegenheit – und langweilig. Nein, er soff sich lieber einen an und ließ die Puppen tanzen.


Verlogen aber waren die Zeiten schon immer.


Für seine Absichten, Entscheidungen und überhaupt alles gab er ehrenwerte Motive an, die egoistischen behielt er selbstverständlich für sich. Ein guter Mann. Schon als Jugendlicher beherrschte er das Spiel und war selbst verwundert, wie einfach und effizient das war.

Sonntag, 11. Mai 2025

 Er kaufte wieder nur No-Name-Produkte. Nicht aus Kostengründen oder weil sich dahinter vielleicht Hochwertiges verbarg, nein, der Imageverzicht gefiel ihm. So sah er sich selbst doch auch: unscheinbar, unten im Regal, fernab von Eitelkeit und Show.


Ende 50 ist er jetzt und das Alleinsein macht ihm zu schaffen. Manchmal, da hat er so Bilder im Kopf: von Geborgenheit und Freude – wie aus 'nem Werbespot für's Bausparen. Und dann hat er von dem Kitsch auch noch 'n Kloß im Hals.


Aber was sollte er denn seiner Mutter schon groß erzählen? Was wirklich in ihm vorging? Was er wirklich dachte? Die Hände über den Kopf zusammenschlagen würde sie, ihn enterben würde sie. Nein nein, es blieb bei den Gesprächen übers Wetter und's Essen, zeitlebens blieb's dabei.


Er hoffte auf bessere Zeiten. Seit 25 Jahren, seitdem er in dieser Vollzeitstelle steckte, hoffte er auf bessere Zeiten. Auf Unbekümmertheit, Leichtigkeit. Durchschlafen wollte er mal wieder, nicht immerzu an den Scheiß denken. Einfach mal wieder durchschlafen.


Dazu musste man gehören. Vernetzt sein. Gehörte man nicht dazu, dann konnte man's vergessen, dann trat man auf der Stelle. Ihm war das bewusst. Aber lieber trat er auf der Stelle.

Donnerstag, 8. Mai 2025

Und als er dann genug von dem Bier getrunken hatte, empfand er mit einmal diese tiefgreifende Gleichgültigkeit. Nach genau der hatte er sich doch immer schon gesehnt und jetzt war sie da! Dieses Bier, das war eindeutig 'ne gute Sache. Das behielt er auf jeden Fall im Auge.


Er ersatzbefriedige sich mit Essen und Trinken, warf sie ihm vor. Vielleicht war da ja was dran, vielleicht aber auch nicht, vielleicht war ja der Ersatz das Eigentliche. Nun, er machte sich so seine Gedanken, ließ sich aber nicht beirren, trieb sie weiter in den Wahnsinn.


Ein altgedienter Kollege hatte gekündigt, erleichtert war er gewesen, euphorisch. Nach zwei Monaten steht er wieder auf der Matte und bettelt um seine alte Stelle. Da, wo er jetzt beschäftigt ist, hält er's nicht aus. Diese Arbeitswelt hat einen weit mehr an den Eiern, als man sich das vorstellen mag.

Sonntag, 4. Mai 2025

 Sein Beruf hat ihm ins Hirn geschissen.


Wegen jeder Lappalie regte er sich auf, empörte sich, wurde sogleich sauer, böse und ungerecht und schließlich von der eigenen Magensäure aufgefressen, so richtig fies von innen raus.


Unbekümmertheit, Vertrauen, Zuversicht: Dafür ist diese Welt nicht gemacht. Der durch und durch misstrauische Typ mit dem verkniffenen Mund, der Ihnen doch auch überall über den Weg läuft, Ihnen jeden Morgen in der U-Bahn gegenüber sitzt, das ist das Erfolgsmodell der Evolution.


Stets Vorsorge treffen für ein Leben in stetiger Sorge.


Früher soff er sich dann einfach einen an, hatte Spaß oder bekam Ärger oder beides; alles war ein Witz. Er war noch jung, leichtsinnig, hatte von nichts eine Ahnung, hatte seine Jugend einfach noch mal um einige Jahre verlängert. Rückblickend die absolut richtige Entscheidung.


Unzufrieden war er irgendwie schon immer, unbehaglich war ihm. Und wie er dann erlebte, wie erst sein Vater und dann seine Mutter elendig verstarb, wie er konkret sah, worauf's hinauslief, da hatte er dann auch keinen blassen Schimmer, was er denn nun groß anders machen könnte.

Donnerstag, 1. Mai 2025

 Die Sauferei ist ihm nicht bekommen, hat ihn unansehnlich gemacht, vor allem den Charakter. Wobei der im Grunde immer schon verdorben war, da hätte es den Alkohol gar nicht zu gebraucht, so oder so wäre aus ihm ein hässlicher Arsch geworden, nur vielleicht weniger offensichtlich.


Er dachte mal wieder darüber nach, warum er den Scheiß überhaupt machte. Nun, er hatte sonst nichts und so machte er eben das. Das war die vernichtende Antwort, seit jetzt mehr als 30 Jahren war das die Antwort.


Nein, sein Leben ließ sich nicht schönreden. Das konnte er überhaupt noch nie: sich irgendwas schönreden. Der Scheiß zog bei ihm nicht. Klar hatte er es versucht, aber was er sah und was er spürte, ließ sich nicht korrumpieren, es war, was es war.


Du wirst dich dran gewöhnen, sagte er sich, an alles Mögliche hast du dich doch schon gewöhnt, an jeden noch so üblen Mist.
Die Aussicht auf Gewöhnung tröstete ihn immerhin etwas. Und einen anderen, einen besseren Trost hatte er noch nirgends finden können, noch nie.


Auch war er penibel darauf bedacht, immer etwas schäbig aufzutreten: leicht schäbige Kleidung, ein leicht schäbiges Grinsen, nachlässige Wortwahl. Die Leute dort sollten keine Erwartungen an ihn stellen, nichts von ihm halten, ihn in Ruhe lassen.


Am Sonntag traf er beim Spazierengehen einen Arbeitskollegen. Es war ein Ärgernis, da sie sich über die Arbeit unterhielten. Sie hatten sonst kein Thema, worüber sie sich unterhalten mochten. Am Montag saßen sie sich dann im Büro wieder gegenüber.

Sonntag, 27. April 2025

 Er kam vom Dorf und hasste alles daran, zog in die Großstadt, hockte in den Eckkneipen und trieb sich in der Bahnhofsgegend rum. Aber die Menschen dort waren im Grunde auch nicht anders, die gleiche Borniertheit, die gleiche Gemeinheit - das, was er so auch in sich spürte.


Jetzt beschlich ihn wieder diese Ahnung, dass sein betrunkenes Ich gestern seinem nüchternen Ich irgendwas Wichtiges hatte mitteilen wollen. Aber das nüchterne Ich konnte sich nun beim besten Willen nicht denken was. Da trank er besser heute gleich noch mal einen.


Und wenn er mal trank, wurde er nie ausfallend oder gar aggressiv. Auch nicht wehleidig. Nur still wurde er, ganz in sich gekehrt war er dann. Aber schon das passte ihr nicht. Alkohol soll den Menschen lustig und gesellig machen, sagte sie, alles andere tauge nichts.


Mit irgendeinem Scheiß lag sie ihm schon wieder in den Ohren, zeterte rum. Er nickte und gab ihr Recht, in Wirklichkeit aber pellte er sich 'n Ei drauf – das hatte er von diesem Selfcare-Workshop neulich als Quintessenz für sich so mitgenommen und setzte es nun im Alltag um.