Freitag, 20. September 2024

 Die Anziehsachen in seinem Kleiderschrank, die er sich mal für potentiell besondere Anlässe gekauft hatte, verhöhnten ihn. Höchstwahrscheinlich passten sie ihm nicht einmal mehr.


Erstmal eine rauchen, dachte er sich und dann rauchte er erstmal eine. So einer war er; dieser Typ Mensch, der immer seltener wird.


In aller Regel sind Menschen nicht hintergründig, ihre Absichten springen einem doch geradezu ins Gesicht, nicht mal Zeit zum Wegducken hat man.


Wir damals hatten noch keine Handys und so'n Zeug, aber wir haben uns coole Spitznamen gegeben: "4-Finger-Joe", "Lüftchen" oder "Panne". Und wir hatten Mokicks oder 80er. Und Dorfdiskos, wo wir hin sind, um uns davor zu betrinken.


so stumpfsinnig wie laut, rücksichtslos, niemals auch nur auf die Idee kommend, dass man anderen eventuell gerade auf die Nerven gehen könnte, Kind geblieben


Er hielt sich zurück, denn er war den anderen voraus. Hielte er sich nicht zurück, bekäme er von den anderen aufs Maul, so lief das nun mal.


Am Sonntagmorgen, so gegen acht, halb neun, wenn die letzten grölenden Partygänger endlich weg waren, wurde es ruhig und friedlich und dann ging er raus. Manchmal fand er dann Geld auf dem Bürgersteig von diesen Leuten, das war nur gerecht.

Dienstag, 17. September 2024

 Er war jetzt 71 und er hockte viel vorm Fernseher, hatte eine schmale Rente, trank. Seine Frau war vor 3 Jahren gestorben, vor Kummer hieß es, wegen ihm. Er dachte kaum noch an sie, er hatte verdammt nochmal jetzt einen anderen Scheiß um die Ohren.


Um 5:15 Uhr steht er auf, macht sich fertig, fährt zur Arbeit. Und freitags um 16:00 Uhr wacht er auf, so halbwegs, für die dann etwas angenehmeren Routinen.


Die Morgensonne tauchte das Haus gegenüber in ein goldenes Licht. Und ruhig war es draußen und frisch. Aber er musste jetzt los zur Arbeit, das ruinierte alles.


Sie logen sich gegenseitig die Hucke voll, machten sich selbst was vor, aber so funktionierte es. Nur so funktionierte es.


Er war kein Überflieger, auch in keinster Weise originell, aber er war ehrgeizig, eitel, geltungssüchtig. Und so fuhr er erst seine Arbeit an die Wand und dann sich selbst. Er war ein Idiot.


Privat wie auf Arbeit: als stünde er nur noch neben sich. Und tatsächlich hatte er sich längst innerlich abgewandt, es nur noch nicht in aller Konsequenz realisiert.


Bewerben sollte und musste er sich, um einen Job, um eine Wohnung, um eine Mitgliedschaft, um ein Praktikum – um eine Frau. Er hatte die Schnauze voll vom Bewerben, nie lief's anders rum, immer war er der Bittsteller, von Anfang an. Genau wie schon sein Vater.

Sonntag, 15. September 2024

 Sie war Fleischereifachverkäuferin, ihr Leben lang. Sie hatte sich das nicht ausgesucht, nicht aussuchen dürfen. So war das damals in einem Familienbetrieb. Sie blieb ledig und schaute schließlich zurück auf ein Leben als Fleischereifachverkäuferin.


Zum Thema Liebe äußerte er sich nicht. Genau wie er sich auch nicht zum Thema Astrophysik äußerte oder zu sonst 'nem Thema, wo er schlichtweg keine Ahnung von hatte. Allein schon das Wort Liebe auszusprechen widerstrebte ihm, damit fing's doch schon an.


Na, immerhin war das Schreiben ein kostenloser Zeitvertreib und bisweilen auch mal eine ganz brauchbare Selbstverteidigung.


Vielleicht weiß er ja im nächsten Leben, was er eigentlich will. In diesem jedenfalls wird das nix mehr, auch die restlichen Jahre wird er machen, was man halt so macht und dann geht's dem Ende zu und das war's dann gewesen.


Das Fleisch schlaff, die Knochen brüchig, ständig hockt er beim Arzt. Seit kurzem braucht er Seniorenwindeln. In seiner Jugend, da gab es so ein Lied, er weiß nicht mehr welches, aber "I hope I die before I get old" hieß es da, das weiß er noch, das fällt ihm jetzt ständig ein.


Heute muss ich nach der Arbeit noch in den Supermarkt, und so gehen die Tage dahin, die Wochen, Monate, Jahre.


Sein Wohlstand beruhte auf dem Leid anderer Menschen, aber damit kam er klar. Himmel, Hölle, Karma, ausgleichende Gerechtigkeit: alles nur Wunschdenken von Verlierern, Bullshit, wegen so was machte er sich nicht ins Hemd. Allein um den Wohlstand selbst war er besorgt, ständig.

Donnerstag, 12. September 2024

 An den Wochenenden zog es ihn dann in die Bahnhofsgegend, zu diesen Menschen dort, die sich so völlig anders verhielten als er, so völlig anders lebten. Um nichts in der Welt wollte er mit ihnen tauschen und dennoch empfand er diesen verstörenden Neid.


Mit naiven und vor allem eitlen Vorstellungen machte er sich ans Werk und genau das kam dann auch bei raus.


Ganz klar, reich will er werden – und berühmt, aber erstmal reich, mit Krypto und so, und dann auf jeden Fall berühmt, weils ja sonst öde wär, einfach nur reich so ganz ohne Fame.


Er war empört, fassungslos, aufgebracht, er ging damit jetzt direkt an die Zeitung. Da kannten sie ihn schon und ließen ihn einfach reden; bereits seine Leserbriefe sorgten in der Redaktion immer wieder für ausgelassene Heiterkeit und waren eine willkommene Abwechslung.


Die Menschen, so kommt es einem vor, regen sich doch nur zu gern auf. Manche regen sich sogar darüber auf, dass andere sich aufregen. Gut, man muss da ja nicht mitmachen. So eine Aufregung, das ist doch eine persönliche Angelegenheit, die ist ja nun jedem selbst überlassen.


Letztens hatte er sich während der Woche mal einen angesoffen, so wie sonst am Wochenende, aber irgendwie war das nix, so vom Gefühl her. Er brauchte das Wochenende, das Gefühl, sich was verdient zu haben, das war so in ihm drin, wie eingeimpft war das in ihm drin.


Allzu oft hat er es erlebt: Die Menschen lügen, sobald sie den Mund aufmachen. Auch die sympathischen, gerade die sympathischen.

Montag, 9. September 2024

 Dass er eine ehrliche Haut war und obendrein ein durch und durch gutmütiger, freundlicher Mensch, nahmen sie zweifelsohne zur Kenntnis, zählte aber nicht wirklich; seine Langsamkeit nervte und verärgerte sie.


Aber immerhin gab es ja die angenehmen und die unangenehmen Routinen, also gab es doch noch Abwechslung in seinem Leben.


Ruhig bleiben, freundlich bleiben, gefasst auf Provokationen reagieren: Das war die eigentliche Herausforderung. Lernte und gelang ihm das, zog er aus dieser furchtbaren Arbeit zumindest einen persönlichen Nutzen.


Bei der Arbeit wurde er Tag für Tag 8 Stunden oder länger rumgehetzt und in seiner Freizeit stand er dann als Ausgleich immer wieder gern irgendwo entspannt und geduldig in irgendeiner ellenlangen Schlange.


Schlichtheit schwebte ihm vor. Holz hacken, dann stolz den Brennholzstapel anschauen und sich erschöpft aber selig ein Bier aufmachen, so was in der Art.


Es erschien ihm reichlich lachhaft, dennoch ließ er sich drauf ein, irgendwann würde es ja wohl aufhören und alles wieder anders werden. Aber nichts wurde anders und es hörte auch nicht auf, es wurde nach und nach sein Leben.


Etwas nachzuplappern widerstrebte ihm zutiefst. Passierte es ihm trotzdem, schämte er sich bereits währenddessen.

Samstag, 7. September 2024

 Er jedenfalls fühlte sich sauwohl in seiner Haut, schmatzte und stöhnte beim Essen, schlürfte am Wein und lachte über die missmutigen Gesichter überall; keine Ahnung, was die immer alle hatten.


Er solle die Menschen mit Vorsicht genießen, hatten seine Eltern ihm immer geraten. Die Vorsicht konnte er seinen Erfahrungen nach nur unterstreichen, das Genießen erschien ihm allerdings recht abwegig.


Immer musste er Recht haben, allein dafür war er immer gut informiert und immer auf dem Laufenden. Für ihn gab es nichts Geileres, als Recht zu behalten und es den anderen dann unter die Nase zu reiben, das war das Größte, er war dann der Größte.


Wegen jedem Fliegenschiss, wegen jedem Furz drohte er mit einem Anwalt oder einer Petition. Er war ein Mann, der sich auskannte und vor dem man sich besser in Acht nahm, ein einsamer Wolf, eine große Nummer.


An ihm war alles laut: seine Stimme, seine Lache, seine Witze, sein Benehmen ... In ihm war's eher still; wenig los da, definitiv tote Hose.


Überzogen freundlich suchte er nach Gemeinsamkeiten, versuchte es mit dem Wetter, dem herrlichen Sonnenschein und den herrlich angenehmen Temperaturen, aber auch da widersprach ich ihm.


Bier gibt mir ein gutes Gefühl.

Mittwoch, 4. September 2024

 Montagmorgen und er kommt kaum aus dem Bett, die ganze Arbeitswoche, dieser ganze mühselige Dreck hat sich über Nacht wieder vor ihm ausgerollt. Und dann kommt wieder das Wochenende, der Alkohol und die Einsamkeit, und dann ist wieder Montagmorgen.


Alle, wirklich alle seine Tagträume liefen darauf hinaus, dass er bewundert werden wollte, dass er irgendwo eine große Nummer war. Mit Ende 40 wurde ihm dann endlich klar, wie erbärmlich das ist, aber da hatte er im Grunde nur noch diese Träume und klammerte sich weiter daran.


Alle paar Jahre definierte, erfand er sich neu; mit einer neuen Frisur, einem neuen Outfit, einer neuen Sprechblase.


Der Zeitgeist mag sich ändern, die Spießigkeit passt sich an und bleibt.


Wenn er schon arbeiten musste, dann am liebsten allein vor sich hin. Gruppenarbeit hatte er schon in der Schule gehasst und dabei war er nicht mal der Streber gewesen, der da immer der Gearschte war.


"Sicherlich wissen Sie ja ...": Wenn einer oder eine das Gespräch so eröffnet, ist er oder sie höchstwahrscheinlich ein Arsch.


Rente war das falsche Wort, reichte die doch nicht mal für den Lebensunterhalt. Ruhestand war das falsche Wort, ruhig rumstehen, wie absurd! Restleben, das war das richtige Wort. Für das, was ihn da erwartete, war Restleben das richtige Wort.

Montag, 2. September 2024

 Knauserig ist er, durch und durch knauserig. Sie ebenso. An dieser Gemeinsamkeit haben sie sich damals auch erkannt und so führen sie seitdem ein Leben als Mann und Frau in harmonischer Knauserigkeit.


Im Suff fanden sie ein paar Mal zusammen. Zunächst in der Schänke bei ihm um die Ecke und dann in seiner Wohnung, einmal auch das ganze Wochenende. Nüchtern funktionierte es nicht, nüchtern waren sie desinteressiert, nicht nur einander, schlicht generell.


Nun, was wusste er schon von der Liebe zwischen Mann und Frau, was konnte er denn wissen, hat doch keine Frau ihm je eine Chance gegeben, allenfalls mal bemitleidet haben sie ihn, aufrichtig bemitleidet.


"GIB'S MIR, ZEIG'S MIR, MACH'S MIR!" – Wie auf Arbeit oder was? Nee, so hatte er sich das nicht vorgestellt.