Samstag, 20. Juli 2024

 Er machte sich keine Illusionen mehr. Dass solch alberne, kleine Hoffnungen aber immer mal wieder in ihm hochkamen, ließ sich wohl nicht verhindern.


Auf der Stadttheaterbühne gestern Abend wieder das bemüht Bedeutungsvolle, wieder vor dem üblichen, rausgeputzten Publikum: Bonbons lutschend, Blähungen unterdrückend und froh, als es endlich rum war.


Die Leute kamen nicht mehr miteinander aus, lebten allein, bepöbelten sich im Netz. Merkwürdige, schlimme Zeiten waren das. Aber wahrscheinlich war's zu allen Zeiten schon immer irgendwo merkwürdig und schlimm mit den Leuten.


Nein nein, ihm geht's gut. Arbeit, Familie, Gesundheit: alles gut. Der ganze Unmut und die Stänkerei, das ist mehr so sein Hobby.


Er fragte sich, was er machen würde, wenn er wüsste, dass er nur noch 3 Jahre zu leben hat. Außer, dass er auf keinen Fall mehr zur Arbeit gehen würde, fiel ihm groß nichts ein. Aber nicht mehr zur Arbeit zu gehen, das wär' schon was. Wie bei 'nem 6er im Lotto wär' das.


Je wichtiger sie sich aufführen, je mehr sie sich aufplustern, umso weniger nimmt man sie für voll. Das wäre schön.


Geduckt schlich er durchs Leben, schwankend zwischen großer Angst und kleinen Hoffnungen.

Dienstag, 16. Juli 2024

 Er hatte sich ja noch nie wirklich für seinen Beruf interessiert, aber jetzt mit den ganzen Neuausrichtungen, den Umstrukturierungen und den völlig neuen Aufgaben konnten sie ihm endgültig mal am Arsch lecken.


Er war jetzt Ende 50, kam da nicht mehr raus und er war es leid, hatte es satt, spürte bei allem, was er da zu tun hatte, nur noch diesen Widerwillen. Man sah es ihm an und so eine junge Kollegin riet ihm gestern, er solle versuchen, einfach mehr Freude in sein Herz zu lassen.


Da soff er sich dann wieder einen an, spülte sich die Bedenken aus dem Hirn und spürte wieder diesen Mut und diese Entschlossenheit. Wurde wieder der 20jährige Idiot, der ihm schon mal das Leben ruiniert hatte.

Donnerstag, 11. Juli 2024

 Immer vorne weg, immer in der ersten Reihe und immer mit dem breitesten Grinsen im Gesicht: Was auch immer ihn dazu antrieb, was auch immer er sich davon versprach, groß was bewegt in seinem Leben hatte es nicht.


Er redete oft schlecht über andere, weil er oft schlecht über andere dachte. Immerhin wusste man bei ihm, woran man war. Viel übler waren doch diese Schönredner und Schmeichler, diese falschen Fuffziger, die alles mit sich in den Dreck zogen.


Das erste Bier ist immer das schnellste, das zweite schon'n bisschen behäbiger – und dann geht das so über in den Flow.


Einmal hatte er auch 'ne Wohnung mit 'nem Balkon. Erst hat er ihn genutzt, vielleicht 3 oder 4 Mal, dann nicht mehr. Vögel haben dann da immer draufgeschissen, Stadttauben. – Ja, so war das. Und das erzählte er immer, wenn's irgendwie um Wohnungen und Balkone ging.


Die erregte Schwatzhaftigkeit dieser Leute raubte ihm den letzten Nerv. Wie sie in einem fort all diese Wörter hinausposaunten, völlig achtlos und unbekümmert, und wie sie sich dabei auch noch zu amüsieren schienen, das war doch unfassbar, für ihn war das unfassbar.


Das, was ihn dann abstürzen ließ, ihm mental wie sozial das Genick brach, war irgendwie immer schon in ihm drin gewesen. All die Jahre ging's gut, Familie, Beruf, alles. Aber es war einfach in ihm drin, saß ihm quasi schon die ganze Zeit im Genick, von Anfang an.


Er hielt seine Meinungen für bedeutsam, er hielt sich für bedeutsam. Und er wurde auch nicht müde, das seinen Mitmenschen bei jeder Gelegenheit mit auf dem Weg zu geben; auch noch im hohen Alter, wo er die rollenden Augen seines Gegenübers umso mehr nicht mehr mitbekam.

Samstag, 6. Juli 2024

 Er wusste nie so recht, was er mal machen wollte, geschweige denn werden wollte. Er hatte immer nur klar vor Augen, was er nicht machen wollte und vor allem nie werden wollte. Als 78jähriger im Seniorenheim erging es ihm immer noch so, und zwar schlimmer als je zuvor.


Zufall und Gleichgültigkeit, das wurde mehr und mehr so sein Gesamteindruck und zum Ende hin dann auch sein Resümee. Von irgendeinem göttlichen Wesen jedenfalls, das ein wohlmeinendes Auge auf alles hat, hatte er persönlich nie was mitbekommen, beim besten Willen nicht.


Angst machte ihm das Alleinsein, nicht die Einsamkeit, die hatte er längst akzeptiert. Ganz konkret das Alleinsein. Keinen Beistand zu haben. Keine Hilfe, wenn's drauf ankam. Ein scheiß Gefühl war das.


Nie konnte er mit seinen Eltern über wirklich Persönliches reden, sie wollten es nicht hören. Vielleicht wollten sie es wissen, aber hören wollten sie es nicht.


32 Jahre machte er das schon und nun wollte er nicht mehr. Zum Arzt wollte er, sich arbeitsunwillig schreiben lassen – ein für alle Mal arbeitsunwillig.

Mittwoch, 3. Juli 2024

 Alles für die Familie, sagte er immer. Dabei würde er inzwischen viel lieber als Single leben, seinen finanziellen Erfolg allein ausschöpfen. Ihn wurmte seine Verlogenheit, aber er brauchte sie, sie war der Generalschlüssel zu seinem Erfolg, seinem Ansehen.


Er war gut, seine beifallheischenden Plattitüden wurden gefeiert. Darauf ließ sich aufbauen.


Rumgebrüllt hat er ja immer schon gern und jetzt arbeitet er als Gerüstbauer. Hier bei mir da am Haus gegenüber.


Mit Ende 20 hatte er bereits alles unter Dach und Fach: Beruf, Frau, Nachwuchs, Eigenheim mit Garten. An den Sonntagen saß er jetzt immer häufiger allein in der Küche und starrte vor sich hin.