Unter Menschen suchte er nie nach Seinesgleichen. Was er wollte, war ein sympathisches Korrektiv.
Er lebte zurückgezogen, eigenbrötlerisch, so bewahrte er sich seine Geduld und Friedfertigkeit. Musste er unter Menschen, wurde er schnell wie sie.
Für nichts und niemanden machte er den Hampelmann. Lieber lebte er so, wie er lebte, als dass er nochmal für irgendwas oder irgendwen den Hampelmann machte.
Montag, 23. Juni 2025
Donnerstag, 19. Juni 2025
Nun kaufte er sich von seinem Gehalt all das Zeug, das er als Kind und Jugendlicher so gern gehabt hätte, stellte es in Vitrinen aus, in einem extra Zimmer, und wenn er es dann betrachtete und auch mal in den Händen hielt, fühlte er sich von Mal zu Mal beschissener.
Rechthaberei und Geltungssucht: Mit diesen zwei Erbärmlichkeiten lag er seinen Mitmenschen in den Ohren, zeitlebens. Man ließ ihn reden, ließ ihm seinen Willen, alles andere war zwecklos.
Nun, er verfügte über eine gewisse Trinkfestigkeit. Nicht, dass er sich da etwas drauf einbildete, er bildete sich auf nichts etwas ein, auf gar nichts. Nur wollte man ihn beschreiben, so fiel einem eben seine Trinkfestigkeit ein. Und dass er immer viel rumsaß, und schwieg.
Er war damals Chef unserer Clique; allein die Art, wie er sich eine Zigarette ansteckte und den ersten Zug nahm, zeugte schon von seiner Klasse, seiner Coolness. – Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Höchstwahrscheinlich was Uncooles, so wie aus uns allen.
Montag, 16. Juni 2025
Diese unfassbar aufdringlichen Spendeneintreiber in der Fußgängerzone mit ihrer widerwärtigen Fröhlichkeit und wie sie einem dann noch einen schönen Tag hinterherrufen! Bei solchen Kanaillen, da vergeht einem doch das Spendenwollen. Ein für alle Mal vergeht einem das!
Und der sonntägliche Trübsinn erst! Nicht mal mit Alkohol kommt man dagegen an. Natürlich versucht man es, natürlich mit Alkohol. Immer wieder versucht man es, aber es kommt ja doch nur Trübsinn dabei heraus, jedes Mal, nichts als Trübsinn.
Dann mit dem Berufseinstieg verkam sein Leben endgültig zum närrischen Mitmachtheater.
Würden Sie bitte damit aufhören, Ihre gute Laune an mir auszulassen!
Donnerstag, 12. Juni 2025
Aber bei der Sparsamkeit, da sollte man schon unterscheiden können, die sollte man nicht gleich so von oben herab belächeln. Die Frage ist doch, warum da jemand, obwohl er's nicht müsste, so sparsam lebt. Genügsamkeit befreit, Geiz beengt, wissen Sie.
Schon als Jugendlicher hatte er seine kleinbürgerliche Herkunft gehasst und verhöhnt. Jetzt, mit Ende 50, tut er es immer noch. Immer noch hat sie die Oberhand, bestimmt über ihn, regelt seine Angelegenheiten – verhöhnt ihn.
Vieles hatte er probiert an Praktiken und auch an Substanzen; wirkliche Ruhe und Freiheit fand er schließlich in seiner Genügsamkeit.
"Müde bin ich, geh' zur Ruh', schließe meine Äuglein zu" hatte er als Kind jeden Abend vorm Schlafenmüssen aufgesagt. Im hohen Alter im Bewusstsein des Sterbenmüssens hatte er es sich wieder angewöhnt.
Sonntag, 8. Juni 2025
Mit seinen Arbeitskollegen hatte er nichts gemein, jede Unterhaltung war zäh und ermüdend. Zu Hause war es im Grunde auch nicht anders. Da schauten sie viel fern, während sich in seinem Kopf wüste Szenarien abspielten.
Früher, in seinen 20ern, da hatte er nichts ernst genommen, viel gelacht, sich einen Scheiß um irgendwas gekümmert. Hat sich so sein Leben versaut. Er wünschte, er wäre jetzt wieder so wie früher, spielt doch nun alles ohnehin keine Rolle mehr.
Er hielt sich da raus, wieder mal. Nicht weil er etwa keinen Durchblick hatte oder gar feige war. Nein, das Raushalten und Außenvorstehen, das war ja bei ihm nicht mal eine Entscheidung, sondern eine Berufung. Sein Lifestyle, sein Ding, wissen Sie.
Donnerstag, 5. Juni 2025
Als Kind hatte ich diesen Onkel, über den in der Familie geredet wurde, der allein lebte und auf den Esstischfotos nie lächelte, aber in den unpassendsten Momenten lachte. Der oft einen becherte und so furchtbar maulfaul war. Der hat mich nachhaltig beeindruckt.
Was er sagte und erzählte, zielte mal wieder darauf ab, dass er gelobt werden wollte. Man hörte ihm zu, wie man einem Kind zuhört, dabei hatte man gerade seinen Amtsleiter vor sich; einen 58jährigen Amtsleiter.
Als er ihn das erste Mal las, war er von der Brillanz des Satzes überwältigt. Als er ihn dann bei passender Gelegenheit mal in einer Unterhaltung zitierte, war er miteins flach und schal, peinlich, nicht mehr zu gebrauchen.
Montag, 2. Juni 2025
Zu seinem Dienstjubiläum sagte man ihm, er dürfe stolz sein auf das in all den Jahren Geleistete. Dabei hatte er doch längst die Bedeutungslosigkeit seiner Tätigkeit erkannt, die Lächerlichkeit seines Berufs. Und doch blieb er dabei, er wusste nicht, wohin mit sich.
So viel Verlogenheit, so viel Falschheit. Sogar in der Freundlichkeit. Gerade in der Freundlichkeit. Aber wo soll man sich denn noch wohlfühlen, wenn nicht in der Freundlichkeit.
Was soll der Scheiß? Sein ganzes Leben schon fragt er sich das. Im Großen wie im Kleinen. Und er weiß schon jetzt: Wenn's dann mit ihm zu Ende geht, wird er sich fragen, was der ganze Scheiß denn überhaupt sollte. Mit Sicherheit wird er das, daran hat er nicht den geringsten Zweifel.