Donnerstag, 26. Mai 2022

UGLY BRUCE – EIN HARTER KNOCHEN IN EINER HARTEN WELT

  Also, die Geschichte geht so: Ugly Bruce war 'n übler Bursche, so 'n richtig übler Motherfucker und er hatte 'n Auge auf July geworfen, aber die zierte sich. Nicht, dass sie sich grundsätzlich zierte, sie war kein Kind von Traurigkeit, wenn Sie wissen, was ich meine, aber Bruce hatte 'ne ziemliche Hackfresse, wissen Sie, nicht schön anzusehen und in der Hinsicht sind die Frauen nun mal ganz schön wählerisch und ganz und gar nicht nachsichtig und großzügig wie in anderer Hinsicht vielleicht. Auch wenn sie gern was von inneren Werten oder Humor erzählen, für 'nen Typen mit 'ner echt hässlichen Visage haben die wenigsten 'n offenes Ohr, so sieht's nun mal aus. Ist so 'ne Art Naturgesetz.
  Bruce war freiberuflich unterwegs. Wie all die anderen Jungs hatte er es damals als Cowboy probiert. Aber allein der Gestank der Rindviecher mit ihren vollgekackten Hinterbeinen war ihm schnell gegen den Strich gegangen. Auch fand er das Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit recht unausgewogen. Und zu guter Letzt hatte er es nicht so mit Autoritäten. Bruce war dieser Typ Mann, der sich nur ungern von irgendwelchen aufgeblasenen Schwanzlutschern sagen lässt, wo's langgeht, was er zu tun oder lassen hat. Das war nicht sein Stil. Also machte er sein eigenes Ding.
  Er hatte sich dann recht schnell einen gewissen Ruf erarbeitet und die Leute engagierten ihn für so dies und das. Er war nicht zimperlich, nahm, was er kriegen konnte und wenn die Bezahlung stimmte, nahm er erst recht, was er kriegen konnte. In der Wahl seiner Mittel und Methoden war er im Übrigen auch nicht gerade zimperlich, wie Sie sich ja sicher schon denken können. Er war Ugly Bruce und so ziemlich jeder in der Gegend wusste das.
  Bruce hatte July das erste Mal auf der Farm ihres Vaters gesehen. Mister Foster, das war der Vater, wollte Bruce für 'nen kleinen Job engagieren und während sie über die geschäftlichen Aspekte der Angelegenheit sprachen, kam July rein und servierte ihnen Kaffee. Sie war jung und drall, ihre Kurven, die sie alle an den richtigen Stellen sitzen hatte, strafften ihr Kleid. Und als sie sich bückte, um den Kaffee abzustellen, hörte Bruce doch glatt die Nähte knarzen. Bruce stellte sich vor, wie er ihr den Fetzen vom Leibe riss. Er grinste schäbig. Außerdem schwitzte er und war ungewaschen und unrasiert. Das gehörte alles zu seinem Image.
  Der Job erwies sich als einfach. Leicht verdiente Dollars. Mister Foster wollte expandieren, denn er war nun mal ein waschechter Amerikaner mit waschechten amerikanischen Ambitionen und so hatte er es auf ein Stück Land seines Nachbarn abgesehen und Bruce sollte den Nachbarn davon überzeugen, dass ein Verkauf an Mister Foster die einzig vernünftige Option für ihn war. Also ritt Bruce gleich mal rüber zu dem Nachbarn, die Farm lag ja gleich nebenan. Schon als Mister Schulz, das war der Nachbar, ihn auf sich zureiten sah, wusste er, was Sache war und was er zu tun hatte. Ein Typ mit so 'ner Hackfresse, dachte sich Mister Schulz, der wird nie die Frau für's Leben finden, nie 'ne Familie gründen, der hat nichts zu verlieren, vor so einem muss man sich in Acht nehmen. Er bot Bruce herein und in der Küche unterzeichnete er dann den Kaufvertrag, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern oder sonst irgendwelche Fisimatenten abzuziehen. Er bot Bruce sogar noch 'ne Tasse Kaffee an, die Bruce dann in aller Ruhe genüsslich schlürfte, mit abgespreitztem kleinen Finger, weil er das in der Situation irgendwie witzig fand.
  Mister Foster war mit der prompten Erledigung des Auftrags höchst zufrieden und bot Bruce 'ne Tasse Kaffee an. Aber Bruce hatte genug Kaffee für heute und begnügte sich mit dem Bündel Dollar, das Mister Foster ihm ohne viel Aufhebens zusteckte. Bruce zählte das Geld nicht nach. Er wusste, dass es stimmte. Niemand wagte es, Bruce zu ficken. Niemand, der noch bei klarem Verstand war, tat so was. Bruce schwang sich souverän auf sein Pferd und ritt in die Stadt.
  In der Stadt angekommen, gerade als er sein Pferd vor dem Saloon anband, sah er doch prompt July aus dem Haushaltswarengeschäft gegenüber kommen. Sie trug immer noch das Kleid mit den knarzenden Nähten von vorhin. Ihre Achseln waren verschwitzt. Ein junger Bursche aus dem Geschäft trug ihr ihre Einkäufe hinterher und verstaute sie auf dem Pferdewagen. Bruce ging rüber zu ihr, gemächlich aber entschlossen. Bruce war kein Mann großer Worte, das lag außerhalb seines Kompetenzbereichs und so sagte er ihr gleich und direkt, was er zu sagen beabsichtigte. „Wie sieht's aus, Lust auf 'ne Tasse Kaffee?“, sagte er, obwohl er ja eigentlich für heute schon genug Kaffee gehabt hatte
  July erschrak, lächelte aber und sagte, dass sie sein Angebot leider ablehnen müsse, sie sei ja spät dran, ihr Vater und ihre drei Brüder erwarten sie auf der Farm. Bruce wusste, wann er sich geschlagen geben musste und wandte sich ab und ging zurück in Richtung Saloon. Er wollte hier am hellichten Tag und auf offener Straße keine Szene machen und dem arroganten Fräulein seinen Standpunkt nochmal in aller Deutlichkeit vor Augen führen. Auch wenn's weh tat. Er hatte schon viele Male Ablehnung erfahren, das erste und schlimmste Mal, als seine Eltern ihn damals einfach so weggegeben hatten. Und jedes Mal tat's wieder weh, immer wieder aufs Neue, verdammt! Man sollte meinen, so ein Mann wie Bruce, der steckt so was weg, steht über solchen Kinkerlitzchen. Aber wenn es um die verletzte Eitelkeit geht, steckt das keiner einfach so weg, das steht nun mal fest, und schon gar nicht, wenn du dein ganzes beschissenes Leben mit so 'ner verdammt hässlichen Visage rumlaufen musst und dir das von den Ladys immer wieder unter die Nase gerieben wird! Er betrat den Saloon in düsterer Stimmung, jetzt sollte ihm nur einer quer kommen! Manchmal brachte er dem Leben so viel Verachtung entgegen, vor allem seinem eigenen, dass er sich selbst wünschte, ein gewaltiger Blitz solle ihn doch einfach beim Scheißen treffen. Das sei die passende Verabschiedung, für ihn und für seine Sicht der Dinge.
Während der ganzen Fahrt nach Hause war July aufgebracht. Und sie war heißblütig, neigte dazu, sich in ihre Aufregung so richtig reinzusteigern. Dieser hässliche Typ hatte sie auf 'n Kaffee eingeladen. SIE! War sie etwa hässlich? Was dachte der sich! Sie spielte eindeutig in einer anderen Liga! Noch nie war sie derart beleidigt und beschmutzt worden, noch nie! Noch nicht mal, als der einarmige Henry ihr damals auf offener Straße hinterher gepfiffen hatte. Zuhause erzählte sie es gleich Jimmy.
Jimmy war der jüngste Sohn der Fosters und der hitzigste, ständig geriet er in Prügeleien und manchmal auch in lediglich verbal ablaufende Auseinandersetzungen. Er gehörte zu dieser Art von Hitzköpfen, die mit nur 'ner kurzen Zündschnur auf die Welt gekommen sind. Manche behaupteten ja, es läge daran, dass er mit seinen 1,65 m ziemlich klein geraten sei und was zu kompensieren habe. Andere vertraten die Auffassung, dass er als jüngster seinen älteren Brüdern, Joe und James, ständig was beweisen musste. Und dann gab es noch die Theorie, über die aber nur wenig geredet wurde, auch weil sie für die meisten doch irgendwie zu kompliziert war, dass es daran lag, dass seine Mutter gestorben war, als sie mit ihm in den Wehen gelegen hatte und er jetzt damit nicht so richtig klar kam, für den Tod seiner Mutter verantwortlich zu sein, zumal sein Vater, Mister Foster, ihm das auch schon das ein oder andere mal aufs Brot geschmiert hatte. Wie auch immer, als Jimmy erfuhr, dass dieser Bruce seine Schwester belästigt hatte, wurde er fuchsteufelswild und war nicht mehr zu bändigen. July hatte vielleicht an der einen oder anderen Stelle ihres Berichts etwas übertrieben, um die Sache interessanter und ihre Aufgebrachtheit etwas nachvollziehbarer zu machen. Und so sprang ihre Wut und Empörung voll und ganz auf Jimmy über. Und das tat ihr gut, deswegen hatte sie es ihm ja auch erzählt, bei so was fühlte sie sich in emotionaler Hinsicht von ihm immer gut verstanden.
  Jimmy wusste, wo er Bruce finden konnte und ritt zum Saloon. Jeder wusste, dass man Bruce im Saloon finden konnte. Wenn er nicht gerade seiner Arbeit nachging, war er immer im Saloon zu finden. Wo hätte er auch sonst sein sollen? Das Leben damals bot einem in der Hinsicht nicht gerade viele Möglichkeiten.
  Jimmy stürmte in den Saloon, er war immer noch außer sich. Wie von Sinnen und mit feurigem Blick fixierte er Bruce und forderte ihn heraus – zum Duell! ZUM DUELL AUF LEBEN UND TOD!
  Bruce wusste überhaupt nicht, was der Bengel da überhaupt von ihm wollte. Der brüllte mit Schaum vorm Mund irgendwas von wegen, er habe seine Schwester entehrt und noch 'ne Menge anderen Bullshit und dann zog er auch schon seinen Colt. Bruce schoss ihn über'n Haufen, souverän, eiskalt. Ohne mit der Wimper zu zucken! Obwohl Jimmy zuerst gezogen hatte, hatte er keine Chance gehabt. Jimmy war nicht nur der zu klein geratene Hitzkopf mit der zu kurzen Zündschnur, er war auch nicht gerade die hellste Kerze auf der Geburtstagstorte – also, gewesen, um jetzt genau zu sein.
  Alle im Saloon hatten gesehen, dass Jimmy Bruce herausgefordert und zuerst gezogen hatte. Bruce konnte sich also an der Theke getrost wieder seinem Whiskey widmen, während sie Jimmys Leiche rausschafften. Der wilde Westen war in der Hinsicht so, da darf man keine heutigen Maßstäbe anlegen.
  Als Bruce jetzt das dritte Glas Whiskey ausgetrunken hatte, legte er das Bündel Dollarscheine von Mister Foster – also dem Vater des soeben Erschossenen! – auf den Tresen und bestellte sich gleich 'ne ganze Flasche. Dolly, eine der Nutten, sah als erste der Nutten das Geldbündel und ehe man bis drei zählen konnte, stand sie auch schon bei ihm und machte ihm schöne Augen, Hackfresse hin oder her. Du bist 'n toller Mann, sagte sie und rieb ihren Schenkel an seinen, 'n echter Kerl, ich hab 'ne Schwäche für echte Kerle, wie du so einer bist. Ich bin Dolly. Bruce sagte nichts, er wusste Bescheid, genoss die Situation aber trotzdem. Bruce war vielleicht ziemlich hässlich, das bedeutete ja aber nicht, dass er auch blöd war. Und er war ja auch 'n echter Kerl, das stand ja nun mal völlig außer Frage.
  Mister Foster und seine beiden noch verbliebenen Söhne Joe und James warteten inzwischen vor dem Saloon auf ihn. UM JIMMY ZU RÄCHEN! Sie hielten sich im Dunklen auf, wollten auf Nummer Sicher gehen und ihn im Schutz der Dunkelheit wie 'nen räudigen Köter abknallen. Das hatte er verdient, so sahen sie das.
  Gleich nachdem ihnen Jimmys Leiche gebracht wurde, hatten sie den Entschluss gefasst. Sie mussten gar nicht drüber reden, hatten nur ihre Revolvergürtel umgeschnallt, die Pferde gesattelt und sind losgeritten, verletzt, hasserfüllt und stolz. Zu allem entschlossen.
  Lange mussten sie nicht warten, da kam der hässliche Mistkerl auch schon aus dem Saloon gewankt. Er hatte offensichtlich mächtig einen sitzen. Erst erschoss er ihren Jimmy und dann soff er sich einen an, was für eine miese, gefühllose Drecksau!
  Die erste Kugel durchdrang seinen rechten Lungenflügel, die zweite zerfetzte sein Herz und die dritte ging daneben – James war schon immer 'n hundsmiserabler Schütze gewesen –, aber sie hätte ja ohnehin keine Rolle mehr gespielt. Bruce war bereits tot, als sein Gesicht ungebremst Bekanntschaft mit dem dreckigen Holzsteg vorm Saloon machte und dadurch noch weitere unschöne Deformationen erfuhr. Er hatte die Schüsse gar nicht mitbekommen. Er hatte Whiskey getrunken, knapp zwei Flaschen. Es war 'n guter Abend gewesen. Eine dralle Nutte namens Dolly hatte lange auf seinem Schoß gesessen und über seine Witze gelacht. Vorher hatte er noch diesen Bengel abgeknallt, daran hatte er aber schon längst keinen Gedanken mehr verschwendet.
  Mister Foster, Joe und James machten sich aus dem Staub, ritten wie vom Leibhaftigen verfolgt in die mondbeschienene Nacht. Zurück nach Hause.
  Schon am nächsten Morgen wurden sie von Sheriff Dexter und seinen Leuten auf ihrer Farm verhaftet. Sie leisteten keinen Widerstand. Mit Dexter war nicht zu spaßen, der war'n richtig harter Knochen mit viel Erfahrung und 'ner äußerst ernsthaften Berufsauffassung und das wussten die Fosters ganz genau. Erst spielten sie noch die Unschuldigen, aber als Sheriff Dexter sie mit den naheliegenden Indizien und 'ner gewichtigen Zeugenaussage konfrontierte, knickten sie ein.
  Mister Jenkins, der Besitzer des Haushaltswarengeschäfts gegenüber vom Saloon, da wo July erst gestern eingekauft hatte, bevor sie von Ugly Bruce belästigt wurde, Sie erinnern sich, hatte gestern Nacht von seinem Schlafzimmerfenster aus alles gesehen und es dann dem Sheriff brühwarm erzählt. Mister Jenkins war nicht gut auf die Fosters zu sprechen, noch nie. Warum wusste er selbst nicht, aber manchmal, da gibt es einfach so Leute, die mag man nicht, ohne zu wissen warum. Man mag sie einfach nicht und so war das eben bei Mister Jenkins mit den Fosters. Also verpfiff er sie, ohne groß drüber nachzudenken, ob er sie jetzt verpfeifen sollte oder nicht.
  Tja, wie ging's nun weiter? Gut, wenn Sie noch 'nen kleinen Moment Zeit haben, erzähl ich's Ihnen: Also, während Mister Foster, Joe und James fortan ihr karges Frühstück im Knast serviert bekamen, blieb July allein auf der Farm zurück. Aber sie konnte die Farm unmöglich allein bewirtschaften und so war es ein Leichtes für Mister Schulz, den Nachbarn, Sie erinnern sich, July davon zu überzeugen, ihm die Farm für 'nen Spottpreis zu überlassen. In seiner Küche bei 'ner Tasse Kaffee unterzeichnete July den Kaufvertrag. Welch Ironie!
  July tat dann das, was sie sowieso schon immer wollte: Sie ging in die große Stadt, in die Big City! Dort wollte sie ihren Traum von Abenteuer, Romantik und Mondänität verwirklichen, also in erster Linie 'nen reichen, gutaussehenden Mann finden, 'nen Versorger, so einen mit Stil und Klasse, einen Gentleman, sensibel und doch maskulin. Als ihr dann das Geld ausging und sie wieder und wieder auf die falschen Verehrer reinfiel, weil sie doch etwas zu schlicht für die Welt der großen Stadt gestrickt war, endete sie allerdings als Prostituierte ohne jede Zukunft. Das passierte damals auch schon so, ob Sie's jetzt glauben oder nicht.
  Vielleicht wäre die ganze Angelegenheit ja anders verlaufen, wenn dieser Bruce nicht so 'ne hässliche Hackfresse gehabt hätte – gut möglich, aber da begeben wir uns jetzt schnell ins Reich der Spekulationen und das bringt ja nichts, wissen Sie, so rein gar nichts. Die Welt ist, wie sie ist.